Ankunft der hl. Ursula in Rom
Carpaccio, Vittore
Italien; Venedig; Gallerie dell‘Accademia
Inhaltsverzeichnis
Objekt
Bildrechte
| Detailtitel: | Ankunft der hl. Ursula in Rom (Teil von: Szenen aus dem Leben der hl. Ursula) |
| Alternativtitel Deutsch: | Begegnung der hl. Ursula mit dem Papst |
| Titel in Originalsprache: | Incontro dei pellegrini sotto le mura di Roma; Incontro dei pellegrini col papa |
| Titel in Englisch: | The Pilgrims Meet with Pope Cyriacus |
| Datierung: | nach 1493 |
| Ursprungsregion: | italienischer Raum |
| Lokalisierung: | Italien; Venedig; Gallerie dell‘Accademia |
| Lokalisierung (Detail): | Inventarnummer: 577 |
| Medium: | Tafelbild |
| Material: | Öl |
| Bildträger: | Leinwand |
| Maße: | Höhe: 279 cm; Breite: 305 cm |
| Ikonografische Bezeichnung: | Ätherius begleitet Ursula nach Rom und wird zusammen mit ihr vom Papst empfangen mit |
| Iconclass: | 11HH(URSULA)414 – at Rome St. Ursula and her betrothed Etherius are received by pope Ciriacus; Etherius is baptized, and Ursula receives the sacrament |
| Signatur Wortlaut: | VICTOR / CAR / PATIO / VENETI / OPUS |
| Datierung Wortlaut: | ohne |
| Signatur/Datierung Position: | signiert: auf einem cartellino an einem Baumstumpf am unteren Bildrand in der Mitte |
| Auftraggeber/Stifter: | Scuola di S. Orsola (Bruderschaft der hl. Ursula) |
| Provenienz: | Scuola di S. Orsola; seit 1812 Gallerie dell‘Accademia |
| Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt: | öffentlich |
Bildnis 1
| Lokalisierung im Objekt: | Figur in der Menschenmenge des Vordergrundes; ziemlich exakt unterhalb der Mittelachse der Engelsburg |
| Ausführung Körper: | Ganzfigur stehend |
| Ausführung Kopf: | Frontalansicht |
| Ikonografischer Kontext: | Figur in Gestalt eines Mitglieds des päpstlichen Hofstaates |
| Blick/Mimik: | direkter Blick aus dem Bild in Richtung BetrachterIn |
| Gesten: | Hände nicht sichtbar |
| Körperhaltung: | leicht nach links gedreht |
| Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal: | am hinteren Rand der Bildbühne, zum Mittelgrund überleitend; einzige Figur mit Blick zur BetrachterIn |
| Formale Besonderheiten: | cartellino mit Signatur auf dem Baumstumpf in der Nähe |
| Kleidung: | zeitgenössische Kleidung eines Hofbeamten |
| Zugeordnete Bildprotagonisten: | Figuren im Gefolge als Porträts von Venezianern in Rom vorgeschlagen von Nepi Scirè; Figur in Rot links vor dem Selbstbildnis, mit Daumen auf den Papst deutend, vorgeschlagen als Ermolao Barbaro von Branca und Weiss |
Forschungsergebnis: Carpaccio, Vittore
| Künstler des Bildnisses: | Carpaccio, Vittore |
| Status: | weitgehend anerkannt |
| Status Anmerkungen: | Die Beschaffung und Analyse der Literatur zum vorgeschlagenen Selbstbildnis ist derzeit noch nicht abgeschlossen, der Eintrag wird weiterhin ergänzt. |
| Typ | Autor/in | Jahr | Referenz | Seite | Anmerkungen |
|---|---|---|---|---|---|
| Erstzuschreibung | Zampetti | 1963 | Zampetti 1963 – Catalogo dei dipinti | 64 | - |
| Bejahend | Prinz | 1966 | Prinz 1966 – Vasaris Sammlung von Künstlerbildnissen | 106f | - |
| Bejahend | Cancogni | 1967 | Cancogni 1967 – Analisi dell'opera pittorica del Carpaccio | 83 | - |
| Bejahend | Gentili | 1988 | Gentili 1988 – Nuovi documenti e contesti | 103 | - |
| Bejahend | Humfrey | 1991 | Humfrey 1991 – Carpaccio | 32 | - |
| Bejahend | Sgarbi | 1999 | Sgarbi 1999 – Carpaccio | 72 | - |
