Anbetung der Könige (Lama-Anbetung)

Botticelli, Sandro

um 1475

Italien; Florenz; Gallerie degli Uffizi

Objekt

Bildrechte
Alternativtitel Deutsch:Anbetung der Könige; Die Anbetung der Heiligen Drei Könige; (Del-)Lama-Anbetung; Zanobi-Altar
Titel in Originalsprache:Adorazione dei Magi; Adorazione dei Re Magi
Titel in Englisch:Adoration of the Magi
Datierung: um 1475
Ursprungsregion:italienischer Raum
Lokalisierung:Italien; Florenz; Gallerie degli Uffizi
Lokalisierung (Detail):Inventar: 1890; Nr. 882
Medium:Altarbild
Material:Tempera
Bildträger:Holz
Maße: Höhe: 111 cm; Breite: 134 cm
Maße Anmerkungen:Das Bild wurde beschnitten. Der ursprüngliche Marmorrahmen ist nicht erhalten.
Ikonografische Bezeichnung:Drei Könige (Anbetung und Zyklus der Magier): Anbetung der Magier oder Könige
Iconclass:73B57 – adoration of the kings: the Wise Men present their gifts to the Christ-child (gold, frankincense and myrrh)
Signatur Wortlaut:ohne
Datierung Wortlaut:ohne
Auftraggeber/Stifter:Guaspare Del Lama (auch: Guasparre di Zanobi Del Lama oder Lami; Bankier in Florenz)
Provenienz:Ursprünglich in Sta. Maria Novella, in der Capella dei Magi des Stifters Del Lama, die sich an der Innenfassade zwischen mittlerem und östlichem Portal befand; seit 1796 in den Uffizien
Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt:öffentlich

Das Bild wurde beschnitten. Der ursprüngliche Marmorrahmen ist nicht erhalten;1 zur ursprünglichen Aufstellung,2 zur weiteren Provenienz3

Verweise

  1. Vasari/Lorini/Dombrowski 2010, 103 (Anm. 31).↩︎

  2. Ebd. (Anm. 31).↩︎

  3. Horne 1908, 40; Ulmann 1893, 57. Weiterführende Literatur zur Provenienz vgl. etwa: Hatfield 1976, 70; Horne 1908, 38–40; Zöllner 2005, 192.↩︎

Bildnis 1

Bildrechte
Lokalisierung im Objekt:erste Figur von rechts
Ausführung Körper:Ganzfigur stehend
Ausführung Kopf:Dreiviertelporträt
Ikonografischer Kontext:Figur am Rand der Anbetung der Könige
Blick/Mimik:direkter Blick aus dem Bild
Gesten:Hände nicht sichtbar, linker Arm angewinkelt vor dem Körper
Körperhaltung:stehend annähernd parallel zur Bildoberfläche nach links ausgerichtet, leicht zum Geschehen gedreht (linker Fuß bildparallel, rechter Fuß zeigt ins Bildinnere); Kopf leicht geneigt und zum Betrachter gedreht (Schulterblick)
Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal:Figur befindet sich am rechten Bildrand (Randfigur); Mantel rechts leicht beschnitten (u. U. aufgrund von Beschneidung der Tafel); Schatten der Beine fällt rechts aus dem Bild hinaus; Figur leitet – auch farblich – über zur Landschaft; Figur ist leicht abgesetzt von der Gruppe dahinter und tritt mit keiner bildinternen Figur in Interaktion; Figur tritt über direkten Blick in Interaktion mit Betrachter; durch die Körperdrehung als am Geschehen teilnehmend gekennzeichnet; Figur bildet zusammen mit der am linken Bildrand stehenden Figur bzw. Figurengruppe eine räumliche Klammer bzw. die äußeren Punkte der pyramidenförmigen Komposition; gelbe Bekleidungsfarbe sowie monochrome Bekleidung sonst kaum vorhanden
Kleidung:auffällig monochrome Bekleidung (voluminöser gelber Mantel mit Goldbordüre)
Zugeordnete Bildprotagonisten:möglicherweise Teil des Gefolges des jüngsten Königs; aus dem Bild blickender Mann mit grauem Haar (mehrfach vorgeschlagen als Stifter del Lama, s. u.); Pfau sitzt oberhalb zwischen Stifter und möglichem Selbstbildnis

Vgl. weiterführend zur Identifizierung des Stifters1

Verweise

  1. Hatfield 1976, 70. Hatfield verweist auf Mesnil 1903.↩︎

Forschungsergebnis: Botticelli, Sandro

Künstler des Bildnisses:Botticelli, Sandro
Status:kontrovers diskutiert
Typ Autor/in Jahr Referenz Seite Anmerkungen
Erstzuschreibung Ulmann 1893 Ulmann 1893 – Sandro Botticelli 59 -
Skeptisch/verneinend Steinmann 1903 Steinmann 1903 – Botticelli 62–64
Details
indirekt durch Nicht-Erwähnung, obwohl Steinmann den Vorschlag kannte
Bejahend Gebhart 1907 Gebhart 1907 – Sandro Botticelli 151f -
Bejahend Horne 1908 Horne 1908 – Alessandro Filipepi commonly Called Sandro 42 -
Bejahend Konody 1908 Konody 1908 – An Unknown Portrait of Botticelli 47f -
Skeptisch/verneinend Bode 1921 Bode 1921 – Sandro Botticelli 55f -
Skeptisch/verneinend Yashiro 1925 Yashiro 1925 – Sandro Botticelli and the Florentine 167f -
Skeptisch/verneinend Bode 1926 Bode 1926 – Botticelli 138 (in Anmerkung zu Seiten 21–23) -
Skeptisch/verneinend Benkard 1927 Benkard 1927 – Das Selbstbildnis vom 15 9 -
Bejahend van Marle 1931 Marle 1931 – The Renaissance Painters of Florence 6, 69 -
Bejahend Mesnil 1938 Mesnil 1938 – Botticelli 39f (Anm. 34), 47f -
Bejahend Gasser 1961 Gasser 1961 – Das Selbstbildnis 36–39 -
Skeptisch/verneinend Neumeyer 1964 Neumeyer 1964 – Der Blick aus dem Bilde 47 -
Bejahend Pope-Hennessy 1966 Pope-Hennessy 1966 – The Portrait in the Renaissance 30–32 -
Bejahend Alazard 1968 Alazard 1968 – The Florentine Portrait 33 (Anm. 3) -
Bejahend Hatfield 1976 Hatfield 1976 – Botticelli's Uffizi Adoration 31–32, 100
Details
Hatfield äußert Zweifel, behandelt anschließend aber doch als Selbstbildnis.
Bejahend Sleptzoff 1978 Sleptzoff 1978 – Men or Supermen 114–115, 130–131 -
Bejahend Baldini 1984 Baldini 1984 – La Primavera del Botticelli 16–17, 22, 24–25 -
Bejahend Bonafoux 1985 Bonafoux 1985 – Der Maler im Selbstbildnis 25 -
Skeptisch/verneinend Lightbown 1989 Lightbown 1989 – Sandro Botticelli 69 -
Bejahend Caneva 1990 Caneva 1990 – Botticelli 17–18, 52, 54 -
Bejahend Duwe 1992 Duwe 1992 – Die Anbetung der Heiligen Drei 169, 172 -
Bejahend Schweikhart 1993 Schweikhart 1993 – Das Selbstbildnis im 15 16 -
Skeptisch/verneinend Asemissen/Schweikhart 1994 Asemissen, Schweikhart 1994 – Malerei als Thema der Malerei 75 (Anm. 22) -
Bejahend Marin 1995 Marin 1995 – Topic and Figures of Enunciation 209 -
Bejahend Arasse 1996 Arasse 1996 – Le détail 280 -
Bejahend Woods-Marsden 1998 Woods-Marsden 1998 – Renaissance Self-Portraiture 48–50 -
Bejahend Ames-Lewis 2000 Ames-Lewis 2000 – The Intellectual Life 229–231 -
Bejahend Santi 2001 Santi 2001 – Botticelli 92, 100
Details
Die Originalausgabe dürfte nicht aus dem Jahr 2001 stammen, konnte jedoch bei vertretbarem Rechercheaufwand vorläufig nicht eruiert werden.
Bejahend Schmid 2002 Schmid 2002 – Et pro remedio animae et 117 -
Bejahend Paolucci 2004 Paolucci 2004 – Botticelli and the Medici 72 -
Skeptisch/verneinend Zöllner 2005 Zöllner 2005 – Sandro Botticelli 49f -
Bejahend Körner 2006 Körner 2006 – Botticelli 11, 64 -
Bejahend Rejaie 2006 Rejaie 2006 – Defining Artistic Identity 150–162, 228 -
Bejahend Cumming 2009 Cumming 2009 – A Face to the World 24–26 -
Bejahend Schumacher 2009 Schumacher 2009 – Der Maler Sandro Botticelli 15, 16, 28 -
Skeptisch/verneinend Rehm 2009 Rehm 2009 – Botticelli 57f -
Bejahend Dombrowski 2010 Dombrowski 2010 – Die religiösen Gemälde Sandro Botticellis 99, 109, 110, 115, 123, 309 -
Bejahend Dombrowski 2010 Dombrowski 2010 – Einleitung zum Leben des Sandro 17 -
Bejahend Dombrowski in Vasari/Lorini/Dombrowski 2010 Vasari, Lorini et al. 2010 – Giorgio Vasari 103f (Anm. 31) -
Bejahend Dombrowski 2013 Dombrowski 2013 – Imagination und Invention - -
Bejahend Hille 2015 Hille 2015 – Training the Eye 267, 271 -
Bejahend Schumacher 2018 Schumacher 2018 – Opera certa mirabilissima 18 –22 -
Bejahend Schumacher 2018 Schumacher 2018 – Sandro Botticelli 250 -
Bejahend Dombrowski [2005] Dombrowski [ca. 2005] – The Painter without Hands ohne Paginierung -

