Anbetung der Könige (Perle von Brabant)

Bouts d. Ä., Dieric

1454 bis 1465

Deutschland; München; Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek

Objekt

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Bildrechte
Titel in Originalsprache:Aanbidding van de Koningen; Parel van Brabant
Titel in Englisch:Adoration of the Kings; Pearl of Brabant
Datierung: 1454 bis 1465
Ursprungsregion:altniederländischer Raum
Lokalisierung:Deutschland; München; Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek
Lokalisierung (Detail):Inventarnummer: WAF 76 (Mitteltafel); Altar bestehend aus: Anbetung der Könige (Mitteltafel), Hl. Johannes der Täufer (linker Innenflügel), Hl. Barbara (linker Außenflügel), Hl. Christophorus (rechter Innenflügel), Hl. Katharina (rechter Außenflügel)
Medium:Altarbild; Tafelbild
Material:Öl
Bildträger:Holz (Eiche)
Maße: Höhe: 63 cm; Breite: 62,5 cm
Maße Anmerkungen:Mitteltafel: 62,5 x 63 cm (ohne Rahmen); Flügel: jeweils 62,5 x 28,1 cm (ohne Rahmen)
Ikonografische Bezeichnung:Geburt Christi; Drei Könige (Anbetung und Zyklus der Magier)
Iconclass:73B57 – adoration of the kings: the Wise Men present their gifts to the Christ-child (gold, frankincense and myrrh)
Signatur Wortlaut:ohne
Datierung Wortlaut:ohne
Auftraggeber/Stifter:unbekannt
Provenienz:Altar 1654 im Besitz der Familie des Bürgermeisters van t‘Sestich von Mechelen; im 18. Jahrhundert Verbindung der Familien T’Sestich und Snoy (Heirat), Altar bis 1813 in der Kapelle der Familie Snoy; 1813 Kauf durch die Brüder Boisserée; seit 1827 im Bestand der Alten Pinakothek
Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt:unbekannt

Die Angaben zur Datierung der Anbetung der Könige schwanken stark.1

Verweise

  1. Vgl. u. a. Cooreman/Madou 1998, (Datierung um 1465); Périer-D'Ieteren 2006, 319, (Datierung um 1454–62); Smeyers 1998, 86, (Datierung um 1462); Sørensen 1987, 228, (Datierung 1460). In der Standardbiografie im AKL zu Dieric Bouts ist die Tafel ohne Datierung gelistet, vgl. Buijsen 2021. Zur Provenienz vgl. Périer-D'Ieteren 2006, 314.↩︎

Bildnis 1

Bildrechte
Lokalisierung im Objekt:Figur im rechten Randbereich hinter dem dritten der Könige
Ausführung Körper:Halbfigur stehend
Ausführung Kopf:Dreiviertelporträt
Ikonografischer Kontext:Assistenzfigur
Blick/Mimik:Blick nach rechts
Gesten:Hände nicht sichtbar
Körperhaltung:linker Arm angewinkelt; Kopf halb nach links gedreht
Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal:Figur an einer inhaltlichen Schnittstelle der sakralen Handlung im Bereich der Stallarchitektur und der Hintergrundhandlung (Königszug); am rechten Bildrand; bis auf Schultern und Kopf weitgehend von vorderen Figuren (dritter König, Mann mit Turban) überschnitten; nahezu auf einer Horizontalen mit der Frauenfigur links im Bild, die die sakrale Situation durch ihre Position hinter dem Holzverschlag ebenfalls begrenzt; diese Frau und das mögliche Selbstbildnis sind die einzigen der großformatigen Figuren abseits des mythologischen Personals, die nach rechts ausgerichtet sind; innerhalb der Figuren im Zug der Könige durch die purpurne/rote Kappe und den intensiv blauen Rock hervorgehoben; von der Spitze der Kopfbedeckung des dritten Königs wie durch einen Pfeil markiert; der auffällig präsente Baum im Hintergrund befindet sich nahezu auf derselben Vertikale wie das Bildnis (folgt man der Gesichtsachse des Bildnisses, wird der Blick zum Stamm des Baums geführt)
Kleidung:rote Kappe; intensiv blaues Oberteil
Zugeordnete Bildprotagonisten:Protagonisten aus dem Zug der Könige, besonders die zwei rechts in unmittelbarer Nähe stehenden Männer

Forschungsergebnis: Bouts d. Ä., Dieric

Künstler des Bildnisses:Bouts d. Ä., Dieric
Status:kontrovers diskutiert
Andere Identifikationsvorschläge:Stifter
Typ Autor/in Jahr Referenz Seite Anmerkungen
Skeptisch/verneinend Périer-D’Ieteren 2006 Périer-D'Ieteren 2006 – Catalogue 317 -
Erstzuschreibung Franke 2009/2012 Franke 2012 – Raum und Realismus 268–270 -

