Versuchungen Christi

Botticelli, Sandro

1481 bis 1482

Vatikan; Vatikanstadt; Cappella Sistina

Objekt

Bildrechte
Detailtitel:Versuchungen Christi (Teil von: Christuszyklus)
Alternativtitel Deutsch:Die Versuchung Christi und der alttestamentarische Opferdienst; Jüdische Opferszenen und Versuchungen Christi; Das Reinigungsopfer des Aussätzigen
Titel in Originalsprache:Tentazioni di Cristo
Titel in Englisch:Temptations of Christ
Datierung: 1481 bis 1482
Ursprungsregion:italienischer Raum
Lokalisierung:Vatikan; Vatikanstadt; Cappella Sistina
Lokalisierung (Detail):Sixtinische Kapelle; fünftes Bild an der Südwand (Teil der malerischen Gesamtausstattung des 15. Jahrhunderts bestehend aus Deckenfresko den Sternenhimmel darstellend von Pietro Matteo d’Amelia (nicht erhalten); Papstbildnisse im Fenstergaden; ursprünglich 16 Wandbilder je von der Altarwand (Westen) bis zur Ostwand: im Norden Christuszyklus, im Süden Moseszyklus, davon jeweils die Bilder an der Ost- und Westwand nicht erhalten)
Medium:Wandbild
Material:Fresko; Gold
Bildträger:Wand
Ikonografische Bezeichnung:Versuchungen Jesu; alttestamentarisches Opfer
Iconclass:73C22 – Christ, sometimes accompanied by guardian angel(s), tempted by Satan, who usually appears in human form
Signatur Wortlaut:ohne
Datierung Wortlaut:ohne
Inschriften:

TEMPTATIO IESV CHRISTI LATORIS EVANGELICAE LEGIS; Titulus in der architektonischen Rahmung oberhalb des Bildfeldes; Versuchung Christi, Träger des evangelischen Gesetzes

Auftraggeber/Stifter:Francesco della Rovere (Papst Sixtus IV.)
Provenienz:in situ
Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt:teilöffentlich

Zur Lokalisierung1 und zur Inschrift.2

Verweise

  1. Vgl. etwa schematische Darstellung in Roettgen 1997, 100.↩︎

  2. Ebd., 457.↩︎

Bildnis 1

Bildrechte
Lokalisierung im Objekt:dritte Figur von rechts
Ausführung Körper:Schulterstück
Ausführung Kopf:Dreiviertelporträt
Ikonografischer Kontext:evtl. Doppelbildnis Botticellis und dessen Schüler Filippino Lippis
Blick/Mimik:Blick mit unklarem Ziel nach links oben gerichtet
Gesten:Hände nicht sichtbar
Körperhaltung:stehend, Körper leicht aus der Parallele zur Bildoberfläche in Richtung Betrachter gedreht; Kopfachse annähernd über der Körperachse
Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal:überschnitten von umgebenden Figuren, ohne Interaktion
Kleidung:schwarze Kleidung, schwarze Kopfbedeckung
Zugeordnete Bildprotagonisten:in einer Gruppe zeitgenössischer Beobachter; Figur mit (Feldherren-)Stab davor identifiziert als Girolamo Riario; Figur mit Hut rechts vorgeschlagen als Filippino Lippi oder als Selbstbildnis

Zu Vorschlägen zur Identifizierung der Figuren in der Gruppe zeitgenössischer Beobachter vgl. weiterführend: zu Girolamo Riario;1 zur Figur mit Hut als Filippino Lippi,2 zu dieser Figur als als Selbstbildnis.3

Verweise

  1. Steinmann 1901, 477f. Die Identifizierung geht auf Steinmann zurück, Roettgen widerspricht aufgrund des Alters des Abgebildeten (Roettgen 1997, 96).↩︎

