Anbetung der Könige

David, Gerard

vor 1498

Belgien; Brüssel; Koninklijke Musea voor Schone Kunsten van België

Objekt

Bildrechte
Titel in Originalsprache:Aanbidding van de Koningen
Titel in Englisch:Adoration of the Kings
Datierung: vor 1498
Ursprungsregion:altniederländischer Raum
Lokalisierung:Belgien; Brüssel; Koninklijke Musea voor Schone Kunsten van België
Lokalisierung (Detail):Inventarnummer: 740
Medium:Tafelbild
Material:Öl
Bildträger:Holz (Eiche)
Maße: Höhe: 83,9 cm; Breite: 66,8 cm
Ikonografische Bezeichnung:Geburt Christi; Drei Könige (Anbetung und Zyklus der Magier)
Iconclass:73B57 – adoration of the kings: the Wise Men present their gifts to the Christ-child (gold, frankincense and myrrh)
Signatur Wortlaut:ohne
Datierung Wortlaut:ohne
Auftraggeber/Stifter:unbekannt
Provenienz:Privatsammlung Brügge (?); Kauf 1827 oder 1829 für die Sammlung Professor van Rotterdam, Gent; Ankauf 1848 durch das Königliche Museum der Schönen Künste von Belgien von Fr. Maertens Van Rotterdam
Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt:unbekannt

Zur Provenienz.1

Verweise

  1. Stroo/Syfer-d'Olne 2001, 243.↩︎

Bildnis 1

Bildrechte
Lokalisierung im Objekt:Figur im Mittelgrund; zweite Figur rechts des linken Stallfragments
Ausführung Körper:Ganzfigur stehend
Ausführung Kopf:Dreiviertelporträt
Ikonografischer Kontext:Assistenzfigur in der Szene der Anbetung der Könige
Blick/Mimik:verinnerlichter Blick in Richtung Anbetungsszene
Gesten:selbstbezeichnende Geste der linken Hand
Körperhaltung:aufrecht; Kopf Richtung Anbetungsszene geneigt
Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal:im Bereich der Stallarchitektur, von dieser links überschnitten und damit in eine Art „Innenraum“ gedrängt, befindet sich die Figur an einer inhaltlichen Schwelle zwischen sakraler Anbetungsszene im Vordergrund und dem Zug der Könige im Hintergrund; von beiden Figuren dahinter durch deren Hände betont, wobei die Figur mit dem weißen Stirnband zudem über den Blick auf das mögliche Selbstporträt zu weisen scheint; innerhalb des Figurensegments im Stallinneren durch helles Inkarnat (Gesicht und Hand) und durch die weitgehende Einsichtigkeit herausgehoben; zudem von den vorderen Figuren der Anbetungsszene (Josef, Könige) leicht überschnitten; Teil einer isokephalen Reihe an Assistenzfiguren, die sich mit Unterbrechungen von der Mitte bis zum linken Rand erstreckt
Kleidung:schwarze Kleidung
Zugeordnete Bildprotagonisten:zwei Männer zur Rechten und Linken hinter der Figur

Forschungsergebnis: David, Gerard

Künstler des Bildnisses:David, Gerard
Status:kontrovers diskutiert
Typ Autor/in Jahr Referenz Seite Anmerkungen
Bejahend Ring 1913 Ring 1913 – Beiträge zur Geschichte der niederländischen 104f -
Erstzuschreibung Destrée 1913 Destrée 1913 – De portretten van Gerard David 153–157, bes. 155f -
Bejahend Dubiez 1947 Dubiez 1947 – Een vroeg zelfportret van Gerard 209–211, bes. 210 -
Bejahend Sulzberger 1955 Sulzberger 1955 – Autoportraits de Gérard David 176–178 -
Bejahend Arndt 1961 Arndt 1961 – Gerard Davids Anbetung der Könige 164, 173 (Anm. 54) -
Bejahend Hall 1963 Hall 1963 – Portretten van Nederlandse beeldende kunstenaars 75 -
Bejahend Véronee-Verhaegen 1994 Véronee-Verhaegen 1994 – Le portrait 228 -
Skeptisch/verneinend Ainsworth 1998 Ainsworth 1998 – Gerard David 90 (Anm. 62) -
Bejahend Sander 1999 Sander 1999 – An Hugos Statt 244 -
Skeptisch/verneinend Stroo/Syfer-d‘Olne 2001 Stroo, Syfer-d'Olne 2001 – Gerard David 250, 253 -
Bejahend Boon o. J. Boon o. J. – Gerard David 29 -

