Merode-Altar

Campin, Robert

um 1427 bis 1432

USA; New York; The Metropolitan Museum of Art, The Cloisters

Objekt

1 / 2
Bildrechte
Detailtitel:Stifterporträt (linker Flügel von: Merode-Altar)
Alternativtitel Deutsch:Verkündigungs-Triptychon; Mérode-Triptychon; Mérode-Altar
Titel in Originalsprache:Mérode-altaar; Drieluik van de aankondiging
Titel in Englisch:Annunciation Triptych; Merode Altarpiece
Datierung: um 1427 bis 1432
Ursprungsregion:altniederländischer Raum
Lokalisierung:USA; New York; The Metropolitan Museum of Art, The Cloisters
Lokalisierung (Detail):Inventarnummer: 56.70; Triptychon a–c, bestehend aus: Stifterbild (linker Flügel), Verkündigung (Mitteltafel), Hl. Joseph in seiner Werkstatt (rechter Flügel)
Medium:Altarbild; Tafelbild
Material:Öl
Bildträger:Holz (Eiche)
Maße: Höhe: 64,5 cm; Breite: 27,3 cm
Maße Anmerkungen:Mitteltafel: 64,1 x 63,2 cm; Seitenflügel jeweils: 64,5 x 27,3 cm
Ikonografische Bezeichnung:Stifterbild
Iconclass:61B2(Peter Engelbrecht?)1 – historical person (with NAME)
Signatur Wortlaut:ohne
Datierung Wortlaut:ohne
Auftraggeber/Stifter:Peter Engelbrecht, abgebildet mit seiner zweiten Gattin Heylwich Bille (?)
Provenienz:um 1820 vom Fürsten von Arenberg in Brügge erworben; durch Heirat der Arenberg-Tochter Marie-Nicolette in den Besitz der Familie Merode gelangt; 1956 Ankauf durch das Metropolitan Museum of Art
Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt:unbekannt

Seit den gemäldetechnologischen Erkenntnissen aus der Restaurierung des Merode-Altars im Jahr 1957 und stilkritischen Untersuchungen von Frinta 1966,1 die den Stifterflügel als Werk einer anderen Hand darstellten, werden der ursprüngliche Zustand und die Genese des Altars kontrovers diskutiert. Auch die Frage nach dem Stifter des privaten Andachtsbildes (Hausaltärchen) ist Gegenstand dieser Debatten.2 Der Auftraggeber, Peter Engelbrecht, und seine erste Gattin Margarethe Schinmechers wurden über das Wappen im hinteren Fenster der zentralen Marientafel zur Verkündigung identifiziert, das übereinstimmend als Hinweis auf die Familie Inghelbrechts oder Ymbrechts gedeutet wird. Die Identität der dargestellten Stifterin bleibt jedoch unsicher.3

Die Identifizierung wird zusätzlich erschwert, da das Porträt der Stifterin sowie die Figur des kleinen Mannes im Hintergrund auf dem linken Flügel später eingefügt wurden. Zudem wurde das Frauenwappen auf der Mitteltafel übermalt.4 Thürlemann weist auf Basis der Vita von Peter Engelbrecht darauf hin, dass dessen erste Gattin Margarethe nie als Porträt am Altar dargestellt wurde, ihr Wappen jedoch im rückwärtigen Fenster der Mitteltafel neben dem ihres Mannes zu sehen war.5 Die Überarbeitung des Altars könnte darauf abgezielt haben, ein Bildnis der zweiten Gemahlin des Auftraggebers aufzunehmen.6 Bei der Frau auf dem linken Flügel handle es sich somit mit großer Wahrscheinlichkeit um Heylwich Bille, deren Wappen ein zuvor gemaltes ersetzt habe. Sowohl der ursprüngliche Auftrag als auch die Überarbeitung könnten als Votivbild für Kindersegen intendiert gewesen sein.7

Die Unsicherheiten in der Zuschreibung des Flügelbildes führten zu verschiedenen Thesen. Unter anderem wurde die Stiftertafel (zumindest partiell) als Werk von Rogier van der Weyden vorgeschlagen.8