  2. Ulmann 1893, 97.↩︎

  3. Meller 1961, 282–283.↩︎

Forschungsergebnis: Botticelli, Sandro

Künstler des Bildnisses:Botticelli, Sandro
Status:kontrovers diskutiert
Andere Identifikationsvorschläge:Filippino Lippi
Typ Autor/in Jahr Referenz Seite Anmerkungen
Erstzuschreibung Ulmann 1893 Ulmann 1893 – Sandro Botticelli 97 -
Bejahend Gebhart 1907 Gebhart 1907 – Sandro Botticelli 177 -

Ulmann identifiziert Botticelli in den Versuchungen Christi aufgrund des Vergleichs mit dem ebenfalls von ihm vorgeschlagenen Selbstbildnis in der Del-Lama-Anbetung und sieht ihn in dem jungen Mann rechts, der „träumerisch ins Weite“ schaut.1 Der Mann rechts daneben, am äußersten Bildrand, ist für Ulmann Botticellis Schüler Filippino Lippi. Ulmann geht davon aus, dass Filippino seinem Meister nach Rom folgte2 und dort u. a. die Landschaft in den Versuchungen malte. Ob Filippino auch an den Figuren beteiligt war, will Ulmann nicht entscheiden, er scheint jedenfalls nicht von einem Selbstbildnis Filippinos in den Versuchungen auszugehen.3

Gebhart formuliert so, dass nicht vollkommen eindeutig ist, in welcher Figur er Botticelli und in welcher er Filippino sieht: „A droite, deux portraits s’y reconnaissent sans peine: le Botticelli de l’Adoration médicéenne des Mages et le Filippino Lippi de la chapelle Brancacci, dans l’entrevue des saints Pierre et Paul avec le proconsul.“4 Gebharts Publikation zu Botticelli ist aber Ulmann verpflichtet, sodass vermutlich in dessen Sinne interpretiert werden kann.

Andere Autoren sehen in dieser Figur ein Bildnis Filippino Lippis (siehe Selbstbildnis 2 in diesem Katalogeintrag).

Verweise

  1. Ulmann 1893, 97.↩︎

  2. Dem widersprechen bereits Cavalcaselle/Crowe 1896, 4 (Anm. 1); Dombrowski 2010, 97 vermutet Filippino Lippi aber wieder mit Botticelli in Rom.↩︎

  3. Ulmann 1893, 97f.↩︎

  4. Gebhart 1907, 177.↩︎

Bildnis 2

Bildrechte
Lokalisierung im Objekt:erste Figur von rechts
Ausführung Körper:Brustbild
Ausführung Kopf:Dreiviertelporträt
Ikonografischer Kontext:evtl. Doppelbildnis Botticellis mit seinem Schüler Filippino Lippi
Blick/Mimik:direkter Blick aus dem Bild
Gesten:Hände nicht sichtbar
Körperhaltung:stehend, Körper leicht aus der Parallele zur Bildoberfläche in Richtung Betrachter gedreht; Kopfachse annähernd über der Körperachse
Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal:Randfigur, überschnitten von Bildrand, Marmorbank und Figur davor; Figur tritt über den direkten, selbstbewussten und fokussierten Blick aus dem Bild in Interaktion mit dem Betrachter
Kleidung:blaue, mantelartige Bekleidung, heller Hut mit Feder
Zugeordnete Bildprotagonisten:in einer Gruppe zeitgenössischer Beobachter; Figur mit Stab davor identifiziert als Girolamo Riario; Figur mit schwarzer Kopfbedeckung links daneben vorgeschlagen als Filippino Lippi oder Selbstbildnis Botticellis

Zu Vorschlägen zur Identifizierung der Figuren in der Gruppe zeitgenössischer Beobachter vgl. weiterführend: zu Girolamo Riario;1 zur Figur mit schwarzer Kopfbedeckung als Filippino Lippi,2 zu dieser Figur als als Selbstbildnis Botticellis3