| Bejahend | Bruchert | 2010 | Brucher 2010 – Geschichte der venezianischen Malerei 2 | 338 | - |
| Bejahend | Gigante | 2010 | Gigante 2010 – Autoportraits en marge | 116 | - |
1963 identifiziert Zampetti zum ersten Mal die aus dem Bild blickende Figur mit dem Künstler. Er argumentiert mit der Unmittelbarkeit der psychologischen Darstellung, mit der sich diese Figur vor den anderen auszeichnet. Diese Unmittelbarkeit rührt vor allem von dem durchdringenden Blick her, der gleichsam aktiv einen Betrachter außerhalb des Bildraums sucht: „Secondo lo scrivente, un altro personaggio si distingue pure per l'immediatezza della resa psicologica e per la caratterizzazione del tipo:è quello dietro il Cardinale, che fissa con insistenza verso l'esterno della tela quasi cercasse altro sguardo oltre la finzione pittorica. È probabile che possa trattarsi proprio dell'autoritratto del pittore, data la rarità di una immagine di così viva prontezza, e di così franca presenza umana.“1
In seinem Kommentar zum Vasari-Holzschnitt Carpaccios konstatiert Prinz 1966 Ähnlichkeiten mit der aus dem Bild blickenden Figur in der Szene Ankunft der hl. Ursula in Rom, von der er eine Abbildung liefert. Er glaubt im Vasari-Bildnis eine gealterte Version dieses Selbstbildnisses zu erkennen. Auf eine nähere Analyse der physiognomischen Entsprechungen verzichtet er.2
Cancogni vermutet 1967 in der Bildunterschrift zu der aus dem Bild blickenden Figur ein Selbstbildnis.3 In seinem Analysetext erwähnt er die Identifizierung durch Zampetti.4
Gentili sieht 1988 ein Selbstbildnis in der isolierten Figur der Gruppe um den Papst. Er bemerkt eine ähnliche Figurenkonstellation in der Predigt des hl. Stefanus und begründet damit seine These, dass es sich auch dort bei der isolierten Figur um ein Selbstbildnis handelt.5 1996 thematisiert der Autor diese beiden Selbstporträts auch in den entsprechenden Bildunterschriften.6
Humfrey erwähnt 1991, dass die Figur, welche aus dem Bild blickt, häufig als Selbstbildnis identifiziert wurde. Er sieht zudem Ähnlichkeiten mit einer Figur im Disput des hl. Stephanus und kann eine Identifizierung nicht ausschließen.7
Sgarbi vermutet 1999 in der Figur des jungen bärtigen Mannes mit „heiterem und zufriedenem Gesicht“ ein Selbstbildnis Carpaccios. Er belegt seine Zuweisung nicht näher.8
2010 vermutet Bruchert in der Gestalt hinter dem Gelehrten in roter Robe, den er mit dem Humanisten Ermolao Barbaro identifiziert, ein Selbstbildnis des Künstlers. Er führt die frontale Darstellung, die schon suggestive Qualität der Porträtmalerei und den Blickkontakt zur BetrachterIn als Argumente für seine Zuweisung an.9
Im gleichen Jahr versucht Gigante Selbstporträts Carpaccios in dessen Werk auszumachen und greift dabei vor allem auf physiognomische Vergleiche mit dem Porträt der Sammlung Giustiniani in Venedig zurück. Sie konstatiert Ähnlichkeiten dieses Porträts unter anderem mit der aus dem Bild herausblickenden Figur in der Szene Ankunft der hl. Ursula in Rom.10
Der treuherzige Blick aus der Menge