Verweise

  1. Frinta 1966, 13–28.↩︎

  2. Vgl. u. a. Kemperdick 1997, 84, zur Forschungsgeschichte bes. 78f.↩︎

  3. Zur Provenienz des Altars ab ca. vgl. Thürlemann 2002, 272.↩︎

  4. Ebd., 58, 63, zum Röntgenbild, das die späteren Einfügungen sichtbar macht vgl. 66 (Abb. 46). Die Einfügungen datieren um 1455/60, vgl. u. a. Thürlemann 2002, 271.↩︎

  5. Thürlemann 2002, 71.↩︎

  6. Ebd., 66.↩︎

  7. Ebd., 71–73.↩︎

  8. Ebd., 65f.↩︎

Bildnis 1

Bildrechte
Lokalisierung im Objekt:Figur im Hintergrund vor dem geöffneten Portal der Stadtmauer
Ausführung Körper:Ganzfigur stehend
Ausführung Kopf:Dreiviertelporträt
Ikonografischer Kontext:Figur in der Gestalt eines Boten
Blick/Mimik:Blick nach rechts
Gesten:rechte Hand der Figur fasst an die Kante des Portals, linke hält einen Hut
Körperhaltung:aufrecht; leicht nach rechts gedreht; Kontrapost
Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal:im hinteren Bereich eines eingefassten Gartens rechts eines geöffneten Portals in der Stadtmauer; an der Schnittstelle zwischen Garten der Stifter und Stadt – zwischen privat und öffentlich; trotz der Hintergrundposition kaum überschnitten (in den Zwickel zwischen dem Stifterpaar eingepasst)
Formale Besonderheiten:spätere Einfügung
Attribute:Botenbüchse; Umhängetasche; Stadtwappen
Kleidung:auffällige hochwertige Kleidung; Berufsbekleidung eines Boten mit Strohhut und Truppenschuhe
Zugeordnete Bildprotagonisten:das Stifterpaar; der Engel auf der Mitteltafel

Forschungsergebnis: Campin, Robert

Künstler des Bildnisses:Campin, Robert
Status:kontrovers diskutiert
Status Anmerkungen:Zur Figur im Hintergrund des Stifterflügels des Merode-Altars liegen unterschiedliche Deutungen vor – die Interpretation als Bote stellt dabei die vorherrschende Meinung dar. Auf Basis dieses weitgehenden Konsenses wurde der Forschungsstand zur Figur nicht vollständig aufgearbeitet. Hinzu kommt, dass die kontrovers geführten Diskussionen zur Zuschreibung der Tafel eine eindeutige Identifizierung des Malers bislang ausschließen.
Andere Identifikationsvorschläge:Bote oder Herold; Diener; Heiratsvermittler; Prophet Jesaja; Wohltäter
Typ Autor/in Jahr Referenz Seite Anmerkungen
Skeptisch/verneinend Rousseau 1957 Rousseau 1957 – The Merode Altarpiece 126 -
Skeptisch/verneinend Nickel 1966 Nickel 1966 – The Man Beside the Gate 237–239 -
Skeptisch/verneinend Minott 1969 Minott 1969 – The Theme of the Mérode 271 -
Bejahend Gottlieb 1970 Gottlieb 1970 – Respiciens per Fenestras 73 -
Skeptisch/verneinend Thürlemann 1990 Thürlemann 1990 – Der Blick hinaus 391 -
Skeptisch/verneinend Holly 1993 Holly 1993 – Witnessing an Annunciation 715 -
Skeptisch/verneinend Kruse 1994 Kruse 1994 – Dokumentation Campin 167 -
Skeptisch/verneinend Neuner 1995 Neuner 1995 – Das Triptychon in der frühen 44 (Anm. 49) -
Skeptisch/verneinend Châtelet 1996 Châtelet 1996 – Robert Campin 293 -
Skeptisch/verneinend Kemp 1996 Kemp 1996 – Die Räume der Maler 138f, bes. 139 -
Skeptisch/verneinend Kemperdick 1997 Kemperdick 1997 – Der Meister von Flémalle 85 -
Skeptisch/verneinend Thürlemann 1997 Thürlemann 1997 – Robert Campin 10, 44 -
Skeptisch/verneinend Acres 1998 Acres 1998 – The Columba Altarpiece 443–445, bes. 445 -
Skeptisch/verneinend Falkenburg 2001 Falkenburg 2001 – The Household of the Soul 9f, 17 (Anm. 29) -
Skeptisch/verneinend Pietrogiovanna 2002 Pietrogiovanna 2002 – Meister von flémalle [Robert Campin] 43 -
Skeptisch/verneinend Thürlemann 2002 Thürlemann 2002 – Robert Campin 63, 73 -
Skeptisch/verneinend De Vos 2002 De Vos 2002 – The Flemish Primitives 31
Details
gleichlautend in De Vos 2002 – Flämische Meister, 33
Skeptisch/verneinend Snyder/Silver 2005 Snyder, Silver 2005 – Northern Renaissance Art 115 -
Skeptisch/verneinend Sander 2008 Sander 2008 – Meister von Flémalle 194, 198 -
Skeptisch/verneinend Legner 2009 Legner 2009 – Der Artifex 17 -
Skeptisch/verneinend Bawden 2014 Bawden 2014 – Die Schwelle im Mittelalter 177–180 -
Skeptisch/verneinend Ridderbos 2022 Ridderbos 2022 – Choices and Intentions 20 -

