Einzug in Jerusalem

Forlì, Melozzo da

1482 bis 1484

Italien; Loreto; Basilica della Santa Casa: Sagrestia di San Marco

Objekt

Bildrechte
Detailtitel:Einzug in Jerusalem (Teil von: Passionszyklus)
Alternativtitel Deutsch:Jesus reitet in Jerusalem ein
Titel in Originalsprache:Ingresso di Gesù a Gerusalemme; Ingresso di Cristo a Gerusalemme; Entrata in Gerusalemme
Titel in Englisch:Triumphal Entry Into Jerusalem
Datierung: 1482 bis 1484
Ursprungsregion:italienischer Raum
Lokalisierung:Italien; Loreto; Basilica della Santa Casa: Sagrestia di San Marco
Lokalisierung (Detail):Seitenwand rechts des Fensters
Medium:Wandbild
Material:Fresko
Bildträger:Wand
Ikonografische Bezeichnung:Einzug in Jerusalem
Iconclass:73D14 – entry into Jerusalem: people spreading their clothes before Christ on the ass, and waving palm branches
Signatur Wortlaut:ohne
Datierung Wortlaut:ohne
Auftraggeber/Stifter:Girolamo Basso della Rovere (Neffe von Papst Sixtus IV., Bischof von Recanati)
Provenienz:in situ
Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt:öffentlich

Zur Sagrestia di San Marco (auch „Cappella del Tesoro Vecchio”, „Sagrestia del Sacramento” bzw. „Cappella di Melozzo“)1 und zum Auftraggeber.2

Verweise

  1. Benati 2011, 77.↩︎

  2. Coltrinari 2019, 59.↩︎

Bildnis 1

Bildrechte
Lokalisierung im Objekt:erste Figur von rechts in der ersten Reihe
Ausführung Körper:Kopfbild
Ausführung Kopf:Dreiviertelporträt
Ikonografischer Kontext:Figur in der Gestalt eines Apostels
Blick/Mimik:direkter Blick aus dem Bild in Richtung BetrachterIn
Gesten:Hände nicht sichtbar
Körperhaltung:Körper nicht sichtbar
Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal:Figur schließt die Gruppe des Vordergrundes horizontal nach rechts ab; durch die verkleinerte Größe leitet sie vertikal in die Gruppe des Bildmittelgrundes über; sie befindet sich am hinteren Rand der vorderen Bildbühne; Figur ist rechts vom Pfeiler der gemalten Rahmenarchitektur und links von einer Apostelfigur stark überschnitten
Kleidung:nur ausschnittweise zu erkennen, wahrscheinlich eine blaue Toga
Zugeordnete Bildprotagonisten:Gruppe von Aposteln rechts neben der Figur

Forschungsergebnis: Forlì, Melozzo da

Künstler des Bildnisses:Forlì, Melozzo da
Status:kontrovers diskutiert
Status Anmerkungen:Die Beschaffung und Analyse der Literatur zum vorgeschlagenen Selbstbildnis ist derzeit noch nicht abgeschlossen, der Eintrag wird weiterhin ergänzt.
Typ Autor/in Jahr Referenz Seite Anmerkungen
Erstzuschreibung Schmarsow 1912 Schmarsow 1912 – Joos van Gent und Melozzo 143 (Anm. 1) -
Bejahend Gnudi 1938 Gnudi 1938 – Melozzo da Forlì 10f -
Skeptisch/verneinend Lányi 1938 Lányi 1938 – Un autoritratto di Melozzo da 103 -
Skeptisch/verneinend Buscaroli 1955 Buscaroli 1955 – Melozzo e il melozzismo 94 -
Bejahend Clark 1989 Clark 1989 – Melozzo da Forlì 89 (Anm. 45) -
Skeptisch/verneinend Tumidei 1994 Tumidei 1994 – Melozzo da Forlì 64 -
Bejahend Roesler 1999 Roesler 1999 – Selbstbildnis und Künstlerbild 146 (Anm. 471) -
Bejahend Gigante 2010 Gigante 2010 – Autoportraits en marge 112 -

1912 belegt Schmarsow seine Zuschreibung einer Zeichnung aus den Uffizien an Melozzo da Forlì durch die Gegenüberstellung mit einer Figur am linken Bildrand des Einzugs in Jerusalem, „einem als Selbstporträt geltenden Kopf“1. Er nennt keine Quellen für seine Behauptung und beruft sich offenbar auf mündliche Überlieferungen.