Verweise

  1. Roettgen 1997, 96; Steinmann 1901, 477f. Die Identifzierung geht auf Steinmann zurück, Roettgen widerspricht aufgrund des Alters des Abgebildeten.↩︎

  2. Meller 1961, 282f.↩︎

  3. Ulmann 1893, 97.↩︎

Forschungsergebnis: Botticelli, Sandro

Künstler des Bildnisses:Botticelli, Sandro
Status:kontrovers diskutiert
Andere Identifikationsvorschläge:Filippino Lippi
Typ Autor/in Jahr Referenz Seite Anmerkungen
Erstzuschreibung Meller 1961 Meller 1961 – La cappella Brancacci 282f -
Bejahend Rohlmann 1999 Rohlmann 1999 – Kontinuität und Künstlerwettstreit 187 -
Bejahend Schmid 2002 Schmid 2002 – Et pro remedio animae et 116f -
Skeptisch/verneinend Pfeiffer 2007 Pfeiffer 2007 – Die Sixtinische Kapelle neu entdeckt 55 (Anm. 111) -
Bejahend Dombrowski 2013 Dombrowski 2013 – Imagination und Invention 74 (Anm. 10) -

Meller setzte sich 1961 in einem Aufsatz ausführlich mit den Porträts in der Florentiner Brancacci-Kapelle auseinander und sieht u. a. Doppelbildnisse von Filippino Lippi mit seinem Lehrer Botticelli. Im Rahmen seiner Beschreibung der beiden Figuren am rechten Rand der Kreuzigung Petri (Filippino ist laut Meller der herausblickende Mann; Botticelli jener im Profil, der bereits für den Porträtstich in Vasaris Viten verwendet wurde) erwähnt er, das Paar am rechten Rand der Versuchungen Christi sei vergleichbar. Bei der Figur mit dem üppigen Haar handle es sich um Filippino, bei jener mit der Feder am Hut und dem zum Betrachter gerichteten Blick um Botticelli – was bis jetzt noch niemand in Betracht gezogen habe: „un autoritratto finora non considerato“1.2

Rohlmann (1999) stimmt Meller in seinem Aufsatz zu Kontinuität und Künstlerwettstreit in der Sixtinischen Kapelle mit leichtem Vorbehalt („wohl“) zu und beschreibt das mögliche Selbstbildnis als „modische Gestalt“.3

Ganz kurz erwähnt das Selbstbildnis auch Schmid (2002), der es als gesichert präsentiert, den Blick aus dem Bild als wichtiges Indiz wertet und wieder Filippino an der Seite Botticellis vermutet.4

Pfeiffer (2007) wiegt die beiden möglichen Selbstbildnisse Botticellis in den Versuchungen ganz rechts und in der Rotte Korah in der zweiten Person von rechts gegeneinander ab und stimmt „[n]och eher“ jenem in den Versuchungen zu.5

Dombrowski (2013) erkennt Ähnlichkeiten im Gesichtstypus zwischen der Figur am rechten Rand in den Versuchungen und jener in der Del-Lama-Anbetung. Das Gesicht wirke zwar „etwas femininer“ und die Figur erscheine etwas jünger als Botticelli zur Zeit der Ausmalung der Sixtinischen Kapelle war, der „kecke und zugleich skeptische Blick“ aus dem Bild erinnere aber an die Del-Lama-Anbetung.6

Andere Autoren sehen in dieser Figur ein Bildnis Filippino Lippis (siehe Selbstbildnis 1 in diesem Katalogeintrag).

