Inhaltsverzeichnis
Objekt
Bildrechte
| Titel in Originalsprache: | Naissance du Christ; Nascita di Cristo |
| Titel in Englisch: | Birth of Christ |
| Datierung: | 1490 |
| Ursprungsregion: | altfranzösischer Raum |
| Lokalisierung: | Frankreich; Aigueperse (Puy-de-Dôme); Notre Dame |
| Medium: | Altarbild |
| Material: | Öl |
| Bildträger: | Holz |
| Maße: | Höhe: 145,7 cm; Breite: 145 cm |
| Maße Anmerkungen: | mit Rahmen 161,5 x 160,8 cm |
| Ikonografische Bezeichnung: | Geburt Christi; Verkündigung an die Hirten |
| Iconclass: | 73B57 – adoration of the kings: the Wise Men present their gifts to the Christ-child (gold, frankincense and myrrh) |
| Signatur Wortlaut: | […] benedit de Ghirlandaye Florentin […] |
| Datierung Wortlaut: | […] MCCCCLX […] |
| Signatur/Datierung Position: | signiert, datiert: im Rahmen einer Inschrift auf einem cartellino (s. u.) |
| Inschriften: | Je benedit de Ghirlandaye Florentin, ay faict de ma main ce tableau lan MCCCCLX et dix dans la maison de Monseigneur le conte de Montpensier, dauphin d’Auvergne; am cartellino an der Stallwand |
| Inschriften/Signatur/Datierung weitere Ausführungen: | Die schwer leserliche Inschrift wurde erstmals von Lenormant angeführt. |
| Auftraggeber/Stifter: | Gilbert de Bourbon Montpensier, Graf von Montpensier, Dauphin von Auvergne |
| Provenienz: | Aigueperse, Saint-Chapelle (?), seit 1490 (?); ursprünglich bestimmt für die Palastkapelle des Gilbert de Bourbon Montpensier; Aigueperse, Notre-Dame, seit mindestens 1838 |
| Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt: | unbekannt |
Bildnis 1
Bildrechte
| Lokalisierung im Objekt: | zweite Figur von rechts, hinter der Mauer |
| Ausführung Körper: | Schulterstück |
| Ausführung Kopf: | Dreiviertelporträt |
| Ikonografischer Kontext: | abseits der Szene der Geburt Christi; evtl. Freundschaftsbild |
| Blick/Mimik: | direkter Blick aus dem Bild |
| Gesten: | Hände nicht sichtbar |
| Körperhaltung: | aufrecht |
| Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal: | Kombination von BetrachterInnenansprache sowie Blickachsen des möglichen Selbstporträts, der beigestellten Figur und der zwei Hirten in der Bildmitte (hinter dem Stall); parallelisierte Paarbildung der Selbstporträtgruppe mit der Hirtengruppe; in Zusammenhang mit dem cartellino, auf dem sich Signatur und Datierung befinden; an bildinterner Schwelle zwischen Vordergrundhandlung und Bildhintergrund, von der Stallmauer abgetrennt; als Figurenpaar am rechten Bildrand; Betonung der Kopflinie durch die Silhouette des Stalls; Haupt vor grüner Freifläche der Wiese, diese ist durch einen Weg unterbrochen, der wie ein Pfeil direkt auf das vermutliche Selbstbildnis weist |
| Kleidung: | auffällig beleuchtetes rotes Übergewand |
| Zugeordnete Bildprotagonisten: | Figur rechts des Bildnisses, ohne Identifizierung; betende Hirtenfiguren im Bildmittelgrund hinter dem Stall, hinter der Mauer der Madonna; weitere Hirtengestalten, die sich vor der Beschneidung des Bildes auf selber Höhe am linken Rand befanden (s. u.) |
Forschungsergebnis: Ghirlandaio, Benedetto
| Künstler des Bildnisses: | Ghirlandaio, Benedetto |
| Status: | weitgehend anerkannt |
| Typ | Autor/in | Jahr | Referenz | Seite | Anmerkungen |
|---|---|---|---|---|---|
| Erstzuschreibung | Venturini | 1996 | Venturini 1996 – Riflessioni sulla pala ghirlandaiesca di | 162 | - |
| Bejahend | Nuttall | 2004 | Nuttall 2004 – From Flanders to Florence | 276 (Anm. 38) | - |
| Bejahend | Thièbaut | 2008 | Thièbaut 2008 – 77. Benedetto Bigordi | 224 | - |
