Ankunft der englischen Gesandten

Carpaccio, Vittore

um 1495

Italien; Venedig; Gallerie dell‘Accademia

Objekt

Bildrechte
Detailtitel:Ankunft der englischen Gesandten (Teil von: Szenen aus dem Leben der hl. Ursula)
Alternativtitel Deutsch:Ankunft der Gesandten in der Bretagne; Ankunft der Gesandten am Hof des Königs von Bretagne
Titel in Originalsprache:Arrivo degli ambascatori inglesi presso il re di Bretagna
Titel in Englisch:Arrival of the English Ambassadors
Datierung: um 1495
Ursprungsregion:italienischer Raum
Lokalisierung:Italien; Venedig; Gallerie dell‘Accademia
Lokalisierung (Detail):Inventarnummer: 572
Medium:Tafelbild
Material:Öl
Bildträger:Leinwand
Maße: Höhe: 275 cm; Breite: 589 cm
Ikonografische Bezeichnung:Ursula Jungfrau Märtyrerin; Botschafterszene
Ikonografie Anmerkungen:eine der Botschafterszenen aus dem Ursulazyklus
Iconclass:11HH(URSULA)4 – non-miraculous activities and events ~ St. Ursula
Signatur Wortlaut:OP VICTORIS / CARPATIO / VENETI
Datierung Wortlaut:ohne
Signatur/Datierung Position:signiert: auf einem cartellino am geöffneten Türchen des Geländers im Bildvordergrund
Auftraggeber/Stifter:Scuola di S. Orsola (Bruderschaft der hl. Ursula)
Provenienz:Scuola di S. Orsola; seit 1812 in den Gallerie dell’Accademia
Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt:öffentlich

Zu Details zum Gemälde vgl. den Internetauftritt Gallerie dell'Accademia in Venedig.

Bildnis 1

Bildrechte
Lokalisierung im Objekt:erste Figur von links
Ausführung Körper:Ganzfigur stehend
Ausführung Kopf:Frontalansicht
Ikonografischer Kontext:Figur in Gestalt eines Höflings
Blick/Mimik:direkter Blick aus dem Bild in Richtung BetrachterIn
Gesten:Hände vor dem Oberkörper verschränkt, mit der Linken ein Taschentuch haltend
Körperhaltung:stehend; Körper und Kopf nach rechts gewandt
Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal:an der Bildschwelle links außen, am vorderen Rand der Bildbühne; vom Geschehen getrennt durch Geländer und dadurch außerhalb der Architekturbühne; führt vom BetrachterInnenraum in das Bildgeschehen; Figur trägt als einzige gut sichtbar ein Taschentuch in der Hand
Attribute:Taschentuch
Kleidung:zeitgenössische Kleidung in auffallendem Rot

Forschungsergebnis: Carpaccio, Vittore

Künstler des Bildnisses:Carpaccio, Vittore
Status:kontrovers diskutiert
Status Anmerkungen:mehrere Autoren vermuten ein Selbstbildnis, einige vermuten ein Stifterbildnis
Andere Identifikationsvorschläge:Mitglied der Familie Loredan (Pietro Loredan)
Typ Autor/in Jahr Referenz Seite Anmerkungen
Erstzuschreibung Pallucchini 1958 Pallucchini 1958 – Carpaccio 24 -
Skeptisch/verneinend Lauts 1962 Lauts 1962 – Carpaccio 236 -
Bejahend Zampetti 1963 Zampetti 1963 – Catalogo dei dipinti 28 -
Bejahend Cancogni 1967 Cancogni 1967 – Analisi dell'opera pittorica del Carpaccio 83, 88 -
Bejahend Gigante 2010 Gigante 2010 – Autoportraits en marge 117 -
Skeptisch/verneinend Brucher 2010 Brucher 2010 – Geschichte der venezianischen Malerei 2 342f -

Pallucchini stellt 1958 die These auf, in der Figur mit dem scharlachroten Gewand am linken Bildrand könne es sich um ein Selbstbildnis Carpaccios handeln. Er bemerkt die singuläre Positionierung der Figur außerhalb der Brüstung, hinter der sich eine Menge eleganter Gecken tummelt.1

Zuvor wurde diese Figur 1903 von Molmenti und Ludwig mit dem vermutlichen Stifter Pietro Loredan identifiziert.2 Ihnen schließt sich auch Hausenstein 1925 an.3

