Anbetung der Könige (Innocenti-Altar)

Ghirlandaio, Domenico

1485 bis 1488

Italien; Florenz; Museo dello Spedale degli Innocenti

Objekt

Bildrechte
Alternativtitel Deutsch:Anbetung der Heiligen Drei Könige; Anbetung der Heiligen Drei Könige mit dem hl. Johannes dem Täufer und Johannes dem Evangelisten sowie zwei unschuldigen Kindlein; Innocenti-Altarbild
Titel in Originalsprache:Pala degli Innocenti; Adorazione dei Magi; Adorazione dello Spedale degli Innocenti
Titel in Englisch:Innocenti-Adoration of the Kings
Datierung: 1485 bis 1488
Ursprungsregion:italienischer Raum
Lokalisierung:Italien; Florenz; Museo dello Spedale degli Innocenti
Medium:Altarbild; Tafelbild
Material:Tempera
Bildträger:Holz
Maße: Höhe: 285 cm; Breite: 243 cm
Maße Anmerkungen:Rahmen nicht original
Ikonografische Bezeichnung:Kindermord, Bethlehemitischer; Verkündigung an die Hirten; Geburt Christi; Drei Könige (Anbetung und Zyklus der Magier); Johannes der Täufer; Johannes der Evangelist
Iconclass:73B57 – adoration of the kings: the Wise Men present their gifts to the Christ-child (gold, frankincense and myrrh)
Signatur Wortlaut:ohne
Datierung Wortlaut:1488
Signatur/Datierung Position:datiert auf dem Gebälk der Ruine am oberen rechten Bildrand
Inschriften:

Gloria in excelsis Deo; auf dem Schriftband der Engel auf dem Dach des Stalls

Auftraggeber/Stifter:Francesco di Giovanni Tesori (Prior des Spedale degli Innocenti)
Provenienz:ursprüngliche Bestimmung: Hochaltar in Santa Maria degli Innocenti (Spitalskirche des von der Seidenweberzunft gestifteten Findelhauses); verblieb bis zur Überstellung in den Bestand des Museums des Findelhauses 1917 in der Kirche
Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt:öffentlich

Zur detaillierten Provenienz.1

Verweise

  1. Kecks 2000, 343.↩︎

Bildnis 1

Bildrechte
Lokalisierung im Objekt:Figur im linken Seitenbereich des Stalles, hinter dem jüngsten, stehenden König
Ausführung Körper:Schulterstück stehend
Ausführung Kopf:Dreiviertelporträt
Ikonografischer Kontext:Assistenzporträt in der Anbetung der Könige, im Zusammenhang mit dem Stifter repräsentativ für die Profession (Auftraggeber, Auftragsnehmer); Repräsentationsfigur besonders im Bezugssystem zu weiteren Figuren (Assistenzfigur links außen und symmetrisch rechts, Johannes der Täufer), u. a. evtl. für die Werkstatt; nach Roesler Zusammenhang mit der Ikonografie des hl. Lukas
Blick/Mimik:direkter Blick aus dem Bild
Gesten:Hände nicht sichtbar
Körperhaltung:aufrecht; Schulterblick
Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal:das Porträt interagiert indirekt mit einem bildsymmetrisch positionierten Assistenzporträt rechts sowie mit Johannes dem Täufer, zudem symbolisch mit der Figur am äußerst linken Bildrand; nach Roesler steht die diskutierte Selbstdarstellung durch den direkten Blick aus dem Bild zudem mit dem Stier (und dem Täufer) in Zusammenhang; in der hintersten Ebene des Figurenpersonals, das die Vordergrundebene links abschließt, vor einer grünen Freifläche (Landschaft); großteils von vorgelagerten Figuren überschnitten; vom Kreuz des Täufers betont; auf der Zentralachse (gemeinsam mit den evtl. Werkstattmitgliedern)
Kleidung:zeitgenössisch
Zugeordnete Bildprotagonisten:Figur links neben dem Porträt, vorgeschlagen als Giovanni di Francesco Tesori, identifiziert von Kecks; Figur am äußerst linken Bildrand, vorgeschlagen als Bastiano Mainardi oder Benedetto Ghirlandaio von Küppers; symmetrisch zum Porträt ausgeführte Figur im rechten Bereich, vorgeschlagen als Sebastiano Mainardi von Cavalcaselle/Crowe oder als Davide Ghirlandaio von Küppers

Zum ikonografischer Zusammenhang mit dem hl. Lukas vgl. Roesler.1 Zu Vorschlägen zur Identifizierung weiterer Bildfiguren: zu Giovanni di Francesco Tesori,2 zur Figur am linken Bildrand als Bastiano Mainardi oder Benedetto,3 zur Figur rechts als Sebastiano Mainardi4 oder Davide Ghirlandaio.5