Franke, die in ihrer Dissertation (2009, publiziert 2012) Raum- und Realismuskonzepte von Hugo van der Goes analysiert, betont die Bedeutung der Anbetung der Könige (die sogenannte Perle von Brabant) als direktes Schlüsselbild für das Monforte-Retabel. Die Autorin argumentiert mit Übereinstimmungen der Raumkonzeption (u. a. Tiefenillusion und Close-up Effekte, mehrfach verknüpfte Innen- und Außenräume, Handlungsbühne in starker Aufsicht)1 sowie der Figurengestaltung (Figurenpräsenz durch Gesten, Bewegung und Echoeffekte).2 Weiters ist die Anbetung nach Franke als eine von Rogier van der Weydens Columba-Altar inspirierte Komposition3 und als Vorläufer des Abendmahl-Altars von Dieric Bouts zu werten.4 Der sich auffällig vom sakralen Geschehen abwendende Mann am rechten Rand der Perle von Brabant, der keine Anzeichen devotionaler Hingabe zeigt und aus diesem Grund kein Stifter sein kann, müsse ein Selbstporträt sein, so Franke.5 Auch dieses Selbstbildnis lasse sich direkt mit Selbstinszenierungen in den genannten Gemälden abstimmen. Der Vergleich mit dem Monforte-Altar6 zeige, dass es sich jeweils um Figuren am rechten Bildrand handle, die von rechts beleuchtet sind. Die in Redegesten dargestellten Profilfiguren interagieren (der Redegestus zeigt sich durch die Gebärde der Hand bei Bouts bzw. durch den leicht geöffnete Mund bei van der Goes) und führen ihren Blick aus dem Bild ins Ungewisse.7 Bezugnahmen zu van der Weyden zeigen sich insbesondere im Zusammenspiel der Selbstdarstellung mit den umliegenden Verweisfiguren. Das Bildnis des Malers kommuniziere mit dem jüdisch gekleideten Propheten im Profil, dessen kommentierende Geste von zwei weiter hinten nach links versetzten Gestalten gespiegelt wird. Bouts führe damit laut Franke van der Weydens Orcagna-Rezeption weiter. So habe der Florentiner Bildhauer ein System präfiguriert: Er habe durch die Anwesenheit eines Propheten im Bild darauf hingewiesen, dass das Werk über die Heilige Schrift legitimiert sei.8 Bei Bouts werde die BetrachterIn wie im Columba-Altar direkt angesprochen und auf das liturgische Geschehen hingewiesen. Indem Bouts in das Zusammenspiel mit den Kommentarfiguren integriert ist, das über Blicke, Gesten und Bewegungsmuster wirkt (Bezugnahmen zu Mysterienspielen sind evident), werde auch das Selbstporträt zu einer am Geschehen teilhabenden Person. Entsprechend des Selbstbildnisses des Malers im Abendmahl-Altar werde so die Rolle als übergeordneter, für die Manifestation der Imagination im Bild Verantwortlicher gezeigt.9

Périer-D’Ieteren betont 2016 den Porträtcharakter der Figur und ihre Auffälligkeit durch die purpurne Kopfbedeckung und die Anteilslosigkeit am Geschehen, die durch die singuläre Blickführung nach rechts verdeutlicht ist, und stellt die Frage, ob es sich bei dem Bildnis um den Stifter oder um ein Selbstporträt des Malers handeln könnte.10

Verweise

  1. Franke 2012, 23–36.↩︎

  2. Ebd., 48–54.↩︎

  3. Ebd., bes. 268f.↩︎

  4. Ebd., bes. 27–29, 40.↩︎

  5. Ebd., 268.↩︎

  6. Im Fall des Monforte-Altars erkennt Franke ein Selbstporträt in der Figur am rechten Rand mit der blauen Kappe.↩︎

  7. Franke 2012, 270.↩︎

  8. Das mögliche Selbstporträt von Rogier van der Weyden im Columba-Altar stehe in der Nachfolge der Selbstinszenierung Orcagnas am rechten Bildrand des Marientods in Orsanmichele. Bereits Orcagna hat sich eine gestisch aufgeladene jüdische Figur beigestellt. Der Dialog der beiden, so Franke, „verkörper[e] eine bildliche Beseelung der prophetischen Rede.“ Vgl. ebd., 267f. Andrea Orcagna, Marientod, 1359, Florenz, Orsanmichele (Tabernakel).↩︎

  9. Ebd., 269f.↩︎

  10. Périer-D'Ieteren 2006, 317.↩︎

Weder der Jüngere noch der Ältere

Frankes auf Indizienketten und Vergleichen aufgebaute These zum mutmaßlichen Selbstbildnis in der Anbetung der Könige (der sogenannten Perle von Brabant)1 findet in der Forschung kaum Nachhall. Zumeist wird die Figur keiner genaueren Analyse unterzogen. Ein Grund mag sein, dass ein Großteil des Forschungsinteresses auf Fragen um die Identifizierung des Meisters kreisen (Dieric Bouts d. Ä. (?), Dieric Bouts d. J. (?)), die sich auch in stark abweichenden Datierungen des Gemäldes auswirken.2 In diesem Kontext betrachtet relativieren sich die Überlegungen zum thematisierten Bildnis, das trotz der überzeugenden Argumentation von Franke keinen der beiden zur Auswahl stehenden Maler aus dem Bouts-Kreis darstellen kann. Sowohl Abgleiche zwischen Datierungen und Lebensdaten der Künstler als auch Vergleiche mit möglichen verifizierenden Bildnissen bringen keine Übereinstimmungen.