Rousseau (1957) diskutiert die Figur des Mannes an der Mauer unter verschiedenen Annahmen. Es könne sich um den Maler selbst handeln, wobei weder Haltung noch Gesicht den Erwartungen an ein Selbstporträt entsprächen. Naheliegender sei es hingegen, in der Figur einen Diener der Familie Merode zu sehen, da das Schild an der Brust des Mannes das Wappen der Stadt Mechelen zeige – ein Wappen, das auch von den Herren von Berthout geführt wurde, die zur Familie Merode gehörten. Dies deute auf eine frühe Verbindung des Bildes mit dieser Familie hin. Zudem könnte das Emblem auf die Kennzeichnung eines Höflings oder Makler hinweisen, was Rousseau zu der Überlegung führt, ob der Mann einen Heiratsvermittler repräsentieren könnte, der für den Vertrag zwischen den beiden Stiftern verantwortlich war.1

Nickel (1966) knüpft an Rousseau an. Die Möglichkeit eines Selbstporträts weist er jedoch zurück, da der Mann das Bildpublikum nicht direkt anblicke, was bei einer Fertigung nach dem Spiegel zu erwarten wäre. Auch die ungewöhnliche Kleidung spreche gegen diese Deutung, was auch für eine Deutung als Heiratsvermittler gelte. Zur Klärung der Rolle der Figur trage jedoch das Wappen der Stadt Mechelen – drei rote Pfähle auf Gold – auf der Brust des Mannes bei. Dieses Emblem wurde von professionellen Boten getragen, die im Dienst von Körperschaften wie Städten oder Zünften standen und vereidigt worden waren, um wesentliche und vertrauliche Aufträge auszuführen. Solche Boten seien zudem von Männern genutzt worden, die keinen eigenen Herold unterhalten konnten.2

Minott (1969) sieht den Schlüssel zum Verständnis des Merode-Altars in den Texten des Propheten Jesaja. Thematisch stünde der Altar in Zusammenhang mit der Passion Christi, was symbolisch in verschiedenen Elementen des Altars zum Ausdruck komme: Der rechte Flügel stehe für die Verdammnis (dargestellt durch die Passionswerkzeuge auf der Schnitzbank des hl. Joseph), während die Mitteltafel auf die zukünftige Passion verweise (symbolisiert durch Christus, der im linken Bildbereich in die vom Fenster einfallenden Lichtstrahlen getaucht ist und bereits das Kreuz als Vorhersehung seines Leidens trägt). Am linken Flügel, der Seite der Geretteten, erscheinen die Stifter im Garten. Der Mann im hinteren Bereich verkörpere dabei den göttlichen Boten Jesaja. Er trete als städtischer Bote auf und trage um das Stadtwappen zwölf Perlen, die die zwölf Tore des himmlischen Jerusalem symbolisieren, wie sie in der Apokalypse beschrieben sind.3