1962 identifiziert Lauts die Figur am linken Bildrand ebenfalls mit dem vermutlichen Stifter Pietro Loredan. Er erkennt noch weitere Porträts der Stifterfamilie in den Figuren der Gesandten und lehnt die Vermutung von Ludwig und Molementi ab, es handle sich um Bildnisse venezianischer Maler.4

1963 bemerkt Zampetti die Porträtähnlichkeit einiger Figuren in der Ankunft der englischen Gesandten und vermutet Bildnisse von Mitgliedern der Bruderschaft der Scuola bzw. der Familie Loredan. In diesem Zusammenhang erwähnt der Autor auch die Identifizierung Pallucchinis, ohne diese These weiter zu diskutieren.5

Cancogni zeigt 1967 in seiner Darstellung des Künstlers und seiner Person eine Abbildung der Figur am linken Bildrand der Ankunft der englischen Gesandten als eines von drei vermuteten Selbstbildnissen.6 Er erwähnt die Identifizierung Pallucchinis und betont ebenfalls die isolierte Stellung der Figur.7

2010 listet Gigante in der Reihe der von ihr vermuteten Selbstporträts auch jenes in der Ankunft der Gesandten auf. Sie beschreibt neben der isolierten Position der Figur auch deren Blick zur BetrachterIn und die daraus resultierende Funktion des admoniteur, welcher den Betrachter in den Bildraum führen soll.8

Brucher vermutet 2010 in der Gestalt am linken Bildrand wiederum Pietro Loredan. Er argumentiert mit der Kleidung des Dargestellten, der „karmesinrote[n] Robe eines venezianischen Senators“. Diese „Repoussoirfigur“ übernimmt für ihn die Rolle eines Kommentators von geistlichen Spielen in Venedig und unterstreicht dadurch den theatralischen Aspekt des Gemäldes.9

Verweise

  1. Pallucchini 1958, 24.↩︎

  2. Molmenti/Ludwig 1903, 42; 57.↩︎

  3. Hausenstein 1925, 79f.↩︎

  4. Lauts 1962, 236.↩︎

  5. Zampetti 1963, 28.↩︎

  6. Cancogni 1967, 83.↩︎

  7. Ebd., 88.↩︎

  8. Gigante 2010, 117.↩︎

  9. Brucher 2010, 343.↩︎

Der Künstler an der Schwelle

Die Figur am linken Bildrand fällt durch mehrere Eigenschaften auf. Sie ist zunächst in auffallendes Karemsinrot gekleidet, eine Farbe, die an das Rot von venezianischen Würdenträgern erinnert.1 Diese Amtsrobe würde eine Identifizierung mit einem Stifter der Familie Loredan wahrscheinlich machen. Aber auch Künstler haben sich des Öfteren in roter Bekleidung dargestellt: Bei Carpaccio selbst werden in den rot gekleideten Figuren im Disput des hl. Stephanus Künstler vermutet, neben Carpaccio auch sein Sohn und Gentile Bellini. Die Farbe de Tracht würde somit einen sozialen Anspruch verdeutlichen, wie vermutlich auch das auffallende weiße Taschentuch.

Die Figur ist sodann auch vom Geschehen getrennt: Zum einen konstruktiv durch ihre isolierte Position am Rand, zum anderen aber auch durch das Geländer und die marmorne Schwelle, womit sie bildtechnisch als Repoussoirfigur fungiert. Ein weiteres Mittel, in den Bildraum zu führen, ist der Blick in Richtung BetrachterIn. Die Szene der Ankunft der englischen Gesandten ist zudem die erste der Erzählung. Die Figur wird somit zur ersten der Geschichte, die der Betrachter erblickt, welcher das Bild von links nach rechts liest. Sie führt aber nicht nur in das eine Gemälde, sondern eröffnet den Reigen der Ereignisse, die dann im Uhrzeigersinn weitergeführt werden. Brucher erkennt zurecht die bühnenhafte Inszenierung des Gemäldes und in diesem Zusammenhang die Rolle der Figur als commenatore oder nunzio, der uns wie bei einem geistlichen Schauspiel die Geschehnisse erörtert.2 Diese Funktion finden wir auch unter der Bezeichnung festaiolo bzw. Festarrangeur, Gigante spricht von einem admoniteur.3 Dass diese Rolle vom Künstler selbst in Anspruch genommen wird, ist plausibel und hat im 15. Jahrhundert durchaus schon Tradition. Es ist aber auch durchaus vorstellbar, dass der Stifter in das von ihm bezahlte Werk führen will.