Die beiden Figuren hinter der Mauer erfuhren schon früh Beachtung, so etwa bei Mantz (1886), der die zeitgenössische Ausstrahlung der Porträts erkannte. Der Autor bezeichnete sie als „Freunde“ und schloss aus, dass es sich um Stifterfiguren handeln könnte; Stiftern hätte Benedetto Ghirlandaio „mehr Bedeutung beigemessen.“1
1996 stellt Venturini mit großer Sicherheit fest, dass es sich bei dem aus dem Bild blickenden jungen Mann mit schwarzer Kopfbedeckung und rotem Umhang um ein Selbstporträt handelt. Nicht überraschend sei die Position neben dem cartellino mit der Signatur: „L’autoritratto di Benedetto è sicuramente da riconoscere nel giovane con zazzera nera e mantello rosso rivolto verso di noi, non a caso posto accanto al cartellino in cui è riportata la firma del pittore.“2
2004 gibt Nuttall an, dass es sich bei der Figur neben dem cartellino um ein Selbstporträt handeln könne.3
2008 weist Thièbaut auf die italienische Kleidung der Figur und vermutet ein Porträt.4
Nachfolge angetreten? Ein italienisch-niederländisches Selbstporträt in Frankreich
Von 1486 bis 1493 hielt sich Benedetto Ghirlandaio, der Bruder von Domenico Ghirlandaio in Aigueperse (Auvergne) am Hof Gilberts de Bourbon Montpensier auf1 und fertigte dort ein Tafelbild zum Thema der Geburt Christi.2 Ursprünglich für die Palastkapelle3 des Grafen bestimmt, ist das Gemälde Benedettos einzige signierte Malerei,4 in der er italienische Erfahrungen (u. a. Kompositionsschema) mit französischen5 sowie niederländischen Einflüssen (u. a. stilllebenartige Details, Oberflächengestaltung von Gewändern, Realismus) und der Technik der Ölmalerei6 kombinierte. Dies dürfte insbesondere seiner Verbindung mit dem Meister von Moulins (identifiziert als der niederländische Maler Jean Hey bzw. dessen Umkreis geschuldet sein.7 Schon Venturi verwies zudem auf den Einfluss des Portinari-Altars des Hugo van der Goes auf Benedettos Geburtsszene,8 auf jenes niederländische Triptychon also, das schon Domenico Ghirlandaio vor Benedettos Abreise nach Frankreich für das Altarbild in der Sassetti-Kapelle inspiriert hatte und in das dieser ein Selbstporträt einbrachte. Thièbaut betont in dem Zusammenhang den gesteigerten Realismus der Hirten in Benedettos Anbetung im Vergleich zu anderen Bildfiguren – ein Qualitätsmerkmal Hugo van der Goes’. Er spekuliert daher, dass Benedetto und/oder der Meister von Moulins van der Goes wohl begegnet sein dürfte(n).9
Es stellt sich die Frage, ob die Beobachtung der kulturell-künstlerischen Fusion auch auf das eventuelle Selbstporträt anwendbar ist. Dieses befindet sich nahezu am rechten Gemälderand, hinter einer die Anbetungsszene abgrenzenden Mauer und damit an einer bildimmanenten Schwelle zwischen sakraler Vordergrundhistorie und idealisierter Hintergrundlandschaft. Scheinbar über die durch einen starken Hell-Dunkel-Kontrast betonte Silhouette des Stalles gerahmt und von einem wie ein Pfeil auf das Haupt zeigenden Weg im sonst nahezu monochrom-grünen Hintergrund markiert, ist das Bildnis stark hervorgehoben. In Begleitung eines unidentifizierten Porträts und in unmittelbarer Nähe eines an die Stallwand angebrachten cartellino, auf dem sich Signatur und Datierung befinden, blickt die aufrechtstehende Porträtfigur direkt aus dem Bild. Als weitere Bezugspersonen können zwei Hirtenfiguren im Bildmittelgrund hinter dem Stall herangezogen werden, die der BetrachterIn in ihrer betenden Haltung Anleitung zur compassio geben. Übereinstimmungen finden sich nicht nur in der Paarbildung dieser Hirten, sondern ebenso in der farblich korrespondierenden Auffassung der Kleidung – im