Vasari behandelt die Del-Lama-Anbetung in beiden Ausgaben der Viten ausführlich, ist voll des Lobes und schlägt eine Identifizierung der drei Könige mit Protagonisten der Familie Medici (Cosimo il Vecchio, Giuliano di Piero de’ Medici und Giovanni di Cosimo de’ Medici)1 vor. Ein mögliches Selbstbildnis Botticellis erwähnt er jedoch nicht.2

Die Erstzuschreibung des Selbstbildnisses in der Del-Lama-Anbetung nahm Hermann Ulmann 1893 vor.3 Als Indizien für ein Selbstbildnis nennt er die Kopfhaltung, die aus dem notwendigen Blick des Künstlers in den Spiegel resultiert, den „künstlerisch drapirte[n] Mantel“, die für Selbstbildnisse übliche Verortung in der Ecke des Bildes sowie die Ähnlichkeit zum Profilbildnis in der Brancacci-Kapelle.

Steinmann (1903)4 widmet sich in seiner Botticelli-Monografie ausführlich der Del-Lama-Anbetung, geht aber nicht auf die Möglichkeit eines Selbstbildnisses ein. Er erwähnt Ulmanns Identifizierung lediglich in einer Fußnote seiner Monografie zur Sixtinischen Kapelle,5 spricht sich ansonsten aber nur für ein anderes Selbstbildnis Botticellis in der Bestrafung der Rotte Korah (1481/82, Rom, Sixtinische Kapelle) aus.

Gebhart (1907)6 folgt Ulmann, dem er generell stark verpflichtet ist, erwähnt den intensiven Blick und sieht die Figur als „vivante signature“.

Horne (1908, Verfasser eines frühen Standardwerks zu Botticelli, schreibt lediglich, die Figur „has long been recognized as a portrait of Botticelli himself“7.

Konody (1908) hält das Selbstbildnis Botticellis in der Del-Lama-Anbetung für absolut gesichert. Der Maler blicke mit fast herausforderndem Ausdruck direkt aus dem Bild und seine Pupillen befänden sich genau dort, wo sie sein müssen, wenn der Maler sich beim Porträtieren selbst in einem rechts seiner Staffelei positionierten Spiegel betrachtet.8

Am eindeutigsten und ausführlichsten gegen ein Selbstbildnis spricht sich Bode (1921, 1926) aus, der so weit geht zu schreiben, „[d]er schöne Jüngling […] kann unmöglich Botticelli sein“9. Für ein Selbstbildnis spreche lediglich der Blick aus dem Bild, es stimme aber weder das Alter (Botticelli sei damals über 30 gewesen, der dargestellte Mann jedoch höchstens 25) noch sei eine Ähnlichkeit zum von Vasari verwendeten Profilbildnis Botticellis in der Brancacci-Kapelle festzustellen. Darüber hinaus argumentiert Bode, weder die Nähe, die ein Selbstbildnis an dieser Stelle zu den Medici herstelle, noch die Art des Mantels sei einem Künstler des Quattrocento angemessen gewesen. Künstler hätten sich damals lediglich „bescheiden an untergeordneter Stelle“10 in Bilder eingefügt; als Beispiel hierfür führt er Benozzo Gozzolis Selbstbildnis im Zug der Könige an. Für Bode ist die Figur am linken Bildrand, die ein Schwert in Händen hält, Lorenzo de’ Medici. Als Entsprechung am rechten Bildrand hätte Bode Lorenzos Bruder Giuliano di Piero de’ Medici erwartet. Nachdem er Giuliano aber in einer anderen Figur in zweiter Reihe erkennen will, deutet er die in Gelb gekleidete Figur am Bildrand als ein anderes Mitglied der Medici oder einer befreundeten Familie.11

In seiner 1925 veröffentlichen Monografie zu Botticelli kritisiert Yashiro die Tendenz einiger Forscher, ihr Botticelli-Bild in dessen Figuren hineinzuprojizieren, also Selbstbildnisse dort zu sehen, wo sie gewünscht, aber nicht unbedingt belegbar sind. Er verteidigt Bodes fundierte Ablehnung des Selbstporträts in der Del-Lama-Anbetung zwar, nimmt aber auch hier eine differenziertere Position ein. Die physiognomischen Unterschiede zwischen der fraglichen Figur in der Del-Lama-Anbetung und dem Profilbildnis in der Brancacci-Kapelle seien etwa auch dadurch erklärbar, dass Botticellis Eigenwahrnehmung sich von der seines Schülers durchaus unterschieden haben könnte. Auch Bodes Argument der Unangemessenheit des Ortes lässt er so nicht gelten und betont die Bedeutung der Figur für die durchdachte Komposition. Yashiro hebt jedoch hervor, dass es sehr merkwürdig sei, dass Vasari offenbar von einem Selbstbildnis Botticellis nichts wusste, wo er sich doch in den Viten so eingehend mit gerade diesem Bild auseinandersetzte und auch die Porträts der Medici benannte.12

Benkard (1927) kommt in seiner weniger ausführlichen Auseinandersetzung zu einem ganz ähnlichen Schluss wie Yashiro: Keines der Selbstbildnisse Botticellis sei gesichert, generell sei die Frage „nur mit einem non liquet zu entscheiden.“ 13 Im Falle der Del-Lama-Anbetung spreche sowohl der Blick als auch das Alter für ein Selbstbildnis, die Platzierung im Bild nicht unbedingt dagegen.

Van Marle (1931) zitiert Ulmann, zeigt sich in Bezug auf das hier diskutierte Selbstbildnis ansonsten aber uninformiert, indem er lapidar konstatiert: „Then no one has ever denied that the last figure to the right, the one facing the spectator, is a portrait of Sandro Botticelli himself“14.