Verweise

  1. Meller 1961, 283.↩︎

  2. Ebd., 282f.↩︎

  3. Rohlmann 1999, 187.↩︎

  4. Schmid 2002, 116f.↩︎

  5. Pfeiffer 2007, 55 (Anm. 111).↩︎

  6. Dombrowski 2013, 74 (Anm. 10).↩︎

Bildnis 3

Bildrechte
Lokalisierung im Objekt:erste Figur von links
Ausführung Körper:Ganzfigur stehend
Ausführung Kopf:im Profil
Ikonografischer Kontext:evtl. Doppelbildnis mit Botticellis Schüler Filippino Lippi
Blick/Mimik:Blick starr gerade aus
Gesten:rechte Hand umfasst Dolch; linke Hand in kommunikativer Gebärde zum sitzenden Gegenüber ausgestreckt
Körperhaltung:Körper und rechter Fuß annähernd bildparallel ausgerichtet, linker Fuß zeigt in Richtung Bildinneres
Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal:Interaktion über die linke Hand mit dem vor ihm auf einer Bank sitzenden jungen Mann, der wiederum seine rechte Hand auf die Brust des Selbstbildnisses legt und dem der dritte Mann der Gruppe die Hände auf die Schultern gelegt hat; Randfigur, teilweise vom Bildrand überschnitten, linker Arm teilweise überschnitten vom Arm der gegenüber befindlichen Figur
Attribute:Dolch
Zugeordnete Bildprotagonisten:in einer Dreiergruppe zeitgenössischer Figuren, die in ein Gespräch vertieft scheinen; zweite Figur von links (mit roter Kopfbedeckung) vorgeschlagen als Filippino Lippi

Zur vorgeschlagenen Identifizierung der zweiten Figuren von links als Filippino Lippi.1

Verweise

  1. Bo/Mandel 1967, 93f.↩︎

Forschungsergebnis: Botticelli, Sandro

Künstler des Bildnisses:Botticelli, Sandro
Status:Einzelmeinung
Status Anmerkungen:Der Vorschlag fußt auf einem unsicheren physiognomischen Vergleich und wurde kaum aufgegriffen.
Andere Identifikationsvorschläge:Francesco Salviati (Erzbischof von Pisa), Francesco de’ Pazzi und Jacopo Bracciolini (?); junge Höflinge
Typ Autor/in Jahr Referenz Seite Anmerkungen
Skeptisch/verneinend Bo/Mandel 1967 Bo, Mandel 1967 – L'opera completa del Botticelli 84, 93f -
Bejahend Marchand 2004 Marchand 2004 – Gebärden in der Florentiner Malerei 308f (Anm. 378) -
Bejahend Geffroy (zitiert nach Bo/Mandel) o. J. Bo, Mandel 1967 – L'opera completa del Botticelli o. S.
Details
„Geffroy“ ist die einzige Angabe, die Bo/Mandel machen. Die Literaturstelle konnte bislang nicht gefunden werden.
Erstzuschreibung Gebhardt (zitiert nach Bo/Mandel) o. J. Bo, Mandel 1967 – L'opera completa del Botticelli o. S.
Details
„Gebhardt“ ist die einzige Angabe, die Bo/Mandel machen. Die Literaturstelle konnte bislang nicht gefunden werden.

Pfeiffer bringt die drei Männer in Zusammenhang mit der Pazzi-Verschwörung und nennt die Namen Francesco Salviati (Erzbischof von Pisa), Francesco de’ Pazzi und Jacopo Bracciolini, ohne sie direkt den Personen zuzuordnen.1 Marchand sieht in den Männern junge Höflinge.2

Bo und Mandel (1967) erwähnen ein weiteres mögliches Selbstbildnis Botticellis in den Versuchungen Christi: „Altro autoritratto si è voluto scorgere nell’altro affresco sistino, delle Prove di Cristo, e precisamente nella prima figura antistante, a sinistra; ma l’identificazione, avanzata dal Gebhardt, e accolta da qualche studioso, fra cui il Geffroy, non ebbe seguito.“3 Bislang konnte diese Identifizierung aufgrund unvollständiger Literaturhinweise nicht zurückverfolgt werden. Émile Gebhart jedenfalls sieht ein mögliches Selbstbildnis im rechten und nicht im linken Bildbereich (s. o.). Dass Bo und Mandel lediglich irrtümlich „sinistra“ statt „destra“ geschrieben haben könnten, ist unwahrscheinlich, verdeutlicht doch eine nummerierte Grafik mit Beschreibung, welche Person sie meinen.4 Interessanterweise ist auch hier von einem möglichen Doppelbildnis Botticellis mit seinem Schüler die Rede, denn in der rechts neben der Randfigur stehenden Person mit roter Kopfbedeckung könnte laut Bo und Mandel vielleicht Filippino gesehen werden.5