detaillierteren Vergleich wird eine auffällige Betonung durch Lichteffekte in Benedettos rotem Übergewand deutlich. Ein heute von seiner ursprünglichen Position am linken Bildrand abgetrennter Teil des Gemäldes zeigt ebenfalls Hirten.10 Dargestellt in drei unterschiedlichen Auffassungen (Frontalansicht, Profil- und Dreiviertelporträt) befanden sie sich hinter der durchgehend gemalten Mauer. Wie einem Musterkatalog für Porträtauffassung entstammend, ähnlich dem um 1430 geschaffenen Gruppenporträt der florentinischen Künstlerfamilie der Gaddi,11 beschlossen sie die Figurenreihe. Signaturen auf cartellini wurden im Oeuvre der Werkstatt des Domenico Ghirlandaio mit Ausnahme des vorliegenden Gemäldes nicht gemalt.12 Benedetto stellt sich damit in eine Bildtradition, die vorzugsweise in der venezianischen Malerei des zweiten Drittels des 15. Jahrhunderts bedeutsam war.13 Wenig später könnte eine Kombination einer Selbstdarstellung mit einem cartellino im Wunder der Kreuzesreliquie in Campo San Lio von Giovanni Mansueti, einem Schüler von Gentile Bellini, Albrecht Dürer zu seinen Selbstdarstellungen in Altarbildern inspiriert haben.14
Hingegen scheint die Position, die das Bildnis bei Benedetto einnimmt, deutlich nordisch geprägt: Ein vergleichbares, über architektonische Elemente von der Geburtsszene abgegrenztes vermutliches Selbstporträt findet sich gerade bei Hugo van der Goes im Monforte-Altar. Sowohl van der Goes als auch Ghirlandaio zeigen damit wahrscheinlich ein in den Niederlanden etabliertes System für Selbstdarstellungen. Wie Müller Hofstede überzeugend darlegt, bedient dieses komplexe Funktionen und zeichnet sich durch Darstellungen teils verkleinerter, meist von z. B. Architekturelementen überschnittener Brustbilder oder Halbfiguren im Hintergrund aus.15 Ein Gemälde desselben Themas des Meisters von Moulins16 kann nach Nuttall als direktes kompositorisches Vorbild herangezogen werden17 – oberflächlich betrachtet unterscheidet sich Moulins Geburtsszene im rechten Bildbereich durch das Fehlen der beiden beobachtenden Figuren deutlich von Benedettos Gemälde, analog ist indes das Wappen des Stifters an jener Stelle aufgeführt, die bei Ghirlandaio seiner Signatur vorbehalten ist. Der Stifter selbst, Kardinal Jean Rolin,18 dominiert den rechten Bildrand, während ein solcher bei Ghirlandaio vordergründig nicht vorhanden ist. Ist bei Ghirlandaio der geistige Urheber an die Stelle des materiellen Stifters getreten oder stellte er sich mit eventuellen Stifterfiguren auf eine Ebene? Nach Thièbaut dürfte es sich bei den Hirtenfiguren um den Dauphin und ein Mitglied seines Hofes handeln.19
Auch im System der BetrachterInnenansprache verschmelzen nordische und italienische Einflüsse. Schon Domenico Ghirlandaio hatte sein Selbstbildnis in Anlehnung an den Portinari-Altar mit Hirtengestalten synchronisiert, hatte deren Nähe zur volkstümlichen BetrachterIn als System der Ansprache genutzt. Benedetto nimmt zudem in der Gruppe der Figuren hinter der Mauer über Blick und Körperhaltung eine isolierte Sonderrolle ein. Der Mann neben ihm verweist über die Mimik auf das Bildthema, die betenden Hirten führen über Gestik und verinnerlichte Gesichtsausdrücke dem Anlass entsprechendes Verhalten vor. Die ursprünglich links zu beobachtenden Hirten reagierten in unterschiedlicher Art auf das Geschehen. In der Kombination all dieser Bezugnahmen zur BetrachterIn zeigt sich die devotionale Funktionsebene des möglichen Selbstbildnisses: Wie eine zeitenübergreifende Aktualisierung nimmt auch Benedetto eine ehrfürchtig bezeugende Haltung ein.