Mesnil (1938) sieht in der Del-Lama-Anbetung das einzige erwiesene Porträt Botticellis und führt als Argumente die Verortung und die Haltung, die aus dem notwendigen Spiegelblick resultiere, ins Treffen. Im Vergleich mit dem von Vasari vorgeschlagenen Porträt in der Brancacci-Kapelle falle lediglich die Haarfarbe als unähnlich auf, dieser Unterschied sei aber möglicherweise darauf zurückzuführen, dass Botticelli in der Del-Lama-Anbetung bestrebt war zu stilisieren und (die Farben) zu harmonisieren.15 Botticellis Blick interpretiert Mesnil als „pénétrant et pourtant doux“16, es sei in erster Linie er selbst, den er so – eben im Spiegel – beobachte. Wie später weitere Autoren bemerkt auch Mesnil, dass in der fraglichen Figur Züge und Charakteristika vereint sind, die Botticelli immer wieder für sein Bildpersonal verwendet. Er interpretiert dies dahingehend, dass der Maler seine Eigenheiten auch anderen verleihe und somit Leonardo da Vincis Diktum des „ogni pittore dipinge se“ bestätige. In diesem Zusammenhang stellt Mesnil auch die Beobachtung an, Botticelli gehe es (im Unterschied etwa zu seinem Konkurrenten Ghirlandaio) generell weniger um Porträtähnlichkeit als um den Charakter seiner Modelle – er habe aber auch verstanden, dass es sich manchmal (etwa in den Porträts der Medici) darum handele, einen öffentlichen bzw. repräsentativen oder gewünschten Charakter darzustellen.17

Ebenfalls für gegeben nimmt das Selbstbildnis Gasser (1961), dem die „herrische Pose“18 auffällt und der Botticelli unterstellt, sich wie der Stifter in einer Art berechnenden Hommage an die Seite der Medici gestellt zu haben. Er empfindet die Gesichtszüge Botticellis als einem „antiken Gott“19 gleich und wertet ganz ähnlich wie Mesnil die fein abgestimmten Farbtöne dieser Figur als Hinweis auf eine bewusste Idealisierung. Diese wiederum setzt er in Beziehung zum Umstand, dass im Bild „jeder“ etwas Anderes darstelle, als er in Wirklichkeit sei und schließt: „Ist es da nicht denkbar, daß auch der Künstler in der Maskierung dessen auftritt, der er gerne gewesen wäre?“20

Neumeyer [1964] äußert sich ausgewogen: Laut Vasari sah Botticelli anders aus als die hier diskutierte Figur, ihre Position und ihr Blick sprechen aber für ein Selbstbildnis. Insgesamt bleibe es ungewiss, ob sich Botticelli hier porträtiert hat.21

Diesen Aspekt thematisiert auch Pope-Hennessy (1966), kommt aber zu einem wieder anderen Ergebnis. Seiner Ansicht nach ist Botticelli stets interessiert am „kernel of the personality“22 bzw. am „image of the inner man“23, der „identity behind the mask“24. In der Del-Lama-Anbetung sei Botticellis Blick Ausdruck der besonderen Neugier, mit der er sein eigenes Gesicht im Spiegel studierte, und dieser wiederum ist nun auch der Betrachter ausgesetzt. Dabei übertrage Botticelli die Spontaneität des Spiegelblicks auf die Tafel und es wirke, als sei er nur kurz von der Szene abgelenkt worden.25

Als lediglich wahrscheinlich stuft Alazard (1968) Botticellis Selbstbildnis in der Del-Lama-Anbetung ein; er sieht aber eine starke Ähnlichkeit zum Bildnis in der Brancacci-Kapelle.26

Hatfield verfasste 1976 eine Monografie zur Del-Lama-Anbetung, in der er auf einigen Seiten auch das mögliche Selbstbildnis thematisiert.27 In Summe tendiert Hatfield dazu, in der Figur ein Selbstbildnis zu sehen, er bleibt jedoch bei vorsichtigen Formulierungen wie „probably correct“28. Dafür sprechen laut ihm die traditionellen Eigenschaften wie Platzierung, Blick und Haltung. Die Figur sei auch die einzige im Bild, die durch ihren Schub nach vorne die Illusion der Bildoberfläche in Frage stelle.29 Wie Bode ist er der Ansicht, Botticelli hätte sich anders darstellen müssen, wäre er über 30 Jahre alt gewesen, sieht hier aber aufgrund des Geburtsdatums, seiner Datierung des Gemäldes und des Abgleichs mit der Brancacci-Kapelle kein Problem. Vasari merkte an, es sei eindeutig erkennbar, wer dem Gefolge welches Königs angehöre.30 Hatfield nimmt diesen Ansatz auf und sieht eine „serpentine progression from patron to patron“31, also eine formale wie inhaltliche Kette. Deren Glieder sind der jüngste König Caspar (der für Hatfield kein Porträt ist), der hinter ihm aufrechtstehende junge Mann mit gesenktem Blick (nach Hatfield Lorenzo de’ Medici), der aus dem Bild blickende Mann mit grauem Haar (nach Hatfield der Stifter del Lama) und schließlich Botticelli selbst. Diese Verbindung könnte laut Hatfield ein Hinweis darauf sein, dass Botticelli daran gelegen war, durch seine Einfügung letztlich auch in der Gunst der Medici zu steigen.32

Auch bei Sleptzoff (1978) wird die grundsätzliche Problematik in Bezug auf mögliche (Selbst-)Bildnisse Botticellis wieder offenbar. Sie spricht sich in der Diskussion um die Porträts in der Brancacci-Kapelle dafür aus, Botticelli nicht in dem bei Vasari abgedruckten Profilbildnis, sondern, wenn überhaupt, in dem üblicherweise als „zweiten“ Filippino interpretierten Gesicht zu sehen (gemeint ist die Figur links neben dem Profilbildnis, die aus dem Bild blickt, siehe den Katalogeintrag zu Petrus und Paulus vor Nero im Disput mit Simon Magus und Kreuzigung Petri). Dieses habe, so Sleptzoff, wenigstens den Vorteil „of some resemblance to the alleged self-portrait of Botticelli“33 in der Del-Lama-Anbetung. Die Autorin verweist hier aber offen auf die „futility of this kind of established but unsupported identifications“34. Nichtsdestoweniger erkennt sie an, dass die in Gelb gekleidete Figur im Anbetungsbild mit den üblichen Zeichen eines Selbstbildnisses ausgestattet ist und geht außerdem auf die große Empfindsamkeit ein, mit der Botticelli deren Gesicht gestaltet hat. Der Einsatz des Lichts insbesondere führe zu einer fast spirituellen Qualität – „as if the soul were appearing behind the fleshy envelope“35.

Als die Del-Lama-Anbetung in den Jahren 1980/81 restauriert wurde, konnten dabei ca. zwei Zentimeter Bildfläche am rechten Rand zurückgewonnen werden, die bislang abgedeckt gewesen waren.36 Obwohl es sich im Verhältnis zur gesamten Bildfläche nur um einen schmalen Streifen handelt, nahm Baldini (1984) daraufhin eine Neubewertung des Bildes und insbesondere des Selbstbildnisses vor. Auch nach dieser Restaurierung bleibt der gelbe Mantel am äußersten Rand der Tafel beschnitten, dennoch, so Baldini, werde die Szene nun viel stärker in der Weite der Welt verankert. Hier platziert – zum Bildinneren gedreht, zum Betrachter gewandt, an der Schnittstelle zur Landschaft – nehme Botticelli die Funktion eines Angelpunktes ein, er trete als Autor, Akteur und Regisseur auf und lade den Betrachter in die Bildwelt ein, die er selbst geschaffen hat.37

Bonafoux (1985) fällt auf, dass der für Unsterblichkeit stehende und den bösen Blick bannende Pfau direkt oberhalb des Selbstbildnisses Botticellis positioniert ist – gewiss wolle der Maler so auf die Unsterblichkeit der Seele verweisen, möglicherweise auch auf die seines Werkes. Der Autor sieht das Selbstbildnis als eine Signatur und als Ausdruck der Verbundenheit des Malers mit den ebenfalls im Bild porträtierten Medici. Abschließend fragt Bonafoux, ob es möglich wäre, die dargestellte Epiphanie auch auf eine Erscheinung des Malers im Bild zu beziehen.38

Lightbown (1989) beschreibt die fragliche Figur als durch die Farbe des Mantels und den „bezwingenden Blick, der durch die verächtlich gekräuselte Oberlippe besonders hervortritt“39, als besonders hervorgehoben. Er räumt darauf aufbauend die Möglichkeit ein, in der Figur sei mehr als ein bloßer Vermittler zu sehen – eben ein Selbstbildnis Botticellis.

