Das Wunder der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo

Bellini, Gentile

1500

Italien; Venedig; Gallerie dell‘Accademia

Objekt

Bildrechte
Detailtitel:Wunder der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo
Alternativtitel Deutsch:Wunder an der Brücke von San Lorenzo; Das Kreuzeswunder auf der Brücke von San Lorenzo; Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo; Wunder der Kreuzreliquie am Ponte di San Lorenzo
Titel in Originalsprache:Miracolo della reliquia della Croce al ponte di San Lorenzo; Miracolo della Croce caduta nel canale di San Lorenzo
Titel in Englisch:Miracle of the Relic of the Holy Cross at the Bridge of San Lorenzo; Miracle of the Cross at the Bridge of S. Lorenzo; Miracle at the Bridge of San Lorenzo
Datierung: 1500
Ursprungsregion:italienischer Raum
Lokalisierung:Italien; Venedig; Gallerie dell‘Accademia
Lokalisierung (Detail):Inventarnummer: 568; Saal 20
Medium:Gemälde
Material:Öl
Bildträger:Leinwand
Maße: Höhe: 326 cm; Breite: 435 cm
Ikonografische Bezeichnung:Kreuzreliquien; Kreuzverehrung
Iconclass:11D411 – legend of the True Cross; 11D431 – splinters of the cross ~ relics of Christ; 11D432 – nails of the cross ~ relics of Christ
Signatur Wortlaut:GENTILI BELLINI VENETI F.
Datierung Wortlaut:MCCCCC
Signatur/Datierung Position:signiert und datiert unten mittig auf den Holzplanken
Inschriften/Signatur/Datierung weitere Ausführungen:

Die Inschrift wurde vermutlich mehrfach überarbeitet, denn Ridolfi überliefert folgende Variante: „Gentilis Bellinus eques pio sanctissimae Crucis affectu lubens fecit. MCCCCC.“ Zanetti gibt allerdings nur an: „Gentilis Bellini / MCCCCC“. Auch Scirè Nepi schreibt, dass Signatur und Datierung mehrfach übermalt wurden, laut ihr wurde der Inhalt allerdings nicht verändert, da Name und Jahr mit den Angaben im Opuscolo dei Miracoli von 1590 und jenen bei Ridolfi 1648 und Zanetti 1771 übereinstimmen.

Auftraggeber/Stifter:Scuola Grande di San Giovanni Evangelista
Provenienz:Ursprünglich Scuola Grande di San Giovanni Evangelista: Durch das Napoleonische Dekret von 1806 ging die Scuola in staatlichen Besitz über, die für die Accademia vorgesehenen bzw. ausgewählten Bilder wurden 1820 dorthin gebracht. Erst seit 1947 werden sie dort aber wieder miteinander ausgestellt. Moschini Marchoni gibt als genaues Datum der Überstellung den 4. Juli 1820 an.
Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt:teilöffentlich

Zu den Inschriften1 und zur Provenienz.2

Verweise

  1. Zu den Inschriften vgl. Fortini Brown 1988, 285; Ridolfi 1648/1835, 82; Scirè Nepi 1991, 102.↩︎

  2. Scirè Nepi 1991, 98. Das genaue Überstellungsdatum, den 4. Juli 1820, nennt Moschini Marconi 1955, 134.↩︎

Bildnis 1

Bildrechte
Lokalisierung im Objekt:erster Mann der knieenden Männergruppe auf der rechten Bildseite; in vorderster Bildebene auf den Holzplanken positioniert
Ausführung Körper:Ganzfigur knieend, Rücken leicht überschnitten
Ausführung Kopf:im Profil
Blick/Mimik:Blick zur Kreuzreliquie in der Bildmitte
Gesten:die linke Hand umfasst einen Teil des Gewandes vor der Brust
Körperhaltung:kniend
Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal:in vorderster Bildebene in einem künstlich geschaffenen, real nicht vorhandenen Schwellenbereich positioniert; diese bühnenartige Holzbrücke scheint ausschließlich eingefügt worden zu sein, um weitere Figuren darauf positionieren zu können
Kleidung:vollständig in ein schwarzes Gewand gehüllt, lediglich am Hals ist ein weißer Kragen andeutungsweise zu sehen
Zugeordnete Bildprotagonisten:Gruppe von knienden Männern rechts vorne; Identifizierungsvorschläge zu diesen vier restlichen Personen gibt es insbesondere in Zusammenhang mit Gentile als vorgeschlagene vierter Figur.

Forschungsergebnis: Bellini, Gentile

Künstler des Bildnisses:Bellini, Gentile
Status:kontrovers diskutiert
Andere Identifikationsvorschläge:Jacopo Bellini; Angehöriger der Familie Cornaro; Angehöriger der Familie Vendramin; hoher Amtsträger bzw. hohes Scuolenmitglied; Kaufmann oder Seefahrer
Typ Autor/in Jahr Referenz Seite Anmerkungen
Erstzuschreibung Ridolfi 1648 Ridolfi 1648/1835 – Le maraviglie dell'arte ovvero 81 -
Skeptisch/verneinend Gronau 1909 Gronau 1909 – Die Künstlerfamilie Bellini 44
Details
indirekt verneinend
Skeptisch/verneinend Foscari 1933 Foscari 1933 – Autoritratti di Maestri della Scuola 248 -
Bejahend Moschini Marconi 1955 Moschini Marconi 1955 – Gallerie dell'Accademia di Venezia 63–65 -
Skeptisch/verneinend Lorenzetti 1956 Lorenzetti 1956 – Venezia e il suo Estuario 669 -
Skeptisch/verneinend Gibbons 1963 Gibbons 1963 – New Evidence for the Birth 56f -
Skeptisch/verneinend Collins 1970 Collins 1970 – Gentile Bellini 3, 58 -
Skeptisch/verneinend Pignatti 1970 Pignatti 1970 – La scuola veneta 81 -
Skeptisch/verneinend Billanovich 1973 Billanovich 16 – Note per la storia della 365, 374 -
Bejahend Pignatti/Pullan 1981 Pignatti, Pullan 1981 – Le scuole di Venezia 54
Details
wertneutrale Aussage
Skeptisch/verneinend Collins 1982 Collins 1982 – Time, Space and Gentile Bellini's 202 -
Skeptisch/verneinend Bernasconi 1983 Fortini Brown 1988 – Venetian Narrative Painting o. S. -
Skeptisch/verneinend Meyer zur Capellen 1985 Meyer zur Capellen 1985 – Gentile Bellini 78–80 -
Skeptisch/verneinend Fortini Brown 1988 Fortini Brown 1988 – Venetian Narrative Painting 151, 285 -
Skeptisch/verneinend Lucco/Pirovano 1990 Lucco, Pirovano (Hg.) 1990 – La pittura nel Veneto 734
Details
indirekt ablehnend
Skeptisch/verneinend Suzuki 1996 Suzuki 1996 – Studien zu Künstlerporträts der Maler 39f -
Skeptisch/verneinend Marschke 1998 Marschke 1998 – Künstlerbildnisse und Selbstporträts 258f -
Skeptisch/verneinend Rearick 2002 Rearick 2002 – The Venetian Selfportrait 154 -
Skeptisch/verneinend Köster 2008 Köster 2008 – Künstler und ihre Brüder 331f -
Skeptisch/verneinend Gigante 2010 Gigante 2010 – Autoportraits en marge 114 -

Die Figur wurde verschieden gedeutet, als: Jacopo Bellini vorgeschlagen von Gibbons,1 zweimalig von Collins2 und Marschke;3 Angehöriger der Familie Cornaro vorgeschlagen von Billanovich4 und Meyer zur Capellen;5 Angehöriger der Familie Vendramin vorgeschlagen von Bernasconi;6 hoher Amtsträger bzw. hohes Scuolenmitglied vorgeschlagen von Fortini Brown,7 Rearick8 und Gigante;9 Kaufmann oder Seefahrer vorgeschlagen von Lorenzetti.10

Bereits Ridolfi (1648) erwähnt in seiner Lebensbeschreibung Gentile Bellinis, dieser habe sich im Gemälde zum Wunder der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo selbst porträtiert und zwar mit anderen knienden Untertanen. Seine Identifizierung des Malers stützt Ridolfi mit dem Verweis, man wisse durch ein Porträt, wie Gentile aussah.11 Zwar beschreibt Ridolfi das Aussehen oder die Position des Mannes nicht genauer, allerdings lässt sich durch das abgedruckte Porträt ableiten, dass er sich auf den ersten Mann der Gruppe bezieht.12

Gronau identifiziert 1909 gesamt drei integrierte Selbstporträts Gentile Bellinis in dessen großen Gemälden für die Scuolen: in der Prozession auf dem Markusplatz, dem Wunder der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo und schließlich in der Predigt des hl. Markus in Alexandrien.13 Hinsichtlich des Kreuzreliquienbildes beschreibt er den bühnenartigen Aufbau im Vordergrund mit zwei Frauenfiguren links und einer Gruppe von Männern rechts. Auf diese bezogen notiert er sehr bestimmt: „In einem derselben [Männer], dem vierten von links, erkennt man unschwer des Malers eigene Züge wieder.“14