In einer Fußnote schreibt Marchand (2004): „Botticellis Selbstportrait erscheint am linken Seitenrand der Versuchungen Christi6. Er verweist dazu einerseits auf den Botticelli-Katalog von Pons und andererseits auf Steinmanns Monografie zur Sixtinischen Kapelle.7 Pons referiert auf der zitierten Seite die Identifizierung von Botticelli mit der rechten Randfigur und jener direkt rechts daneben als Filippino Lippi als die gängigsten Vorschläge, wertet selbst aber nicht.8 Bei Steinmann ist am angegebenen Ort jedoch ausschließlich die Rede von einem Selbstbildnis Botticellis nahe dem rechten Bildrand in der Vernichtung der Rotte Korah. Die Figurengruppe in den Versuchungen links beschreibt Steinmann ebenfalls, er charakterisiert den Mann am linken Bildrand mit dem Dolch als „fast brutal“ aussehend und sieht im Dargestellten – zwei Männer versuchen den Mann mit dem Dolch zurückzuhalten – eine mögliche Anspielung auf eine historische Episode.9

Verweise

  1. Pfeiffer 2007, 38.↩︎

  2. Marchand 2004, 303f.↩︎

  3. Bo/Mandel 1967, 84.↩︎

  4. Ebd., 93f.↩︎

  5. Ebd.↩︎

  6. Marchand 2004, 309 (Anm. 378).↩︎

  7. Konkret verweist Marchand auf Steinmann 1901, 506.↩︎

  8. Pons 1989, 64.↩︎

  9. Steinmann 1901, 469.↩︎

Drei plus drei ist vielleicht eins bis zwei

Für die Versuchungen Christi liegen, wie aus dem Forschungsstand deutlich wurde, gleich drei Vorschläge für Selbstbildnisse Botticellis vor – diskutiert werden die linke und die rechte Randfigur sowie der junge Mann, der direkt neben der rechten Randfigur steht. Dass in diesem Fresko insgesamt sehr viele Porträts von zeitgenössischen Personen zu finden sind, schreiben verschiedene Autoren, wobei sie mit Identifizierungsvorschlägen unterschiedlich großzügig sind.1

Die linke Randfigur ist Teil einer Dreiergruppe junger Männer, die – durch Blicke und Gesten verdeutlicht – miteinander debattieren. Ob allein aufgrund der Intensität der Kommunikation und des Dolches, den die Randfigur in der Hand hält, darauf geschlossen werden kann, dass hier ein Mordkomplott, möglicherweise gar die Pazzi-Verschwörung, dargestellt ist, sei dahingestellt.2 Dass hier aber etwas emotional verhandelt wird und möglicherweise auf eine historische Episode angespielt werden soll, wie Steinmann annahm (s. o.), scheint plausibel.3 Marchand beschreibt die jungen Männer in der linken Bildhälfte treffend als „junge Höflinge“, einige davon, wohl aber nicht die hier interessierenden drei, tragen mit Eicheln im Gewand den Verweis auf die della Rovere bzw. speziell auf Sixtus IV.4 Dass Botticelli sich in diese Gesellschaft integriert, sich also als Höfling mit Naheverhältnis zum Papst dargestellt haben sollte, ist bei gleichzeitiger Abwesenheit plausibler Pro-Argumente kaum nachvollziehbar. Wie üblich kann auch der physiognomische Vergleich im Falle Botticellis wenig beitragen – die Figur ließe sich mit Botticellis (möglichem) Bildnis in der Brancacci-Kapelle vereinbaren (wenngleich etwa die Nase sich unterscheidet), scheint mit dem möglichen Selbstbildnis Botticellis in der Del-Lama-Anbetung aber wenig gemein zu haben.