Durch die Postierung der Figur vor dem Gitter und dem auffallenden Marmorsockel, die dem zeremoniellen Spektakel eine würdevolle Bühne liefern, wird die Bildschwelle thematisiert. Aber auch andere Bildtechniken betonen gerade diese Grenze zwischen Bild- und BetrachterInnenraum: Da ist zum einen die geöffnete Geländertür in der mittleren Zone des dreigeteilten Bildes, die durch eine spektakuläre Verkürzung in den Raum ragt. Genau hier hat der Maler seine Signatur in Form eines cartellinos angebracht, gleichsam um seine Virtuosität zu beglaubigen. Zum anderen führt in der rechten Zone eine Treppe in das Gemach, in welchem die hl. Ursula dem Vater ihre Forderungen aufzählt. Auf der Stiege sitzt eine ältere Frau, gleichfalls als Repoussoirfigur fungierend. Mit dem Blick der Figur am linken Rand, der geöffneten Geländertür und der Treppe bieten sich dem Betrachter gleich drei Einladungen, Bildschwellen zu überwinden. Dieses bewusste Thematisieren der Realitätsebenen im Sinne einer gemalten Bildtheorie würde eine Selbstdarstellung des Künstlers plausibler erscheinen lassen als die Darstellung des Stifters, zumal ja auch die Signatur ganz offensichtlich an einem dieser markanten Punkte angebracht ist.

Dem entgegenzuhalten ist allerdings die fehlende Ähnlichkeit zu den anderen vermuteten Porträts, insbesondere das Fehlen eines Bartes. Die schön geformten Brauenbögen und die dunklen Augen erinnern etwas an das Bildnis Grecos oder das vermutete Selbstporträt in der Ankunft der hl. Ursula in Rom. Das bartlose Gesicht, die langen gelockten Haare und die gerade Nase finden sich wiederum eher in den Figuren jenseits des Geländers wieder, die Männer der Familie Loredan darstellen sollen. Abgesehen davon, dass Ähnlichkeit sich hier kaum objektiveren lässt – für Gigante steht die Darstellung in einer Linie mit den anderen vermuteten Selbstporträts – stellt sich prinzipiell die Frage, wie schnell sich Individuen der frühen Neuzeit modischen Strömungen anpassten und sich die Haar- und Barttracht änderte. Ein Bart wächst schließlich schnell und ist noch schneller wieder geschoren. Die Figur am linken Rand spielt jedenfalls ohne Zweifel eine bedeutende Rolle im Bildaufbau, sie kann den Stifter oder den Künstler darstellen, Ähnlichkeiten sind jedoch in beiden Fällen schwierig nachzuprüfen. Das äußerst bewusste Thematisieren bildtheoretischer Phänomene in Zusammenhang mit der Signatur machen eine Identifizierung als Künstlerporträt jedoch sehr plausibel.

Verweise

  1. Ebd.↩︎

  2. Ebd., 342.↩︎

  3. Gigante 2010, 117.↩︎

Literatur

Brucher, Günter: Geschichte der venezianischen Malerei 2. Von Giovanni Bellini zu Vittore Carpaccio, Wien 2010.
Cancogni, Manlio: Analisi dell'opera pittorica del Carpaccio, in: Cancogni, Manlio/Perocco, Guido (Hg.): L'opera completa del Carpaccio (Classici dell'arte, 13), Mailand 1967, 81–117.
Gigante, Elisabetta: Autoportraits en marge. Images de l'auteur dans la peinture de la Renaissance (Thèse de Doctorat, École des Hautes Études en Sciences Sociales), Paris 2010.
Hausenstein, Wilhelm: Das Werk des Vittore Carpaccio, Stuttgart u. a. 1925.
Lauts, Jan: Carpaccio. Gemälde und Zeichnungen Gesamtausgabe, Köln 1962.
Molmenti, Pompeo/Ludwig, Gustav: Vittore Carpaccio et la Confrérie de Sainte Ursule à Venise, Florenz 1903.
Pallucchini, Rodolfo: Carpaccio. Le storie di Sant' Orsola, Mailand 1958.
Zampetti, Pietro: Catalogo dei dipinti, in: Zampetti, Pietro (Hg.): Vittore Carpaccio (Ausstellungskatalog, Venedig, 15.06.–06.10.1963), Venedig (2. Aufl.) 1963, 1–307.

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