Foscari (1933) weist für Gentile Bellini vier Selbstporträts aus, bei dreien davon handelt es sich um integrierte Selbstporträts, die der Autor allerdings nicht von eigenständigen Porträts unterscheidet. Er stützt sich auf die Medaille von Vittore Camelio als für ihn glaubhaftes Vergleichsbeispiel, wodurch sich die vier Selbstporträts optisch abgleichen und verifizieren lassen: eine Zeichnung im Kupferstichkabinett in Berlin als autarkes Selbstporträt und (integrierte) Selbstporträts in der Prozession auf dem Markusplatz,15 im Wunder der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo16 und in der Predigt des hl. Markus. Foscari betont die optische Übereinstimmung der Porträts untereinander und im Vergleich mit der Medaille, räumt aber selbst ein, dass das Alter der besprochenen Selbstporträts deutlich vom wahren Alter des Künstlers zum Zeitpunkt der Gemäldeentstehungen abweiche.17

Moschini Marchoni (1955) versammelt in ihrem Band die Werke des 15. und 16. Jahrhunderts, die sich im Besitz der Accademia in Venedig befinden. Bezogen auf Gentile Bellinis Wunder der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo spricht sie auch kurz dessen vermutetes Selbstporträt an: Sie verweist auf die fünf Figuren auf der rechten Seite, die so individualisiert dargestellt seien, dass man sie für Porträts halten müsse „come già il Ridolfi, che in particolare inicava nel primo quello dello stesso pittore.“18 Diese Aussage lässt Moschini Marconi so stehen, ohne sie weiter zu kommentieren.19

Lorenzetti (1956) ordnet die Gruppe von Männern vorne rechts als Kaufleute und Seefahrer ein („vecchi tipi segaligni, asciutti, di mercanti e di navigatori“), während er ihnen gegenüber in der Frauengruppe auf der linken Seite Catarina Cornaro erkennt und namentlich nennt. Mit dieser Einschätzung schließt er ein mögliches Selbstporträt des Künstlers, wie es bereits Ridolfi oder Gronau vorgeschlagen hatte, indirekt aus.20

Gibbons (1963) schreibt allgemein: „Gentile not infrequently included himself and members of his painter familiy in his large civic scenes painted für the Venetian scuole.“21 Als Beispiel führt er insbesondere die Predigt des Heiligen Markus in Alexandrien an und nennt schließlich auch die Prozession auf dem Markusplatz. Ein Selbstporträt vermutet er allerdings auch im Wunder der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo und ist der Überzeugung, dass es sich bei der vierten Person der knienden Gruppe um Gentile Bellini handle: „The fourth from the left of these profiles, that with the long curving nose, thin mouth, button chin and heavy jowl, seesms surely Gentile Bellini‘s;“22 Ebenso überzeugt ist er, dass es sich bei der Figur hinter ihm um Giovanni handelt. Nicht ganz so sicher und daher etwas vorsichtiger („it hardly seems unreasonalbe to suggest“) identifiziert er die übrigen drei Figuren mit dem Rest der Familie: den älteren Mann links als Jacopo Bellini, den kurzhaarigen Mann als dessen Neffen Leonardo Bellini und den dritten als den Schwager und Schwiegersohn der Bellinis, Andrea Mantegna.23

Collins (1970) bespricht bereits in seinem ersten Kapitel zur Biographie der Bellinis als erstes Gemälde das Wunder der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo, weil es seines Erachtens ein wichtiges dokumentarisches Element die Bellini-Familie betreffend enthält. Er greift die wenige Jahre zuvor von Gibbons aufgestellte These auf, in der vorderen rechten Gruppe seien die männlichen Familienmitglieder dargestellt, und stimmt dieser vollinhaltlich zu: „These are apparently portraits. The first is undoubtedly Jacopo, while the last two on the right are clearly Gentile and Giovanni, as can be shown by comparison with other portraits of the two brothers.“24 Auch die chronologische Reihenfolge (mit Leonardo Bellini und Andrea Mantegna an zweiter und dritter Stelle) samt der sich daraus ergebenden Reihenfolge der Geburtsjahre wird von Collins akzeptiert.25 Im Zuge seiner genaueren Besprechung des Gemäldes bekräftigt er diese Einschätzung nochmals und ordnet die zweite Figur von links als „generally accepted as a self portrait“26 ein und identifiziert zudem eine der linken Figuren als Catarina Cornaro.27

Pignatti (1970) verweist im Zuge seiner Besprechung der Berliner Zeichnung und des damit verbundenen Selbstporträts Gentile Bellinis in dessen Prozessionsgemälde auch auf die von Gibbons behandelten Selbstporträts Gentiles in der Predigt des hl. Markus in Alexandrien und im Wunder der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo, ohne jedoch diese beiden Gemälde oder Selbstbildnisse genauer zu besprechen.28

Billanovich (1973) bezieht sich auf Gibbons, der die Männergruppe rechts vorne mit der Malerfamilie Bellini identifiziert. Laut Billanovich kann es sich aber gerade bei der zweiten Person altersmäßig nicht um den Neffen Jacopos, Leonardo, handeln, denn das Gesicht sei zu jung für den zu diesem Zeitpunkt etwa 70-jährigen Leonardo, der etwa im Alter von Giovanni und Gentile war.29 Lorenzetti definiere die männliche Gruppe zwar als alte drahtige, trockene, kaufmännische und navigatorische Typen, nach Billanovich lassen die prächtigen Gewänder, mit denen sie bekleidet sind, jedoch eher auf hochrangige, wenn nicht gar patrizische Persönlichkeiten schließen, „che serai tentato di chiamare ‘i familiari di Caterina’.“ 30 Damit favorisiert Billanovich die Identifikation der fraglichen Porträts mit der Familie Cornaro und unterfüttert seine Einschätzung im Weiteren ausführlich mit zahlreichen sozialen, familiären und politischen Details und Konstellationen.31

Pignatti/Pullan (1981) besprechen das potentielle Selbstporträt Gentiles im Familienverbund der Bellinis. Sie beziehen sich dabei einerseits auf die Identifizierung Ridolfis,32 der Gentile als erste Figur beschreibt, andererseits geben sie Gibbons Ansicht wieder, der eine altersmäßig aufsteigende Reihenfolge vorschlägt. Obwohl das Autorenduo laut Meyer zur Capellen33 positiv Gibbons rezipiert, scheinen sie dessen abweichenden Ordnungsvorschlag doch kritisch zu hinterfragen, weil sich dadurch Unstimmigkeiten mit dem jeweiligen Alter der Dargestellten ergeben und ein Überdenken der vermuteten Geburtsdaten notwendig wäre. Pignatti/Pullan äußern sich nicht konkreter zu den beiden Thesen und legen sich bezüglich Gentile somit letztlich nicht auf eine Figur fest, allerdings scheint für sie festzustehen, dass es sich um die Darstellung der Bellini-Familie – in welcher Reihenfolge auch immer – handelt.34 Beinahe beiläufig bestätigen sie auch Gentiles Selbstporträt in der Prozession auf dem Markusplatz.35

Gut ein Jahrzehnt später setzt Collins (1982) den Fokus seiner Analyse des Wunders der Kreuzreliquie am Ponte di San Lorenzo auf die Aspekte Raum und Zeit. Er hebt die auffällige topographische Genauigkeit der dargestellten Umgebung hervor, die im ausgeprägten Gegensatz zum bühnenartigen Aufbau („an unexplained foreground parapet “36) im Vordergrund „in medieval fashion“ steht. Der Identifizierung der darauf positionierten Figurengruppe als Bellini-Familie in chronologischer Reihenfolge („has been convincingly identified as the Bellini family“37) stimmt er neuerlich voll zu und nennt zudem namentlich die jeweiligen Protagonisten.38 Weil Jacopo zum Zeitpunkt der Gemäldeentstehung bereits verstorben war, seien alle Protagonisten jünger, nämlich wie zu dessen Lebzeiten dargestellt. Damit erklärt sich laut Collins das mittlere Alter der Söhne und des Schwiegersohns und würde die Vermutung untermauern, dass es sich bei einer der Frauenfiguren links um Catarina Cornaro handelt, die dann entsprechend als junges Mädchen mit ihrer Duenna abgebildet sei.39

Bernasconi40 präsentierte (laut Fortini Brown) 1983 auf einer Tagung einen weiteren Identifizierungsvorschlag für die Männergruppe, nämlich als Mitglieder der Familie Vendramin.41