Bereits mit dem ersten Vorschlag (Ulmann 1893, s. o.), in einem der jungen Männer am rechten Bildrand Botticelli zu sehen, ist die Annahme eines Doppelporträts mit Filippino Lippi verknüpft. Keine/r der konsultierten AutorInnen vermutet ein Selbstbildnis Filippinos; allerdings dürfte auch ein Bildnis nur dann plausibel sein, wenn der Schüler Botticellis auch tatsächlich an den Wandfresken der Sixtinischen Kapelle beteiligt war. Hierüber gehen die Meinungen auseinander.5 Unabhängig davon ist bereits der Umstand, dass beide Köpfe jeweils als Botticelli oder als Filippino vorgeschlagen werden konnten, ein Indikator für den Grad der Unsicherheit. Steinmann ist etwa der Ansicht, mit den jungen Männern im rechten Bildbereich seien Höflinge gemeint, Botticelli zeige sich hier aber weniger der Porträtähnlichkeit und mehr seinem „phantastischen Schönheitsideal“6 verpflichtet.7 Für Botticelli als äußerst rechte Figur hat sich die jüngere Forschung in erster Linie aufgrund des Blickes aus dem Bilde sowie aufgrund der Ähnlichkeit von Blick und Kopfhaltung mit jenen des möglichen Selbstbildnisses des Malers in der Del-Lama-Anbetung ausgesprochen. Diese Ähnlichkeit ist durchaus gegeben, auch wenn Dombrowskis (2013, s. o.) Beobachtung, dass die Gesichtszüge des möglichen Botticelli in den Versuchungen feiner, weniger grobschlächtig sind, zuzustimmen ist. Ob bzw. inwiefern der unterschiedlichen Kleidung der beiden Figuren (schlicht in Schwarz mit einfacher schwarzer Kopfbedeckung bei der linken Figur, modisch und mit Feder am Hut bei der Randfigur) Bedeutung beizumessen ist, kann hier nicht beurteilt werden. Auch aus dem Altersunterschied zwischen den beiden Malern – Botticelli war zum Zeitpunkt des päpstlichen Auftrags ca. Mitte 30, Filippino Mitte 20 – lässt sich nichts Eindeutiges ableiten.

Meller, der als erster die von Ulmann vorgeschlagene Identifizierung umkehrt, ohne allerdings auf den älteren Autor zu verweisen, nähert sich dem Doppelbildnis gewissermaßen aus der Zukunft. Er bespricht ein mögliches Doppelbildnis derselben zwei Maler in der Brancacci-Kapelle. Die Ähnlichkeiten liegen auf der Hand: Beide Male befindet sich das Paar am Rande einer heiligen Szene, beide Male schaut der sich selbst porträtierende Maler aus dem Bild, während die Aufmerksamkeit des porträtierten auf etwas anderes gerichtet ist. Dennoch sind diese Ähnlichkeiten zu gering, um daraus schließen zu können, dass Filippino sich das Schema seines Meisters aneignete und unter geänderten Vorzeichen wiederholte. Auch Meller sieht andere Vorbilder in der Brancacci-Kapelle.

Insgesamt kann ein Selbstbildnis Botticellis in der linken Randfigur also als sehr unwahrscheinlich bezeichnet werden. Die Frage, ob der Maler sich rechts im Bild zeigt, trägt weiterhin ein großes Fragezeichen; die Tendenz der Forschung in Richtung rechter Randfigur kann aber vorsichtig befürwortet werden.