Caneva (1990) befasst sich in ihrem Katalog zu Botticelli nur am Rande mit dem möglichen Selbstbildnis, das sie als allgemein anerkannt bezeichnet.40 Sie setzt sich mit der Beschreibung Botticellis durch Vasari auseinander und versucht u. a., die von Vasari behaupteten Charaktereigenschaften des Malers mit dem Eindruck, den die Figur in der Del-Lama-Anbetung macht, zu vergleichen.41

Duwe (1992) behandelt die Del-Lama-Anbetung im Rahmen seiner Studie zu Dreikönigsbildern des Tre- und Quattrocento. Ihm fällt bei Botticellis Selbstbildnis, das ihm als gesichert gilt, insbesondere das Selbstbewusstsein auf, mit dem sich der Künstler „in die Idealtracht einer Tunika gekleidet“ quasi ebenbürtig dem gegenüberstehenden Lorenzo il Magnifico positioniert und den Betrachter mit „geradezu herausforderndem Blick“ anschaut. In einer Reihe mit den zuvor behandelten Dreikönigsbildern zeige sich hier „auch die veränderte Stellung des Künstlers in der damaligen Gesellschaft“.42

Schweikhart (1993) schreibt, in der in Gelb gekleideten Figur werde „meist“ ein Selbstbildnis gesehen. Wie Duwe empfindet er den Blick als „herausfordernd[…]“ und sieht zwar die Verortung im Bild als konventionell an, hebt jedoch die Bildwirkung der Figur hervor, die sie dem höherrangigen Personal des Bildes ebenbürtig mache, was „auf den erwünschten oder erreichten Status des Künstlers“ hinweise. Schweikhart zieht zum hier diskutierten Selbstbildnis eine Entwicklungslinie vom Selbstbildnis Fra Filippo Lippis in der Marienkrönung, wo sich der Künstler ebenfalls nicht am Geschehen beteiligt zeigte, sich aber noch nicht in Ganzfigur darstellte.43

In ihrer gemeinsamen Publikation zur Malerei als Thema der Malerei (1994) erwähnen Asemissen und Schweikhart das hier behandelte Selbstbildnis als ein mit Zweifeln belegtes lediglich in einer Fußnote als Vergleich zu Filippino Lippis Selbstbildnis am rechten Bildrand in der Brancacci-Kapelle.44

Marin (1995) interpretiert die Positionierung Botticellis als zweideutig – er komme im Gefolge der drei Könige zwar an letzter Stelle, im Bild aber an erster. Das Selbstbildnis des Malers stellt er nicht in Frage und setzt es in Beziehung zum darüber befindlichen Pfau, den er als Symbol der Unsterblichkeit versteht. Durch die Verbindung von Selbstbildnis und Pfau sei nun ein Streben nach einer zweifachen Unsterblichkeit gegeben, „that of his work and that of the painter, its creator“.45

Im Zentrum von Arasses’ (1996) Interesse steht nicht primär Botticellis Selbstbildnis, sondern das Detail eines Flecks rechts neben bzw. hinter der Schulter der Figur, den er im Rahmen seiner Ausführungen zu lokalen Opazitäten („Opacités locales“) beispielhaft behandelt. Dieser Fleck stellt aus der Ferne betrachtet einen Baum in der Landschaft dar, aus der Nähe gesehen jedoch zerfällt er zu „nichts“. Arasse hält es für keinen Zufall, dass Botticelli diesen Fleck neben seinem Selbstbildnis am Rand des Bildes anbrachte und bezeichnet ihn als „paradoxe locale de la représentation, une faille dans son dispositif de transparence, un double troublant de la signature transparente de l’autoportrait.“46

Leichte Zweifel am Selbstbildnis Botticellis in der Del-Lama-Anbetung meldet erneut Woods-Marsden (1998) mit der Formulierung „is said to“47 an. Wie Bode kontrastiert sie Botticellis Position im Bild mit jener im früheren Bild Benozzo Gozzolis; am Unterschied lasse sich ablesen, in den wenigen Jahren „the pictorial relationship between artist and patron underwent a significant shift in consciousness“48. Überdies trage Botticelli hier einen Haarschnitt, der sich an jenen der Figur links im Vordergrund anlehnt.49

Ames-Lewis (2000) greift wieder die Idee auf, Botticelli könnte sich in der Figur, die üblicherweise als Selbstbildnis gelte, selbst dargestellt haben, weil er – wie der Stifter Del Lama – auf ein Mäzenatentum der Medici spekulierte. Er beschreibt die Wendung der Figur in zwei Richtungen, zum einen zum Betrachter, zum anderen zum Geschehen. Im Übrigen betont Ames-Lewis, dass Botticelli offenbar daran liege, die Aufmerksamkeit etwa durch die farbliche Absetzung auf sich zu ziehen, und dass ihm dies auch gelinge, indem er sich bewusst zur Figur gegenüber in Kontrast zu setzen scheine. Der soziale Stand erlaube dieser Figur zwar andere Kleidung und das Führen eines Schwertes, Botticelli scheine im Vergleich aber dennoch mehr Platz einzunehmen und eine solidere Präsenz darzustellen. Insbesondere in Bezug auf die Wendung des Kopfes und auf den Blick konstatiert Ames-Lewis, der Maler zeige sich „confidently in control of his art“.50

Bei Santi (2001) wird das Selbstbildnis Botticellis in der Del-Lama-Anbetung als Fakt präsentiert. Er erkennt den melancholischen Gesichtsausdruck, den er als charakteristisch für die Figuren Botticellis beschreibt, vermischt mit Stolz auch im Selbstbildnis.51

Schmid (2002) fallen am durch ihn nicht angezweifelten Selbstbildnis die leichte Isolation und Loslösung von der Bilderzählung durch die Wendung zum Betrachter auf. Zur Dreiergruppe links bilde Botticelli „durchaus zurückhaltend […] das Gegengewicht“. Die Figur am linken Rand wurde in der Literatur bereits öfter als kompositioneller Gegenspieler angesprochen; Schmid bemerkt hierzu: „Sollte die Figur mit dem Schwert tatsächlich Lorenzo oder Giuliano de’ Medici sein, so bliebe derselbe Vorgang einer Aufwertung festzustellen, der ein Jahrzehnt später in Ghirlandaios Vertreibung Joachims mit stärkerem Nachdruck und lange unübertroffen vorgetragen werden sollte“.52

Für Paolucci (2004) bestehen keine Zweifel, dass sich Botticelli in der hier diskutierten Figur sehr auffällig, jedoch abgesetzt von den übrigen Figuren und dem Geschehen, selbst dargestellt hat. Den Auftraggeber Del Lama sieht Paolucci wie die meisten anderen Autoren im grauhaarigen Mann rechts hinten porträtiert; Del Lama zeigt Paolucci zufolge auf Botticelli. Paolucci nimmt als gesichert an, dass Botticelli bereits vor dem Auftrag für die Del-Lama-Anbetung ein Maler mit engen Verbindungen zu den Medici war. Das Bild habe nur unter der Bedingung gemalt und am prominenten Ort in Santa Maria Novella aufgestellt werden können, dass im Vorhinein abgeklärt wurde, ob die Medici mit der Darstellung von Familienmitgliedern als Könige, mit Botticelli als Maler und mit dessen gewagter Einfügung des Selbstbildnisses einverstanden sein würden. Als Beweggründe für Botticelli, sein Selbstporträt zu integrieren, nennt Paolucci die Werbewirksamkeit des Auftrags.53