Destrée, der sich 1913 mit den Epiphanie-Darstellungen von Gerard David beschäftigt und eine Vorbildwirksamkeit von Hugo van der Goes feststellt, identifiziert eine Selbstdarstellung des Malers im Zentrum der Komposition der Brüsseler Anbetung imn Abgleich mit dem Stifterbild in Rouen.1 Der etwa dreißigjährige, blonde, bartlose David, mit einem Tuch über der Schulter und seiner Hand auf Gürtelhöhe, neigt den Kopf leicht nach rechts und blickt die Gottesmutter von der Seite an. Dies, so der Autor, sei eine angemessene Darstellung, die der Selbstrepräsentation diene, ohne in das sakrale Geschehen einzugreifen.2
In Ergänzung zur Identifikation des Selbstbildnisses vermerkt Destrée, dass er seine These schon früher formuliert habe und die Herren Henry Hymans und Max Rooses seine Ansicht teilten. Er kritisiert von Bodenhausen, der die These in seine Ausführungen von 1905 nicht aufgenommen hat, sodass er sich wiederholen müsse.3 Trotz intensiver Recherche konnten weder die angesprochene frühere Identifizierung des Selbstporträts bei Destrée noch entsprechende Einträge bei Hymans oder Rooses ausfindig gemacht werden. In der Literatur wird übereinstimmend 1913 als Jahr von Destrées Erstidentifikation angegeben.

Boon (o. D.), der sich auf das von Destrée identifizierte Portrait Davids bezieht, verweist auf den Altersunterschied zwischen dem Stifterbild in Rouen und dem hier thematisierten Bildnis in der Anbetung der Könige und datiert letzteres Gemälde daraufhin auf das Jahr 1495.4

Ring (1913) thematisiert das Stifterbild Davids in der Tafel in Rouen ebenfalls und stellt physiognomische Übereinstimmungen zu weiteren möglichen Bildnissen des Malers im Stammbaum Jesse5 und in der Anbetung der Könige in Brüssel fest. In sehr unbestimmter Weise verweist Ring auf „noch einmal den gleichen Kopf im Hintergrund von Davids ,Anbetung der Könige‘ in Brüssel.“6

1947 leitet Dubiez über einen Vergleich mit dem Selbstbildnis in Rouen und dem hier diskutierten Bildnis eine weitere Selbstdarstellung in Davids Beweinung Christi ab.7

Sulzberger (1955) bestätigt Destrées Identifizierung und entwickelt darauf aufbauend die These, dass sich David bereits im Frühwerk in einer Geburt Christi in Cleveland in Form eines Selbstbildnisses verewigt habe.8

Arndt, der 1961 in einem Beitrag zur Kopienkritik u. a. Gerard Davids Anbetung der Könige in München9 als Kopie nach einem Prototyp von Hugo van der Goes10 einstuft, nimmt wertneutral auf das zentrale Bildnis und dessen Interpretation als Selbstdarstellung Bezug und beruft sich dabei auf die Ausführungen Sulzbergers.11

1963 nimmt Hall das Bildnis in seine Sammlung niederländischer Selbstporträts auf.12

Ainsworth (1998) zählt in ihrer Auflistung der meistzitierten Identifizierungen Gerard Davids neben einer Figur am Rand des Urteils des Kambyses sowohl das Bildnis am linken Bildrand als auch die zentrale Figur in der Anbetung der Könige in Brüssel auf. All diese Protagonisten seien über Ähnlichkeiten miteinander und mit dem verifizierten Porträt in Rouen verbunden.13

Nach allgemeinen Feststellungen zu Funktionen (Signatur, Devotion, Künstlerstolz) und Erkennungsmerkmalen (zeitgenössische Kleidung, abwesender oder direkter Blick, im Hintergrund) sowie einem Hinweis auf die generelle Schwierigkeit der Identifikation von Selbstdarstellungen listet Véronee-Verhaegen (1994) eine Reihe von Bildnissen auf. So zeige sich Gerard David, dessen wesentlichstes Selbstporträt nach Ansicht der Autorin das Stifterporträt in Rouen darstellt, etwa im Gefolge der Anbetung der Könige in Brüssel und in der Kreuzigung in Madrid.14