Zwei Assistenzfiguren des Gemäldes stechen durch ihre Positionierung und ihre individuellen Gesichtszüge aus der Menschmenge hervor und werden als Porträts interpretiert. Während der stehenden Figur im zentralen Vordergrund die Züge des Humanisten Ermolao Barbaro zugeschrieben werden, wird in der aus dem Bild blickenden Figur rechts dahinter das Selbstporträt Carpaccios vermutet. Die Figur Barbaros steht isoliert vor einer Figurengruppe. Der Humanist ist in ein tiefrotes Gewand gekleidet, mit dem Daumen deutet er auf die Gruppe mit dem Papst, sein Blick ist aber vom Geschehen abgewandt. Porträtcharakter, isolierte Positionierung und die verweisende Geste sind plausible Argumente für die Identifizierung mit einem bedeutenden Zeitgenossen, der den Bezug zwischen der römischen Kurie und Venedig herstellen soll. Scirè Nepi vermutet ein komplexes Beziehungsgeflecht zwischen den Barbaro und Loredan, welches heute nicht mehr nachvollziehbar ist.1
Ihm zugeordnet ist die Figur eines Mannes in schwarzem Talar und mit schwarzer Kappe, in der sich Carpaccio selbst dargestellt haben soll. Der intensive, suchende Blick ist der Einzige im Bild, der sich auf die BetrachterIn richtet, und die Darstellung zeugt von bemerkenswert „suggestiver Porträtqualität“2. In der Komposition des Bildes wird diese Figur besonders durch die vertikale Achse akzentuiert, welche von ihr ausgehend zum Turm der Engelsburg dahinter und deren Fahnenmasten führt. Durch das dunkle kinnlange Haar und den Vollbart mit dem dichten Schnauzer, aber auch die schweren Lider, die feinen Bögen der Augenbrauen und die Mundpartie ergeben sich große Übereinstimmungen mit dem Porträt der Sammlung Giustiniani, welches als Referenzpunkt für Ähnlichkeit gelten kann, und einem weiteren Selbstbildnis, welches im Disput des hl. Stephanus vermutet wird.3 Zudem tragen alle drei Figuren eine sehr ähnliche Bekleidung bestehend aus einem schwarzen Obergewand, unter dem ein weißer schmaler Hemdkragen hervorblitzt, und einer schwarzen Kappe.
In unmittelbarer Nähe, fast auf der Mittelachse befindet sich im Vordergrund ein Baumstumpf mit einem cartellino, auf welchem der Künstler seine Signatur hinterlassen hat. Dieser Konnex zwischen bildlicher und schriftlicher Selbstdarstellung findet sich häufiger in den Gemälden des 15. Jahrhunderts, beispielsweise im Abschied des hl. Augustinus aus Rom von Benozzo Gozzoli. Er erscheint bei Carpaccio auch in der Ankunft der englischen Gesandten desselben Zyklus‘, im Disput des hl. Stephanus – hier noch stärker inszeniert durch die architektonische Struktur des Bildes – und in der Weihe des hl. Stephanus mit einem allerdings sehr umstrittenen Selbstbildnis. Weitere Parallelen finden sich zwischen dem Selbstbildnis Carpaccios in der Ankunft der hl. Ursula in Rom und Gentile da Fabrianos Selbstbildnis in der Anbetung der Könige. In beiden Fällen blickt der Künstler frontal aus der Menge eines prächtigen fürstlichen Gefolges auf die BetrachterIn. Zugleich ist er in beiden Fällen einer höhergestellten historischen Persönlichkeit zugeordnet – dem Stifter Strozzi bzw. dem mit der Stifterfamilie verbundenen Humanisten Barbaro, wodurch sein eigener sozialer bzw. intellektueller Anspruch ausgedrückt wird.
Die frappanten Ähnlichkeiten zu weiteren vermuteten Bildnissen des Künstlers, die qualitätvolle psychologisierende Darstellung sowie die bewusste Inszenierung nach bekannten Mustern des Quattrocento machen eine Zuordnung als Selbstporträt sehr plausibel.
Literatur
Zitiervorschlag:
Rupfle, Harald: Ankunft der hl. Ursula in Rom (Katalogeintrag), in: Metapictor, http://explore-research.uibk.ac.at/arts/metapictor/katalogeintrag/carpaccio-vittore-ankunft-der-hl-ursula-in-rom-nach-1493-venedig-gallerie-dellaccademia/ (05.12.2025).