Inhaltsverzeichnis
Objekt
Bildrechte
| Detailtitel: | Der gute Hauptmann (eines von fünf Fragmenten einer Kalvarienbergdarstellung) |
| Alternativtitel Deutsch: | Der gute Zenturio unter dem Kreuz |
| Titel in Originalsprache: | Der gute Hauptmann |
| Titel in Englisch: | The Good Centurion; The Good Centurion Beneath the Cross |
| Datierung: | 1477 bis 1478 |
| Ursprungsregion: | deutschsprachiger Raum |
| Lokalisierung: | Spanien; Madrid; Museo Thyssen-Bornemisza |
| Lokalisierung (Detail): | Inventarnummer: 22 (1929.8); Raum 8 |
| Medium: | Tafelbild |
| Material: | Öl |
| Bildträger: | Holz (Eiche) |
| Maße: | Höhe: 81,5 cm; Breite: 51 cm |
| Ikonografische Bezeichnung: | Kreuzigung Christi |
| Iconclass: | 73D6 – the crucifixion of Christ: Christ's death on the cross; Golgotha (Matthew 27:45–58; Mark 15:33–45; Luke 23:44–52; John 19:25–38) |
| Signatur Wortlaut: | ohne |
| Datierung Wortlaut: | ohne |
| Auftraggeber/Stifter: | Stifter unbekannt; Aufzeichnungen zu einer Zahlung von Seiten der Kirchengemeinde belegt |
| Provenienz: | vermutlich für die St. Nikolaus-Kirche im Mathena-Viertel zu Wesel bestimmt; Mrs. Holden of Ramsdale Manor, Scarborough; Lord Marchamley, Great Britain; Paul Bottenwieser, Berlin; seit 1929 in der Thyssen-Bornemisza Collection |
| Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt: | unbekannt |
Zu weiterführenden Überlegungen zum möglichen Auftraggeber und den Auftragsumständen:1 Es ist eine Zahlung von der Kirchengemeinde von 370 rheinischen Gulden im Jahr 1477/78 belegt. Dabei handelte es sich um einen großen Auftrag, der 1482 abgeschlossen wurde und bei dem es sich um den Kreuzigungsaltar handeln sollte, dem das hier behandelte Fragment zuzurechnen ist.2
Zur Bestimmung dieses Altars für die St. Nikolaus-Kirche3 und zur Provenienz insgesamt.4
Bildnis 1
Bildrechte
| Lokalisierung im Objekt: | unter dem Kreuz Christi |
| Ausführung Körper: | Halbfigur stehend |
| Ausführung Kopf: | Dreiviertelporträt |
| Ikonografischer Kontext: | Der gute Hauptmann |
| Blick/Mimik: | Blick aus dem Bild, nach links gerichtet |
| Gesten: | Hände halten ein Zepter |
| Körperhaltung: | aufrecht; leicht nach hinten geneigt |
| Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal: | prominente Position unter dem Kreuz; dynamische Körperhaltung; Oberkörper und Kopf kaum überschnitten |
| Attribute: | Zepter |
| Kleidung: | aristokratische Kleidung mit Schmuckelementen; auffallende rote Kopfbedeckung (Chaperon) |
Forschungsergebnis: Baegert, Derick
| Künstler des Bildnisses: | Baegert, Derick |
| Status: | weitgehend anerkannt |
| Status Anmerkungen: | In der gesichteten Literatur war kein Hinweis auf eine Ablehnung der Selbstporträtthese in Folge der Erstidentifizierung des Malers durch Stange (1954) zu finden. |
| Andere Identifikationsvorschläge: | Herzog Johann II. |
| Typ | Autor/in | Jahr | Referenz | Seite | Anmerkungen |
|---|---|---|---|---|---|
| Skeptisch/verneinend | Sprung | 1938 | Sprung 1938 – Derick Bagert aus Wesel | 85 (Anm. 63) | - |
| Erstzuschreibung | Stange | 1954 | Stange 1954 – Nordwestdeutschland in der Zeit | 59 | - |
| Bejahend | Evers | 1972 | Evers 1972 – Dürer bei Memling | 74–76 | - |
| Bejahend | Reising | 1978 | Rensing 1978 – Auf dem Kalvarienberg von Derick | 61f | - |