Sander (1999) bespricht „Das Künstlerselbstbildnis in den Kopien und Varianten nach dem Monforte-Altar des Hugo van der Goes als Ausdruck künstlerischen Selbstbewusstseins.“ Dabei vermerkt der Autor eine Vielzahl von Bildbeispielen,15 deren Maler sich in die Tradition von van der Goes stellen, der sein Selbstbildnis im Zentrum seines Altars verankert habe. So erkennt Sander auch im vorliegenden Gemälde ein Selbstporträt an „wohlvertrauter Stelle“, das er zudem mit dem Stifterbild von Gerard David am Rande des Gemäldes Virgo inter Virgines vergleicht.16

2001 äußern sich Stroo und Syfer-d’Olne kritisch hinsichtlich der Identifizierung von Destrée, dessen Argumentation mit Verweis auf Ähnlichkeiten zum Stifterbild in Rouen für die AutorInnen nicht nachvollziehbar ist: „It is hardly possible to see the features as being identical.“ Ergänzend und wertneutral führen sie auch die These zum möglichen Selbstbildnis am linken Bildrand an.17

Verweise

  1. Zum Selbstbildnis Gerard Davids in Rouen vgl. den Einleitungstext zu Gerard David.↩︎

  2. Destrée 1913, 153–157, bes. 155f.↩︎

  3. Ebd., 155 (Anm. 2); vgl. weiterführend Bodenhausen 1905.↩︎

  4. Boon o. J., 29.↩︎

  5. Zum Stammbaum Jesse vgl. den Einleitungstext zu Gerard David.↩︎

  6. Ring 1913, 104f, bes. 105. Der Eintrag zum Selbstporträt ist derart unbestimmt, dass nicht mit Gewissheit festzustellen ist, welches der vorgeschlagenen Bildnisse die Autorin anspricht. Folglich scheint der Eintrag bei beiden Figuren auf.↩︎

  7. Dubiez 1947, 209–211, bes. 210; zur Beweinung Christi vgl. weiterführend den Einleitungstext zu Gerard David.↩︎

  8. Sulzberger 1955, 176–178.↩︎

  9. Zur Anbetung der Könige in München vgl. den Einführungstext zu Gerard David.↩︎

  10. Vgl. weiterführend den Katalogeintrag zur verlorenen Anbetung der Könige von Hugo van der Goes.↩︎

  11. Arndt 1961, 164, 173 (Anm. 54).↩︎

  12. Hall 1963, 75.↩︎

  13. Ainsworth 1998, 90 (Anm. 62).↩︎

  14. Véronee-Verhaegen 1994, 228.↩︎

  15. U. a. bespricht Sander Bildnisse vom Meister von Frankfurt (?) in den Anbetungen der Könige in Wien und Antwerpen.↩︎

  16. Sander 1999, bes. 244.↩︎

  17. Stroo/Syfer-d'Olne 2001, 250, 253.↩︎

Bildnis 2

Bildrechte
Lokalisierung im Objekt:zweite Figur von links
Ausführung Körper:Kopfbild
Ausführung Kopf:Dreiviertelporträt
Ikonografischer Kontext:Assistenzporträt in der Szene der Anbetung der Könige
Blick/Mimik:direkter Blick aus dem Bild
Gesten:Hände nicht sichtbar
Körperhaltung:Körper nicht sichtbar; Kopf leicht nach links gedreht
Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal:an der Bildschwelle links außen; zwischen Vordergrundszene der Könige und ankommendem Zug der Könige im Hintergrund; vom vorgelagerten jüngsten König und der Profilfigur links außen stark überschnitten; über Kopfbedeckung dem Zug der Könige zuordenbar; Gesicht durch Beleuchtung betont (besonders im Vergleich zur Profilfigur ganz links, die das Bildnis zudem durch ihre Blickführung betont); Teil einer isokephalen Reihe
Kleidung:auffällige Kopfbedeckung
Zugeordnete Bildprotagonisten:erste Figur am linken Bildrand

