Inhaltsverzeichnis
Objekt
Bildrechte
| Alternativtitel Deutsch: | Kreuztragung Christi |
| Titel in Originalsprache: | Christus draagt het kruis |
| Titel in Englisch: | Christ Carrying the Cross |
| Datierung: | um 1490 bis 1510 |
| Ursprungsregion: | altniederländischer Raum |
| Lokalisierung: | Österreich; Wien; Kunsthistorisches Museum |
| Lokalisierung (Detail): | Inventarnummer: 6429 |
| Medium: | Altarbild; Tafelbild |
| Material: | Öl |
| Bildträger: | Holz (Eiche) |
| Maße: | Höhe: 57 cm; Breite: 32 cm |
| Maße Anmerkungen: | Die Tafel ist im unteren Bereich geringfügig beschnitten. |
| Ikonografische Bezeichnung: | Kreuztragung Christi |
| Iconclass: | 73D41 – carrying of the cross: Christ bearing the cross, alone or with the help of others (e.g. Simon the Cyrenian) |
| Signatur Wortlaut: | ohne |
| Datierung Wortlaut: | ohne |
| Auftraggeber/Stifter: | unbekannt |
| Provenienz: | Englischer Kunsthandel; Kunsthandel Frederik Muller & Cie, Amsterdam, Januar 1923; Jänner 1923 Ankauf von Kunsthandlung J. Goudstikker, Amsterdam; seither im Bestand des Kunsthistorischen Museums, Wien |
| Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt: | unbekannt |
Bildnis 1
Bildrechte
| Lokalisierung im Objekt: | erste Figur in der unteren Gruppe am linken Bildrand |
| Ausführung Körper: | Brustbild stehend |
| Ausführung Kopf: | Dreiviertelporträt |
| Ikonografischer Kontext: | Assistenzfigur in der Gruppe rund um einen Dieb |
| Blick/Mimik: | direkter Blick aus dem Bild |
| Gesten: | Hände nicht sichtbar |
| Körperhaltung: | Körper nicht sichtbar; leicht nach rechts ausgerichtet |
| Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal: | am Rand der Szene um den linken Schächer im linken unteren Bildbereich; vom vorgelagerten Soldaten und dem Bildrand weitgehend überschnitten; bildet gemeinsam mit der rot gekleideten Soldatenfigur eine Klammer um die Binnenszene; an der Schnittstelle zwischen Vordergrundhandlung und Hintergrundszene, die erneut durch eine rot gekleidete Figur eingeleitet wird; diese Ebenen sind durch die Darstellung von braunem Naturgrund getrennt; schließt mit dem Kopf an die obere Szene an, die sich diagonal nach rechts oben zieht und mit der Figur in weißer, orientalisch wirkender Kleidung und einer ebenfalls nach rechts ausgerichteten Figur mit roter Kappe darüber endet – zwischen diesen beiden Protagonisten erscheint eine nach links aus dem Bild blickende Figur mit Bart am rechten Rand, ganz so, als würde sie zum Beginn der Szene zurückschauen; die Raumstaffelung der Protagonisten der Szene mit der Randfigur, die durch das am Boden liegende Kreuz in der breite abgesteckt ist, bildet hingegen eine Diagonale nach links oben |
| Kleidung: | Chaperon |
| Zugeordnete Bildprotagonisten: | alle Personen in der Gruppe bis hin zum rot gekleideten Soldaten |
Forschungsergebnis: Bosch, Hieronymus
| Künstler des Bildnisses: | Bosch, Hieronymus |
| Status: | kontrovers diskutiert |
| Typ | Autor/in | Jahr | Referenz | Seite | Anmerkungen |
|---|---|---|---|---|---|
| Erstzuschreibung | Baldass | 1926 | Baldass 1926 – Betrachtungen zum Werke des Hieronymus | 109 | - |
| Bejahend | Goldscheider | 1936 | Goldscheider 1936 – Fünfhundert Selbstportraits | o. S. (Abb. 27) | - |
| Skeptisch/verneinend | Mosmans | 1947 | Mosmans 1947 – Jheronimus Antoniszoon van Aken | 41 | - |
| Bejahend | Benesch | 1957 | Benesch 1957 – Hieronymus Bosch and the Thinking | 118, 118 (Anm. 1) | - |
| Bejahend | Hall | 1963 | Hall 1963 – Portretten van Nederlandse beeldende kunstenaars | 39 | - |
| Bejahend | Tolnay, de | 1966 | Tolnay 1966 – Hieronymus Bosch | 350f |
DetailsEs handelt sich um eine äußerst verwirrende These, die sich vermutlich nicht auf das hier besprochene Bildnis übertragen lässt.