Meyer zur Capellen (1985) spricht die qualitativen Unterschiede in der Ausarbeitung von Porträts in Bellinis großformatigen Leinwänden für die Scuolen an – während ein Großteil der Physiognomien "trocken und leblos"42 erscheine, seien Personen mit besonderer Bedeutung detaillierter herausgearbeitet, wie etwa die knienden Betenden und Catarina Cornaro mit ihrem Hofstaat im Vordergrund des Gemäldes Wunder am Ponte di San Lorenzo.43 Laut Meyer zur Capellen ist die Identifizierung der knienden Gruppe mit der Künstlerfamilie nur eine „etwas romantische, letztlich noch auf eine Bemerkung Ridolfis zurückgehende Vorstellung“,44 die mit der gesellschaftlichen Stellung der Bellinis und der Tatsache, dass bis auf Jacopo niemand Scuolenmitglied war, nicht vereinbar sei. Er ist deutlich der Meinung, dass hier andere hochgestellte Mitglieder der Scuola dargestellt sein müssen. Der Autor lehnt also eine Identifizierung mit den Bellinis deutlich ab und schlägt dagegen vorsichtig eine Verbindung zur Familie Vendramin vor (Verwandtschaft zum Protagonisten, gesellschaftliche Stellung, Scuolenmitgliedschaft mehrerer Familienmitglieder), um diesen Vorschlag mit Verweis auf Catarina Cornaro und ihren Hofstaat sowie Andrea Vendramins Wendung zu ihr gleich wieder zurückzuziehen. Dies führt ihn zu der Vermutung, bei den Dargestellten könnte es sich um Mitglieder der Cornaro-Familie handeln, denn ihr langjähriges Protektorat für die Scuola würde sie als Dargestellte legitimieren und sie könnten mit ihren Verbindungen zu Zypern eine Rolle bei der Erlangung der Kreuzesreliquie gespielt haben.45 Meyer zur Capellen gelangt daher zu folgendem Fazit: „Wenn auch mit letzter Sicherheit die Identität der Nobili im Vordergrund nicht festgestellt werden kann, spricht doch Vieles dafür, daß es sich um Mitglieder des Hauses Cornaro handelt.“46

In ihrem umfangreichen Band zur narrativen Malerei in Venedig zur Zeit Carpaccios beschäftigt sich Fortini Brown (1988) besonders mit den von verschiedenen Scuolen in Auftrag gegebenen Zyklen, in die sich auch mehrere Maler selbst mit ihren Selbstporträts eingebracht haben. In Bezug auf Bellini ordnet sie zwei integrierte Selbstbildnisse als wahrscheinlich ein: zum einen jenes in der Prozession auf dem Markusplatz und jenes in der Predigt des Hl. Markus in Alexandrien.
Bei ihrer Besprechung des Gemäldes Wunder an der Brücke von San Lorenzo verweist Fortini Brown auf mehrere in der Forschung vorgebrachte Identifizierungsvorschläge für die knieende, stifterartige Gruppe im rechten Vordergrund, die sie alle nicht für überzeugend hält. Die Identifizierung als Bellini-Familie lehnt sie genauso ab wie jene als Familie der Cornaro oder als Familie der Vendramin. Allerdings nennt sie einen weiteren Vorschlag, der ihrer Ansicht nach besser mit der institutionellen Struktur der Scuola in Verbindung gebracht werden könnte: „If we accept the credible identification of Gentile Bellini as the fourth kneeling figure from the left, we might see the others as the four officers of the Banca in the year 1500.“ 47

Lucco/Pirovano (1990) schreiben, Gentile Bellinis Porträt sei außergewöhnlich oft für einen Künstler seiner Zeit erhalten, nämlich in mindestens drei, möglicherweise vier verschiedenen Darstellungen. Dazu zähle eine von Vettor Gambello gestochene Bronzemedaille, eine Selbstporträtzeichnung im Berliner Kupferstichkabinett, ein Selbstporträt unter den Zuschauern in der Markuspredigt und eine Giovanni Bellini zugeschriebene Zeichnung in Oxford. Andere Selbstporträts nennen sie aber nicht, so etwa auch nicht jenes in der Markusprozession oder im Wunder der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo, für das die Berliner Zeichnung üblicherweise als Vorlage gesehen wird. Daher kann an dieser Stelle von einer indirekten Ablehnung des fraglichen integrierten Selbstporträts ausgegangen werden.48

Suzuki (1996) bezieht sich auf die Selbstporträtidentifizierung Ridolfis aus dem Jahr 1648 mit dem abgedruckten Porträt Gentile Bellinis, lehnt diese aufgrund zu großer physiognomischer Unterschiede im Vergleich mit glaubhaften (Selbst-)Porträts des Künstlers jedoch ab. Auch Gibbons49 und Collins50 folgen Ridolfi nicht, sondern identifizieren stattdessen die vierte Figur als Gentile Bellini und den Rest der knienden Männer als Mitglieder der Bellini-Familie. Zwar ordnet Suzuki die Argumente von Gibbons und Collins als „kaum beweiskräftig“ ein, jedoch stimmt sie der Identifizierung der vierten Figur mit Gentile zu und führt als Begründung frappante Ähnlichkeiten zu Gentiles Porträt in der Prozession am Markusplatz an, die sie als besonders aussagekräftig einordnet, weil die beiden Bilder zeitnah entstanden sind. Entsprechend kategorisiert sie die Darstellung des vierten Mannes in der knienden Gruppe als „wahrscheinlich glaubhaftes Selbstporträt“ Gentile Bellinis.51

Marschke (1998) identifiziert gesamt drei integrierte Selbstbildnisse im Werk von Gentile Bellini: in der Prozession auf dem Markusplatz, im Wunder der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo und der Predigt des hl. Markus in Alexandrien, wobei sie hier die problematische Händescheidung mit Giovanni anführt. Während sie das Prozessionsbild und das Predigtbild ausführlicher behandelt, widmet sie der Darstellung bei der Brücke von San Lorenzo lediglich einen Anmerkungseintrag. Dort aber spricht sie deutlich von einem eingebrachten Selbstbildnis Gentiles und schließt sich der verbreiteten und laut Marschke überzeugenden Forschungsmeinung an, bei den beigestellten Figuren handle es sich um Mitglieder der Familie Bellini.52

Rearick (2002) bestätigt nicht nur das Selbstporträt Gentiles in der Prozession auf dem Markusplatz, sondern auch jenes im Wunder der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo. Dem Autor zufolge agiert Gentile hier selbstsicherer, indem er sich als vierter Mann in der Reihe der Scuola-Beamten unten rechts zeigt und damit auch seine Mitgliedschaft in der Bruderschaft signalisiert. Im Gegensatz zu anderen Forschern bezweifelt Rearick allerdings, dass Gentile sich hier im Familienverband mit seinem Vater Jacopo, seinem Cousin Leonardo, seinem Schwager Mantegna und seinem Bruder Giovanni darstellt, weil die Scuola das Rearicks Einschätzung zufolge nicht zugelassen hätte.53

Während Köster 2008 sehr bestimmt je ein Selbstbildnis Gentile Bellinis in der Predigt des hl. Markus und in der Prozession auf dem Markusplatz identifiziert und insbesondere die sozialen Hintergründe, mit denen die Porträts unmittelbar verknüpft sind, recht ausführlich bespricht, lehnt sie ein Selbstporträt im Wunder an der Brücke von San Lorenzo deutlich ab. Sie verweist in einer Anmerkung darauf, dass die in der Forschung thematisierte Identifizierung mit der Bellini-Familie bereits zu Recht abgelehnt worden sei, weil „die Position des lange verstorbenen Jacopo Bellini in der Bruderschaft kaum die Darstellung der Familie an so prägnanter Stelle rechtfertige.“ 54

Gigante (2010) bezieht sich sehr allgemein und ohne weitere Verweise auf bekannte Werke, nach denen Gentile Bellini der erste Venezianer gewesen sei, der sein Porträt in Gemälde einfügt habe, nämlich in der Prozession auf dem Markusplatz. Zudem bespricht sie sein Porträt im einige Jahre später entstandenen Gemälde der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo sowie in der Predigt des hl. Markus in Alexandrien. Gigante identifiziert Gentile Bellini als „quatrième personnage, à partir de la droite, du groupe de membres éminents de la Confraternité (dont le peintre faisait lui-même partie)“.55 Zudem meint die Autorin im Mann hinter Gentile eine Ähnlichkeit mit seinem Bruder Giovanni festzustellen, lehnt hingegen die Identifizierungen der übrigen Figuren mit dem Vater Jacopo, dem Cousin Leonardo und dem Schwager Andrea Mantegna ab.56

Verweise

  1. Gibbons 1963, 54-58, bes. 56–57.↩︎

  2. Collins 1970, 3, 58 und Collins 1982, 202.↩︎

  3. Marschke 1998, 358f (Anm. 253).↩︎

  4. Billanovich 16, 365, 374.↩︎

  5. Meyer zur Capellen 1985, 78–80.↩︎

  6. Laut Fortini Brown 1988, 285 hat Bernasconi diesen Vorschlag am 27 März 1983 auf der Annual Conference of English Art Historians in Manchester gemacht. Der Vortragende scheint den Vortragsinhalt aber nicht publiziert zu haben, denn weder Fortini Brown gibt hierzu Literatur an noch konnte ein entsprechender Beitrag bei gezielter Recherche gefunden werden.↩︎

