Der hl. Johannes auf Patmos
Bosch, Hieronymus
Deutschland; Berlin; Staatliche Museen, Gemäldegalerie
Inhaltsverzeichnis
Objekt
Bildrechte
| Titel in Originalsprache: | Sint Johannes op Patmos |
| Titel in Englisch: | Saint John on Patmos |
| Datierung: | 1490 bis 1495 |
| Ursprungsregion: | altniederländischer Raum |
| Lokalisierung: | Deutschland; Berlin; Staatliche Museen, Gemäldegalerie |
| Lokalisierung (Detail): | Inventarnummer: 1647A |
| Medium: | Tafelbild |
| Material: | Öl |
| Bildträger: | Holz (Eiche) |
| Maße: | Höhe: 63 cm; Breite: 43,2 cm |
| Ikonografische Bezeichnung: | Johannes auf Patmos |
| Iconclass: | 73G111 – an angel sent by Christ appears to John on Patmos; 73G112 – the devil stealing the ink-well ~ John on Patmos |
| Signatur Wortlaut: | Jheronimus bosch |
| Datierung Wortlaut: | ohne |
| Signatur/Datierung Position: | signiert: rechts unten |
| Inschriften/Signatur/Datierung weitere Ausführungen: | Die Signatur ist beschädigt. |
| Auftraggeber/Stifter: | unbekannt |
| Provenienz: | vermutlich Sint-Janskerk, 's-Hertogenbosch, Kapelle der Bruderschaft Unserer Lieben Frau; Stansted Hall, William Fuller-Maitland; 1907 Gemäldegalerie, Staatliche Museen, Berlin |
| Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt: | unbekannt |
Bildnis 1
Bildrechte
| Lokalisierung im Objekt: | Figur im rechten unteren Bildeck |
| Ausführung Körper: | Ganzfigur stehend |
| Ausführung Kopf: | Dreiviertelporträt |
| Ikonografischer Kontext: | Teufel nahe dem hl. Johannes, der seine Vision erfährt; der Dämon ist Teil der Ikonografie der Szene |
| Blick/Mimik: | verinnerlichter Blick nach links unten |
| Gesten: | Hände erhoben |
| Körperhaltung: | aufrecht; Kopf aus der Körperachse nach links gedreht |
| Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal: | im rechten unteren Bildeck; schräg oberhalb der Signatur; vom Schriftzug und einem Stab mit Haken (Krauwel) teilweise umrahmt; gegenüber einem Adler im linken unteren Eck, Vogel und Teufel scheinen zu kommunizieren; ein Baum im hinteren Bereich teilt das Bild in zwei Teile, wovon einer dem Teufel, einer dem Heiligen zugeordnet werden kann; zur Gänze sichtbar |
| Attribute: | Krauwel (Stab mit Haken) |
| Kleidung: | Phantasiekleidung, ähnelt einer Rüstung |
| Sonstiges: | Mischwesen aus Mensch, Echse und Vogel; eine dämonische Gestalt |
Forschungsergebnis: Bosch, Hieronymus
| Künstler des Bildnisses: | Bosch, Hieronymus |
| Status: | Einzelmeinung |
| Status Anmerkungen: | Das Prädikat „Einzelmeinung“ resultiert aus lediglich zwei Forschungsmeinungen und spiegelt daher den Status des Bildnisses nur verzerrt wider. Die Mehrheit der Forschenden, die die Möglichkeit einer Selbstdarstellung nicht in Betracht ziehen, bleibt dabei ebenso unberücksichtigt wie die Tatsache, dass es sich bei beiden Forschungsstimmen nur um Vermutungen handelt. |
| Andere Identifikationsvorschläge: | Chorteufel Tytinillus; Stereotyp eines Schriftgelehrten und Pharisäers |
| Typ | Autor/in | Jahr | Referenz | Seite | Anmerkungen |
|---|---|---|---|---|---|
| Erstzuschreibung | Knuttel | 1937 | Knuttel 1937 – Hieronymus Bosch en de tegennatuurlijke | 75, 75 (Anm. 1) | - |
| Skeptisch/verneinend | Marijnissen | 1988 | Marijnissen 1988 – Hieronymus Bosch | 289 | - |
| Bejahend | Ilsink/Koldeweij | 2016 | Ilsink, Koldeweij 2016 – Jheronimus Bosch um 1450–1516 | 3 |
Detailsvorsichtige Bestätigung
|
| Skeptisch/verneinend | Kemperdick | 2016 | Kemperdick 2016 – Hieronymus Bosch | 90 | - |
Knuttel (1937) identifiziert den Helfer auf der Brücke im Antonius-Altar als eine mögliche Selbstdarstellung Boschs. In einem Versuch der Interpretation stellt der Autor die Frage, ob sich der Maler mit dem Heiligen und dessen Versuchungen durch irdische Lüste identifiziere.1 Im Anmerkungsapparat führt Knuttel weiters an, dass er in der Figur des Teufels im Vordergrund von St. Johann auf Patmos eine Gestalt mit denselben Zügen erkannt habe – ein Wesen, das für eine Selbstdarstellung überraschend wäre. Sofern diese beiden Identifizierungen zutreffen, so der Autor weiter, würden diese Bildnisse, insbesondere die Darstellung des Teufels, auf eine erschreckende Selbstanklage des Künstlers hinweisen.2