In den Jahren 2005 und 2006 erschienen zwei große Monografien zu Botticellis Werk, deren Autoren (Zöllner und Körner) in Bezug auf das mögliche Selbstbildnis in der Del-Lama-Anbetung unterschiedliche Ansichten äußern. Zöllner (2005) behandelt die Frage eher am Rande und schreibt, „das vermeintliche oder wirkliche Selbstporträt“ weise den von Botticelli favorisierten Gesichtstyp auf, „den er sowohl für anonyme Figuren verwandte als auch für identifizierbare Porträts“. Dieser Typus komme aber beim möglichen Selbstporträt am deutlichsten zur Geltung.54

Körner (2006) steht einer Identifizierung der diskutierten Figur als Selbstbildnis positiv gegenüber (er wertet den Blick zum Betrachter als Pro-Argument) und erkennt einen Zusammenhang zu einer Zeichnung im Palais des Beaux-Arts in Lille,55 wobei er nicht entscheidet, ob diese eigenhändig ist oder von einem anderen Künstler stammt. In dieser werde ein „eher noch unvorteilhafteres Bild des Künstlers vermittelt“, das aber im Profilbildnis aus Filippino Lippis Hand in der Brancacci-Kapelle wiederbegegne.56

Rejaie (2006) macht zunächst auf die zwar periphere, dabei aber ungewöhnlich auffallende Platzierung und Erscheinung der Figur aufmerksam – sie stehe zwar am weitesten von der Heiligen Familie entfernt, sei aber u. a. durch Vereinzelung und Nähe zum Betrachter hervorgehoben. Diese prominente Inszenierung sei in der Forschung auch Grund gewesen, das Selbstbildnis abzulehnen. Rejaie geht jedoch davon aus, dass Botticelli sich tatsächlich in der rechten Randfigur porträtiert hat. Ghirlandaio habe später vergleichbar selbstbewusste Selbstbildnisse geschaffen und es sei denkbar, dass er sich dabei an der hier diskutierten Figur ein Vorbild genommen habe. Als weiteres Indiz wertet er den konzentrierten Blick, der bei Selbstbildnissen auf den notwendigen Blick in den Spiegel zurückgeführt werde, sowie die daraus resultierende Tatsache, dass die Figur dadurch „more self-aware“ als die übrigen Figuren erscheine, also ein höheres Maß an Bewusstsein ihrer selbst zeige. Rajaie zufolge war Botticelli vor der Del-Lama-Anbetung kein von den Medici favorisierter Maler. Künstler und Stifter dürften daher mit der Inkludierung ihrer Porträts im Kreise der Medici im Gemälde versucht haben, die wohlwollende Aufmerksamkeit der Herrscherfamilie auf sich zu ziehen. Überdies zeigt Rejaie eine historische Parallele zum Künstlerselbstbildnis im Kontext eines Familiengrabs auf: Cicero berichte, der Mäzen Scipio Africanus habe die Büste des Schriftstellers Ennius in das Grabmal seiner Familie aufgenommen. Rejaie mutmaßt, dass diese Parallele gebildeten Florentinern bekannt gewesen und von Botticelli und Del Lama bewusst eingesetzt worden sein könnte.57

Cumming (2009) konzentriert sich in ihrer Analyse des hier diskutierten Selbstbildnisses auf Botticellis Augen und seinen intensiven Blick, den sie als ausschlaggebend für die Identifizierung als Selbstbildnis erachtet. Sie schreibt, dass der abseitsstehende Maler durch seine Wendung zum Betrachter die zeitliche Wahrnehmung ändert und das biblische Geschehen aktualisiert und dessen immerwährende Bedeutung betont. Der Betrachter wird dabei direkt angesprochen und mit dem herausfordernden Blick zu seiner eigenen Frömmigkeit befragt – mit seinem Blick aus dem Bild intensiviert Botticelli die Bedeutung des Bildes insgesamt.58

In seinem Einführungsaufsatz in das Werk Botticellis im Katalog zur Ausstellung im Frankfurter Städel Museum fasst Schumacher (2009) in der Literatur bereits mehrfach geäußerte Meinungen zusammen. Dabei erwähnt er den Eindruck von Stolz, den die Figur erweckt, sowie ihr leichtes Abrücken von den übrigen Personen und den „ernsthaft fordernden Blick“59 auf den Betrachter. Die Darstellungsart entspreche der „gängige[n] Praxis“60; motiviert könnte das Selbstbildnis durch eine Möglichkeit der Werbung und der damit verbundenen Hoffnung auf Aufträge aus dem Hause Medici sein.61 Auch er erkennt die ins Auge fallenden Gesichtszüge des Selbstbildnisses in anderen Männerfiguren Botticellis wieder und bringt diese Beobachtung in Zusammenhang mit Leonardo da Vincis bereits zitierter Aussage, dass jeder Maler sich selbst male.62

Rehm (2009) betont in seiner Biografie Botticellis die schwierige Quellenlage zum Leben des Malers sowie die auf Vasari zurückgehende verzerrte Wahrnehmung von dessen Charakter und widmet sich auch dem möglichen Selbstbildnis, das für ihn der „klassische Fall einer Vermittlerfigur“63 ist. Nachdem sich das Selbstbildnis für Rehm weder verifizieren noch falsifizieren lässt – auch nicht durch einen Abgleich mit dem Profilbildnis in der Brancacci-Kapelle – schließt er sich der „non-liquet“-Fraktion an.64

Dombrowski widmete sich in mehreren Publikationen ausführlich dem möglichen Selbstbildnis Botticellis in der Del-Lama-Anbetung und seiner Interpretation: 2010 in seiner Monografie zu den religiösen Gemälden Botticellis,65 im selben Jahr in der Einleitung66 und in den Kommentaren zur Vasari-Edition im Verlag Wagenbach67 sowie einem weiteren Band in demselben Verlag68 und zudem in einem Aufsatz69, der bereits um das Jahr 2005 in einer Rohfassung vorlag,70 jedoch erst 201371 veröffentlicht wurde. Dombrowski vergleicht das mögliche Selbstbildnis mit Vermittlerfiguren zwischen Realität und Dargestellten, wie sie etwa Heilige im Bildtypus der Sacra Conversazione waren oder der Spielleiter in einer Florentiner Sacra rappresentazione.72 Die Deutung des Autors geht darüber jedoch hinaus, denn er schreibt, der Künstler habe „sich nicht ohne Grund in prominenter Position dargestellt, so herablassend-selbstbewußt, wie es jenem neuen Künstlertyp angemessen war, zu dessen frühesten Repräsentanten er gehörte.“ 73 Dombrowski zeigt verschiedene Aspekte auf, die auf die Möglichkeit hinweisen, dass Botticelli in der Del-Lama-Anbetung insbesondere über sein Selbstbildnis „die Kunst […] zu einer Art visueller Philosophie werden“74 ließ. Einer dieser Aspekte ist das Licht bzw. die Farbigkeit. In der Forschung vielfach betont wurde die Tatsache, dass Botticelli die für die Figur am rechten Rand fein aufeinander abgestimmten Gelbtöne verwendete, wodurch sich die Figur vom übrigen Bild abzulösen scheint. Dombrowski setzt diesen Umstand in Zusammenhang mit dem „göttlichen Licht[…]“ (es ergießt sich im Bild strahlenförmig über die Hl. Familie bzw. über das Jesuskind) und stellt die Frage, ob damit „ein Hinweis auf die Analogie von Künstler und göttlichem Schöpfer“75 gemeint sein könne. Besondere Aufmerksamkeit schenkt der Autor dem Umstand, dass Botticelli die Hände des möglichen Selbstbildnisses verbirgt. Dieses nahezu „ostentative[…] Verbergen der Hand“ fällt Dombrowski auch bei einer Figur neben dem Selbstbildnis Filippo Lippis im Dom von Spoleto auf, das er u. a. aus diesem Grund als mögliches früheres Selbstbildnis Botticellis anspricht.76 Die Bedeutung dieses Motivs sieht Dombrowski darin, dass „der immateriellen idea des Künstlers ebensoviel Aufmerksamkeit gebührt wie ihrer materiellen Konkretisierung“.77 Der Maler könnte also bewusst sein ureigenstes Arbeitswerkzeug verborgen, „sich selbst als ‚Maler ohne Hände‘“ dargestellt haben, um deutlich zu machen „dass seine Malerei auf geistigen Prinzipien beruht“.78 In seinem Aufsatz von 201379 setzt Dombrowski diese Überlegungen in Beziehung zur neuplatonischen Philosophie etwa Marsilio Ficinos, zu zeitgenössischen Überlegungen zur Hand des Künstlers und rückt den eruierten Kunst- bzw. Künstlerbegriff Botticellis in die Nähe von jenem Leonardo da Vincis80 – weg von einem Handwerker und hin zu einem geistigen Arbeiter. Vasari liege daher mit seiner Beobachtung, Botticelli sei es mit der Del-Lama-Anbetung gelungen, „die Vollendung seiner Meisterschaft vor Augen zu führen“,81 richtig.82