1938 geht Gnudi von einer Ausführung des Zyklus durch Gehilfen aus, er erwähnt namentlich Giovanni Santi und Palmezzano. Dieser habe vor allem im Einzug von Jerusalem mitgearbeitet. Die Figuren im Vordergrund schreibt er dennoch Melozzo zu und erkennt ein Selbstbildnis in der ersten Figur rechts. Das Alter des Dargestellten von unter fünfundvierzig Jahren nimmt er als Argument für eine Datierung des Gemäldes auf etwas nach 1484.2

Lányi schreibt die Malereien zur Gänze dem Melozzo-Schüler Palmezzano zu. Auch er erkennt in der Figur am rechten Bildrand ein Selbstporträt, allerdings folgerichtig das des ausführenden Künstlers Marco Palmezzano, womit eine Selbstdarstellung Melozzos indirekt ausgeschlossen ist.3

1955 vermutet Buscaroli, dass das gesamte Gemälde Einzug in Jerusalem von Palmezzano nach einem Entwurf Melozzos ausgeführt wurde, was eine Selbstdarstellung Melozzos von vornherein ausschließen würde. Er erwähnt weder ein Porträt Melozzos noch ein Selbstbildnis Marco Palmezzanos in der Szene.4

Clark gesteht 1989 der Figur in Dreiviertelansicht am rechten Bildrand Eigenschaften eines Selbstbildnisses zu, ohne sich aber explizit festzulegen. Er erkennt in der Dreiviertelansicht ein Alleinstellungsmerkmal neben den drei Frontaldarstellungen und den zwei in Profilansicht auf dem Gemälde.5

1994 bedauert Tumidei bei der Anführung des damaligen Forschungsstandes das Fehlen einer genauen Studie zum Einzug in Jerusalem. Er führt diesen Umstand darauf zurück, dass die Urheberschaft Melozzos in Bezug auf dieses Werk lange in Zweifel gezogen wurde. Das vermutete Selbstporträt in der Figur im Vordergrund, welche die BetrachterIn anblickt, hält er für unwahrscheinlich: „un improbabile autoritratto ‚nazzareno‘ di Melozzo“.6

1999 erwähnt Roesler das Selbstporträt im Einzug in Jerusalem in Loreto, ohne Quellen zu nennen. Sie stellt es in einen ikonographischen Zusammenhang mit Selbstporträts in der Kreuzigungsszene.7

2012 bemerkt Gigante eine Gemeinsamkeit bei Darstellungen von Selbstporträts in den beiden Jahrzehnten nach Perugino: Der Künstler erscheine häufig am Rande des Gemäldes, er sei in Dreiviertelansicht dargestellt und blicke aus dem Bild. Zu Selbstbildnissen dieses Typus zählt sie auch die Figur im Einzug in Jerusalem in Loreto. Sie begründet ihre Identifizierung auch mit der porträtähnlichen Charakterisierung der Gesichtszüge sowie mit der Tatsache, dass diese Figur als einzige des Gemäldes in Dreiviertelansicht dargestellt ist und dabei den Blick auf die BetrachterIn gerichtet hat, „la seule [figure] qui soit présentée de trois quarts et en train de regarder le spectateur.“8

Verweise

  1. Schmarsow 1912, 143 (Anm. 1).↩︎

  2. Gnudi 1938, 10f.↩︎

  3. Lányi 1938, 103.↩︎

  4. Buscaroli 1955, 94.↩︎

  5. Clark 1989, 89 (Anm. 45).↩︎

  6. Tumidei 1994, 64.↩︎

  7. Roesler 1999, 146 (Anm. 471).↩︎

  8. Gigante 2010, 112.↩︎

Melozzo ein früher Nazarner?