  7. Ebd., 151. Zu den Identifizierungsvorschlägen noch genauer Fortini Brown 1988, 285.↩︎

  8. Rearick 2002, 154.↩︎

  9. Gigante 2010, 114.↩︎

  10. Lorenzetti 1956, 669.↩︎

  11. Ridolfi 1648/1835, 81.↩︎

  12. Ridolfi 1648/1835, 74.↩︎

  13. Gronau 1909, 41–49, bes. 41.↩︎

  14. Ebd., 41-49, bes. 43f.↩︎

  15. Ein Ausschnitt des Selbstporträts ist abgebildet bei Foscari 1933, 248.↩︎

  16. Ein Ausschnitt des Selbstporträts ist abgebildet bei ebd.↩︎

  17. Ebd.↩︎

  18. Moschini Marconi 1955, 63–65.↩︎

  19. Ebd.↩︎

  20. Lorenzetti 1956, 669.↩︎

  21. Gibbons 1963, 54-58, bes. 56–57.↩︎

  22. Ebd.↩︎

  23. Ebd.↩︎

  24. Collins 1970, 3.↩︎

  25. Ebd., 3.↩︎

  26. Ebd., 58.↩︎

  27. Ebd., 57–62, bes. 58 u. 62.↩︎

  28. Pignatti 1970, 81, Tav. IV.↩︎

  29. Billanovich 16, 365.↩︎

  30. Ebd., 374.↩︎

  31. Ebd.↩︎

  32. Bei Ridolfi ist die Bellinifamilie nicht explizit erwähnt, er spricht nur von „altri soggetti qualificati ginocchioni“ (Ridolfi 1648/1835, 81). Der Vorschlag, dass es sich neben Gentile um weitere Familienangehörige handelt, wird erstmals bei Gibbons in die Forschungsdiskussion eingebracht (vgl. Gibbons 1963, 54-58, bes. 56–57).↩︎

  33. Meyer zur Capellen 1985, 69.↩︎

  34. Pignatti/Pullan 1981, 54.↩︎

  35. Ebd., 53.↩︎

  36. Collins 1982, 201.↩︎

  37. Ebd., 202.↩︎

  38. Altersmäßig absteigend sind dies der Vater Jacopo, dahinter der älteste Sohn Niccolò, der Schwiegersohn Andrea Mantegna und schließlich Gentile und Giovanni. Demnach gäbe es neben Gentile und Giovanni noch einen dritten – und zwar erstgeborenen – Sohn Niccolò, allerdings wird üblicherweise zwar von drei Kindern Jacopos ausgegangen, eines davon ist allerdings die Tochter Niccolosia, die dann Andrea Mantegna heiratet.↩︎

  39. Collins 1982, 201–202.↩︎

  40. Bernasconi hatte sich kurz zuvor mit der Datierung des Zyklus befasst und seine Erkenntnisse publiziert, ohne sich dabei allerdings mit Selbstporträts des Künstlers zu befassen, vgl. Bernasconi 1981.↩︎

  41. Laut Fortini Brown hat Bernasconi diesen Vorschlag am 27 März 1983 auf der Annual Conference of English Art Historians in Manchester gemacht. Der Vortragende scheint den Vortragsinhalt aber nicht publiziert zu haben, denn weder Fortini Brown gibt hierzu Literatur an noch konnte ein entsprechender Beitrag bei gezielter Recherche gefunden werden. Fortini Brown 1988, 285.↩︎

  42. Meyer zur Capellen 1985, 69.↩︎

  43. Ebd., 69.↩︎

  44. Ebd., 78.↩︎

  45. Meyer zur Capellen 1985, 78–80.↩︎

  46. Ebd., 79f.↩︎

  47. Fortini Brown 1988, 151. Zu den Identifizierungsvorschlägen noch genauer Fortini Brown 1988, 285.↩︎

  48. Lucco/Pirovano 1990, 734.↩︎

  49. Gibbons 1963, 54-58, bes. 56–57.↩︎

  50. Collins 1982, 201.↩︎

  51. Suzuki 1996, 39f.↩︎

  52. Marschke 1998, 358f (Anm. 253).↩︎

  53. Rearick 2002, 154.↩︎

  54. Vgl. Köster 2008, 331f (Anm. 12).↩︎

  55. Gigante 2010, 114.↩︎

  56. Ebd.↩︎

Bildnis 2

Bildrechte
Lokalisierung im Objekt:vierter Mann der knienden Männergruppe auf der rechten Bildseite; in vorderster Bildebene auf den Holzplanken positioniert
Ausführung Körper:Ganzfigur kniend
Ausführung Kopf:im Profil
Blick/Mimik:Blick zur Kreuzreliquie in der Bildmitte
Gesten:Hände wie zum Gebet gefaltet; zudem schwarze Kappe in Händen haltend; Goldring am linken kleinen Finger
Körperhaltung:kniend
Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal:in vorderster Bildebene in einem künstlich geschaffenen, real nicht vorhandenen Schwellenbereich positioniert; diese bühnenartige Holzbrücke scheint ausschließlich eingefügt worden zu sein, um weitere Figuren darauf positionieren zu können
Attribute:schwarze Kappe
Kleidung:vollständig in ein dunkelblaues Gewand gehüllt, lediglich am Hals ist ein weißer Kragen andeutungsweise zu sehen
Zugeordnete Bildprotagonisten:die kniende Männergruppe, in der sich das vorgeschlagene Selbstbildnis befindet (drei Personen links der Figur, eine Person rechts der Figur)

Die kniende Männergruppe wurde verschieden interpretiert: als Bellini-Familie mit Jacopo an erster Stelle, dessen Neffe Leonardo an zweiter Stelle, Andrea Mantegna (Schwiegersohn Jacopos und Schwager von Gentile und Giovanni) an dritter Stelle und Giovanni an fünfter Stelle von Gibbons,1 Collins2 und Marschke;3 einige AutorInnen akzeptieren zwar Gentile in der vierten Figur, lehnen aber eine Identifizierung mit den Bellinis ab – so etwa Fortini Brown,4 Suzuki, 5 Rearick 6 und Gigante;7 eine Identifizierung als andere Scoulenmitglieder bzw. als wichtige Amtsträger wird vorgeschlagen von Fortini Brown,8 Rearick 9 und Gigante.10

Verweise

  1. Gibbons 1963, 54-58, bes. 56–57 Gibbons identifiziert sehr überzeugt Gentile als vierten und Giovanni als fünften Mann, etwas vorsichtiger ist er bei den Vorschlägen für Jacopo, dessen Neffe Leonardo und Schwiegersohn Andrea Mantegna.↩︎

  2. Collins 1970, 3, 58 und Collins 1982, 202.↩︎

  3. Marschke 1998, 358f (Anm. 253).↩︎

  4. Fortini Brown 1988, 151. Zu den Identifizierungsvorschlägen noch genauer Fortini Brown 1988, 285.↩︎

  5. Suzuki 1996, 39f Sie bestätigt das Selbstporträt Gentiles, zweifelt aber die Identifizierung der restlichen Männer mit den Bellinis an, macht für diese aber auch keinen Alternativvorschlag.↩︎