Gottlieb (1970) interpretiert den Mann am Tor als den Künstler selbst, der bescheiden am Rand des Gartens stehe. Wie das Stifterpaar sei er als Gerechter in den Paradiesesgarten aufgenommen worden, da er durch sein Werk der Verherrlichung des Göttlichen diene.4

Thürlemann (1990) erweitert Nickels These zur Figur, indem er die soziale Rolle des Boten von seiner narrativen Funktion unterscheidet. Die auf dem geöffneten Türflügel aufliegende rechte Hand des Boten zeige an, dass er die Tür geöffnet habe. Durch ihn bzw. die Botschaft, die er überbrachte, sei dem Stifterpaar der Zugang zum Garten ermöglicht worden.5
1997 beschäftigt sich Thürlemann erneut mit der Figur und ihrer Rolle als Bote. Nach einer detaillierten Beschreibung der Figur (inklusive Berufsbekleidung mit Botenbüchse, Stadtwappen, Umhängetasche, Truppenschuhe, Strohhut) kommt er erneut zu dem Schluss, dass sie als vermittelnde Figur für den Stifter auftrete. Zudem spiele der Bote, wie Thürlemann in Anlehnung an Rousseau bemerkt, eine Rolle bei der Vermählung des Paares.6 Das Porträt des Stadtboten im Votivbild spiegle als irdische Gestalt die Rolle des Engels als himmlischer Bote wider. Somit sei sowohl am Stifterflügel als auch auf der Verkündigungsszene der Mitteltafel das Stifterpaar in Anwesenheit eines Überbringers dargestellt – einmal als Porträts mit dem bärtigen Mann, einmal als Wappen mit dem Engel.7
2002 bestätigt Thürlemann seine Thesen.8

Kruse (1994) deutet den Mann als irdisches Pendant zum Engel als himmlischen Boten auf der Mitteltafel – er lasse Heylwich Bille als zweite Frau zu ihrem Mann treten.9

Acres (1998) greift Minotts Deutung der Figur als Prophet auf und stellt in einem weiterführenden Vergleich Übereinstimmungen mit dem Propheten im Columba-Altar Rogier van der Weydens fest. Während der Prophet bei van der Weyden (die Figur mit weißem Bart im Bogen der Stallarchitektur links) zur BetrachterIn blicke und auf die zentrale Anbetungsszene deute, wodurch er die Gläubigen zur Anteilnahme auffordere, schaue der Mann/Prophet bei Campin (möglicherweise Jesaia) von seiner Hintergrundposition aus nach rechts in Richtung Verkündigung. Dies impliziere, dass er die Menschwerdung voraussehe, es jedoch den Gläubigen überlasse, sie zu erleben. Acres vergleicht diese Einbindung eines Propheten zur BetrachterInnenanleitung auch mit dem Konzept der Anbetung der Hirten bei Hugo van der Goes.10

Holly (1993) deutet die Figur als wohltätigen Mann, der das Stifterpaar „bewache“. Der Autor führt verschiedene Deutungsansätze an, darunter die Interpretationen der Figur als Prophet Jesaia, Heiratsvermittler oder Bote.11 Die Möglichkeit einer Identifikation als Künstlerbild erwähnt Holly nicht.