Verweise

  1. Etwa Marchand 2004, 303 (sieht wie andere auch den Grund für die große Porträtzahl im gegenüber dem Fresko stehenden Papstthron); Marle 1931, 109; Pastor 1925, 16; Pfisterer 2013, 37; Roettgen 1997, 96f (nüchterne Zusammenfassung); Steinmann 1901, 468.↩︎

  2. Diese Möglichkeit erwägt Pfeiffer 2007, 38.↩︎

  3. Steinmann 1901, 469.↩︎

  4. Marchand 2004, 303f.↩︎

  5. Siehe oben (Forschungsstand zu Selbstbildnis 1).↩︎

  6. Steinmann 1901, 484.↩︎

  7. Ebd.; Steinmann 1903, 45.↩︎

Literatur

Bo, Carlo/Mandel, Gabriele: L'opera completa del Botticelli (Classici dell'arte, 5), Mailand 1967.
Cavalcaselle, Giovanni Battista/Crowe, Joseph Archer: Storia della pittura in Italia. Dal secolo II al secolo XVI. 7. Pittori Fiorentini del secolo XV e del principo del seguente, Florenz 1896.
Dombrowski, Damian: Die religiösen Gemälde Sandro Botticellis. Malerei als pia philosophia (Italienische Forschungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz, Max-Planck-Institut, 4. F., 7), Berlin 2010.
Dombrowski, Damian: Imagination und Invention in der Malerei Botticellis. Kategorien des Kreativen in der Florentiner Renaissance, in: Schick, Johannes F. M./Ziegler, Robert Hugo (Hg.): Die innere Logik der Kreativität, Würzburg 2013, 69–99.
Gebhart, Émile: Sandro Botticelli, Paris 1907.
Marchand, Eckart: Gebärden in der Florentiner Malerei. Studien zur Charakterisierung von Heiligen, Uomini Famosi und Zeitgenossen im Quattrocento (Kunstgeschichte, 79), Münster 2004.
Marle, Raimond van: The Renaissance Painters of Florence. The Third Generation. Part I (The Development of the Italian Schools of Painting, 12), Den Haag 1931.
Meller, Peter: La cappella Brancacci. Problemi ritrattistici ed iconografici, in: Acropoli. Rivista d'arte 1961, 3, 4, 186–227, 273–312.
Meller, Peter: La cappella Brancacci. Problemi ritrattistici ed iconografici, in: Acropoli. Rivista d'arte, 1960–61 1961, 3, 4, 186–227, 273–312.
Pastor, Ludwig Freiherr von: Die Fresken der Sixtinischen Kapelle und Raffaels Fresken in den Stanzen und Loggien des Vatikans, Freiburg im Breisgau 1925.
Pfeiffer, Heinrich: Die Sixtinische Kapelle neu entdeckt (Monumenta Vaticana selecta), Stuttgart u. a. 2007.
Pfisterer, Ulrich: Die Sixtinische Kapelle (Beck'sche Reihe, 2562), München 2013.
Pons, Nicoletta: Botticelli. Catalogo completo, Mailand 1989.
Roettgen, Steffi: Wandmalerei der Frührenaissance in Italien. Band 2. Die Blütezeit 1470–1510, München 1997.
Rohlmann, Michael: Kontinuität und Künstlerwettstreit in den Bildern der Sixtinischen Kapelle, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch, 60. Jg. 1999, 163–196.
Schmid, J.: Et pro remedio animae et pro memoria. Bürgerliche repraesentatio in der Cappella Tornabuoni in S. Maria Novella (Italienische Forschungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz: I Mandorli, 2), München u. a. 2002.
Steinmann, Ernst (1897): Botticelli (Künstler-Monographien, 24), Bielefeld u. a. (2. Aufl.) 1903.
Steinmann, Ernst: Die Sixtinische Kapelle. 1: Bau und Schmuck der Kapelle unter Sixtus IV., München 1901.
Ulmann, Hermann: Sandro Botticelli, München 1893.

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