  6. Rearick 2002, 154.↩︎

  7. Gigante 2010, 114.↩︎

  8. Fortini Brown 1988, 151. Zu den Identifizierungsvorschlägen noch genauer Fortini Brown 1988, 285.↩︎

  9. Rearick 2002, 154.↩︎

  10. Gigante 2010, 114.↩︎

Forschungsergebnis: Bellini, Gentile

Künstler des Bildnisses:Bellini, Gentile
Status:kontrovers diskutiert
Andere Identifikationsvorschläge:Angehöriger der Familie Cornaro; Angehöriger der Familie Vendramin; Kaufmann; Seefahrer
Typ Autor/in Jahr Referenz Seite Anmerkungen
Skeptisch/verneinend Ridolfi 1835 Ridolfi 1835 – Le maraviglie dell'arte ovvero 74, 81
Details
indirekt verneinend
Erstzuschreibung Gronau 1909 Gronau 1909 – Die Künstlerfamilie Bellini 44 -
Skeptisch/verneinend Moschini Marchoni 1955 Moschini Marconi 1955 – Gallerie dell'Accademia di Venezia 63–65
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indirekt verneinend
Skeptisch/verneinend Lorenzetti 1956 Lorenzetti 1956 – Venezia e il suo Estuario 669 -
Bejahend Gibbons 1963 Gibbons 1963 – New Evidence for the Birth 56f -
Bejahend Collins 1970 Collins 1970 – Gentile Bellini 3, 58 -
Bejahend Pignatti 1970 Pignatti 1970 – La scuola veneta 81
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bestätigt nur allgemein ein Selbstbildnis im Gemälde
Skeptisch/verneinend Billanovich 1973 Billanovich 16 – Note per la storia della 365, 374 -
Bejahend Pignatti/Pullan 1981 Pignatti, Pullan 1981 – Le scuole di Venezia 54 -
Bejahend Collins 1982 Collins 1982 – Time, Space and Gentile Bellini's 202 -
Skeptisch/verneinend Bernasconi 1983 - o. S.
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zitiert nach: Fortini Brown 1988 – Venetian Narrative Painting, 285.
Skeptisch/verneinend Meyer zur Capellen 1985 Meyer zur Capellen 1985 – Gentile Bellini 78–80 -
Bejahend Fortini Brown 1988 Fortini Brown 1988 – Venetian Narrative Painting 151, 285 -
Skeptisch/verneinend Lucco/Pirovano 1990 Lucco, Pirovano (Hg.) 1990 – La pittura nel Veneto 734
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indirekt ablehnend
Bejahend Suzuki 1996 Suzuki 1996 – Studien zu Künstlerporträts der Maler 39f -
Bejahend Marschke 1998 Marschke 1998 – Künstlerbildnisse und Selbstporträts 258f -
Bejahend Rearick 2002 Rearick 2002 – The Venetian Selfportrait 154 -
Skeptisch/verneinend Köster 2008 Köster 2008 – Künstler und ihre Brüder 331f -
Bejahend Gigante 2010 Gigante 2010 – Autoportraits en marge 114 -

Die Figur wird verschieden gedeutet, u. a. als Angehöriger der Familie Cornaro,1 als Angehöriger der Familie Vendramin,2 als Kaufmann oder Seefahrer.3

Bereits Ridolfi (1648) erwähnt in seiner Lebensbeschreibung Gentile Bellinis, dieser habe sich im Gemälde zum Wunder der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo selbst porträtiert, und zwar mit anderen knienden Untertanen. Seine Identifizierung des Malers stützt Ridolfi mit dem Verweis, man wisse durch ein Porträt, wie Gentile aussah.4 Zwar beschreibt Ridolfi das Aussehen oder die Position des Mannes nicht genauer, allerdings lässt sich durch das abgedruckte Porträt ableiten, dass er sich auf den ersten Mann der Gruppe bezieht.5

Gronau identifiziert 1909 gesamt drei integrierte Selbstporträts Gentile Bellinis in dessen großen Gemälden für die Scuolen: in der Prozession auf dem Markusplatz, dem Wunder der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo und schließlich in der Predigt des hl. Markus in Alexandrien.6 Hinsichtlich des Kreuzreliquienbildes beschreibt er den bühnenartigen Aufbau im Vordergrund mit zwei Frauenfiguren links und einer Gruppe von Männern rechts. Auf diese bezogen notiert er sehr bestimmt: „In einem derselben [Männer], dem vierten von links, erkennt man unschwer des Malers eigene Züge wieder.“7

Foscari (1933) weist für Gentile Bellini vier Selbstporträts aus, bei dreien davon handelt es sich um integrierte Selbstporträts, die der Autor allerdings nicht von eigenständigen Porträts unterscheidet. Er stützt sich auf die Medaille von Vittore Camelio als für ihn glaubhaftes Vergleichsbeispiel, wodurch sich die vier Selbstporträts optisch abgleichen und verifizieren lassen: eine Zeichnung im Kupferstichkabinett in Berlin als autarkes Selbstporträt und (integrierte) Selbstporträts in der Prozession auf dem Markusplatz,8 im Wunder der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo9 und in der Predigt des hl. Markus. Foscari betont die optische Übereinstimmung der Porträts untereinander und im Vergleich mit der Medaille, räumt aber selbst ein, dass das Alter der besprochenen Selbstporträts deutlich vom wahren Alter des Künstlers zum Zeitpunkt der Gemäldeentstehungen abweiche.10

Moschini Marchoni (1955) versammelt in ihrem Band die Werke des 15. und 16. Jahrhunderts, die sich im Besitz der Accademia in Venedig befinden. Bezogen auf Gentile Bellinis Wunder der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo spricht sie auch kurz dessen vermutetes Selbstporträt an: Sie verweist auf die fünf Figuren auf der rechten Seite, die so individualisiert dargestellt seien, dass man sie für Porträts halten müsse „come già il Ridolfi, che in particolare inicava nel primo quello dello stesso pittore.“11 Diese Aussage lässt Moschini Marconi so stehen, ohne sie weiter zu kommentieren.12

Lorenzetti (1956) ordnet die Gruppe von Männern vorne rechts als Kaufleute und Seefahrer ein („vecchi tipi segaligni, asciutti, di mercanti e di navigatori“), während er ihnen gegenüber in der Frauengruppe auf der linken Seite Catarina Cornaro erkennt und namentlich nennt. Mit dieser Einschätzung schließt er ein mögliches Selbstporträt des Künstlers, wie es bereits Ridolfi oder Gronau vorgeschlagen hatte, indirekt aus.13

Gibbons (1963) schreibt allgemein: „Gentile not infrequently included himself and members of his painter familiy in his large civic scenes painted für the Venetian scuole.“14 Als Beispiel führt er insbesondere die Predigt des Heiligen Markus in Alexandrien an und nennt schließlich auch die Prozession auf dem Markusplatz. Ein Selbstporträt vermutet er allerdings auch im Wunder der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo und ist der Überzeugung, dass es sich bei der vierten Person der knienden Gruppe um Gentile Bellini handle: „The fourth from the left of these profiles, that with the long curving nose, thin mouth, button chin and heavy jowl, seesms surely Gentile Bellini‘s;“15 Ebenso überzeugt ist er, dass es sich bei der Figur hinter ihm um Giovanni handelt. Nicht ganz so sicher und daher etwas vorsichtiger („it hardly seems unreasonalbe to suggest“) identifiziert er die übrigen drei Figuren mit dem Rest der Familie: den älteren Mann links als Jacopo Bellini, den kurzhaarigen Mann als dessen Neffen Leonardo Bellini und den dritten als den Schwager und Schwiegersohn der Bellinis, Andrea Mantegna.16

Collins (1970) bespricht bereits in seinem ersten Kapitel zur Biographie der Bellinis als erstes Gemälde das Wunder der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo, weil es seines Erachtens ein wichtiges dokumentarisches Element die Bellini-Familie betreffend enthält. Er greift die wenige Jahre zuvor von Gibbons aufgestellte These auf, in der vorderen rechten Gruppe seien die männlichen Familienmitglieder dargestellt, und stimmt dieser vollinhaltlich zu: „These are apparently portraits. The first is undoubtedly Jacopo, while the last two on the right are clearly Gentile and Giovanni, as can be shown by comparison with other portraits of the two brothers.“17 Auch die chronologische Reihenfolge (mit Leonardo Bellini und Andrea Mantegna an zweiter und dritter Stelle) samt der sich daraus ergebenden Reihenfolge der Geburtsjahre wird von Collins akzeptiert.18 Im Zuge seiner genaueren Besprechung des Gemäldes bekräftigt er diese Einschätzung nochmals und ordnet die zweite Figur von links als „generally accepted as a self portrait“19 ein und identifiziert zudem eine der linken Figuren als Catarina Cornaro.20

Pignatti (1970) verweist im Zuge seiner Besprechung der Berliner Zeichnung und des damit verbundenen Selbstporträts Gentile Bellinis in dessen Prozessionsgemälde auch auf die von Gibbons behandelten Selbstporträts Gentiles in der Predigt des hl. Markus in Alexandrien und im Wunder der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo, ohne jedoch diese beiden Gemälde oder Selbstbildnisse genauer zu besprechen.21

Billanovich (1973) bezieht sich auf Gibbons, der die Männergruppe rechts vorne mit der Malerfamilie Bellini identifiziert. Laut Billanovich kann es sich aber gerade bei der zweiten Person altersmäßig nicht um den Neffen Jacopos, Leonardo, handeln, denn das Gesicht sei zu jung für den zu diesem Zeitpunkt etwa 70-jährigen Leonardo, der etwa im Alter von Giovanni und Gentile war.22 Lorenzetti definiere die männliche Gruppe zwar als alte drahtige, trockene, kaufmännische und navigatorische Typen, nach Billanovich lassen die prächtigen Gewänder, mit denen sie bekleidet sind, jedoch eher auf hochrangige, wenn nicht gar patrizische Persönlichkeiten schließen, „che serai tentato di chiamare ‘i familiari di Caterina’.“ 23 Damit favorisiert Billanovich die Identifikation der fraglichen Porträts mit der Familie Cornaro und unterfüttert seine Einschätzung im Weiteren ausführlich mit zahlreichen sozialen, familiären und politischen Details und Konstellationen.24