Neuner (1995) verknüpft den Boten mit dem Wohnort des Stifters und schließt damit alle anderen Deutungen als unwahrscheinlich aus.12

Châtelet (1996) hebt Minotts Deutung der Figur als Prophet Jesaja als außergewöhnlichste Interpretation hervor, ohne ihr explizit zuzustimmen.13

Kemp (1996) fokussiert auf die Möglichkeit der Malerei, anhand von Durch- und Einblicken Erzählstränge zu konzentrieren und die Aufmerksamkeit der Betrachtenden zu lenken. Im Merode-Altar, der einen Chronotopos beinhalte, werde dem Stifterpaar am linken Flügel ein Einblick in das Haus Marias und Josephs gewährt, nachdem ihnen ein Dritter den Zugang durch das Tor in der Mauer ermöglicht habe. Diese dritte Figur, die unter anderem als Herold oder Maler interpretiert wurde, fungiere laut Kemp – unabhängig von der genauen Identität – als Vermittlerfigur, die die BetrachterIn in die Bildwelt führt.14

Kemperdick (1997) erachtet den Mann neben dem Tor mit seinem für das 15. Jahrhundert ungewöhnlichen Bart, der auffälligen Kleidung und dem Wappen der Stadt Mechelen als erklärungsbedürftig. Die Annahme, es handle sich dabei um einen Boten Mechelens, erscheint ihm jedoch am plausibelsten.15

Falkenburg (2001) deutet den Mann im hinteren Teil des Gartens als Diener. Eine Interpretation als Herold mache nur Sinn, wenn der Mann als Vorbote der Ankunft der Stifter verstanden werde.16

Petrogiovanna (2002) erwähnt die Figur nur beiläufig und bezeichnet sie als Boten.17

De Vos (2002) interpretiert den Mann ebenfalls als einen Boten der Stadt, worauf das Wappen hindeute.18

Snyder und Silver (2005) fokussieren auf die Rolle des Boten, die der eines Engels ähnele, sowie auf das Abzeichen, das auf die Heimatstadt des Stifters hinweise.19

Auch Sander (2008) stellt durch die regionale Zuordnung des Boten an die Stadt Mechelen eine Verbindung zu der Stifterfamilie her.20

Legner (2009) weist die Identifizierung des Ratsboten als Künstler zurück.21

Bawdden (2014) analysiert die Bedeutung von Schwellen im Mittelalter, die als Bildmotiv und Bildort verschiedene Funktionen erfüllen. Im Fall des Stifterflügels vom Merode-Altar liege ein „Schwellenmotiv als Analogon des Bildträgers“22 vor, das sich aus dem Zusammenspiel des geöffneten Portals in der Mauer und der vor dem Stifter befindlichen Tür ergebe. Diese beiden Öffnungen repräsentierten zwei Bewegungsstadien und thematisierten unterschiedliche Ein- und Ausblicke. Der Mann an der Mauer sei demnach ein Bote, der gerade eingetreten sei.23

Ridderbos (2022) interpretiert den Mann ebenfalls als städtischen Boten, der auf den Wohnort des Stifters hinweise. Die Position des Beamten neben dem halb geöffneten Tor, das den Blick auf das Stadtzentrum Mechelens freigebe, sei als Schwellenbereich zwischen dem umzäunten Garten – dem Vorgarten Mariens – und dem öffentlichen Leben außerhalb zu verstehen. Wie der Stifter halte auch der Mann im Hintergrund seinen Hut als Zeichen des Respekts gegenüber der Jungfrau in der Hand. Der Bote fungiere somit als Stellvertreterfigur für weitere Bürger der Stadt, die dem Stifterpaar in ihrer Anbetung folgen.24

Verweise

  1. Rousseau, Jr. 1957, 126.↩︎

  2. Nickel 1966, 237–239.↩︎

  3. Minott 1969, 271.↩︎

  4. Gottlieb 1970, 73.↩︎

  5. Thürlemann 1990, 391.↩︎

  6. Thürlemann 1997, 10.↩︎

  7. Thürlemann 1997, 44.↩︎

  8. Thürlemann 2002, 63, 73. Zu Thürlemanns intensiver Beschäftigung mit der Stiftergeschichte vgl. die Anmerkungen zur Objektbeschreibung des Merode-Altars in der vorliegenden Datenbank.↩︎