Forschungsergebnis: David, Gerard

Künstler des Bildnisses:David, Gerard
Status:kontrovers diskutiert
Status Anmerkungen:Der Forschungsstand ist hinsichtlich der Erstthematisierung des möglichen Selbstporträts nicht eindeutig, weshalb auf einen Eintrag hierzu verzichtet wird.
Typ Autor/in Jahr Referenz Seite Anmerkungen
Bejahend Ring 1913 Ring 1913 – Beiträge zur Geschichte der niederländischen 104f -
Bejahend Müller Hofstede 1998 Müller Hofstede 1998 – Der Künstler im Humilitas-Gestus 54f -
Skeptisch/verneinend Ainsworth 1998 Ainsworth 1998 – Gerard David 90 (Anm. 62) -

Ring (1913) thematisiert das Stifterbild Davids in der Tafel in Rouen und stellt physiognomische Übereinstimmungen zu weiteren möglichen Bildnissen des Malers im Stammbaum Jesse1 und in der Anbetung der Könige in Brüssel fest. Der Vermerk zur Epiphanie ist sehr unbestimmt, weshalb er nicht als Erstidentifikation herangezogen werden kann. Ring schreibt: „noch einmal den gleichen Kopf im Hintergrund von Davids „Anbetung der Könige“ in Brüssel.“2

Müller Hofstede (1998) behandelt die von einem König überschnittene Figur am linken Bildrand im Rahmen seiner Untersuchungen altniederländischer Selbstdarstellungen als ein Selbstporträt Davids. Wie in der Zeit und der Kulturregion üblich, erscheine es im Sinne der humilitas im üblichen Darstellungsmodus als abgewertetes Motiv (im Hintergrund oder seitlich, von der Szene entfernt, nur teilweise sichtbar). Damit, so der Autor, verfolgen Maler neben der Thematisierung ihrer Autorenschaft auch das Ziel, Demut und Bescheidenheit auszudrücken sowie den Wunsch nach Teilhabe an sakraler Fürbitte zu artikulieren.3

Ainsworth (1998) zählt in ihrer Auflistung der meistzitierten Identifizierungen Gerard Davids neben einer Figur am Rand des Urteil des Kambyses sowohl das Bildnis am linken Bildrand als auch die zentrale Figur in der Anbetung in Brüssel auf. All diese Protagonisten seien über Ähnlichkeiten miteinander und mit dem verifizierten Porträt in Rouen verbunden.4

Verweise

  1. Zu Vermerken zum Selbstbildnis Gerard Davids in Rouen und dem möglichen Bildnis des Malers im Stammbaum Jesse vgl. den Einleitungstext zu Gerard David.↩︎

  2. Ring 1913, 104f, bes. 105. Der Eintrag zum Selbstporträt ist derart unbestimmt, dass nicht mit Gewissheit festzustellen ist, welches der vorgeschlagenen Bildnisse die Autorin anspricht. Folglich scheint der Eintrag bei beiden Figuren auf.↩︎

  3. Müller Hofstede 1998, 54f.↩︎

  4. Ainsworth 1998, 90 (Anm. 62).↩︎

Untrennbar verbunden: Ein Zusammenspiel differenzierter Bezugssysteme

1829/30 schrieb der damalige Besitzer van Rotterdam das Gemälde den Malern Jan und Hubert van Eyck zu und glaubte, Selbstporträts der Brüder in den Assistenzfiguren identifizieren zu können. Seit der Wende zum 20. Jahrhundert wird Gerard David als Autor des Werks angenommen, was zwischenzeitlich von der Forschung allgemein akzeptiert ist.1 Zwar änderte sich damit die Zuschreibung, die offensichtliche Porträthaftigkeit der Figuren führt aber weiterhin zu Diskussionen um mögliche Selbstdarstellungen – zwei Figuren stehen dabei im Fokus.

Die Einbettung Davids in die Entwicklungen der Zeit wurde bereits im Katalogeintrag zur Kreuzigung in Madrid angesprochen. Für das vorliegende Gemälde ist, wie insbesondere Sander ausführt, auf die Vorbildwirksamkeit von Hugo van der Goes hinzuweisen und hierbei vor allem auf die Inspirationen durch dessen Monforte-Altar.2 Neben der von Sander festgestellten Position an einer Bildschwelle im Mittelgrund, die in Epiphaniedarstellungen nach Hugo van der Goes vorrangig mit Selbstdarstellungen bespielt werden, sind allerdings auch die Randbereiche der beiden Gemälde zu berücksichtigen: Während van der Goes am rechten Bildrand Assistenzporträts positionierte, machte David dies am linken. Hier wie dort werden diese Protagonisten ebenfalls als Selbstdarstellungen in Betracht gezogen.3

