Inhaltsverzeichnis
Objekt
Bildrechte
| Alternativtitel Deutsch: | Kreuzigung |
| Titel in Originalsprache: | Kruisiging |
| Titel in Englisch: | Crucifixion |
| Datierung: | ca. 1475 |
| Ursprungsregion: | altniederländischer Raum |
| Lokalisierung: | Spanien; Madrid; Museo Thyssen-Bornemisza |
| Lokalisierung (Detail): | Inventarnummer: 125 (1928.3) |
| Medium: | Tafelbild |
| Material: | Öl |
| Bildträger: | Holz (Eiche) |
| Maße: | Höhe: 88 cm; Breite: 56 cm |
| Ikonografische Bezeichnung: | Kreuzigung Christi |
| Iconclass: | 73D6 – the crucifixion of Christ: Christ's death on the cross; Golgotha (Matthew 27:45–58; Mark 15:33–45; Luke 23:44–52; John 19:25–38) |
| Signatur Wortlaut: | ohne |
| Datierung Wortlaut: | ohne |
| Auftraggeber/Stifter: | unbekannt |
| Provenienz: | Augustiner-Chorherrenstift St. Florian nahe Linz, entdeckt 1918 (Geertgen tot Sins Jans zugeschrieben); erworben vor 1930, Schloss Rohoncz, Burgenland |
| Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt: | unbekannt |
Die Angaben zur Datierung variieren. Während hier die Überlegung unterstützt wird, dass es sich um ein Frühwerk handelt, schreibt etwa Miegroet: „The attribution of this panel to David remains somewhat problematic. It was probably executed by a follower.“1 Die Datierung auf ca. 1475 wurde vom Museo Thyssen Bornemisza übernommen.2 Zur Provenienz.3
Bildnis 1
Bildrechte
| Lokalisierung im Objekt: | erste Figur von rechts |
| Ausführung Körper: | Halbfigur stehend |
| Ausführung Kopf: | Dreiviertelporträt |
| Ikonografischer Kontext: | Assistenzfigur in der Szene der Kreuzigung Christi |
| Blick/Mimik: | direkter Blick aus dem Bild |
| Gesten: | Hände nicht sichtbar |
| Körperhaltung: | aufrecht; Körper und Kopf Richtung links ausgerichtet |
| Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal: | Figur am äußerst rechten Bildrand, von diesem und der vorgelagerten Figur weitgehend überschnitten; mit Ausnahme eines Baumes und entfernter Landschaftssegmente keine Elemente oberhalb des Bildnisses, das Blattwerk des Baumes scheint die Kopfform zu betonen; im hintersten Bereich der Figurenebene an einer Schnittstelle zwischen Vordergrundbühne und Hintergrundszenerie angesiedelt; durch einen Freiraum von der Profilfigur links der Figur getrennt; durch den Blick der Profilfigur hervorgehoben; das Bildnis tritt wegen seines hellen Inkarnats aus dem farblichen Umkreis hervor |
| Kleidung: | schwarze Kleidung |
Forschungsergebnis: David, Gerard
| Künstler des Bildnisses: | David, Gerard |
| Status: | weitgehend anerkannt |
| Status Anmerkungen: | Das Prädikat „weitgehend anerkannt“ basiert auf wenigen Forschungsmeinungen. Dabei wurde das Gros der ForscherInnen, die sich nicht zu einer möglichen Selbstdarstellung geäußert haben, nicht berücksichtigt. |
| Typ | Autor/in | Jahr | Referenz | Seite | Anmerkungen |
|---|---|---|---|---|---|
| Erstzuschreibung | Mayer | 1930 | Mayer 1930 – Die Ausstellung der Sammlung Schloss | 308 | - |
| Bejahend | Hall | 1963 | Hall 1963 – Portretten van Nederlandse beeldende kunstenaars | 75 | - |
| Skeptisch/verneinend | Cross, Eisler et al. | 1989 | Cross, Eisler et al. 1989 – Gerard David | 137 |
Detailswertneutrale Forschungsmeinung
|
| Bejahend | Véronee-Verhaegen | 1994 | Véronee-Verhaegen 1994 – Le portrait | 228 | - |
| Skeptisch/verneinend | Ainsworth | 1998 | Ainsworth 1998 – Gerard David | 93 |
Detailswertneutrale Forschungsmeinung
|
| Bejahend | Sander | 1999 | Sander 1999 – An Hugos Statt | 249 | - |
| Bejahend | Panofsky | 2001 | Panofsky 2001 – Die altniederländische Malerei | 177 | - |
| Bejahend | Boon | o. J. | Boon o. J. – Gerard David | 27 | - |