  9. Kruse 1994, 167.↩︎

  10. Acres 1998, 443–445, bes. 445.↩︎

  11. Holly 1993, 715.↩︎

  12. Neuner 1995, 44 (Anm. 49).↩︎

  13. Châtelet 1996, 293.↩︎

  14. Kemp 1996, 138f, bes. 139.↩︎

  15. Kemperdick 1997, 85.↩︎

  16. Falkenburg 2001, 97, 17 (Anm. 29).↩︎

  17. Pietrogiovanna 2002, 43.↩︎

  18. De Vos 2002b, 31; gleichlautend in De Vos 2002a, 33.↩︎

  19. Snyder/Silver 2005, 115.↩︎

  20. Sander 2008, 194; 198.↩︎

  21. Legner 2009, 17.↩︎

  22. Bawden 2014, 177.↩︎

  23. Ebd., 177–180.↩︎

  24. Ridderbos 2022, 20.↩︎

Der Mann an der Schwelle

In der Forschung zum Merode-Altar nehmen Fragen zur Urheberschaft, zu den Umständen der Auftragsvergabe sowie der Ikonografie einen zentralen Stellenwert ein.1 Vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit wurde jedoch der Identifizierung des Mannes neben dem geöffneten Portal im hinteren Bereich des Stifterflügels gewidmet. Dieser wird auf Basis eines an der Brust angebrachten Emblems überwiegend als Bote der Stadt Mechelen – der Heimatstadt des Stifters – interpretiert. Thesen, die ihn als mögliches Selbstporträt deuten, sind hingegen äußerst selten.

Darüber rückte der Altar zunehmend in den Fokus bildtheoretischer Fragestellungen. Seine Komposition zeichnet sich durch eine Vielzahl von Öffnungen, Ein-, Durch- und Ausblicken aus, die häufig mit Klappelementen versehen sind. In der malerischen Konzeption spiegelt sich somit die Funktion des Altars wider, die sich durch das Wechselspiel von Öffnen und Schließen, Offenbaren und Verbergen definiert.2 Nach Jacobs treffen im Merode-Altar Bild und Format auf besondere Weise zusammen – das Triptychon kommentiere seine eigene Natur.3

Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang der Stifterflügel mit der nach rechts in Richtung der Mitteltafel geöffneten Tür, die dem Stifterpaar symbolisch Einlass in den sakralen Raum Mariens gewährt – eine Konzeption, die Parallelen zum Werl-Diptychons aufweist. Das Zusammentreffen dieser gemalten Tür mit dem realen Scharnier des Altars führt zu einer immateriellen Verdoppelung der Klappfunktion gerade in jenem Bereich, in dem die Ontologien von realitätsnaher Stifterwelt und sakraler Vision des betenden Paares im Akt des Schauens und Sehens aufeinandertreffen.4 Im hinteren Bereich des Flügels lenkt der Maler den Blick an dem Mann an der Mauer vorbei und durch das ebenfalls geöffnete Portal in den städtischen Raum – in die Alltagswelt. Es entsteht eine Abfolge und Verknüpfung von Räumen unterschiedlicher Seinsebenen, die Draxler treffend als „im Sinne einer spirituellen Stufenleiter“5 beschreibt. Die Position der Hand des Boten an der Türkante verstärkt den Eindruck der räumlichen und inhaltlichen Schwelle – er selbst nimmt eine Schwellenposition ein und wird zur Schwellenfigur.6

Im Rahmen traditioneller Selbstporträtforschung ist die Figur wenig relevant. Es stellt sich jedoch die Frage, ob ihre Botenfunktion erweitert werden könnte – ob die Schwellenfigur nicht auch von den Inhalten, dem System und der malerischen Umsetzung verschmolzener Wirklichkeitsebenen berichtet – gerade am Übergang zum weltlichen Raum. Dementsprechend könnte er als Sinnbild für die Malerei selbst verstanden werden, als ein kryptomorpher Hinweis auf den Maler (unabhängig von dessen Identität), der das Bild durch die „Hintertür“ betritt und vor dem die Bilderzählung ihren Lauf nimmt.