Die Urheberschaft Melozzos in Bezug auf den Einzug in Jerusalem wurde lange in Zweifel gezogen, vielleicht wurden deshalb die Fresken von der Forschung wenig beachtet.1 Dabei sind die Fresken von großer Qualität und zeugen von einem reflektierenden Maler. Mit akkurater Perspektivmalerei versucht er, den Innenraum der Kapelle mit dem gemalten Bildraum zu verbinden, in welchem sich das Heilsgeschehen abspielt. Das Programm ist theologisch durchdacht: Einer Episode aus der Passion Christi auf den Seitenwänden sollte jeweils ein Prophet auf dem Gesims der Kuppel und darüber ein Engel mit passendem Symbol entsprechen. Es wurde jedoch nur eine Szene der Leidensgeschichte auf den Seitenwänden verwirklicht: der Einzug in Jerusalem. Darüber hält der Prophet Zaccharias eine Rolle mit einem Zitat, welches diesem Ereignis typologisch entspricht. Ganz oben schwebt in illusionistischer Weise ein Engel vor dem Gewölbe. Er hält einen Ölzweig in der Hand, der auf den Einzug verweist. Aufgrund der Symbole und Zitate der übrigen Felder der Kuppel kann das Programm der unteren, nicht ausgeführten Wandfelder rekonstruiert werden.2

Im Vordergrund des Einzugs in Jerusalem ist eine Gruppe von Aposteln zu sehen. Der Standpunkt der BetrachterIn ist ungewöhnlich, sie blickt von oben auf die Apostelfiguren hinunter, welche durch den unteren Rand des Bildes abgeschnitten werden. Melozzo erzeugt mit diesem Sehpunkt die Illusion einer Plattform, von der die BetrachterIn in das Bild blickt. Den Rahmen des Bildes bildet eine gemalte antikisierende Architektur, die mit den Kassetten in den Laibungen an die Wölbungen der Maxentius-Basilika in Rom bzw. an S. Andrea in Mantua von Leonbattist Alberti erinnert. Dieser gemalte Bogen erzeugt die Illusion eines Fensters, umso mehr als sich seine Form auch im realen Fenster der Kapelle wiederfindet. Albertis Metapher einer „finestra aperta“ scheint hier quasi wörtlich unter der Verwendung seines Architekturzitates ins Bild übersetzt worden zu sein. In der gekonnten Illusionsmalerei manifestiert sich neben der Freude des Künstlers an Verkürzungen und an perspektivischer Darstellung eine gewisse Lust am Spiel mit den Bild- und Realitätsebenen. Melozzo tritt uns somit in der Sagrestia di San Marco grundsätzlich als reflektierender und experimentierfreudiger Maler entgegen.

In der Gruppe der Apostel im Vordergrund rechts wurde von Schmarsow ein Selbstporträt vermutet, wobei nicht eruiert werden konnte, ob er sich dabei auf eine ältere Tradition berufen hatte. Die Figur befindet sich am äußersten Rand des Bildes – in dieser Position finden sich zahlreiche Selbstdarstellungen, die somit den Künstler vom Geschehen distanziert zeigen. Schmarsows Identifizierung wurde von mehreren ForscherInnen übernommen oder zumindest als plausibel erachtet. Der jugendlich wirkende Apostel ist in Dreiviertelansicht dargestellt und richtet seinen wachen Blick auf die BetrachterIn, worin Gigante ein Alleinstellungsmerkmal der Figur erkennt. Bei genauerer Betrachtung blicken jedoch noch zwei weitere Apostel auf die BetrachterIn und die Figuren sind auch nie direkt in Frontalansicht dargestellt, sondern leicht von der Seite her, womit sie sich einer Dreiviertelansicht annähern. Eine „charaktervolle Physiognomie“, die für ein Selbstbildnis spräche, findet sich ebenfalls auch in den anderen Aposteln. Die Charakterköpfe scheinen geradezu ein Markenzeichen des Malers zu sein, „un'intensità umana porpria solo della mano di Melozzo“ 3, was das Alleinstellungsmerkmal der Figur relativiert.