Wiederholt wurde auf Benedettos bescheidene malerische Qualität verwiesen.20 Kann sein Porträt dennoch als eine höchst intellektuelle Leistung, als eine kaum zufällige Selbstinszenierung innerhalb anspruchsvoller Bezüge der BetrachterInnenansprache und Synthesen italienischer und nordischer Entwicklungen – insbesondere im Zusammenhang mit seiner florentinischen Ursprungswerkstatt – gelesen werden? Lässt die weitreichende Indizienkette den Schluss zu, dass es sich um ein vielseitig verwobenes Signaturbildnis handelt? Kann die Zusammenstellung der differenziert ausgeführten Porträtfiguren als ein Hinweis auf die Möglichkeiten der Malerei per se und auf Benedetto Ghirlandaio als gebildeten Maler in einer Schlüsselposition gedeutet werden? Die Indizienlage und der Bildbefund geben Anlass, diese Thesen zu befürworten.
Verweise
Nuttall 2004, 98.↩︎
Für eingehende Betrachtungen vgl. Thièbaut 2008.↩︎
Nuttall 2004, 98.↩︎
Kecks 2000, 123.↩︎
Thièbaut 2008, 224. Nach Thièbaut handle es sich hierbei um das nahezu quadratische Format. Das Gemälde war allerdings im ursprünglichen Zustand breiter.↩︎
Nuttall 2004, 99.↩︎
Ebd.↩︎
Venturi 1911, 768.↩︎
Thièbaut 2008, 224.↩︎
Mantz 1886, 384. Zur Abbildung des Fragments vgl. Venturini 1996, 161.↩︎
Porträt von Gaddo, Taddeo und Agnolo Gaddi, um 1430, Florenz, Uffizien.↩︎
Vgl. u. a. Horký 2003, 190; Söll-Tauchert 2010, 202.↩︎
Horký 2003, 190.↩︎
Krabichler 2017, 53f; Michels 1994, 86. Vgl. u. a. Albrecht Dürer, Landauer Altar, 1511, Wien, Kunsthistorisches Museum.↩︎
Müller Hofstede 1998.↩︎
Meister von Moulins, Die Geburt Christi, um 1485, Frankreich, Autun, Musée Rolin.↩︎
Nuttall 2004, 99.↩︎
Ebd.↩︎
Thièbaut 2008, 224.↩︎
Vgl. u. a. Davies 1908, 133; Kecks 2000, 123.↩︎
Literatur
Zitiervorschlag:
Krabichler, Elisabeth: Geburt Christi (Katalogeintrag), in: Metapictor, http://explore-research.uibk.ac.at/arts/metapictor/katalogeintrag/ghirlandaio-benedetto-geburt-christi-1490-aigueperse-puy-de-dome-notre-dame/ (05.12.2025).