Pignatti/Pullan (1981) besprechen das potentielle Selbstporträt Gentiles im Familienverbund der Bellinis. Sie beziehen sich dabei einerseits auf die Identifizierung Ridolfis,25 der Gentile als erste Figur beschreibt, andererseits geben sie Gibbons Ansicht wieder, der eine altersmäßig aufsteigende Reihenfolge vorschlägt. Obwohl das Autorenduo laut Meyer zur Capellen26 positiv Gibbons rezipiert, scheinen sie dessen abweichenden Ordnungsvorschlag doch kritisch zu hinterfragen, weil sich dadurch Unstimmigkeiten mit dem jeweiligen Alter der Dargestellten ergeben und ein Überdenken der vermuteten Geburtsdaten notwendig wäre. Pignatti/Pullan äußern sich nicht konkreter zu den beiden Thesen und legen sich bezüglich Gentile somit letztlich nicht auf eine Figur fest, allerdings scheint für sie festzustehen, dass es sich um die Darstellung der Bellini-Familie – in welcher Reihenfolge auch immer – handelt.27 Beinahe beiläufig bestätigen sie auch Gentiles Selbstporträt in der Prozession auf dem Markusplatz.28

Gut ein Jahrzehnt später setzt Collins (1982) den Fokus seiner Analyse des Wunders der Kreuzreliquie am Ponte di San Lorenzo auf die Aspekte Raum und Zeit. Er hebt die auffällige topographische Genauigkeit der dargestellten Umgebung hervor, die im ausgeprägten Gegensatz zum bühnenartigen Aufbau („an unexplained foreground parapet “29) im Vordergrund „in medieval fashion“ steht. Der Identifizierung der darauf positionierten Figurengruppe als Bellini-Familie in chronologischer Reihenfolge („has been convincingly identified as the Bellini family“30) stimmt er neuerlich voll zu und nennt zudem namentlich die jeweiligen Protagonisten.31 Weil Jacopo zum Zeitpunkt der Gemäldeentstehung bereits verstorben war, seien alle Protagonisten jünger, nämlich wie zu dessen Lebzeiten dargestellt. Damit erklärt sich laut Collins das mittlere Alter der Söhne und des Schwiegersohns und würde die Vermutung untermauern, dass es sich bei einer der Frauenfiguren links um Catarina Cornaro handelt, die dann entsprechend als junges Mädchen mit ihrer Duenna abgebildet sei.32

Bernasconi33 präsentierte (laut Fortini Brown) 1983 auf einer Tagung einen weiteren Identifizierungsvorschlag für die Männergruppe, nämlich als Mitglieder der Familie Vendramin.34

Meyer zur Capellen (1985) spricht die qualitativen Unterschiede in der Ausarbeitung von Porträts in Bellinis großformatigen Leinwänden für die Scuolen an – während ein Großteil der Physiognomien "trocken und leblos"35 erscheine, seien Personen mit besonderer Bedeutung detaillierter herausgearbeitet, wie etwa die knienden Betenden und Catarina Cornaro mit ihrem Hofstaat im Vordergrund des Gemäldes Wunder am Ponte di San Lorenzo.36 Laut Meyer zur Capellen ist die Identifizierung der knienden Gruppe mit der Künstlerfamilie nur eine „etwas romantische, letztlich noch auf eine Bemerkung Ridolfis zurückgehende Vorstellung“,37 die mit der gesellschaftlichen Stellung der Bellinis und der Tatsache, dass bis auf Jacopo niemand Scuolenmitglied war, nicht vereinbar sei. Er ist deutlich der Meinung, dass hier andere hochgestellte Mitglieder der Scuola dargestellt sein müssen. Der Autor lehnt also eine Identifizierung mit den Bellinis deutlich ab und schlägt dagegen vorsichtig eine Verbindung zur Familie Vendramin vor (Verwandtschaft zum Protagonisten, gesellschaftliche Stellung, Scuolenmitgliedschaft mehrerer Familienmitglieder), um diesen Vorschlag mit Verweis auf Catarina Cornaro und ihren Hofstaat sowie Andrea Vendramins Wendung zu ihr gleich wieder zurückzuziehen. Dies führt ihn zu der Vermutung, bei den Dargestellten könnte es sich um Mitglieder der Cornaro-Familie handeln, denn ihr langjähriges Protektorat für die Scuola würde sie als Dargestellte legitimieren und sie könnten mit ihren Verbindungen zu Zypern eine Rolle bei der Erlangung der Kreuzesreliquie gespielt haben.38 Meyer zur Capellen gelangt daher zu folgendem Fazit: „Wenn auch mit letzter Sicherheit die Identität der Nobili im Vordergrund nicht festgestellt werden kann, spricht doch Vieles dafür, daß es sich um Mitglieder des Hauses Cornaro handelt.“39

In ihrem umfangreichen Band zur narrativen Malerei in Venedig zur Zeit Carpaccios beschäftigt sich Fortini Brown (1988) besonders mit den von verschiedenen Scuolen in Auftrag gegebenen Zyklen, in die sich auch mehrere Maler selbst mit ihren Selbstporträts eingebracht haben. In Bezug auf Bellini ordnet sie zwei integrierte Selbstbildnisse als wahrscheinlich ein: zum einen jenes in der Prozession auf dem Markusplatz und jenes in der Predigt des Hl. Markus in Alexandrien.
Bei ihrer Besprechung des Gemäldes Wunder an der Brücke von San Lorenzo verweist Fortini Brown auf mehrere in der Forschung vorgebrachte Identifizierungsvorschläge für die knieende, stifterartige Gruppe im rechten Vordergrund, die sie alle nicht für überzeugend hält. Die Identifizierung als Bellini-Familie lehnt sie genauso ab wie jene als Familie der Cornaro oder als Familie der Vendramin. Allerdings nennt sie einen weiteren Vorschlag, der ihrer Ansicht nach besser mit der institutionellen Struktur der Scuola in Verbindung gebracht werden könnte: „If we accept the credible identification of Gentile Bellini as the fourth kneeling figure from the left, we might see the others as the four officers of the Banca in the year 1500.“ 40

Lucco/Pirovano (1990) schreiben, Gentile Bellinis Porträt sei außergewöhnlich oft für einen Künstler seiner Zeit erhalten, nämlich in mindestens drei, möglicherweise vier verschiedenen Darstellungen. Dazu zähle eine von Vettor Gambello gestochene Bronzemedaille, eine Selbstporträtzeichnung im Berliner Kupferstichkabinett, ein Selbstporträt unter den Zuschauern in der Markuspredigt und eine Giovanni Bellini zugeschriebene Zeichnung in Oxford. Andere Selbstporträts nennen sie aber nicht, so etwa auch nicht jenes in der Markusprozession oder im Wunder der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo, für das die Berliner Zeichnung üblicherweise als Vorlage gesehen wird. Daher kann an dieser Stelle von einer indirekten Ablehnung des fraglichen integrierten Selbstporträts ausgegangen werden.41

Suzuki (1996) bezieht sich auf die Selbstporträtidentifizierung Ridolfis aus dem Jahr 1648 mit dem abgedruckten Porträt Gentile Bellinis, lehnt diese aufgrund zu großer physiognomischer Unterschiede im Vergleich mit glaubhaften (Selbst-)Porträts des Künstlers jedoch ab. Auch Gibbons42 und Collins43 folgen Ridolfi nicht, sondern identifizieren stattdessen die vierte Figur als Gentile Bellini und den Rest der knienden Männer als Mitglieder der Bellini-Familie. Zwar ordnet Suzuki die Argumente von Gibbons und Collins als „kaum beweiskräftig“ ein, jedoch stimmt sie der Identifizierung der vierten Figur mit Gentile zu und führt als Begründung frappante Ähnlichkeiten zu Gentiles Porträt in der Prozession am Markusplatz an, die sie als besonders aussagekräftig einordnet, weil die beiden Bilder zeitnah entstanden sind. Entsprechend kategorisiert sie die Darstellung des vierten Mannes in der knienden Gruppe als „wahrscheinlich glaubhaftes Selbstporträt“ Gentile Bellinis.44

Marschke (1998) identifiziert gesamt drei integrierte Selbstbildnisse im Werk von Gentile Bellini: in der Prozession auf dem Markusplatz, im Wunder der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo und der Predigt des hl. Markus in Alexandrien, wobei sie hier die problematische Händescheidung mit Giovanni anführt. Während sie das Prozessionsbild und das Predigtbild ausführlicher behandelt, widmet sie der Darstellung bei der Brücke von San Lorenzo lediglich einen Anmerkungseintrag. Dort aber spricht sie deutlich von einem eingebrachten Selbstbildnis Gentiles und schließt sich der verbreiteten und laut Marschke überzeugenden Forschungsmeinung an, bei den beigestellten Figuren handle es sich um Mitglieder der Familie Bellini.45

Rearick (2002) bestätigt nicht nur das Selbstporträt Gentiles in der Prozession auf dem Markusplatz, sondern auch jenes im Wunder der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo. Dem Autor zufolge agiert Gentile hier selbstsicherer, indem er sich als vierter Mann in der Reihe der Scuola-Beamten unten rechts zeigt und damit auch seine Mitgliedschaft in der Bruderschaft signalisiert. Im Gegensatz zu anderen Forschern bezweifelt Rearick allerdings, dass Gentile sich hier im Familienverband mit seinem Vater Jacopo, seinem Cousin Leonardo, seinem Schwager Mantegna und seinem Bruder Giovanni darstellt, weil die Scuola das Rearicks Einschätzung zufolge nicht zugelassen hätte.46