Haar- und Barttracht entsprechen der üblichen Darstellung der Apostel und nicht der zeitgenössischen Mode und es stellt sich die Frage, ob der Künstler wirklich mit den entsprechenden Änderungen in die Rolle eines Jüngers schlüpfen und somit ein Nazarener-Porträt „avant la lettre“ liefern wollte.4 Der Vergleich mit weiteren vermuteten Porträts schafft ebenso keine Klarheit. Sowohl das Fliesenporträt in London als auch die Zeichnung in Berlin zeigen nämlich den Künstler bartlos. Wenn wir davon ausgehen, dass es sich bei dem Berliner Blatt tatsächlich um ein Selbstporträt handelt, ergeben sich auch keinerlei physiognomischen Ähnlichkeiten zwischen dem fülligen bartlosen Mann zur fast idealtypisch schönen Apostelfigur in Loreto.

Indizien wie der Blick aus dem Bild oder die Position am Rand lassen ein Selbstporträt sehr plausibel erscheinen. Auch die Tatsache, dass Melozzo in der Kapelle seine malerischen Fähigkeiten und Innovationen in Szene setzen konnte, würden eine Beglaubigung der Urheberschaft mit dem malerischen Mittel des Selbstbildnisses erklären. Der prestigeträchtige Kontext der von einem Mitglied der päpstlichen Familie gestifteten Kapelle würde eine Selbstdarstellung ebenfalls motivieren. Die mangelnde Überprüfbarkeit anhand von Vergleichsporträts, der ungewöhnliche ikonografische Kontext und die für die Zeit untypische Haar- und Barttracht lassen jedoch berechtigte Zweifel an der Authentizität des Selbstbildnisses aufkommen.

Verweise

  1. Tumidei 1994, 64.↩︎

  2. Clark 1989, 55.↩︎

  3. Ebd.↩︎

  4. Tumidei 1994, 64.↩︎

Literatur

Benati, Daniele: Melozzo da Loreto a Forlì, in: Benati, Daniele/Mauro, Natale/Paolucci, Antonio (Hg.): Melozzo da Forli. L'umana bellezza tra Piero della Francesca e Raffello (Ausstellungskatalog, Forlí, 29.01.–12.07.2011), Mailand 2011, 77–93.
Buscaroli, Rezio: Melozzo e il melozzismo, Bologna 1955.
Clark, Nicholas: Melozzo da Forlì. Pictor papalis, Florenz 1989.
Coltrinari, Francesca: La pittura nella basilica di Loreto tra Quattrocento e Settecento, in: Federico Bellini (Hg.): La basilica della Santa Casa di Loreto. La storia per immagini nell’età digitale, Rom 2019, 59–79.
Gigante, Elisabetta: Autoportraits en marge. Images de l'auteur dans la peinture de la Renaissance (Thèse de Doctorat, École des Hautes Études en Sciences Sociales), Paris 2010.
Gnudi, Cesare: Melozzo da Forlì, in: Città di Forlì (Hg.): Mostra di Melozzo e del Quattrocento romagnolo. Onoranze a Melozzo nel V centenario della nascita (Ausstellungskatalog, Forlì, Juni–Oktober 1938), Forlì 1938, 5–13.
Lányi, Jenö: Un autoritratto di Melozzo da Forli, in: Critica d'arte, 3. Jg. 1938, 97–103.
Roesler, Antoinette: Selbstbildnis und Künstlerbild in der italienischen Renaissance (Dissertation, Freie Universität Berlin), Berlin 1999.
Schmarsow, August: Joos van Gent und Melozzo da Forli in Rom und Urbino. Ein Kapitel internationaler Kunstgeschichte, in: Abhandlungen der philologisch-historischen Klasse der königlich sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, 29. Jg. 1912, H. 7, 1–214.
Tumidei, Stefano: Melozzo da Forlì. fortuna, vicende, incontri di un artista prospettico, in: Foschi, Marina (Hg.): Melozzo da Forlì. La sua città e il suo tempo (Ausstellungskatalog, Forlì, 08.11.1994–12.02.1995), Rom 1994, 19–81.