Marijnissen (1988) interpretiert die Figur als Chorteufel Tytinillus.3
Kemperdick (2016) schätzt die Gestalt als Stereotyp eines Schriftgelehrten und Pharisäers ein.4
In der Monografie zu Hieronymus Bosch und seinen Visionen von Ilsink und Koldeweij (2016) wird im Beitrag zum Gemälde Johannes auf Patmos ohne weiterführende Erläuterungen erklärt, es sei nicht ausgeschlossen, dass der Maler im dargestellten Monster ein Selbstbildnis verarbeitet haben könnte.5
Ein Dämon
Das Tafelbild des Hl. Johannes auf Patmos, dessen Rückseite mit Passionsszenen versehen ist, war ursprünglich Teil des Altarretabels der Bruderschaft Unserer Lieben Frau in der Sankt-Johannes-Kirche in 's-Hertogenbosch, einem Ensemble aus Skulpturen und Gemälden. Dieser Schluss ergibt sich aus stilistischen, formalen und ikonografischen Analysen sowie aus gemäldetechnologischen Untersuchungen unter Einbeziehung archivalischer Quellen. Als vermutlich frühestes signiertes Werk Boschs stellt es ein zentrales Element für die Rekonstruktion des Oeuvres des Malers dar.1
Das Gemälde zeigt den auf die Insel Patmos verbannten Evangelisten, der dort unter göttlicher Eingebung das Buch der Offenbarung verfasst habe.2 Im rechten unteren Eck der Tafel, schräg oberhalb der fragmentarisch erhaltenen Signatur, erscheint ein rätselhaftes Mischwesen – ein Dämon, der mit einem Krauwel ausgestattet ist. Das Werkzeug ähnelt einem Fleischhaken, wie er in Höllendarstellungen als Folterinstrument zu finden ist. Unter Berücksichtigung der Kopfbedeckung des Wesens ließe es sich nach Marijnissen als Kanoniker identifizieren, während die Brille auf einen Schreiber hindeute. Nach seiner Interpretation könnte es sich bei der Figur um den Chorteufel Tytinillus handeln, dessen überlieferte Aufgabe darin bestand, Verfehlungen von Geistlichen zu sammeln und diese am Tag des jüngsten Gerichts vorzutragen. Diese Deutung, so Marijnissen, könnte darauf hinweisen, dass Bosch mit dem Milieu der Kleriker vertraut war.3
Knuttels These, der Dämon könnte ein Selbstporträt des Malers darstellen, beruht ausschließlich auf physiognomischen Vergleichen mit einem fragwürdigen Porträt im Codex von Arras4 und ist daher wenig überzeugend. Zweifellos weist die Figur Porträtcharakter auf, doch reicht dies kaum aus, um sie als Selbstdarstellung zu identifizieren. Ein weiteres Argument gegen diese Interpretation stellt die auffällige Signatur dar: Da diese bereits nachdrücklich auf den Maler verweist, erscheint eine zusätzliche Selbstartikulation in Form einer bildlichen Signatur wenig plausibel – zumal ein solches System, also die Kombination von Signaturen und Selbstbildnissen, im Werk Boschs nicht nachweisbar ist. Vielmehr ist anzunehmen, dass Bosch das ikonografisch aufgeladene Bild des Teufels – eines Mischwesens aus Menschen, Echse und Vogel – gezielt zur Bedeutungssteigerung einsetzte. Durch subtil formulierte kompositorische Kunstgriffe verankerte er die Figur zudem in ambivalenter Weise im Bildraum, wodurch ihre Wirkung intensiviert wird. So steht der Teufel einerseits in Kommunikation mit dem Adler (dem Attribut des Heiligen) im linken Bildeck, wodurch eine formale und inhaltliche Einheit entsteht. Andererseits ist er in jenem Bildbereich platziert, der durch den Baum im Hintergrund vom Heiligen separiert wird – in einer isolierten Ecke, die ihn in eine Außenseiterposition rückt.
In Johannes auf Patmos zeigt sich bereits jenes Gestaltungsprinzip, das in Boschs späteren Werken in gesteigerter Form zu einem zentralen Merkmal seines künstlerischen Ausdrucks werden sollte: die Integration eines skurrilen Wesens in eine religiöse Szene, dessen Deutung letztlich offenbleibt und damit Raum für vielschichtige Interpretationen schafft.
Literatur
Zitiervorschlag:
Krabichler, Elisabeth: Der hl. Johannes auf Patmos (Katalogeintrag), in: Metapictor, http://explore-research.uibk.ac.at/arts/metapictor/katalogeintrag/bosch-hieronymus-der-hl-johannes-auf-patmos-1490-bis-1495-berlin-staatliche-museen-gemaldegalerie/ (05.12.2025).