Während Köster 2008 sehr bestimmt je ein Selbstbildnis Gentile Bellinis in der Predigt des hl. Markus und in der Prozession auf dem Markusplatz identifiziert und insbesondere die sozialen Hintergründe, mit denen die Porträts unmittelbar verknüpft sind, recht ausführlich bespricht, lehnt sie ein Selbstporträt im Wunder an der Brücke von San Lorenzo deutlich ab. Sie verweist in einer Anmerkung darauf, dass die in der Forschung thematisierte Identifizierung mit der Bellini-Familie bereits zu Recht abgelehnt worden sei, weil „die Position des lange verstorbenen Jacopo Bellini in der Bruderschaft kaum die Darstellung der Familie an so prägnanter Stelle rechtfertige.“ 47

Gigante (2010) bezieht sich sehr allgemein und ohne weitere Verweise auf bekannte Werke, nach denen Gentile Bellini der erste Venezianer gewesen sei, der sein Porträt in Gemälde einfügt habe, nämlich in der Prozession auf dem Markusplatz. Zudem bespricht sie sein Porträt im einige Jahre später entstandenen Gemälde der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo sowie in der Predigt des hl. Markus in Alexandrien. Gigante identifiziert Gentile Bellini als „quatrième personnage, à partir de la droite, du groupe de membres éminents de la Confraternité (dont le peintre faisait lui-même partie)“.48 Zudem meint die Autorin im Mann hinter Gentile eine Ähnlichkeit mit seinem Bruder Giovanni festzustellen, lehnt hingegen die Identifizierungen der übrigen Figuren mit dem Vater Jacopo, dem Cousin Leonardo und dem Schwager Andrea Mantegna ab.49

Verweise

  1. Billanovich 16, 365, 374; Meyer zur Capellen 1985, 78–80.↩︎

  2. Laut Fortini Brown 1988, 285 hat Bernasconi diesen Vorschlag am 27 März 1983 auf der Annual Conference of English Art Historians in Manchester gemacht. Der Vortragende scheint den Vortragsinhalt aber nicht publiziert zu haben, denn weder Fortini Brown gibt hierzu Literatur an noch konnte ein entsprechender Beitrag bei gezielter Recherche gefunden werden.↩︎

  3. Lorenzetti 1956, 669.↩︎

  4. Ridolfi 1835, 81.↩︎

  5. Ebd., 74.↩︎

  6. Gronau 1909, 41–49, bes. 41.↩︎

  7. Ebd., 41-49, bes. 43f.↩︎

  8. Ein Ausschnitt des Selbstporträts ist abgebildet bei Foscari 1933, 248.↩︎

  9. Ein Ausschnitt des Selbstporträts ist abgebildet bei ebd.↩︎

  10. Ebd.↩︎

  11. Moschini Marconi 1955, 63–65.↩︎

  12. Ebd.↩︎

  13. Lorenzetti 1956, 669.↩︎

  14. Gibbons 1963, 54-58, bes. 56–57.↩︎

  15. Ebd.↩︎

  16. Ebd.↩︎

  17. Collins 1970, 3.↩︎

  18. Ebd., 3.↩︎

  19. Ebd., 58.↩︎

  20. Ebd., 57–62, bes. 58 u. 62.↩︎

  21. Pignatti 1970, 81, Tav. IV.↩︎

  22. Billanovich 16, 365.↩︎

  23. Ebd., 374.↩︎

  24. Ebd.↩︎

  25. Bei Ridolfi ist die Bellinifamilie nicht explizit erwähnt, er spricht nur von „altri soggetti qualificati ginocchioni“ (Ridolfi 1835, 81). Der Vorschlag, dass es sich neben Gentile um weitere Familienangehörige handelt, wird erstmals bei Gibbons in die Forschungsdiskussion eingebracht (vgl. Gibbons 1963, 54-58, bes. 56–57).↩︎

  26. Meyer zur Capellen 1985, 69.↩︎

  27. Pignatti/Pullan 1981, 54.↩︎

  28. Ebd., 53.↩︎

  29. Collins 1982, 201.↩︎

  30. Ebd., 202.↩︎

  31. Altersmäßig absteigend sind dies der Vater Jacopo, dahinter der älteste Sohn Niccolò, der Schwiegersohn Andrea Mantegna und schließlich Gentile und Giovanni. Demnach gäbe es neben Gentile und Giovanni noch einen dritten – und zwar erstgeborenen – Sohn Niccolò, allerdings wird üblicherweise zwar von drei Kindern Jacopos ausgegangen, eines davon ist allerdings die Tochter Niccolosia, die dann Andrea Mantegna heiratet↩︎

  32. Collins 1982, 201–202.↩︎

  33. Bernasconi hatte sich kurz zuvor mit der Datierung des Zyklus befasst und seine Erkenntnisse publiziert, ohne sich dabei allerdings mit Selbstporträts des Künstlers zu befassen, vgl. Bernasconi 1981.↩︎

  34. Laut Fortini Brown hat Bernasconi diesen Vorschlag am 27 März 1983 auf der Annual Conference of English Art Historians in Manchester gemacht. Der Vortragende scheint den Vortragsinhalt aber nicht publiziert zu haben, denn weder Fortini Brown gibt hierzu Literatur an noch konnte ein entsprechender Beitrag bei gezielter Recherche gefunden werden. Fortini Brown 1988, 285.↩︎

  35. Meyer zur Capellen 1985, 69.↩︎

  36. Ebd., 69.↩︎

  37. Ebd., 78.↩︎

  38. Ebd., 78–80.↩︎

  39. Ebd., 79f.↩︎

  40. Fortini Brown 1988, 151. Zu den Identifizierungsvorschlägen noch genauer Fortini Brown 1988, 285.↩︎

  41. Lucco/Pirovano 1990, 734.↩︎

  42. Gibbons 1963, 54-58, bes. 56–57.↩︎

  43. Collins 1982, 201.↩︎

  44. Suzuki 1996, 39f.↩︎

  45. Marschke 1998, 358f (Anm. 253).↩︎

  46. Rearick 2002, 154.↩︎

  47. Vgl. Köster 2008, 331f (Anm. 12).↩︎

  48. Gigante 2010, 114.↩︎

  49. Ebd.↩︎

Fünf Männer und viele Möglichkeiten

Gentile Bellini schuf das großformatige Gemälde Wunder der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo für die Scuola Grande di San Giovanni Evangelista als Teil eines mehrere Bilder umfassenden Zyklus, der sich heute in den Gallerie dell’Accademia befindet.1 Mit einer Signatur und einer Datierung auf das Jahr 1500 versehen, ist das Werk zweifelsfrei Gentile Bellini zuzuordnen und auch zeitlich klar einzuordnen. Somit fällt das Großformat auch gerade noch in den Untersuchungszeitraum der Datenbank Metapictor – sogar mit zwei vorgeschlagenen und vieldiskutierten Selbstbildnissen.

Während ein Selbstbildnis des Malers im fraglichen Gemälde etwa bei Vasari nicht erwähnt ist, identifiziert Ridolfi Mitte des 17. Jahrhunderts eine der dargestellten Figuren als Gentile Bellini und verweist auf die Ähnlichkeit mit einem Porträt, das er auch in seiner Publikation abdruckt. Durch einen Abgleich dieses Bildnisses mit den in Frage kommenden Dargestellten im Gemälde erschließt sich, dass Ridolfi die erste (linken) Figur der Männergruppe im rechten Vordergrund anspricht.2 Die Identifizierung dieses knienden Mannes mit dem Künstler ist in der Forschung auf wenig Akzeptanz gestoßen: Lediglich Moschini Marconi bezieht sich 1955 ausschließlich und ohne Einschränkung auf Ridolfi, nach dem es sich bei der ersten Männerfigur um den Künstler handeln würde. Weil die Porträts der fünf Männer so individualisiert gestaltet seien, müsse es sich um Porträts handeln und so stimmt sie Ridolfis Einschätzung ohne Hinterfragen zu.3 Weiters scheinen nur noch Pignatti/Pullan nicht ganz abgeneigt von Ridolfis Vorschlag4 zu sein – das Autorenduo nennt sowohl seine Identifizierung durch Ridolfi als auch den etwas umfangreicheren Vorschlag von Gibbons, der gleich in allen fünf Figuren Mitglieder der Bellini-Familie erkennt und Gentile als vierten Mann identifiziert. Sie scheinen von beiden Varianten nicht ganz überzeugt zu sein, legen sich aber auch nicht explizit auf eine Figur fest, wodurch Ridolfis Identifizierungsvorschlag nicht gänzlich ausscheidet.5

Während es einige wenige grundsätzlich kritische bzw. ablehnende Stimmen gibt, oder solche, die zwar andere Bildnisse Gentiles besprechen, dieses Gemälde aber ignorieren, ist sich ein Großteil der AutorInnen einig, die vierte Figur der Männergruppe als Gentile identifizieren zu können. Vor allem der physiognomische Abgleich mit der Camelio- oder Gambello-Medaille ist hier ein entscheidendes Argument.

