Anbetung der Könige (Tondo)

Botticelli, Sandro

um 1470 bis 1475

Vereinigtes Königreich; London; The National Gallery

Objekt

Bildrechte
Alternativtitel Deutsch:Die Anbetung der Heiligen Drei Könige
Titel in Originalsprache:Adorazione dei Magi
Titel in Englisch:The Adoration of the Kings
Datierung: um 1470 bis 1475
Anmerkungen zur Datierung:Die Datierung ist umstritten, in jüngerer Zeit wird meist von einer Entstehung in der ersten Hälfte der 1470er Jahre ausgegangen.
Ursprungsregion:italienischer Raum
Lokalisierung:Vereinigtes Königreich; London; The National Gallery
Lokalisierung (Detail):Inventarnummer: NG1033
Medium:Tafelbild
Material:Tempera
Bildträger:Holz (Pappel)
Maße: Höhe: 130,8 cm
Maße Anmerkungen:Maßangabe bezieht sich auf den Durchmesser.
Ikonografische Bezeichnung:Drei Könige (Anbetung und Zyklus der Magier): Anbetung der Magier oder Könige
Iconclass:73B57 – adoration of the kings: the Wise Men present their gifts to the Christ-child (gold, frankincense and myrrh)
Signatur Wortlaut:ohne
Datierung Wortlaut:ohne
Auftraggeber/Stifter:möglicherweise Familie Pucci, Florenz
Provenienz:Die Londoner National Gallery kaufte das Bild 1878 aus der Sammlung W. Fuller Maitland.
Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt:unbekannt

Zur Provenienz.1

Verweise

  1. Caneva 1990, 47; Horne 1908, 37; Lightbown 1989, 47; Zöllner 2005, 192.↩︎

Bildnis 1

Bildrechte
Lokalisierung im Objekt:im linken unteren Viertel der Bildfläche, links von einer Lücke in den Figurengruppen
Ausführung Körper:Ganzfigur
Ausführung Kopf:Dreiviertelporträt
Ikonografischer Kontext:vermutlich dem Zug der Könige angehörig
Blick/Mimik:direkter Blick aus dem Bild
Gesten:Hände nicht sichtbar, linker Arm liegt auf dem Rücken des neben der Figur stehenden Pferdes
Körperhaltung:stehend, Kontrapost bzw. schreitend, annähernd parallel zur Bildoberfläche nach links ausgerichtet, leicht nach rechts (Richtung Bildinnerem) gedreht; Kopf leicht zurückgeworfen und zum Betrachter gedreht; Schulterblick
Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal:hat seinen Arm auf das weiße Pferd mit hellviolettem Zaumzeug gelegt – uneindeutige Haltung: abstützend am Pferd oder im Begriff, aufzusteigen oder das Pferd zur Seite schiebend; Interaktion mit dem Betrachter über den direkten Blick; positioniert in einer sich zwischen Menschengruppen öffnenden Sichtachse auf die Heilige Familie
Attribute:Pferd
Kleidung:Kleidung in auffälligen Primärfarben vor dem braunen Hintergrund
Zugeordnete Bildprotagonisten:dem äußeren von zwei Ringen von Personen rund um die Heilige Familie zugehörig; scheint verantwortlich für das links neben ihm befindliche Pferd zu sein; leicht überschnitten von der in ein wehendes pinkes Gewand gekleideten Person links vorne

Forschungsergebnis: Botticelli, Sandro

Künstler des Bildnisses:Botticelli, Sandro
Status:kontrovers diskutiert
Andere Identifikationsvorschläge:jüngeres Mitglied der Familie Pucci
Typ Autor/in Jahr Referenz Seite Anmerkungen
Erstzuschreibung Ulmann 1893 Ulmann 1893 – Sandro Botticelli 65 -
Bejahend Konody 1908 Konody 1908 – An Unknown Portrait of Botticelli 46–48, 50 -
Skeptisch/verneinend Mesnil 1938 Mesnil 1938 – Botticelli 38 -
Skeptisch/verneinend Mandel/Bo 1967 Bo, Mandel 1967 – L'opera completa del Botticelli 89 -
Skeptisch/verneinend Lightbown 1989 Lightbown 1989 – Sandro Botticelli 49f, 54 -
Skeptisch/verneinend Körner 2006 Körner 2006 – Botticelli 74f, 392 (Anm. 292) -