Hille (2015) setzt sich mit aus dem Bild blickenden Figuren in Drei-Königs-Darstellungen des Quattrocento in Florenz vor dem Hintergrund der Dreikönigsumzüge einerseits und der Abhandlungen des Augustinus über den Blick in De doctrina christiana andererseits auseinander. Während aus dem Bild Blickende im Allgemeinen dazu verwendet wurden, eine Beziehung zwischen dem Betrachter und der Bildkomposition herzustellen, werde das System in den Florentiner Bildern insofern verkompliziert, als sich die Betrachter an das reale Spektakel der Festa de’ Magi erinnert fühlten. Das Selbstbildnis Botticellis in der Del-Lama-Anbetung ist für die Autorin eines der prominentesten Beispiele – es scheint den Betrachter aufzufordern, ihm in die Szene zu folgen, wie sie zu Beginn ihres Textes meint. Diese Figur – viel mehr aber noch der Page im Londoner Tondo – lasse sich als Ausdruck der Überzeugungen des Malers hinsichtlich der Aufmerksamkeit, die Betrachter dem Bildraum schenken sollten, lesen.83

Für Schumacher (2018) ist Botticellis Selbstbildnis in der Del-Lama-Anbetung „zwar nicht letztgültig beweisbar, aber naheliegend“.84 Der Autor interpretiert die Einfügung des Künstlers als eine bewusste Demonstration seines künstlerischen Vermögens an einem vielbesuchten Ort, die ihm unter den zahlreichen konkurrierenden Malern von Florenz einen Vorteil verschaffen sollte. Schumacher verweist auch auf die verborgenen Hände der Figur und interpretiert sie im Sinne Dombrowskis als Hinweis auf den Maler als „geistiger Schöpfer sowie Mittler zwischen realer und gemalter Welt“.85

Verweise

  1. Die Forschung ist hier fast einstimmig der Ansicht, dass Vasaris Identifizierungen für den ältesten und den jüngsten König stimmen, sieht jedoch im mittleren König überwiegend Piero il Gottoso statt Giuliano.↩︎

  2. Vgl. etwa Vasari/Lorini/Dombrowski 2010, 25–28.↩︎

  3. Ulmann 1893, 59; nicht überprüft wurde, ob Ulmann diese Zuschreibung möglicherweise bereits in seiner Dissertation zu „Fra Filippo Lippi und Fra Diamante als Lehrer Sandro Botticellis“ (1890, Universität Breslau) vornahm.↩︎

  4. Steinmann 1903, 62–64.↩︎

  5. Steinmann 1901, 506 (Anm. 1).↩︎

  6. Gebhart 1907, 151f.↩︎

  7. Horne 1908, 42.↩︎

  8. Konody 1908, 47f.↩︎

  9. Bode 1926, 138, Anmerkung zu S. 21–23.↩︎

  10. Bode 1921, 55.↩︎

  11. Bode 1921, 55f.↩︎

  12. Yashiro 1925, 167f.↩︎

  13. Benkard 1927, 9.↩︎

  14. Marle 1931, 69.↩︎

  15. Mesnil 1938, 39–40 (Anm. 34).↩︎

  16. Ebd., 40.↩︎

  17. Ebd., 48.↩︎

  18. Gasser 1961, 36.↩︎

  19. Ebd., 39.↩︎

  20. Ebd. Zur Rolle der masquerate im Florenz des Lorenzo de’ Medici siehe Dempsey 1999, zur Del-Lama-Anbetung insbesondere 21.↩︎

  21. Neumeyer 1964, 47.↩︎

  22. Pope-Hennessy 1966, 30.↩︎

  23. Ebd.↩︎

  24. Ebd., 32.↩︎

  25. Ebd., 30–32.↩︎

  26. Alazard 1968, 33 (Anm. 3).↩︎

  27. Hatfield 1976, 31f, 100.↩︎

  28. Ebd., 31.↩︎

  29. Ebd., 100: „This figure’s body is, with its forward thrust, the only in the painting which illusionistically challenges its imaginary surface“.↩︎

  30. Vasari/Lorini/Dombrowski 2010, 28.↩︎

  31. Hatfield 1976, 100.↩︎

  32. Hatfield 1976, 75 (Anm. 27), 87, 100.↩︎

  33. Sleptzoff 1978, 114.↩︎

  34. Ebd.↩︎

  35. Ebd., 131.↩︎

  36. Baldini 1984, 16.↩︎

  37. Ebd., 22–25.↩︎

  38. Bonafoux 1985, 25.↩︎

  39. Lightbown 1989, 69.↩︎

  40. Caneva 1990, 54.↩︎

  41. Caneva 1990, 17f.↩︎

  42. Duwe 1992, 169, 172.↩︎

  43. Schweikhart 1993, 16.↩︎

  44. Asemissen/Schweikhart 1994, 75 (Anm. 22).↩︎

  45. Marin 1995, 209; der vollständige Satz lautet: „In capturing his face and gaze, in accompanying his figure with the symbolic bird, Botticelli's representation of himself strains towards a twofold immortality, that of his work and that of the painter, its creator“.↩︎

  46. Arasse 1996, 280.↩︎

  47. Woods-Marsden 1998, 48.↩︎

  48. Woods-Marsden 1998, 48.↩︎

  49. Ebd., 48–50; mit Hatfield identifiziert Woods-Marsden diese Person mit Schwert als Giuliano de' Medici.↩︎

  50. Ames-Lewis 2000, 231.↩︎

  51. Santi 2001, 100, 107.↩︎

  52. Schmid 2002, 117.↩︎

  53. Paolucci 2004, 72.↩︎

  54. Zöllner 2005, 49f.↩︎

  55. Sandro Botticelli (?), Selbstbildnis (?), 1470er Jahre, Lille, Palais des Beaux-Arts (Angabe der Daten zur Grafik nach Körner 2006, 11). Die Ähnlichkeit des möglichen Selbstbildnisses in der Del-Lama-Anbetung zu einer Silberstiftzeichnung im Musée Wicar (Nr. 80) in Lille fiel bereits Ulmann auf. Er dürfte dieselbe Grafik meinen wie Körner, sieht als Urheber jedoch nicht Botticelli, sondern einen Künstler aus dem Umkreis Filippino Lippis (Ulmann 1890, 59).↩︎

  56. Körner 2006, 11.↩︎

  57. Rejaie 2006, 150–162, 228.↩︎

  58. Cumming 2009, 24–26.↩︎

  59. Schumacher 2009, 15.↩︎

  60. Schumacher 2009, 15.↩︎

  61. Ebd., 16.↩︎

  62. Ebd., 28.↩︎

  63. Rehm 2009, 57.↩︎

  64. Ebd., 57f.↩︎

  65. Dombrowski 2010b.↩︎

  66. Dombrowski 2010c.↩︎

  67. Vasari/Lorini/Dombrowski 2010.↩︎

  68. Dombrowski 2010a.↩︎

  69. Dombrowski [ca. 2005].↩︎

  70. Freundliche Mitteilung Damian Dombrowskis in einem E-Mail, 15.02.2021.↩︎

  71. Dombrowski 2013.↩︎

  72. Dombrowski 2010a, 31.↩︎

  73. Dombrowski 2010c, 17.↩︎

  74. Dombrowski 2013, 69.↩︎

  75. Ebd., 86.↩︎

  76. Dombrowski 2013, 73f.↩︎

  77. Vasari/Lorini/Dombrowski 2010, 103 (Anm. 31).↩︎

  78. Dombrowski 2013, 84.↩︎

  79. Bzw. auch bereits im Manuskript von ca. 2005, das aber unpubliziert blieb.↩︎

  80. Dombrowski 2013, passim.↩︎

  81. Vasari/Lorini/Dombrowski 2010, 28; bzw. im Originalton: „far conoscere la perfezione del suo magisterio“ (Vasari (hg. von Milanesi 1878), 316).↩︎