| Bejahend | Baxhenrich-Hartmann | 1984 | Baxhenrich-Hartmann 1984 – Der Hochaltar des Derick Baegert | 113 | - |
| Bejahend | Lübbeke | 1991 | Lübbeke 1991 – Early German Painting | 128 |
Detailsvorsichtig zustimmend
|
| Bejahend | Arand | 1994 | Arand (Hg.) 1994 – Schätze im Verborgenen | 14, 18 |
Detailsindirekt zustimmend
|
| Bejahend | Rinke | 2004 | Rinke 2004 – Memoria im Bild | 161, 169–178, bes. 173–175 | - |
| Bejahend | Legner | 2009 | Legner 2009 – Der Artifex | 488 (Abb. 794), 492 | - |
| Bejahend | Gigante | 2010 | Gigante 2010 – Autoportraits en marge | 121 | - |
| Bejahend | Söll-Tauchert | 2010 | Söll-Tauchert 2010 – Hans Baldung Grien 1484/85–1545 | 215 (Anm. 697) | - |
| Bejahend | Marx | 2011 | Marx 2011 – Derick Baegert | 71 | - |
Sprung (1938) identifiziert den Hauptmann als Herzog Johann II.1
Für Stange (1954) zählt das Selbstbildnis Baegerts in der Rolle des Zenturios mit Zepter „zum besten, was die nordwestdeutsche Malerei um 1480 geschaffen hat.“2
Evers (1972) beschäftigt sich vorrangig mit dem Selbstbildnis Baegerts in der Veronikaszene des Dortmunder-Altars, das entsprechend seinen Ausführungen innerhalb einer Tradition von Veronika- und Künstlerbildern unter dem Kreuz des guten Schächers in Kreuzigungsszenen zu verankern ist. Im Zuge eines weiteren Vergleichs bestätigt der Autor auch die Selbstbildnisse in der verlorenen Berliner Kreuzigung3 und im Thyssen-Fragment.4
Reising (1978) identifiziert den Mann mit Zepter unter dem Kreuz als Selbstporträt Baegerts in der Rolle des Pilatus. Die These zur Selbstdarstellung entwickelt er auf Basis physiognomischer Ähnlichkeiten mit dem als Selbstdarstellung festgestellten Porträt in der Dortmunder Veronikaszene.5
Baxhenrich-Hartmann (1984) thematisiert neben der verlorenen Berliner Selbstdarstellung6 die Selbstporträts im Fragment einer Kreuzigung in der Thyssen-Sammlung und in der Weseler Eidesleistung. Sie vergleicht dabei die übereinstimmend ausgeführten Dreiviertelansichten und Drehungen der erhaltenen Bildnisse nach links. Dass die Physiognomien der Bildnisse in den späteren Arbeiten deutlich gealtert erscheinen, spreche der Autorin zufolge sowohl für die vorgeschlagene Chronologie der Werke als auch für die Identifizierung der Selbstbildnisse.7
Lübbeke (1991) vergleicht die Physiognomie des fürstlich erscheinenden Zenturios im Thyssen-Fragment mit Bildnissen im Dortmunder-Altar (in der Kreuzigung und in der Anbetung der Könige) und im Weseler Gerichtsbild und resümiert: „We can assume that this is a portrait, perhaps even a very self-confident likeness of the painter himself.“8
Arand (1994), der starke Zweifel an der Selbstdarstellung im Weseler Gerichtsbild vorbringt, bezeichnet die Bildnisse im Dortmunder-Altar und im Thyssen-Fragment als „vermutete Selbstporträts“.9 Gleichzeitig datiert er das Geburtsjahr des Malers auf Basis dieser Bildnisse auf frühestens um 1440, was einer indirekten Befürwortung der Selbstporträtthesen gleichkommt.10