Überlegungen zu möglichen Selbstdarstellungen von Gerard David kreisen vorrangig um Vergleiche mit dem Stifterbildnis in Rouen.4 Gerade im Fall dieses Malers sind Diskussionen um Ähnlichkeiten allerdings wenig fruchtbar, da seine Protagonisten allgemein, wie Ainsworth richtig feststellt, physiognomisch miteinander verbunden sind.5 Daneben stehen zwei gegenläufige Argumente im Raum, die folgerichtig zu Überlegungen zu zwei verschiedenen Figuren beitragen: Zum einen steht Selbstbewusstsein durch Inszenierung künstlerischer Genealogie im Fokus,6 zum anderen der Ausdruck von humilitas durch den bewussten Einsatz eines Bescheidenheitstopos.7 Kombiniert man diese Parameter, so lässt sich die These aufstellen, dass sich die beiden Figuren in ihrem unmittelbaren Zusammenspiel gegenseitig bedingen und jeweils beide Aspekte bedienen. Dabei wird die Figur in der Mitte als mögliches Selbstporträt, die Figur am Rand als Assistenzbildnis gewertet: Während die Position und die Ausschnitthaftigkeit der Assistenzfigur am linken Bildrand den Eindruck demütiger Zurückhaltung evozieren, erzeugen die durch die auffällige Beleuchtung gegebene Sichtbarkeit, aber insbesondere auch der direkte Blick der Figur einen nachhaltigen Eindruck. Der zudem von der Profilfigur am Rand betonte Mann, der über seine Kopfbedeckung dem Zug der Könige zuzuordnen ist, überbrückt den vorderen Bildraum und schafft eine direkte Verbindung zur BetrachterIn. Folgt die RezipientIn der Aufforderung, den Bildraum zu erkunden, so wird sie über die isokephale Reihe an Köpfen von links außen in die Mitte zum ebenfalls auffällig beleuchteten Kopf der Selbstporträtfigur geführt. Neben dem Gesicht ist es auch die in einer selbstbezeichnenden Geste vor den Körper geführte Hand dieses Mannes, die sich von den umgebenden Bereichen unterscheidet. Während der Kopf von zwei abgeschatteten bzw. dunkleren Gesichtern gerahmt wird, hebt sich die Hand, die keine offensichtliche Funktion zu haben scheint, vor der Dunkelheit der Kleidung ab. Geht man von einer, für ein Selbstporträt üblichen Fertigung nach dem Spiegel aus, handelt es sich dabei um die rechte Hand, deren Darstellung als ein Indiz für die Inszenierung der ausführenden Malerhand gelesen werden kann – was dem Bildnis den Status einer Signatur verleihen würde. Die beiden Protagonisten hinter dem dunkel gekleideten Mann sind diesem offensichtlich zugewandt. Die rote Kappe des einen könnte auf einen Mitarbeiter Davids hinweisen; seine Hand, die auf der Schulter des Meisters liegt, berichtet möglicherweise von einem vertrauten Verhältnis. Zudem implizieren sowohl der Raum, den die jeweiligen Figuren in diesem Bereich einnehmen, als auch die weitgehende Einsichtigkeit des möglichen Selbstbildnisses ein hierarchisches Verhältnis – die Möglichkeit eines Werkstattbildes, in dem David als Meister von einem (evtl. zwei) Mitarbeiter(n) begleitet wird, ist gegeben. Blickt das Porträt mit demütig gesenktem Blick auf die Gottesmutter mit dem Kind, so ist die BetrachterIn erneut aufgefordert, dieser Bewegungsrichtung zu folgen und ihrerseits am sakralen Geschehen Anteil zu nehmen.

Gerard David stellt sein vermutliches Selbstbildnis als Dreh- und Angelpunkt nahezu ins Zentrum der Komposition. Er umgibt es mit Figuren – darunter die Assistenzfigur am linken Bildrand – die dazu dienen, Bild- und BetrachterInnenraum zu verbinden und Davids Status als selbstbewusster Maler (samt Werkstatt) zu festigen, ohne dabei das decorum zu verletzen. Im fortgeschrittenen 15. Jahrhundert blickten die Maler bereits auf eine längere Entwicklung von Selbstinszenierungsmethoden zurück. Kompositorische bildinhärente Bezugssysteme und die Kombination von Blick- und Bezugsachsen lassen sich aus vielen Bildern ableiten8 – auch Gerard Davids Gemälde kann in diese Tradition eingereiht werden.