Ulmann (1893) erwähnt als erster die Möglichkeit, Botticelli könnte sich in die Londoner Anbetung im Tondo-Format integriert haben: „Auch drüben [in der linken Bildhälfte] herrscht nicht völlige Ordnung unter dem Haufen. Man unterhält sich und kümmert sich wenig um den Vorgang in der Ruine. Einer unter dem Trosse thut sich ganz besonders hervor und zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Er hat seinen Schimmel nach der Mitte zugeführt und schaut sich, bevor er aufsitzt, auffallend nach uns um. Das thut keiner der anderen. Es ist ein flotter Reitersmann in kurzem blauem Wams, roten Hosen und gelben Stiefeln. Der Ähnlichkeit mit dem Selbstbildnis auf der Tafel aus S. Maria Novella und der Pose nach zu urteilen, scheint es Meister Sandro selbst zu sein. Hier in unbekannter Gesellschaft ist er sich des Wertes seiner Persönlichkeit bewusst und steht nicht mehr bescheiden in der Ecke.“1

Konody (1908) widmet sich in einem Aufsatz der Frage der Zuschreibung und Datierung der Anbetung in Tondo-Form und analysiert zu diesem Zwecke die hier diskutierte Figur, die in der dichten Menge so isoliert positioniert sei und ihren Kopf so auffällig zum Betrachter wende, dass sie sofort die Aufmerksamkeit auf sich ziehe. Ihr Blick aus dem Bild erinnere an jenen des Selbstbildnisses von Botticelli in der Del-Lama-Anbetung, weswegen anzunehmen sei, dass die Figur im Tondo ebenfalls mithilfe eines Spiegels gemalt wurde. So besteht laut Konody kein Zweifel daran, dass in der Figur der Maler des Bildes zu sehen ist. Kein weiterer der rund 200 Köpfe in den vier Anbetungen Botticellis, so Konody, weise dieselben Eigenheiten auf. Konody vergleicht nun das Gesicht des Jünglings im Tondo mit jenem des Selbstbildnisses in der Del-Lama-Anbetung und kommt zum Schluss, dass beide dieselbe Person darstellen – im Tondo etwas jünger, in der Del-Lama-Anbetung um einige Jahre gealtert. Der Autor schätzt das Alter des Jünglings auf ca. 20 Jahre und datiert das Gemälde somit auf um 1463. Der Tondo sei somit „practically ‚signed and dated‘“.2

Bo und Mandel (1967) schreiben unter Berufung auf Konody in einem Halbsatz, in der zum Betrachter gewandten Figur sei möglicherweise ein Selbstbildnis zu erkennen.3

Von einigen weiteren Autoren wird die Identifizierung indirekt abgelehnt, indem sie die fragliche Figur beschreiben, ohne auf die Möglichkeit eines Selbstbildnisses einzugehen bzw. andere Überlegungen zu ihr anstellen. Mesnil (1938) erwähnt nur kurz einen „jeune homme qui s’apprête à monter à cheval“4. Lightbown (1989) spricht den jungen Mann als „Page[n]“ an, der aus dem Bild blickt, „in dem Versuch, uns noch stärker in die Szene hineinzuziehen.“5 Im Zuge seiner Besprechung des Bildnisses eines jungen Mannes in der Galleria Palatina (frühe 1470er Jahren, Florenz) konstatiert Lightbown, der Gesichtstyp – „ein leicht gelängtes, rundliches Oval“6 – lasse darauf schließen, das Porträt könne in zeitlicher Nähe zur Londoner Anbetung im Tondo-Format entstanden sein.

Körner (2006) greift diese Verbindung auf und verleiht seiner Überzeugung Ausdruck, es handle sich beim Bildnis in der Galleria Palatina und dem Pagen im Tondo um dieselbe Person – möglicherweise habe Botticelli ein jüngeres Mitglied der Familie Pucci, die als Auftraggeber für das Rundbild gehandelt wird, porträtiert.7 Weiters hebt Körner die Alleinstellungsmerkmale der Figur hervor: Sie sei „aus den eng gruppierten Figuren des Gefolges der Könige herausgehoben durch den Freiraum, den Botticelli um diese Figur schuf. Über die Schulter blickend präsentiert der Page dem Betrachter das heilige Geschehen und sich selbst.“8 Auch wenn noch weitere Personen aus dem Bild herausblickten, so habe „die Wendung des Pagen […] eben doch einen anderen Charakter“9.