2004 stellt Rinke fest, dass das wesentlichste Kriterium der Selbstdarstellungen Baegerts aus der Beobachtung abzuleiten sei, dass sich der Maler unabhängig von seinem tatsächlichen Alter stets als junger Mann zeigt.11 Obwohl zwischen den Bildnissen im Dortmunder-Altar, im Thyssen-Fragment, in der verlorenen Berliner Kreuzigung12 und im Weseler Gerichtsbild ca. 25 Jahre liegen zeige sich der Maler immer im Alter von ungefähr 30 Jahren. Nach Rinke bediente er damit den Topos des idealen Lebensalters von Christus und stellt sich in seine Nachfolge, wodurch Hoffnung auf ewiges Leben thematisiert sei. Seiner Auffassung zufolge stehen Baegerts physiognomisch übereinstimmende Selbstdarstellungen einerseits in der Tradition italienischer Selbstdarstellungen im religiösen Kontext, andererseits in jener der südniederländischen Malerei. Letztere zeige sich im direkten Blick der Bildnisse, der auf die These von Cusanus und auf das verlorene Gerechtigkeitsbild von Rogier van der Weyden Bezug nehme.13 Alle Selbstbildnisse in Kreuzigungsszenen zeigen den Maler in übereinstimmender Physiognomie, mit identischem Blick und gleicher Haltung. Sie vermitteln den Eindruck eines selbstbewussten Handwerkers. Von besonderer Bedeutung sei dabei der jeweilige Blick, der entgegen dem ersten Eindruck nicht direkt an die BetrachterIn gerichtet sei, sondern auf ein meditatives Wahrnehmen eines Geschehens vor dem inneren Auge hinweise.14 Das Selbstbildnis im Thyssen-Fragment sei das auffälligste der Reihe, das den Maler am Höhepunkt seiner Karriere zeige. Angetan mit auffälliger zeitgenössischer Kleidung (Samt, Brokat, Marderpelz) und hochwertigem Beiwerk (Sackhaube, Edelsteine, Kette mit Medaillon, Zepter, Schwert) erscheine Baegert als Malerfürst, womit sich ein Vergleich mit späteren Bildnissen von Rembrandt aufdränge. Zudem verleihe der zurückgelehnte Oberkörper und die daraus resultierende diagonale Position dem Bildnis eine besondere Dynamik. Wie mit dem Selbstbildnis in der Eidesleistung sicherte sich Baegert mit dem Bildnis in der Kreuzigung, die ursprünglich für die St. Nikolaus-Kirche bestimmt war, seinen Nachruhm in Wesel.15
Legner (2009) behandelt Baegerts Selbstdarstellungen in der Dortmunder Kreuzigung, im Thyssen-Fragment und in der Eidesleistung. Das Bildnis in der Rolle des guten Hauptmanns nimmt er dabei ohne weitere Ausführungen als gegeben an, was bereits aus der Bezeichnung bei der entsprechenden Abbildung hervorgeht.16
Gigante (2010) schätzt vier auf die BetracherIn ausgerichtete Bildnisse von Baegert mit ähnlichen Gesichtszügen als wahrscheinliche Selbstdarstellungen ein. Neben der Figur des guten Zenturios in einer Kalvarienbergdarstellung des Thyssen-Fragments handelt es sich dabei um den Mann in selber Position, der in der verlorenen Berliner Kreuzigung auf Christus wies,17 sowie um die Figur hinter der hl. Veronika im Dortmunder Hochaltar und jene in der Weseler Eidesleistung.18
Söll-Tauchert (2010) bestätigt das Selbstbildnis im Thyssen-Fragment nach einem Abgleich mit den Bildnissen des Malers in der verlorenen Berliner Kreuzigung,19 in der Kreuzigung in Dortmund und im Weseler Gerichtsbild.20
Das Bildnis im Thyssen-Fragment ist eine von vier Selbstdarstellungen Baegerts, die Marx (2011) listet. Als weitere Selbstdarstellungen gibt die Autorin die Bildnisse in der Dortmunder Kreuzigung, in der verlorenen Berliner Kreuzigung21 und im Weseler Gerichtsbild an.22
Verweise
Ebd.↩︎
Stange 1954, 59.↩︎
Zur verlorenen Berliner Kreuzigung vgl. den Einleitungstext zu Derick Baegert.↩︎
Evers 1972, 74–76, bes. 76.↩︎
Rensing 1978, 61f.↩︎
Vgl. den Einleitungstext zu Derick Baegert.↩︎