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| Bejahend | Fraenger | 1983 | Fraenger 1983 – Hieronymus Bosch | 143, 494–496 | - |
| Skeptisch/verneinend | Marijnissen | 1988 | Marijnissen 1988 – Hieronymus Bosch | 272 |
DetailsMarijnissens Stellungnahme ist nicht eindeutig zuordenbar.
|
| Skeptisch/verneinend | Van Dijck | 2001 | Dijck 1.9.–11.11.2001 – Hieronymus van Aken | 15f | - |
| Skeptisch/verneinend | Legner | 2009 | Legner 2009 – Der Artifex | 482, 484 | - |
| Skeptisch/verneinend | Gigante | 2010 | Gigante 2010 – Autoportraits en marge | 131 | - |
Baldass (1926) hebt den Mann hinter der linken Schächerszene hervor, der sich von den anderen differenziert, indem er nicht an der Handlung teilnimmt, sondern sich mit ruhigem, beobachtendem Blick aus dem Bild wendet. „Offenbar“, so der Autor, handelt es sich um ein Selbstbildnis des noch jungen Malers.1
Goldscheider (1936) führt die Figur in seinem Kompendium mit dem Titel Fünfhundert Selbstporträts an.2 In der Neuauflage des Standardwerks wurde sie jedoch aus der Auflistung entfernt.3
Mosmans (1947) weist die Identifizierung der Randfigur in der Kreuzigung als Selbstdarstellung zurück, da sie keine überzeugenden Übereinstimmungen mit den Porträts in der Anbetung der Könige und der Dornenkrönung im Escorial aufweise, die er als authentische Bildnisse von Bosch ansieht. Stattdessen könnte es sich aus seiner Sicht bei dem Mann in der Kreuzigung um ein Familienmitglied des Malers handeln.4
Benesch (1957) zählt zu den frühen Autoren, die im Baummann im Prado den Künstler selbst erkennen wollen. Zudem, so der Autor unter Bezugnahme auf die Selbstporträtthese von Baldass, zeige sich dasselbe ironische Gesicht bei der Figur am linken Bildrand der Kreuztragung in Wien.5
Hall (1963) führt in seinem Nachschlagewerk zu niederländischen Künstlerbildern folgende integrierte Selbstporträts auf: erstens den Mann mit Kappe auf der linken Seite in der Wiener Kreuztragung, zweitens den jüngsten der drei Könige in der Anbetung der Könige in Philadelphia, drittens den rechten Mann auf dem linken Seitenflügel des Altars zu den Versuchungen des hl. Antonius, der den Heiligen über die Brücke trägt und viertens die Halbfigur mit üppigem Haaren in der Dornenkrönung in Madrid.6
De Tolnay (1966) beschreibt ein Rollenporträt als Beichtvater nahe einem Dieb und verweist dabei auf Baldass, der jedoch den Mann am linken Bildrand als Selbstdarstellung betrachtet, was mit seiner Beschreibung nur schwer in Einklang zu bringen ist. Die These von de Tolnay wird daher sowohl in diesem Zusammenhang als auch im Hinblick auf die Figur des Mönches im rechten Vordergrund angeführt.7
Fraenger (1983) deutet verschiedene Protagonisten im Werk von Bosch als psychologisch aufgeladene Selbstdarstellungen: So finde sich Bosch erstmals gefestigt, selbstbewusst und diszipliniert an unauffälliger Stelle im Garten der Lüste. Ein zweites Mal zeige er sich mit gereiftem Selbstbewusstsein in der Kreuztragung in Wien.8 Diese beiden Bildnisse stimmen dem Autor zufolge in ihrer physiognomischen Erscheinung überein.9 Ein drittes Selbstporträt in der Dornenkrönung offenbare eine tiefgründige Selbstenthüllung. In Letzterer präsentiere sich Bosch in nachdenklicher Selbstbetrachtung, barhäuptig, mit kraftvollem, unbändigem Haar, unnachgiebig im Selbstausdruck und voll skeptischem Verständnis der dargestellten Situation gegenüber.10
Sicherlich sei Bosch bereit gewesen, sich bei den Schuldigen einzufinden, schreibt Marijnissen (1988), der das Bildnis am Rand gleichzeitig als vermeintliches Selbstporträt bezeichnet.11
Van Dijck (2001) befasst sich in seinen Ausführungen zur Biografie Hieronymus Boschs und der Suche nach Selbstdarstellungen im Sinne einer Rekonstruktion von Vita bzw. Identität des Malers auch mit Fragen zur Glaubhaftigkeit porträthafter Darstellungen und geht dabei auf vorgeschlagene Selbstporträts des Künstlers ein. Nach einer Auflistung der in der Forschung diskutierten Beispiele (einschließlich des hier vorgestellten), die er allesamt als unglaubwürdig einstuft, resümiert er unter Bezugnahme auf Mosmans, dass allenfalls die Bildnisse in der Dornenkrönung Christi im Escorial und in den Hl. drei Königen als mögliche Selbstbildnisse interpretiert werden könnten.12