Wurde das Gemälde in den Jahren 1454 bis 1462 geschaffen, so wäre Dieric Bouts d. J. erst zwischen sechs und vierzehn Jahre alt gewesen.3 Stimmt die Datierung um 1465, so wäre die Anbetung in zeitlicher Nähe des Abendmahl-Altars (1464–48) entstanden, in dem ein wahrscheinliches Porträt von Dieric d. J. überliefert ist, welches in keinerlei Ähnlichkeitsverhältnis zum hier diskutierten Bildnis steht. Auch kommt Dieric Bouts d. Ä. als Maler nicht in Frage, da selbst bei der frühen Entstehung der Tafel zwischen 1454 und 1462 der Maler zwischen 34 und 39 (bzw. zwischen 42 und 47) Jahre alt gewesen wäre, was mit der jugendlichen Ausstrahlung des Bildnisses in der Anbetung nicht in Übereinstimmung zu bringen ist. Auch für Dieric d. Ä. hält der Abendmahl-Altar mit der Selbstdarstellung des Meisters ein Vergleichsbild bereit, das ihn als älteren Herrn zeigt. Wie bereits bei Dieric d. J. sind auch in diesem Fall keine physiognomischen Übereinstimmungen zu finden. Dieselben Ergebnisse bringen auch Vergleiche mit dem möglichen Selbstporträt Dieric d. Ä. in der Feuerprobe sowie mit dem von Lampsonius4 publizierten Bildnis des Malers.

Die Porträtfigur am rechten Bildrand erfüllt eine Vielzahl der für Selbstdarstellungen üblichen Kriterien (Isolation vom Geschehen, Zusammenspiel mit gestisch aufgeladenen Assistenzfiguren, formale und kompositionelle Differenzierung). Zweifelsohne handelt es sich um ein Bildnis einer wesentlichen Person, das in der vorliegenden Konstellation der BetrachterInnenansprache dient. Eine Selbstdarstellung kann es allerdings nur sein, sollte sich der Meister von Brabant als ein anderer Maler als Dieric Bouts d. J. oder Dieric Bouts d. Ä. festschreiben lassen – diese Option ist allerdings äußerst unwahrscheinlich.

Verweise

  1. Zum Gemälde umfassend vgl. u. a. Cooreman/Madou 1998; Périer-D'Ieteren 2006, 314–323; Schawe 2006, 300; Schöne 1938, 180f; Smeyers 1998, 86–90.↩︎

  2. Zum Meister der Perle von Brabant vgl. den Einleitungstext zu Dieric Bouts.↩︎

  3. Vgl. Périer-D'Ieteren 2006, 319.↩︎

  4. Vgl. den Einleitungstext zu Dieric Bouts.↩︎

Literatur

Buijsen, Edwin: Bouts, Dierick (1415), in: Allgemeines Künstlerlexikon Online, 2021, https://www.degruyter.com/database/AKL/entry/_10138064/html (03.04.2023).
Cooreman, Els/Madou, Mireille: Parel van Brabant. Dirk Bouts, ca. 1465, in: Smeyers, Maurits (Hg.): Dirk Bouts. Een Vlaams primitief te Leuven (Ausstellungskatalog, Löwen, 19.09.1998–06.12.1998), Löwen 1998, 435–437.
Franke, Susanne: Raum und Realismus. Hugo van der Goes’ Bildproduktion als Erkenntnisprozess, Frankfurt am Main u. a. 2012.
Périer-D'Ieteren, Catheline: Catalogue, in: Périer-D'Ieteren, Catheline (Hg.): Dieric Bouts. The Complete Works, Brüssel 2006, 230–369.
Schawe, Martin: Alte Pinakothek. Altdeutsche und altniederländische Malerei (Katalog der ausgestellten Gemälde, 2), München u. a. 2006.
Schöne, Wolfgang: Dieric Bouts und seine Schule, Berlin 1938.
Smeyers, M.: Dirk Bouts. Peintre du silence (Collection références), Tournai 1998.
Smeyers, Maurits: Dirk Bouts. Peintre du silence (Collection références), Tournai 1998.
Sørensen, Ann L.: „La Perle du Brabant“. Une interprétation iconologique, in: Gazette des Beaux-Arts, 129. Jg. 1987, H. 6, 227–230.