Verweise

  1. Ulmann 1893, 65.↩︎

  2. Konody 1908, 46–48, 50.↩︎

  3. Bo/Mandel 1967, 89.↩︎

  4. Mesnil 1938, 38.↩︎

  5. Lightbown 1989, 49.↩︎

  6. Ebd., 54.↩︎

  7. Körner 2006, 74f, 392 (Anm. 292).↩︎

  8. Ebd., 75.↩︎

  9. Ebd., 392 (Anm. 292).↩︎

Ein Unbekannter leitet den Blick der BetrachterInnen

Die Anbetung der Könige im Rundformat wurde 1878 von der Londoner National Gallery aus der Sammlung Fuller Maitland gekauft. Während es in der Sammlung als Werk Botticellis gegolten hatte, führte die National Gallery Filippino Lippi – Schüler Botticellis – als Maler. Die Forschung ist sich jedoch seit langem relativ einig, dass Botticelli als Autor zu gelten hat.1 Dagegen stellt sich in jüngerer Zeit Dombrowski, der das Rundbild aus verschiedenen Gründen wieder Filippino zuschreibt.2

Im Idealfall könnten die Frage der Zuschreibung und die Frage nach dem Selbstbildnis gemeinsam beantwortet werden. Tatsächlich lässt sich aber weder zweifelsfrei klären, ob es sich bei der Pagenfigur um ein Selbstbildnis handelt, noch, welcher der beiden in Frage kommenden Maler sich dargestellt haben könnte. Von Filippino Lippi sind u. a. zwei (mögliche) Selbstbildnisse in Disput und Kreuzigung Petri in der Brancacci-Kapelle erhalten – bis auf die Haarfarbe scheint insbesondere das linke (am Rand der Kreuzigung des Petrus) nicht völlig unvereinbar mit der diskutierten Figur im Londoner Tondo. Gerade dieses Selbstbildnis wird jedoch vereinzelt angezweifelt bzw. als mögliches Bildnis Botticellis ins Spiel gebracht.3 Physiognomische Ähnlichkeit lässt sich auch zum „prominentesten“ möglichen Selbstbildnis Botticellis – jenem in der Del-Lama-Anbetung – feststellen. Für Ulmann ist diese Ähnlichkeit ein Argument dafür, dass Botticelli sein Porträt in beide Bilder eingefügt habe. Er geht aufgrund stilistischer und kompositorischer Eigenheiten davon aus, dass das Rundbild nach der Del-Lama-Anbetung, jedoch vor 1480 entstand. Vergleicht man die beiden angesprochenen Figuren miteinander, so wirkt jene im Rundbild aber eindeutig jünger. Sollte sich Botticelli in beiden Bildern porträtiert haben, ist es daher naheliegend, den Tondo vor die Anbetung in den Uffizien zu datieren.4

Abgesehen von physiognomischen Übereinstimmungen spricht Ulmann (s. o.) zwei weitere Aspekte an, die für ein Selbstbildnis sprechen können: Die Pagenfigur scheint sich nach dem Betrachter umzudrehen, blickt ihn an und zieht die Aufmerksamkeit auf sich.5 Dazu trägt auch das auffällig rote Beinkleid bei. Durch Körper- und Kopfhaltung sowie durch den Blick ist die Figur klar als Vermittlerin zwischen Bildraum und Betrachter angelegt. Darüber hinaus ist sie in der einzigen Lücke im äußeren Ring der Figuren um die Heilige Familie positioniert: Hinter bzw. leicht rechts von ihr tut sich eine Sichtachse auf das Hauptgeschehen auf, ja, der Page scheint diese geradezu freizuräumen, indem er sich nach links bewegt. Sollte er wirklich, wie Mesnil meint, im Begriff sein, aufs Pferd zu steigen, so wäre die Sichtachse in einem Moment völlig frei. Am Rande dieser Schneise befinden sich auch zwei Rückenfiguren, die mit wehendem Gewand in dieselbe Richtung eilen: zum einen jene vorne vom Bildrand überschnittene in Pink und zum anderen einer der drei Könige direkt vor der Madonnengruppe. Die so offensichtlich dem Betrachter nahegelegte Blick- und Aktionsachse wird noch unterstützt von den hinter dem Pagen am Boden befindlichen felsartigen Steinen, die ungefähr dort zu liegen kommen, wo der rechte Arm der Figur ansetzen würde (der im Übrigen genauso wenig sichtbar ist wie die linke Hand).6

Die Linien dieser Steinformation „zeigen“ vage in Richtung Hl. Familie, hinter der sich nach einem Leerraum7 wiederum Ochs und Esel befinden. Eine andere Linie kann zum auf einer Mauerkante sitzenden Pfau fortgeführt werden; weitere Linien verfolgt man jedoch recht unbestimmt in die rechts im Hintergrund befindliche Landschaft.