Legner (2009) weist auf die Schwierigkeiten bei der Identifizierung von Selbstdarstellungen hin und betrachtet entsprechende Versuche bei Bosch als „spekulativ“. Der Autor führt folgende in der Forschungsliteratur vorgeschlagene Selbstdarstellungen unter Nennung der entsprechenden Autoren auf: Figuren in der Wiener Kreuztragung, in der Londoner Dornenkrönung, im Triptychon zu den Versuchungen des hl. Antonius in Lissabon, im Heuwagentriptychon sowie im Garten der Lüste, beide in Madrid. Dabei reflektiert er über mögliche psychologische Verbindungen zwischen Hieronymus Bosch und den Bildfiguren, die in deren Erscheinung zum Ausdruck kommen könnten. Legner unterstützt dabei besonders Herbert von Einems Interpretation des Wanderers auf den Außenflügeln des Heuwagentriptychons, der sich als christlicher Pilger zwischen Engel, Tod und Teufel befinde – zwischen Anrufungen an den Herrn, Endlichkeit und Aufrechnung der Sünden.13
Gigante (2010) bewertet Identifizierungen von Selbstdarstellungen Boschs, wie im Garten der Lüste (rechter Flügel und Mitteltafel) sowie im linken Flügel der Versuchungen des hl. Antonius, als reine Vermutungen. Dasselbe gelte auch für die Figur, in der die Autorin typische Porträtzüge erkennt – für den Mann am linken unteren Bildrand der Kreuztragung. 14
Verweise
Baldass 1926, 109. Zu im Forschungsstand in weiterer Folge angeführten Hinweisen zu Bildnissen in der Anbetung der Könige, der englischen und spanischen Dornenkrönung sowie dem Heuwagentriptychon vgl. den Einleitungstext zum Maler.↩︎
Goldscheider 1936, o. S. (Abb. 27).↩︎
O. Hg. 2000.↩︎
Mosmans 1947, 41.↩︎
Benesch 1957, 118, 118 (Anm. 1). Benesch zitiert hierzu eine Monografie zu Bosch aus dem Jahr 1913, in der sich die Selbstporträtthese auf Seite 250 befinden soll. Diese Publikation konnte nicht gefunden werden, weshalb die These aus Baldass 1926 entnommen und angegeben ist.↩︎
Hall 1963, 39.↩︎
Tolnay 1966, 350f.↩︎
Fraenger 1983, 494–496.↩︎
Ebd., 143.↩︎
Ebd., 494–496.↩︎
Marijnissen 1988, 272.↩︎
Dijck 2001, 15f.↩︎
Legner spezifiziert das Bildnis in der Kreuztragung nicht, weshalb sein Statement spekulativ dem Mann in der linken unteren Ecke der Tafel zugeordnet wird, bei dem es sich um das meistdiskutierte mögliche Selbstbildnis im Gemälde handelt. Vgl. Legner 2009, 482, 484.↩︎
Gigante 2010, 131.↩︎
Bildnis 2
Bildrechte
| Lokalisierung im Objekt: | Mönch links des aufgestellten Stamms |
| Ausführung Körper: | Ganzfigur kniend |
| Ausführung Kopf: | im Profil |
| Ikonografischer Kontext: | Mönch bei einem der Schächer |
| Blick/Mimik: | Blick nach rechts |
| Gesten: | linke Hand in Melancholiegestus; rechte Hand auf das Knie gestützt |
| Körperhaltung: | kniend mit aufgestelltem Bein und nach vorne gebeugt; in Melancholiegestus; nach rechts gewandt |
| Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal: | Figur am rechten Rand der Binnenszene mit dem rechten Schächer; Figur zur Gänze sichtbar; weitestgehend von Landschaftsgrund bzw. dem Baumstamm hinterlegt; eine von zwei Figuren im Bildraum, die nicht überschnitten sind (bei der zweiten Figur handelt es sich um den linken Dieb). |
| Attribute: | Buch |
| Kleidung: | Mönchskutte |
| Sonstiges: | Tonsur |
| Zugeordnete Bildprotagonisten: | Dieb rechts neben dem Mönch |
Forschungsergebnis: Bosch, Hieronymus
| Künstler des Bildnisses: | Bosch, Hieronymus |
| Status: | Einzelmeinung |
| Typ | Autor/in | Jahr | Referenz | Seite | Anmerkungen |
|---|---|---|---|---|---|
| Erstzuschreibung | Tolnay, de | 1966 | Tolnay 1966 – Hieronymus Bosch | 350f |
DetailsEs handelt sich um eine äußerst verwirrende These, die auch auf das Bildnis am linken Rand bezogen werden könnte.