  82. Dombrowski 2010b, 309 schreibt außerdem, die Figur des hl. Eligius in der Pala di San Marco (um 1490–93, Florenz, Uffizien), könnte aufgrund ihrer Vermittlungsfunktion für das Bild und ihrer Eigenschaft als Patron der Goldschmiede (Botticelli machte möglicherweise zunächst eine Goldschmiede-Lehre) wie das Selbstbildnis in der Del-Lama-Anbetung einen „Verweis auf die vermittelnde Macht der Malerei“ darstellen.↩︎

  83. Hille 2015, 267, 271.↩︎

  84. Schumacher 2018a, 20.↩︎

  85. Schumacher 2018b, 250.↩︎

Bildnis 2

Bildrechte
Lokalisierung im Objekt:ca. dritte Figur von links bzw. erste Figur von links in der hinteren Figurenreihe
Ausführung Körper:Schulterstück
Ausführung Kopf:Dreiviertelporträt
Ikonografischer Kontext:Assistenzfigur im Zug der Könige
Blick/Mimik:direkter Blick aus dem Bild
Körperhaltung:stehend annähernd parallel zur Bildoberfläche nach rechts (Bildmitte) ausgerichtet, etwas nach außen gedreht; Kopf leicht zurückgeworfen und zum Betrachter gedreht (Schulterblick)
Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal:die Figur befindet sich am linken Rand der hier dicht gedrängten Figurengruppe um die Hl. Familie; direkt links von ihr ist ein Bruch in der Raumkontinuität, sodass unmittelbar neben ihrem Kopf (Hirten?-)Figuren zu sehen sind, deren Größe in etwa der Länge des Gesichts der Figur entspricht; die Figur blickt als einzige in der linken Bildhälfte aus dem Bild; sie tritt mittels Blick in Interaktion mit dem Betrachter
Zugeordnete Bildprotagonisten:möglicherweise Teil des Gefolges des ältesten Königs

Forschungsergebnis: Botticelli, Sandro

Künstler des Bildnisses:Botticelli, Sandro
Status:Einzelmeinung
Status Anmerkungen:Der erstidentifizierende Autor (Hatfield) stuft den Vorschlag selbst als sehr unwahrscheinlich ein und macht nur der Vollständigkeit halber auf die Möglichkeit aufmerksam.
Andere Identifikationsvorschläge:Stifter Guaspare Del Lama von Horne (widerlegt); Familienmitglied Guaspare del Lamas
Typ Autor/in Jahr Referenz Seite Anmerkungen
Erstzuschreibung Hatfield 1976 Hatfield 1976 – Botticelli's Uffizi Adoration 100 (Anm. 112) -

Horne schlägt vor, dass es sich bei der Figur um den Stifter Guaspare Del Lama handelt.1 Diese Identifizierung gilt seit Bekanntwerden des Geburtsjahres des Stifters als widerlegt. Körner gibt an, es könne sich um ein Familienmitglied Guaspare del Lamas handeln.2

Hatfield erwähnt im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit dem möglichen Selbstbildnis in Gelb am rechten Bildrand, dass es theoretisch möglich – wenngleich sehr unwahrscheinlich – wäre, dass Botticelli sich stattdessen in der dunkelhaarigen Figur links, die ebenfalls aus dem Bild blickt, porträtiert hat.3 In dieser Figur wurde teils das Porträt des Stifters vermutet,4 da aber seit Mesnil das Geburtsjahr del Lamas (um 1411) bekannt ist,5 wird dieser überwiegend in der älteren Person rechts gesehen, deren Zeigegestus im Übrigen unterschiedlich interpretiert wird (etwa als auf sich selbst6 bzw. auf seinen Nachbarn,7 den Betrachter,8 oder gar auf das vermutete Selbstbildnis in der rechten Randfigur9 verweisend). Hatfields Vorschlag scheint in der Forschung in der Folge nicht aufgegriffen worden zu sein; andere Identifizierungsvorschläge für diese Figur liegen vor, teils werden sie schon von Hatfield erwähnt, Konsens besteht jedoch keiner.10

An dieser Stelle soll versucht werden, Licht in eine offenbar etwas missverständliche Passage bei Horne zu bringen. Wie eben erwähnt schreibt Horne, die links aus dem Bild blickende Figur könnte der Stifter sein.11 Auf derselben Seite verleiht er seiner Überzeugung Ausdruck, dass in der darunter befindlichen Dreiergruppe keine Porträts zu sehen sind, und widerspricht damit Ulmann (der hier Lorenzo il Magnifico und Angelo Poliziano vorschlägt; im dritten Mann mit Reisehut sieht Ulmann einen Unbekannten, der bei Botticelli aber mehr als einmal auftauche12). Dies wird von Bode und Sleptzoff folgendermaßen rezipiert:13 Bode gibt an, Horne sehe den Stifter im Mann mit dem Schwert ganz links14 und Sleptzoff schreibt, Horne sehe in diesem Mann mit Schwert das Selbstbildnis des Künstlers.15 Da diese Erwähnung eines Selbstbildnisses höchstwahrscheinlich auf einer irrtümlichen Auslegung beruht, wurde ihr hier nicht weiter nachgegangen.

Verweise

  1. Horne 1908, 42.↩︎

  2. Körner 2006, 64.↩︎

  3. Hatfield 1976, 100 (Anm. 112).↩︎

  4. Horne 1908, 42.↩︎

  5. Mesnil 1903, 94 zit. n. Hatfield 1976, 98.↩︎

  6. Mesnil 1938, 46.↩︎

  7. Lightbown 1989, 66.↩︎

  8. Deimling 2005, 22.↩︎

  9. Paolucci 2004, 72.↩︎

  10. Körner 2006, 64 meint etwa, es könne sich aufgrund der Ähnlichkeit um ein Familienmitglied des Stifters handeln.↩︎

  11. Horne 1908, 42.↩︎

  12. Ulmann 1893, 60.↩︎

  13. Bode verzeichnet in seiner Bibliografie eine Ausgabe von Hornes Monografie aus dem Jahr 1906, diese scheint jedoch erst 1908 erstmals erschienen zu sein. Eine Ausgabe von 1906 konnte im Zuge der Recherchen jedenfalls weder gefunden noch eingesehen werden. Auf eine konkrete Seitenzahl bezieht er sich ebenso wenig wie Sleptzoff, die die bekannte Ausgabe Hornes von 1908 zitiert. Dass Horne sich an anderer Stelle im Sinne Bodes bzw. Sleptzoffs geäußert hat, kann nicht ausgeschlossen werden, scheint aber unwahrscheinlich.↩︎

  14. Bode 1921, 54.↩︎

  15. Sleptzoff 1978, 131 (Anm. 115).↩︎

Vermittlerfigur und Projektionsfläche: Der stolze Unbekannte in Gelb

Botticellis Anbetung der Könige in den Uffizien1 – zur Unterscheidung von anderen Königsanbetungen des Malers häufig Del-Lama-Anbetung genannt – wurde vom Bankier Guaspare del Lama ca. 1475 für seine Kapelle in Sta. Maria Novella in Florenz in Auftrag gegeben. Seit Vasari gilt als gesichert, dass Botticelli Porträts von Angehörigen der Familie Medici in die Darstellung integrierte (s. o.). Tatsächlich dürfte der Stifter mit der Einfügung von Medici-Porträts eine Hommage an diese Familie intendiert haben, woraus sich die Wahl des Künstlers und des Themas erklären ließe, denn Botticelli galt zur Entstehungszeit als bevorzugter Maler der Medici und diese wiederum waren eng verbunden mit dem Florentiner Drei-Königs-Kult. Ein weiterer Anreiz dürfte die Namensgleichheit des Stifters mit einem der Könige (Guaspare – Caspar) gewesen sein.2

Den – ohne jeden Zweifel vorgetragenen – ersten Hinweis auf das mögliche Selbstbildnis Botticellis in der Del-Lama-Anbetung lieferte wie erwähnt Ulmann 1893.3 Der Autor stellte weitere Selbstbildnisse (im Londoner Tondo sowie in den Versuchungen Christi) zur Diskussion, der weitaus prominenteste Vorschlag blieb jedoch der hier diskutierte. „Botticellis“ Antlitz ziert bis heute Ausstellungskataloge und die Forschung tendiert dazu, Ulmann zuzustimmen, wenngleich häufig auf den ungesicherten Status verwiesen wird. Aus streng wissenschaftlicher Perspektive kann nur jenen Recht gegeben werden, die sich auf ein „non liquet“ zurückziehen, denn so viel auch für ein Selbstbildnis sprechen mag, so ungewiss präsentiert sich eben die Gesamtsituation.