Verweise

  1. Aus der umfangreichen Literatur zum Merode-Altar vgl. u. a. Châtelet 1996, 93–114, 291–294; De Vos 2002a, 27–34; De Vos 2002b, 27–34; Freeman 1957; Friedländer 1924, 109; Frinta 1966, 13–28; Holly 1993; Kemperdick 1997, 77–99; Kemperdick/Sander 2008; Kruse 1994, 166f; Nickel 1966; Panofsky (hg. von Sander/Kemperdick 2001), 166–169; Pietrogiovanna 2002; Ridderbos 2005, 16–23; Ridderbos 2022; Rousseau, Jr. 1957; Sander 2008; Thürlemann 1997; Thürlemann 2002, 58–76, 269–272 Zu Auftragsumständen, Zuschreibung und gemäldetechnologischen Befunden vgl. die Ausführungen zum Objekt in der vorliegenden Datenbank.↩︎

  2. Aus der Literatur zum Raumkonzept des Merode-Triptychons vgl. u. a. Falkenburg 2001; Gottlieb 1970; Gottlieb 1981, 114–119; Jacobs 2012; Kemp 1996, 138f, bes. 139; Lutz/Siegert 2016, 115–119; Thürlemann 1990; zum Triptychon als Metapher, Körper und Ort grundlegend vgl. Rimmele 2010.↩︎

  3. Jacobs 2012, 10.↩︎

  4. Lutz/Siegert 2016, 116f.↩︎

  5. Draxler 2021, 33; vgl. weiterführend Falkenburg 2001.↩︎

  6. Bedienstete wurden im Mittelalter häufig mit Schwellen assoziiert, vgl. u. a. Bawden 2014, 65, mit weiterführender Literatur.↩︎