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De Tolnay (1966) erkennt ein Rollenporträt Boschs in Gestalt eines Beichtvaters in der Nähe eines Diebes in der Kreuztragung. Er gibt ohne weitere Spezifizierung an, dass ein gewisser Johannes Wilde erstmals auf das Porträt hingewiesen habe, zudem verweist er auf Baldass. In Abstimmung mit der These des letztgenannten könnte man annehmen, dass mit dem Rollenporträt das Bildnis des linken Mannes gemeint ist, wenngleich die Beschreibung eher auf den Mönch im rechten Bereich der Vordergrundbühne zutrifft. Da die Person Johannes Wilde jedoch nicht verifiziert werden konnte, erscheint die These sehr fragwürdig und wird nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Aus demselben Grund wird auch der Mönch im Mittelgrund als mutmaßliches Selbstporträt angeführt. Laut de Tolnay könnte Bosch mit dem „Beichtvater“ möglicherweise auf den leidenserfüllten Lebensweg des Menschen hingewiesen haben.1
Verweise
Tolnay 1966, 350f.↩︎
In der Gesellschaft von Dieben
Die Tafel zur Kreuztragung Christi, auf deren Rückseite eine Darstellung des Christuskindes mit Laufgitter zu finden ist, stellt eine leicht beschnittene Seitentafel eines verlorenen Triptychons dar, dessen Hauptthema vermutlich die Kreuzigung Christi war. Während sich der kreuztragende Christus auf dem linken Innenflügel befunden haben dürfte, könnte der rechte Flügel eine Grablegungsszene gezeigt haben.1
Im hochrechteckigen Bildfeld sind die beiden Schächer, die neben Christus gekreuzigt werden, zwischen der Kreuztragung Christi und dem Bildpublikum im Vordergrund ausgeführt. Sie befinden sich in einem deutlich abgegrenzten Bildareal, dessen Differenzierung durch einen neutral gehaltenen Landschaftsgrund, eine Art Freifläche, zusätzlich betont ist. Die beiden Verurteilten verkörpern die „idea of good and evil, acknowledgement of one’s sins and the possibility of forgiveness.“2
In diesem Bereich befinden sich die beiden Figuren, die als mögliche Selbstdarstellungen diskutiert werden. Dabei handelt es sich um den im Melancholiegestus knienden Mönch, der sich in Kommunikation mit dem rechten Schächer befindet und als Beichtvater gedeutet wurde. Zum anderen wird insbesondere der dem Bildpublikum zugewandte Mann am linken Bildrand als Selbstporträt interpretiert. Durch seinen direkten Blick zieht er die Aufmerksamkeit auf sich und lenkt diese weiter in den Bildraum, wodurch der Fokus auf das zentrale Geschehen verstärkt wird. Ein vergleichbarer Effekt ergibt sich aus der Anordnung der beiden Protagonisten hinter Christus, deren jeweils rechte Hand in ähnlicher Weise auf dem Kreuzesstamm aufliegt, wodurch die Präsenz der Szene zusätzlich betont wird.3 Der gezielte Einsatz von Assistenzfiguren zur Anleitung der Betrachtenden einerseits sowie zur Aktualisierung des Bildinhalts durch zeitgenössisch anmutende, bildinterne Beobachter andererseits – die dem Publikum eine Möglichkeit zur Identifikation bieten – sind etablierte Strategien zur Inszenierung von Selbstdarstellungen.