Verweise

  1. Zur Geschichte der Zuschreibungen vgl. u. a. Stroo/Syfer-d'Olne 2001, 249; zum Gemälde umfassend vgl. u. a. Miegroet 1989, 282; Stroo/Syfer-d'Olne 2001.↩︎

  2. Sander 1999, bes. 244.↩︎

  3. Zu weiterführenden Überlegungen zur These Sanders vgl. den Katalogeintrag zum Monforte-Altar.↩︎

  4. Zum Stifterbild in Rouen vgl. weiterführend den Einleitungstext zu Gerard David.↩︎

  5. Ainsworth 1998, 90 (Anm. 62).↩︎

  6. Sander 1999, bes. 244.↩︎

  7. Müller Hofstede 1998, 54f.↩︎

  8. Vgl. pars pro toto Hugo van der Goes‘ Monforte-Altar im Norden oder Domenico Ghirlandaios Vertreibung Joachims aus dem Tempel im Süden.↩︎

Literatur

Ainsworth, Maryan Wynn: Gerard David. Purity of Vision in an Age of Transition, Amsterdam 1998.
Arndt, Karl: Gerard Davids „Anbetung der Könige“ nach Hugo van der Goes, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, 3. Jg. 1961, H. 12, 153–175.
Bodenhausen, Eberhard Freiherr von: Gerhard David und seine Schule, München 1905.
Boon, Karel G.: Gerard David. Met acht en veertig afbeeldingen (Palet Serie), Amsterdam o. J.
Destrée, Joseph: De portretten van Gerard David, in: Onze Kunst, 12/1 1913, H. 23, 153–157.
Dubiez, F. J.: Een vroeg zelfportret van Gerard David, in: Oud-Holland, 6. Jg. 1947, H. 62, 209–211.
Hall, H. van: Portretten van Nederlandse beeldende kunstenaars. Repertorium. Portraits of Dutch Painters and Other Artists of the Low Countries, Amsterdam 1963.
Miegroet, Hans J. van: Gerard David, Antwerpen 1989.
Müller Hofstede, Justus: Der Künstler im Humilitas-Gestus. Altniederländische Selbstporträts und ihre Signifikanz im Bildkontext. Jan van Eyck – Dieric Bouts – Hans Memling – Joos van Cleve, in: Schweikhart, Gunter (Hg.): Autobiographie und Selbstportrait in der Renaissance (Atlas. Bonner Beiträge zur Renaissanceforschung, 2), Köln 1998, 39–68.
Ring, Grete: Beiträge zur Geschichte der niederländischen Bildnismalerei im 15. und 16. Jahrhundert (Beiträge zur Kunstgeschichte, N. F. 40), Leipzig 1913.
Sander, Jochen: An Hugos Statt – Das Künstlerselbstbildnis in den Kopien und Varianten nach dem Monforte-Altar des Hugo van der Goes als Ausdruck künstlerischen Selbstbewußtseins, in: Kruse, Christiane/Thürlemann, Felix (Hg.): Porträt – Landschaft – Interieur. Jan van Eycks Rolin-Madonna im ästhetischen Kontext (Literatur und Anthropologie, 4; Tagungsband, Konstanz, 1998), Tübingen 1999, 237–254.
Stroo, Cyriel/Syfer-d'Olne, Pascale: Gerard David. Adoration of the Magi, in: Stroo, Cyriel/Syfer-d'Olne, Pascale/Dubois, Anne/Slachmuylders, Roel/Toussaint, Nathalie (Hg.): The Flemish Primitives. The Hieronymus Bosch, Albrecht Bouts, Gerard David, Colijn de Coter and Goossen van der Weyden Groups (The Flemish Primitives. Catalogue of Early Netherlandish Painting in the Royal Museums of Fine Arts of Belgium, 3), Brüssel 2001, 242–258.
Sulzberger, Suzanne: Autoportraits de Gérard David, in: Bulletin des Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique 1955, 1–3, 176–178.
Véronee-Verhaegen, Nicole: Le portrait, in: Patoul, Brigitte de (Hg.): Les primitifs flamands et leurs temps, Löwen 1994, 217–239.

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