Literatur

Acres, Alfred: The Columba Altarpiece and the Time of the World, in: The Art Bulletin, 80. Jg. 1998, H. 3, 422–451.
Bawden, Tina: Die Schwelle im Mittelalter. Bildmotiv und Bildort (Sensus. Studien zur mittelalterlichen Kunst, 4), Köln u. a. 2014.
Châtelet, Albert: Robert Campin. De Meester van Flémalle, Antwerpen 1996.
De Vos, Dirk: Flämische Meister. Jan van Eyck, Rogier van der Weyden, Hans Memling, Köln 2002.
De Vos, Dirk: The Flemish Primitives. The Masterpieces; Robert Campin (Master of Flémalle), Jan van Eyck, Rogier van der Weyden, Petrus Christus, Dieric Bouts, Hugo van der Goes, Hans Memling, Gerard David, Princeton 2002.
Draxler, Helmut: Die Wahrheit der niederländischen Malerei. Eine Archäologie der Gegenwartskunst, Paderborn 2021.
Falkenburg, Reindert L.: The Household of the Soul: Conformity in the Merode Triptych, in: Ainsworth, Maryan W. (Hg.): Early Netherlandish Painting at the Crossroads. A Critical Look at Current Methodologies (The Metropolitan Museum of Art symposia), New York 2001, 2-17.
Freeman, Margaret B.: The Iconography of the Merode Altarpiece, in: The Metropolitan Museum of Art Bulletin. New Series, 16. Jg. 1957, H. 4, 130–139.
Friedländer, Max J.: Rogier van der Weyden und der Meister von Flémalle (Die altniederländische Malerei, 2), Berlin u. a. 1924.
Frinta, Mojmír S.: The genius of Robert Campin (Studies in Art, 1), Den Haag 1966.
Gottlieb, Carla: Respiciens per Fenestras. The Symbolism of the Mérode Altarpiece, in: Oud-Holland, 85. Jg. 1970, H. 2, 65–84.
Gottlieb, Carla: The Window in Art. From the Window of God to the Vanity of Man. A Survey of Window Symbolism in Western Painting, New York 1981.
Holly, Michael Ann: Witnessing an Annunciation, in: Gaehtgens, Thomas W. (Hg.): Künstlerischer Austausch. Band 2 (Tagungsband, Berlin, 15.07.–20.07.1992), Berlin 1993, 713–725.
Jacobs, Lynn F.: Opening Doors. The Early Netherlandish Triptych Reinterpreted, University Park Pennsylvania 2012.
Kemp, Wolfgang: Die Räume der Maler. Zur Bilderzählung seit Giotto, München 1996.
Kemperdick, Stephan/Sander, Jochen (Hg.): Der Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden. Eine Ausstellung des Städel Museums, Frankfurt am Main, und der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin (Ausstellungskatalog Städel Museum, Frankfurt am Main, 21.11.2008–22.2.2009), Osterfildern 2008.
Kemperdick, Stephan: Der Meister von Flémalle. Die Werkstatt Robert Campins und Rogier van der Weyden (Ars nova, 2), Turnhout 1997.
Kruse, Christiane: Dokumentation. Robert Campin, in: Belting, Hans/Kruse, Christiane (Hg.): Die Erfindung des Gemäldes. Das erste Jahrhundert der niederländischen Malerei, München 1994, 163–173.
Legner, Anton: Der Artifex. Künstler im Mittelalter und ihre Selbstdarstellung, Köln 2009.
Lutz, Helga/Siegert, Bernhard: In der Mixed Zone. Klapp- und faltbare Bildobjekte als Operatoren hybrider Realitäten, in: Ganz, David/Rimmele, Marius (Hg.): Klappeffekte. Faltbare Bildträger in der Vormoderne (Bild+Bild, 4; Tagungsband, Zürich, 21.11.2014–22.11.2014), Berlin 2016, 109–138.
Minott, Charles Ilsley: The Theme of the Mérode Altarpiece, in: The Art Bulletin, 51. Jg. 1969, 267–271.
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Panofsky, Erwin: Die altniederländische Malerei. 1. Ihr Ursprung und Wesen, hg. von Jochen Sander/Stephan Kemperdick, Köln 2001.
Pietrogiovanna, Mari: Meister von Flémalle [Robert Campin]. Mérode-Triptychon. New York, The Cloister Collection, in: Limentani Virdis, Caterina/Pietrogiovanna, Mari (Hg.): Flügelaltäre. Bemalte Polyptychen der Gotik und Renaissance, München 2002, 41–50.
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Rimmele, Marius: Das Triptychon als Metapher, Körper und Ort. Semantisierung eines Bildträgers, München 2010.
Rousseau, Theodore, Jr.: The Merode Altarpiece, in: The Metropolitan Museum of Art Bulletin. New Series, 16. Jg. 1957, H. 4, 117–129.
Sander, Jochen: Meister von Flémalle. Mérode-Triptychon, in: Kemperdick, Stephan/Sander, Jochen (Hg.): Der Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden. Eine Ausstellung des Städel Museums, Frankfurt am Main, und der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin (Ausstellungskatalog, Frankfurt am Main, 21.11.2008–22.2.2009), Osterfildern 2008, 192–201.
Snyder, James/Silver, Larry: Northern Renaissance Art. Painting, Sculpture, the Graphic Arts from 1350 to 1575, Upper Saddle River, NJ (2. Aufl.) 2005.
Thürlemann, Felix: Der Blick hinaus auf die Welt. Zum Raumkonzept des Mérode-Triptychons von Robert Campin, in: Fröhlicher, Peter/Güntert, Georges/Thürlemann, Felix (Hg.): Espaces du texte. Recueil d’hommages pour Jacques Geninasca, Neuchâtel 1990, 383–396.
Thürlemann, Felix: Robert Campin, Das Mérode-Triptychon. Ein Hochzeitsbild für Peter Engelbrecht und Gretchen Schrinmechers aus Köln (Kunststück, 12418), Frankfurt am Main 1997.
Thürlemann, Felix: Robert Campin. Eine Monographie mit Werkkatalog, München, u. a. 2002.

Zitiervorschlag:

Krabichler, Elisabeth: Merode-Altar (Katalogeintrag), in: Metapictor, http://explore-research.uibk.ac.at/arts/metapictor/katalogeintrag/CampinRobert_MerodeAltar/ (05.12.2025).