Verweise

  1. Horne 1908, 37.↩︎

  2. Dombrowski 2010, 94–96.↩︎

  3. Vgl. auch die Vorbemerkung zu Botticelli.↩︎

  4. Die Datierungsvorschläge der jüngeren Forschungsgeschichte tendieren zu den frühen 1470er Jahren, insgesamt reichen sie aber von ca. 1468 bis nach 1482, siehe etwa Bode 1921, 20; Caneva 1990, 47; Cavalcaselle/Crowe 1894, 305; Hatfield 1976, 63; Horne 1908, 37; Körner 2006, 38; Zöllner 2005, 192.↩︎

  5. Hille 2015, 283f interpretiert den Blick des jungen Mannes vor dem Hintergrund von Augustinus’ De doctrina christiana.↩︎

  6. Zur Frage der verborgenen Hände in anderen möglichen Selbstbildnissen Botticellis vgl. Dombrowski 2013.↩︎

  7. Dieser Leerraum fiel etwa Dombrowski auf, der sich die Frage stellt, aus welchem Grund so viele Personen um ihn herum platziert wurden (Dombrowski 2010, 96); bereits Mesnil (Mesnil 1938, 38) wies darauf hin, dass hier Figuren etwas umstehen, das für den Betrachter nicht sichtbar ist und verweist auf eine diesbezügliche Diskussion mit E. Kühnel.↩︎

Literatur

Bo, Carlo/Mandel, Gabriele: L'opera completa del Botticelli (Classici dell'arte, 5), Mailand 1967.
Bode, Wilhelm: Sandro Botticelli, Berlin 1921.
Caneva, Caterina: Botticelli. Catalogo completo dei dipinti (I gigli dell'arte, 15), Firenze 1990.
Cavalcaselle, Giovanni Battista/Crowe, Joseph Archer: Storia della pittura in Italia. Dal secolo II al secolo XVI. 6. Pittori Fiorentini fin poco dopo la prima metà del secolo XV, Florenz 1894.
Dombrowski, Damian: Die religiösen Gemälde Sandro Botticellis. Malerei als pia philosophia (Italienische Forschungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz, Max-Planck-Institut, 4. F., 7), Berlin 2010.
Dombrowski, Damian: Imagination und Invention in der Malerei Botticellis. Kategorien des Kreativen in der Florentiner Renaissance, in: Schick, Johannes F. M./Ziegler, Robert Hugo (Hg.): Die innere Logik der Kreativität, Würzburg 2013, 69–99.
Hatfield, Rab: Botticelli's Uffizi „Adoration“. A Study in Pictorial Content (Princeton Essays on the Arts, 2), Princeton 1976.
Hille, Christiane: Training the Eye. The Advent of the Beholder Into Sandro Botticelli's Adorazioni, in: Fricke, Beate/Krass, Urte (Hg.): The Public in the Picture. Involving the Beholder in Antique, Islamic, Byzantine and Western Medieval and Renaissance Art (Bilder-Diskurs), Zurich 2015, 267–285.
Horne, Herbert Percy: Alessandro Filipepi commonly Called Sandro Botticelli. Painter of Florence, London 1908.
Konody, Paul G.: An Unknown Portrait of Botticelli, in: The Connoisseur. An Illustrated Magazine For Collectors, XX 1908, 45-50.
Körner, Hans: Botticelli, Köln 2006.
Lightbown, Ronald W.: Sandro Botticelli. Leben und Werk, München (2. Aufl.) 1989.
Mesnil, Jacques: Botticelli (Les Maîtres du Moyen Ages et de la Renaissance, 9), Paris 1938.
Ulmann, Hermann: Sandro Botticelli, München 1893.
Zöllner, Frank: Sandro Botticelli, München 2005.