Wie schwer es fällt, die wissenschaftliche Bodenhaftung nicht zu verlieren, wird etwa durch die teils konträren Sichtweisen auf Botticellis Ausformulierung des Männerkopfes deutlich: Während die einen ein Vordringen hinter die Maske zum Kern der Persönlichkeit wahrnehmen,4 wird für andere gerade eine (idealisierte) Maske dargestellt (s. o.).5 Mehrfach wird in der Literatur auf Botticellis Neigung zu Typen in Porträtdarstellungen (etwa im Unterschied zu Domenico Ghirlandaio) hingewiesen und Hatfield stellt gar fest: „Strictly speaking, there are no likenesses in Botticelli’s painting. There are only types.“6

Darin könnte auch ein Grund dafür gesehen werden, dass weder der Vergleich mit dem von Vasari verwendeten Bildnis Botticellis aus der Brancacci-Kapelle noch mit anderen vorgeschlagenen Selbstbildnissen des Malers eine Entscheidung für oder gegen eine Einfügung Botticellis in die Del-Lama-Anbetung erlaubt. Abseits des heikel erscheinenden Vergleichs der Physiognomien fällt auf, dass die fraglichen Figuren sich in ihrer Haarfarbe unterscheiden, wobei das Spektrum von rötlich-blond bis dunkelbraun reicht. Dieses Problem tritt etwa auch bei den Selbstbildnissen Luca Signorellis auf. Dass die Haarfarbe in poetischen Kontexten anders als in der Wirklichkeit beschrieben werden konnte, erwähnt Hatfield, der darauf hinweist, dass Angelo Poliziano den dunkelhaarigen Giuliano de’ Medici in seinen Stanze „in accordance with romantic convention“7 als blond beschreibt. Immer wieder betont wird in der Literatur auch das offenkundige Bestreben Botticellis, bei der Figur am rechten Rand der Del-Lama-Anbetung die Farben zu harmonisieren.8 Dunkle Haare hätten das Konzept sicherlich gestört – wobei natürlich auch die Frage gestellt werden kann, weswegen Botticelli die real existierende Haarfarbe der im Bild frei wählbaren Farbe der Kleidung angepasst haben sollte.9

Durch die farbliche Einheitlichkeit, die feine Abstimmung verschiedener Töne von Ockergelb in dieser Randfigur, erreicht Botticelli einen ambivalenten Eindruck – das monochrome Understatement lässt die Figur monumental erscheinen und fängt in Kombination mit dem stolzen Blick die Aufmerksamkeit des Betrachters ein. Diesen lenkt sie anschließend durch ihre Haltung in Richtung Bildgeschehen um. Als unbestritten kann daher die Funktion der Figur als Vermittlerin zwischen Betrachter und Bild, zwischen Welt (die Landschaft rechts) und Erzählung gelten. Baldini fiel diese Verbindung der Figur mit der Landschaft nach der Restaurierung auf, durch die ein Teil des Bildrandes wieder sichtbar wurde.10 Sehr gut in diesen Zusammenhang passt auch eine Beobachtung von Zöllner: Er macht darauf aufmerksam, dass der Pfau beispielsweise bei Hrabanus Maurus „als Symbol für die durch Christus angelockten heidnischen Völker“11 galt – dies entspreche genau der Aussage von Anbetungen, „denn die drei Könige als Gesandte heidnischer Völker kamen von weither angereist, um dem neugeborenen Herrscher zu huldigen“. 12

Besonderes Augenmerk ist bei möglichen integrierten Selbstbildnissen auf die Gestik zu legen. Botticellis Figur hält ihre Hände aber – wie Dombrowski13 erstmals ausführlich diskutierte – geradezu auffällig verborgen. Seine These wurde bereits dargelegt (s. o.); Körner liefert in seiner Diskussion von Botticellis Porträt eines jungen Mannes in der National Gallery in London (um 1480–85) einen Hinweis auf einen möglichen weiteren Deutungsansatz zum Verbergen der Hände. Ihn beeindruckt „Botticellis ‚vordergründige‘ Porträtkunst“14 – der Maler habe hier eine „geradezu unausweichliche Nähe zum Bildadressaten“15 hergestellt und konnte deshalb „auf die appellative Gestensprache“16 verzichten.

Sollte es sich bei der Randfigur um ein Selbstbildnis Botticellis handeln, so ist auch die Singularität im Oeuvre des Malers bemerkenswert. Alle übrigen Selbstbildnisse sind deutlich umstrittener als jenes in der Del-Lama-Anbetung – aber der Maler scheint sich auch nie wieder so prominent und selbstbewusst in Szene gesetzt zu haben, wie er dies hier tut. Hat sich bei keinem weiteren Auftrag die Gelegenheit dazu geboten? Oder „genügte“ dieses eine, an einem prominenten Ort in Florenz aufgestellte, gewissermaßen?

Verweise

  1. Standardwerk zur Lama-Anbetung ist nach wie vor die umfassende Studie: Hatfield 1976.↩︎

  2. Ciseri 1992, 44.↩︎

  3. Ulmann 1893, 59.↩︎

  4. Etwa Pope-Hennessy 1966, 30, 32.↩︎

  5. Gasser 1961, 39.↩︎

  6. Hatfield 1976, 83.↩︎

  7. Ebd., 78.↩︎

  8. Etwa Dombrowski 2013, 78; Mesnil 1938, 39f (Anm. 34).↩︎

  9. An dieser Stelle soll die Aufmerksamkeit auch auf die Ausführung der Schuhe bzw. des sichtbaren Teils der Beine des möglichen Selbstbildnisses gelenkt werden: Beides bricht ein wenig aus dem Ocker-Schema aus und ist farblich nahezu ident mit dem Boden, sodass die Figur wie darin verwurzelt wirkt. Bisher konnten keine Restaurierungsberichte eingesehen werden, weswegen die Frage, ob in diesem Bildbereich etwa ein bewusstes Nonfinito vorliegen könnte oder ob die Malschicht beschädigt wurde, hier nicht beantwortet werden kann. Laut http://www.polomuseale.firenze.it/inv1890/scheda.asp?position=1&ninv=882 (eingesehen am 30.03.2021) wurde das Gemälde 1958, 1981 und 1992 restauriert.↩︎

  10. Baldini 1984, 16–17, 22, 24–25.↩︎

  11. Zöllner 2005, 38.↩︎

  12. Ebd.↩︎

  13. Dombrowski [ca. 2005].↩︎

  14. Körner 2006, 96.↩︎

  15. Ebd.↩︎

  16. Ebd.↩︎

Literatur

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Ames-Lewis, Francis: The Intellectual Life of the Early Renaissance Artist, New Haven, Yale 2000.
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Baldini, Umberto: La Primavera del Botticelli. Storia di un quadro e di un restauro, Mailand 1984.
Benkard, Ernst: Das Selbstbildnis vom 15. bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts, Berlin 1927.
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