1930 führt Mayer das Bildnis in der Kreuzigung in einer Zusammenschau der Ausstellung der Sammlung Schloss Rohoncz in der Neuen Pinakothek in München an. Ohne weitere Ausführungen vermerkt der Autor, der Künstler habe sich auf der Tafel selbst porträtiert. Zur Konkretisierung der Figur publiziert er eine Detailansicht mit dem Bildnis am rechten Bildrand.1
Boon (o. J.) vergleicht das jugendliche Bildnis mit dem Selbstporträt in Rouen und stellt physiognomische Übereinstimmungen fest.2
1963 nimmt Hall das Bildnis in seine Sammlung niederländischer Selbstporträts auf.3
Cross/Eisler/Seiden verweisen 1989 auf den Forschungsstand zum möglichen Selbstporträt und thematisieren es wertneutral zusammen mit einer weiteren möglichen Selbstdarstellung in der Geburt Christi in Budapest.4
Nach allgemeinen Feststellungen zu Funktionen (Signatur, Devotion, Künstlerstolz) und Erkennungsmerkmalen (zeitgenössische Kleidung, abwesender oder direkter Blick, im Hintergrund) sowie einem Hinweis auf die generelle Schwierigkeit der Identifikation von Selbstdarstellungen listet Véronee-Verhaegen (1994) eine Reihe von Bildnissen auf. So zeige sich etwa Gerard David, dessen wesentlichstes Selbstporträt das Stifterporträt in Rouen ist, im Gefolge der Anbetung der Könige in Brüssel und in der Kreuzigung in Madrid.5
Ainsworth (1998) bezieht sich urteilsfrei auf frühe Identifizierungen des Selbstporträts, das ihrer Meinung nach den ersten Erfolg in der Karriere des Malers ankündigt.6
Sander (1999) thematisiert Davids Selbstdarstellung indirekt im Rahmen seiner Analyse von Selbstdarstellungen nach dem Monforte-Altar von Hugo van der Goes. Die Kreuzigung, in der David sein Selbstporträt integrierte, stelle eine Synthese verschiedener Einflüsse dreier Maler dar: des Meisters von Flémalle, Jan van Eycks und Rogier van der Weydens. Damit repräsentiere David eine bewusste Auseinandersetzung mit Vorbildern.7
Panofsky erwähnt das Bildnis mit dem direkten Blick 2001 als eine mögliche jugendliche Selbstdarstellung.8
Früh übt sich
Gerard David ist in Oudewater nahe des Kunstzentrums Haarlem geboren, in dem u. a. Albert van Ouwater, Dieric Bouts und Geertgen tot Sins Jans wirkten. Zu seinen frühen Jahren vor der Aufnahme in die Gilde in Brügge 1484 sind keine Quellen vorhanden, wenngleich eine kleine Auswahl an Gemälden vermutlich dieser Zeit zuzurechnen ist. Dazu zählt u. a. die Madrider Kreuzigung, die sich als Synthese verschiedener Einflüsse präsentiert1 und als eine bewusste Auseinandersetzung mit Vorbildern und der damit verbundenen Inszenierung einer künstlerischen Genealogie zu werten ist. „Der junge David scheint mit diesem Bild selbstbewußt dokumentieren zu wollen, in welchem Umfang er der jeweils unterschiedlichen künstlerischen Sprache der großen Vorgänger mächtig ist.“2 Dieses Argument Sanders wird umso bedeutsamer, zieht man Überlegungen zu den Selbstporträt-Gebaren dieser Zeit hinzu und erweitert man die Fragestellung dahingehend, ob David auch hinsichtlich seiner Selbstinszenierung beeinflusst gewesen sein könnte. Selbstdarstellungen waren damals in den Niederlanden üblich, was sich in zahlreichen Fallbeispielen angesprochener Vorbilder zeigt und wie es u. a. in Einträgen zum Meister von Flémalle, zu Jan van Eyck, Rogier van der Weyden, Hans Memling, Petrus Christus, Dieric Bouts oder Hugo van der Goes ausgeführt ist. Besonders bedeutsam für die frühe Kreuzigung scheinen Inszenierungen von Malern, die in der Heimatregion Davids angesiedelt waren, wie etwa Dieric Bouts oder Geertgen tot Sins Jans.
Bislang wurde bei der Identifizierung des Selbstporträts von David vorrangig auf Ähnlichkeiten zu seiner verifizierten Selbstdarstellung in Rouen3 fokussiert. Diese sind zwar prinzipiell gegeben, allerdings sind auch wesentliche physiognomische Abweichungen besonders im Kinn- und Nasenbereich zu beobachten, die dem großen Altersunterschied von mehr als dreißig Jahren zwischen den Selbstdarstellungen geschuldet sein könnten.