Verweise

  1. Roesler 1999, 64–67.↩︎

  2. Kecks 1995, 151.↩︎

  3. Kueppers 1916, 35.↩︎

  4. Cavalcaselle/Crowe 1896, 414. Der Vorschlag stieß in der Forschung auf Ablehnung, vgl. u. a. Cadogan 2000, 261.↩︎

  5. Kueppers 1916, 35.↩︎

Forschungsergebnis: Ghirlandaio, Domenico

Künstler des Bildnisses:Ghirlandaio, Domenico
Status:weitgehend anerkannt
Typ Autor/in Jahr Referenz Seite Anmerkungen
Erstzuschreibung Cavalcaselle/Crowe 1896 Cavalcaselle, Crowe 1896 – Storia della pittura in Italia 414 -
Bejahend Steinmann 1897 Steinmann 1897 – Ghirlandajo 40 -
Bejahend Küppers 1916 Kueppers 1916 – Die Tafelbilder des Domenico Ghirlandajo 35 -
Bejahend Van Marle 1931 Marle 1931 – The Renaissance Painters of Florence 65 -
Bejahend Lauts 1943 Lauts 1943 – Domenico Ghirlandajo 41 -
Bejahend Borsook/Offerhaus 1981 Borsook, Offerhaus 1981 – Francesco Sassetti and Ghirlandaio 41 -
Bejahend Micheletti 1990 Micheletti 1990 – Domenico Ghirlandaio 67 -
Bejahend Kecks 1995 Kecks 1995 – Ghirlandaio catalogo completo 151 -
Bejahend Roesler 1999 Roesler 1999 – Selbstbildnis und Künstlerbild 63–67 -
Bejahend Cadogan 2000 Cadogan 2000 – Domenico Ghirlandaio 261 -
Bejahend Schmid 2002 Schmid 2002 – Et pro remedio animae et 114 -
Bejahend Rohlmann 2003 Rohlmann (Hg.) 2003 – Domenico Ghirlandaio 27 -
Bejahend Horký 2003 Horký 2003 – Der Künstler ist im Bild 84f, 175–177 -
Bejahend Gilbert 2003 Gilbert 2003 – How Fra Angelico and Signorelli 183 (Anm. 41, 43) -
Bejahend Rejaie 2006 Rejaie 2006 – Defining Artistic Identity 148f, 171, 177f, 181–183, 185, 229f -
Bejahend Delbé 2013 Delbé 2013 – Künstlerselbstdarstellungen in der italienischen Renaissance o. S. -
Bejahend Kecks 2021 Kecks 2021 – Ghirlandaio o. S. -

Seit der Erstidentifikation durch Cavalcaselle/Crowe (1896),1 die mit Ähnlichkeiten zu Ghirlandaios Porträt in der Vertreibung Joachims aus dem Tempel argumentierten, ist das mögliche Selbstbildnis in der Forschung allgemein anerkannt. Nur wenige AutorInnen gehen über allgemeine Erwähnungen hinaus,2 teils werden Bezüge zu den physiognomisch vergleichbaren und/oder vom Habitus ähnlichen Bildern in der Sassetti- und Tornabuoni-Kapelle hergestellt,3 nähere Beschreibungen beziehen sich auch auf die zeitgenössische Aufmachung der Porträtfigur.4 Weiterführende Identifizierungsvorschläge schließen zudem andere physiognomisch erfasste Porträtfiguren ein.5 Bereits Cavalcaselle/Crowe vermuteten in dem Zusammenhang, dass etwa Ghirlandaios Mitarbeiter Sebastiano Mainardi im Bild abgebildet wäre,6 Küppers (1916) stellte Überlegungen an, die mehrere Mitarbeiter inkludierten, etwa Sebastiano Mainardi, Benedetto und Davide Ghirlandaio.7

Roesler (1999) stellt weitreichende ikonografische Überlegungen zum Stier als Attribut des hl. Lukas an und schließt auf einen bildimmanenten paragone mit der niederländischen Malerei. Vom direkten Blick aus dem Bild dreier Bildfiguren (Selbstporträt, Täufer und Stier) ausgehend verweist sie auf kompositionelle Bezüge und leitet daraus ein komplexes symbolisches System ikonografischen Gehalts ab. Roesler argumentiert, dass das Auge des Stiers durch das stark reflektierende Glas falle, das wegen Licht- und Spiegeleffekten mit der niederländischen Malerei assoziierbar ist. In der Folge impliziert sie über die Verbindung zum Selbstporträt des Malers eine Anspielung auf den Stier als Attribut des christlichen Ur-Malers Lukas, ein Bildthema, das im Norden großen Anklang fand. Sie wirft die Frage auf, ob ein Hinweis vorliege, dass auch im Süden das Lukasbild als metapikturale Kategorie von Künstlern aufgenommen wurde. Nach umfangreicher Argumentation erhärtet sie die These u. a. mit dem Hinweis auf ein „Lukasdetail“, zu finden bei Gozzoli im Palazzo Medici-Riccardi.8 Zudem betont Roesler weitere kompositorische Hervorhebungen wie etwa die scheinbare Einrahmung des Porträtkopfes durch das Kreuz des Johannes.9