Gentile mit der vierten knieenden Person zu identifizieren, ist ein Vorschlag, der eigentlich bereits von Gronau6 um die Jahrhundertwende gemacht wurde. Er hat auch als erster eine Figur in der Prozession auf dem Markusplatz als Selbstbildnis identifiziert. In der Forschung wird aber vor allem auf Gibbons7 und dessen erweiterten Vorschlag rekurriert, in allen fünf Männern Mitglieder der Bellini-Familie zu sehen. Zudem gibt es mehrere Identifizierungsvorschläge, die die ganze Männergruppe betreffen und die Möglichkeit eines integrierten Selbstporträts fast alle ausschließen: Von einer Gruppe von Kaufleuten und Seefahrern über zwei wichtige Venezianische Familien (Cornaro und Vendramin) bis hin zu wichtigen Bruderschaftsmitgliedern oder Amtsträgern.

Während die Identifizierung Gentiles mit der vierten Figur am meisten Fürsprache erhält und es diesbezüglich nur verhältnismäßig wenige konkret ablehnende Stimmen gibt, dreht sich die Forschungsdiskussion vor allem darum, welche Männer den Künstler begleiten.

Für die Identifizierung der vierten Männerfigur mit Gentile Bellini sprechen insbesondere optische Anhaltspunkte. Die Camelio-Medaille gilt als gesichertes Vergleichsbeispiel (und einige Autoren erkennen auch nur diesen Bezugspunkt als beweiskräftig an) und lässt tatsächlich eine physiognomische Ähnlichkeit erkennen. Zudem stimmt die Figur optisch mit den beiden anderen weitgehend anerkannten Bildnissen in der Prozession auf dem Markusplatz und in der Predigt des heiligen Markus in Alexandrien überein. Die vorgeschlagenen integrierten (Selbst-)Bildnisse bilden also eine kohärente Gruppe und stützen damit gegenseitig ihre Plausibilität. Insgesamt erkennt daher die Mehrheit der Forschenden in dieser Figur Gentile – in einer der beiden vorgeschlagenen begleitenden Männerkonstellationen.

Aufgrund all dieser Überlegungen wird es an dieser Stelle als wahrscheinlich erachtet, dass es sich bei der vierten Figur der Männergruppe im rechten Vordergrund um ein integriertes Selbstporträt des Künstlers handelt. Etwas schwieriger gestaltet sich allerdings die Frage nach den begleitenden Personen: Handelt es sich um Familienmitglieder des Künstlers oder um für die Bruderschaft wichtige, hochgestellte Persönlichkeiten? Diesbezüglich sind in der Fachliteratur bereits mehrfach Argumente für und wider die beiden Personengruppen abgewogen worden. Die Autorin tendiert eher dazu, die These der hochgestellten Persönlichkeiten bzw. Amtsträgern wie von Fortini Brown8 vorgeschlagen (und von Rearick9 und Gigante10 aufgenommen) zu unterstützen und zwar aus mehreren Gründen: Für eine Identifizierung mit den Bellinis müssen zu viele Kompromisse gemacht werden, um etwa das Alter der Dargestellten zu rechtfertigen. Am ehesten lässt sich hier noch die Einfügung Giovannis begründen (über optische Vergleiche und vor allem, weil dieser ebenfalls als Begleitfigur für die beiden anderen (Selbst-)Bildnisse Gentile vorgeschlagen ist). Am schwersten wiegt aber das Argument der Legitimation einer Familiendarstellung, denn ist es nur schwer vorstellbar, dass es die Bruderschaft gestattet hätte, an einem so prominenten Platz die Künstlerfamilie einzufügen. Viel wahrscheinlicher scheint es also, dass wichtige Scuola-Mitglieder hier im Vordergrund platziert worden sind, zu denen eben auch der Künstler selbst gehört hat.

Verweise

  1. Scirè Nepi 1991, 102.↩︎

  2. Ridolfi 1648/1835, 81.↩︎

  3. Moschini Marconi 1955, 63–65.↩︎

  4. Bei Ridolfi ist die Bellinifamilie nicht explizit erwähnt, er spricht nur von „altri soggetti qualificati ginocchioni“ (Ridolfi 1648/1835, 81). Der Vorschlag, dass es sich neben Gentile um weitere Familienangehörige handelt, wird erstmals bei Gibbons in die Forschungsdiskussion eingebracht (vgl. Gibbons 1963, 54-58, bes. 56–57).↩︎

  5. Pignatti/Pullan 1981, 54.↩︎

  6. Gronau 1909, 41-49, bes. 43f.↩︎

  7. Gibbons 1963, 54-58, bes. 56–57.↩︎

  8. Fortini Brown 1988, 151. Zu den Identifizierungsvorschlägen noch genauer Fortini Brown 1988, 285.↩︎

  9. Rearick 2002, 154.↩︎

  10. Gigante 2010, 114.↩︎

Literatur

Bernasconi, John G.: The Dating of the Cycle of the Miracles of the Cross from the Scuola di San Giovanni Evangelista, in: Arte Veneta, 35. Jg. 1981, 198–202.
Billanovich, Eugenio: Note per la storia della pittura nel Veneto, in: Italia medioevale e umanistica, 1973. Jg. 16, 359–389.
Collins, Howard Frank: Gentile Bellini. A Monograph and Catalogue of Works, University of Pittsburgh 1970.
Collins, Howard Frank: Time, Space and Gentile Bellini's „The miracle of the Cross at the Ponte San Lorenzo“. (Portraits of Catherina Cornaro and Pietro Bembo), in: Gazette des Beaux-Arts, 100. Jg. 1982, 201–208.
Fortini Brown, Patricia: Venetian Narrative Painting in the Age of Carpaccio, New Haven 1988.
Foscari, L.: Autoritratti di Maestri della Scuola Veneziana, in: Rivista di Venezia, 12. Jg. 1933, 247–261.
Gibbons, Felton: New Evidence for the Birth Dates of Gentile and Giovanni Bellini, in: The Art Bulletin, 45. Jg. 1963, 54–58.
Gigante, Elisabetta: Autoportraits en marge. Images de l'auteur dans la peinture de la Renaissance (Thèse de Doctorat, École des Hautes Études en Sciences Sociales), Paris 2010.
Gronau, Georg: Die Künstlerfamilie Bellini (Künstler-Monographien, 96), Bielefeld 1909.
Köster, Gabriele: Künstler und ihre Brüder. Maler, Bildhauer und Architekten in den venezianischen Scuole Grandi (bis ca. 1600) (Berliner Schriften zur Kunst, 22), Berlin 2008.
Lorenzetti, Giulio: Venezia e il suo Estuario. Guida storico-artistica, Rom 1956.
Lucco, Mauro/Pirovano, Carlo (Hg.): La pittura nel Veneto. Il Quattrocento (La pittura nel Veneto), Mailand 1990.
Marschke, Stefanie: Künstlerbildnisse und Selbstporträts. Studien zu ihren Funktionen von der Antike bis zur Renaissance, Weimar 1998.
Meyer zur Capellen, Jürg: Gentile Bellini, Stuttgart 1985.
Moschini Marconi, Sandra: Gallerie dell'Accademia di Venezia. Opere d'arte dei secoli XIV e XV, Rom 1955.
Pignatti, Terisio/Pullan, Brian: Le scuole di Venezia, Mailand 1981.
Pignatti, Terisio: La scuola veneta (I disegni dei maestri, 2) 1970.
Rearick, W. R.: The Venetian Selfportrait. 1450-1600, in: Zorzi, Renzo (Hg.): Le metamorfosi del ritratto (Civilità veneziana, 43), Florenz 2002, 147–180.
Ridolfi, Carlo: Le maraviglie dell'arte ovvero le vite degli illustri pittori Veneti e dello stato (, 1), Padua 1835.
Scirè Nepi, Giovanna: Die Accademia in Venedig. Meisterwerke venezianischer Malerei, München 1991.
Suzuki, Yoko: Studien zu Künstlerporträts der Maler und Bildhauer in der venetischen und venezianischen Kunst der Renaissance. Von Andrea Mantegna bis Palma il Giovane (Kunstgeschichte, 53), Münster 1996.

Zitiervorschlag:

Mangard, Désirée: Das Wunder der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo (Katalogeintrag), in: Metapictor, http://explore-research.uibk.ac.at/arts/metapictor/katalogeintrag/bellini-gentile-das-wunder-der-kreuzreliquie-an-der-brucke-von-san-lorenzo-1500-venedig-gallerie-dellaccademie/ (05.12.2025).