Baxhenrich-Hartmann 1984, 113.↩︎
Lübbeke 1991, 128.↩︎
Arand 1994, 18.↩︎
Ebd., 14, 18.↩︎
Rinke 2004, 161.↩︎
Vgl. den Einleitungstext zu Derick Baegert.↩︎
Vgl. den Einleitungstext zu Rogier van der Weyden.↩︎
Rinke 2004, 172.↩︎
Ebd., 169–178, bes. 173–175.↩︎
Legner 2009, 488 (Abb. 794), 492.↩︎
Vgl. den Einleitungstext zu Derick Baegert.↩︎
Gigante 2010, 121.↩︎
Vgl. den Einleitungstext zu Derick Baegert.↩︎
Söll-Tauchert 2010, 215 (Anm. 697).↩︎
Vgl. den Einleitungstext zu Derick Baegert.↩︎
Marx 2011, 71.↩︎
Herausragend selbstbewusst
Der Kreuzigungsaltar war der Hauptaltar in der St. Nikolauskirche in der Mathena-Vorstadt, in deren Nähe sich die Werkstatt Baegerts befand. Vom ursprünglichen Altar, dessen Zahlung durch die Kirchengemeinde belegt ist,1 sind fünf Fragmente der Haupttafel erhalten – darunter eines mit der vorgeschlagenen Selbstdarstellung von Derick Baegerts. Aus den Fragmenten kann rekonstruiert werden, dass die Tafel mit dem Dortmunder Hochaltar vergleichbar war.2
Die Selbstdarstellung des Malers ist weitgehend anerkannt, was wegen der starken physiognomischen Übereinstimmungen des Bildnisses mit dem in der Dortmunder Kreuzigung gerechtfertigt ist. Neben der allgemeinen Erscheinung ist auch die Gestaltung des Porträts als Dreiviertelporträt mit Drehung nach links3 und die Position unter dem Kreuz ähnlich. Gerade letzteres ist jedoch kritisch zu hinterfragen. Einerseits gibt es in Kreuzigungsszenen kaum Porträts, die nicht in mehr oder weniger unmittelbaren Nähe der Kreuze verortet wären, andererseits unterscheiden sich sowohl die Position als auch der Status der Bildnisse erheblich. Während Baegert in Dortmund nämlich unter dem linken Kreuz, innerhalb der Veronikagruppe und ohne Einnahme einer Rolle auftritt, so ist er im Madrider Fragment unter dem zentralen Kreuz und in der ikonografisch belegten Rolle des guten Hauptmanns zu sehen.4 Lediglich Rinke kommt nach einer Analyse von Kleidung und Zepter des Mannes zum Schluss, dass sich Baegert als arroganter Malerfürst, der seinen Stand bewusst überschreitet, inszeniert habe.5
Die Selbstdarstellung Baegerts im Thyssen-Fragment nimmt, unabhängig von der Einschätzung der übernommenen Rolle, eine bedeutende und herausragende Position ein – sowohl innerhalb des Oeuvres des Malers als auch in der gesamten nordischen Selbstporträtentwicklung.
Verweise
Vgl. Marx 2011, 72.↩︎
Von den Seitenflügeln sind keine Reste vorhanden, vgl. ebd.; zu einer Rekonstruktion der Teile samt einer Fotomontage des Altarbildes sowie zu weiteren erhaltenen Studien vgl. Marx 2011, 73, 56 (Abb. 3f), 73 (Abb. 17). Aus der Literatur zu den Altarfragmenten vgl. u. a. Lübbeke 1991, 120; Marx 2011, 72–80, bes. 72–74; Stange 1967, 121f (Nr. 387).↩︎
Vgl. u. a. Baxhenrich-Hartmann 1984, 113.↩︎
Der Mann unter dem Kreuz wird vorrangig als guter Hauptmann interpretiert, in abweichenden Fällen etwa auch als Pilatus. Zum guten Hauptmann vgl. u. a. Legner 2009, 488 (Abb. 794), 492; zu Pilatus vgl. u. a. Rensing 1978, 61f.↩︎
Rinke 2004, 169–178, bes. 173–175.↩︎
Literatur
Zitiervorschlag:
Krabichler, Elisabeth: Der gute Hauptmann (Katalogeintrag), in: Metapictor, http://explore-research.uibk.ac.at/arts/metapictor/katalogeintrag/baegert-derick-der-gute-hauptmann-1477-bis-1478-madrid-museo-thyssen-bornemisza/ (05.12.2025).