Betrachtet man das Gemälde in seiner Gesamtheit, so nimmt das als Selbstporträt vorgeschlagene Bildnis eine Schlüsselposition an der Schnittstelle zwischen Vorder- und Hintergrundhandlung ein. Es ist in ein gestalterisches Konzept eingebunden, das weit über die direkte BetrachterInnenansprache hinausgeht. Der Mann, der durch seine Kopfbedeckung (ein Chaperon oder eine Sendelbinde) als zeitgenössische Person ausgewiesen ist, gehört zwar zur Szene um den Dieb, er schließt aber gleichzeitig kompositorisch unmittelbar an die Kreuztragung an. Diese Verbindung wird einerseits durch die physische Nähe hergestellt – seine Gestalt überschneidet marginal die Kleidung des Mannes hinter ihm –andererseits durch das dominante Rot der Gewänder in seinem Umfeld. Während das Bildnis gemeinsam mit dem vorne stehenden Soldaten in Rot die Diebesszene einrahmt, markiert das Rot der Figur im Hintergrund den Auftakt zur Kreuztragung. Die Bewegungsrichtung dieser zentralen Szene verläuft gegengleich zur Dynamik der vorderen Diebesszene: sie zieht sich von links Mitte nach rechts oben; verstärkt durch Figuren am rechten Bildrand.4 Gleichzeitig wird dieser Bewegungsfluss jedochdurch eine Bildfigur am rechten Rand scheinbar gestoppt – ein Mann, der wie ein Pendant zum möglichen Selbstporträt am linken Rand wirkt. Es handelt sich um einen Bärtigen, der scheinbar zurückblickt, vielleicht sogar auf das potenzielle Bildnis des Malers selbst. Zwischen diesen beiden Randfiguren entsteht eine visuelle Klammer, die die Handlung mit ihrer Dynamik in einen ambivalenten Zustand versetzt – in einen „gerade-jetzt-Zustand“. Der Freiraum zwischen den beiden erzählerischen Ebenen, die braune Fläche des Landschaftsgrunds, verstärkt diesen „Gegenzug“ zusätzlich. Sie wirkt fast wie ein Pfeil, der den Blick zum Mann am linken Bildrand lenkt, jener wiederum trägt dieses „gerade-jetzt“ in den Raum der Rezipierenden weiter.
Freilich lässt sich dieser Mann mangels verifizierender Quellen oder aufschlussreicher Vergleichsbeispiele nicht mit Sicherheit als Selbstdarstellung von Hieronymus Bosch identifizieren, dennoch stellt er unter den diskutierten potenziellen Selbstporträts jene Figur dar, die am ehesten mit gängigen Darstellungsformen in Einklang steht. Sollte sich die These bestätigen lassen, wäre es naheliegend, in einem weiteren Schritt auch die Figur des Wirtes im Körper des Baummenschen in der Höllentafel im Garten der Lüste als mögliches Selbstporträt zu untersuchen. Zwar ist diese Figur äußerst undefiniert und kaum mehr als skizzenhaft ausgeführt, doch scheint eine gewisse allgemeine Ähnlichkeit in ihrer Ausstrahlung erkennbar. Zudem erscheint der Mann in der Höllentafel in einem Melancholiegestus – in einer Haltung, die in der Tradition von Selbstdarstellungen erprobt ist.5
Ein vergleichbarer Gestus zeigt sich zwar auch beim Mönch in der Kreuztragung, doch kann dieser, insbesondere in Hinblick auf die Präsenz der Randfigur, keinesfalls als Selbstdarstellung Hieronymus Boschs betrachtet werden.
Verweise
Vgl. u. a. Ilsink u. a. 2016, 236–247, bes. 236.↩︎
Ebd., 236.↩︎
Ebd., 239.↩︎
Darunter befindet sich ein Mann in weißer, orientalischer Kleidung, der in Gewand und Pose dem Helfer auf der Antoniustafel gleicht. Diesen Vergleich stellt Bax an, der den Mann in der Antoniustafel als Selbstporträt einschätzt, ohne jedoch eine Selbstdarstellung im Orientalen auf der Kreuztragung zu thematisieren. Vgl. Bax 1948, 19.↩︎
Zum Melancholiegestus vgl. weiterführend die Ausführungen zur möglichen Selbstporträtfigur in der Höllentafel.↩︎
Literatur
Zitiervorschlag:
Krabichler, Elisabeth: Kreuztragung (Katalogeintrag), in: Metapictor, http://explore-research.uibk.ac.at/arts/metapictor/katalogeintrag/bosch-hieronymus-kreuztragung-um-1490-bis-1510-wien-kunsthistorisches-museum/ (05.12.2025).