Weit aussagekräftiger sind daher die Systeme, die der junge Maler bediente, um das Bildnis, ohne das decorum zu stören, am Rand des sakralen Bildes zu verankern und es doch in aller Deutlichkeit wirksam werden zu lassen: Trotz weitgehender Überschneidungen im Bereich des Körpers ist der frei einsichtige Kopf sehr präsent, der in ein, wie eine Rahmung wirkendes Blätterdach eingebettet scheint und sich durch das helle Inkarnat deutlich vom Hintergrund und der schwarzen Kleidung abhebt. Zudem verstärkt ein Freiraum zwischen dem Schächer im Profil links des Bildnisses die Isolation desselben vom Geschehen. Auch lenkt der Scherge mit seinem Blick auf die Randfigur, die ihrerseits durch den Blick auf die BetrachterIn den Bildraum nach vorne hin ausdehnt. Weiters ist das Porträt an einer innerbildlichen Schwelle am hinteren Rand der vorderen Bildbühne (Figurenbühne) angesiedelt, damit ist auch eine Erschließung des Gemäldes in den Bildhintergrund gegeben.
Im Zusammenspiel all dieser Mechanismen, so scheint es, bediente David Systeme für Selbstdarstellungen, wie sie in der Zeit sowohl im Norden als auch im Süden bekannt und üblich waren. Dieric Bouts (um nur einen Vorläufer Davids zu thematisieren4) hatte sein vermutliches Selbstporträt schon in den 1460er-Jahren schwarz gekleidet, im Dreiviertelprofil und teils überschnitten an den Rand seiner Abendmahl-Tafel gestellt. Ein weiteres mögliches, David zeitlich näherliegendes und vergleichbares Selbstporträt von Bouts ist im Gerechtigkeitsbild identifiziert. Auch in Davids eigenem Oeuvre finden sich analoge Selbstthematisierungen, wie etwa eine Randfigur im Urteil des Kambyses in Brüssel. Zudem bestätigt das Stifterbild des Malers in seinem Hauptwerk Virgo inter Virgines,5 das den Höhepunkt seiner Selbstinszenierungsstrategien darstellt, das System des Bildnisses in der Madrider Kreuzigung in abgewandelter Form. Allerdings zeigt sich gerade bei diesem Stifterbild die Krux: Soweit aus den Abbildungen der Gemälde ersichtlich, malte sich David in Rouen mit hellen, rauchblau bis grünen Augen, während das Bildnis in der frühen Kreuzigung offenbar dunkle (braune?) Augen zu haben scheint. Solch eine Abweichung geht weit über übliche Ähnlichkeitnuancen hinaus, denn dass ein Maler seine eigene Augenfarbe variiert, ist höchst unwahrscheinlich.
Dem jungen David schon zu Beginn seiner Karriere bewusstes Kalkül zuzuschreiben, scheint nach der Analyse des Bildnisses in der Kreuzigung folgerichtig. Trotzdem kann (auch wegen fehlender verifizierender Quellen) nicht von einer Selbstdarstellung im herkömmlichen Sinn ausgegangen werden – wohl aber von einer frühen kryptomorphen Inszenierung des synthesebegabten Malers.
Verweise
Zu Davids frühen Errungenschaften und Einflüssen vgl. u. a. Ainsworth 1998b, 93–153, zur Madrider Kreuzigung bes. 93–95; Miegroet 1989, 318, zum frühen Stil bis 1498 vgl. weiterführend 35–93; Snyder/Silver 2005, 203–205. Zu Davids Vita vgl. u. a. Ainsworth 1998a, 80; Miegroet 1989, 19–23, bes. 22f.↩︎
Sander 1999, 249.↩︎
Vgl. den Einführungstext zu Gerard David.↩︎
Zu Bouts als wesentliches Vorbild aus den nördlichen Niederlanden vgl. u. a. Ainsworth 1998a, 81. Zu Bouts Vorbildwirksamkeit gerade für eine Sequenz der Madrider Kreuzigung (die Komposition der rechts im Gemälde angeführten Trauernden) vgl. u. a. Snyder/Silver 2005, 203.↩︎
Zu Davids Bildnis in Virgo inter Virgines vgl. den Einleitungstext zum Maler.↩︎
Literatur
Zitiervorschlag:
Krabichler, Elisabeth: Kreuzigung Christi (Katalogeintrag), in: Metapictor, http://explore-research.uibk.ac.at/arts/metapictor/katalogeintrag/david-gerard-kreuzigung-christi-ca-1475-madrid-museo-thyssen-bornemisza/ (05.12.2025).