Horkýs (2003) Analysen der Assistenzporträts in der Tafel fokussieren insbesondere auf deren über Kleidung differenziert dargestellten Grad der Fiktion. Über die zeitgenössischen Porträts bzw. deren subtil abgestufte und als Attribute deutbare Gewandung dokumentiere Ghirlandaio ein historisches Konzept: Auf einer Metaebene verschmelze im Bild die Lebenswelt des Malers mit dem mythologischen Ereignis – einer zeitgenössischen Ansammlung von Patriziern im Rahmen des historisch in Florenz aufgeführten Zuges der Könige, der ein wiederkehrendes Ereignis darstellte. Die Autorin erkennt drei bildlich abgegrenzte Realitätsebenen, wobei Künstlerselbstbildnis und Stifterfigur der zeitaktuellen Ebene angehören.10 Horký verweist zudem auf die im Vergleich zu Selbstbildnissen in der Sassetti-Kapelle (vgl.: Erweckung des Knaben, Anbetung der Hirten) und in der Tornabuoni-Kapelle (vgl. Vertreibung des Joachim) leicht variierende Haltung des „erhobenen Hauptes“ und bringt die Geste mit einem unidentifizierten Männerbildnis in Detroid in Zusammenhang. Dieses Ghirlandaio zugeschriebene Gemälde erörtert sie glaubhaft als mögliches (und damit als möglicherweise einziges) autonomes Selbstbildnis des Domenico.11

Gilbert (2003) geht von einem Gruppenbildnis des Malers mit Familienmitgliedern in zeitgenössischer Kleidung aus. Dieses habe neben anderen Porträts einen Wechsel von Figuren in historischen Kostümen und solchen mit zeitgenössischer Aktualisierung arrangiert und Signorelli in Orvieto als Vorbild gedient.12

Rejaie (2006) bestätigt drei Selbstbildnisse von Ghirlandaio (in der Vertreibung von Joachim aus dem Tempel in der Tornabuoni-Kapelle, in der Erweckung eines Knaben in der Sassetti-Kapelle, im Innocenti-Altarbild)13 und spricht dem Maler in der Folge eine lokale Führungsposition zu: „[…] three separate works located within two square miles of each other containing selfimages, which puts Domenico at the forefront as the painter of the greatest number of known self-portraits of Quattrocento artists within the city of Florence.“14 Das kommt ihrer These entgegen, wonach Selbstbildnisse von Auftraggebern (und der Renaissance-Gesellschaft) als Zeichen der Reputation eines Künstlers als Marke gesehen und entsprechend genutzt wurden.15 Konkret zum Innocenti-Altarblatt betont die Autorin zunächst die im Vergleich zum Stifter bescheidene, aber (dank kompositorischer Kunstgriffe wie starke Akzentuierung durch das satte Rot der Kleidung, Farbkontraste zu den umliegenden Figuren in schwarzer bzw. gelber Gewandung, Betonung durch das Kreuz des Johannes) dennoch auffällige Formulierung des Künstlerselbstbildnisses. Aus zweierlei Blickwinkeln beleuchtet sie in der Folge die Motivation für das Bildnis: Von Seiten des Malers sollte das Selbstporträt in den (beruflich wie privaten) Lebensumständen begründet liegen.16 Ghirlandaio vermarktete sich als Leiter einer gut funktionierenden Werkstatt.17 Daneben mag er sich nach Heirat und Gründung eines eigenen Haushaltes als mehrfacher Familienvater in eine Szene von „family longevity, regeneration, and the importance of children“ eingespielt haben wollen,18 womit er sich in die Rolle eines Stifters gebracht und das Gemälde als Votivgabe für die Gesundheit seiner Familie inszeniert habe. Die vom Stifter erbrachte Erlaubnis hierzu reflektiert nach Rejaie die prinzipiell sich wandelnde Haltung Künstlern und ihrer Leistung gegenüber.19 Im konkreten Fall steht dies mit dem prinzipiellen Erfolg Ghirlandaios in Florenz, etwa der zeitgleichen Schaffung des Selbstporträts in einer Arbeit für den anerkannten Kunstmäzen Sassetti, in Zusammenhang.20 „It appears to be an indication of the period’s changing attitude towards artists and artistic achievement that sympathy with Domenico’s desire to commemorate his personal and professional success was recognized by the patrons who allowed him to include his self-portrait.“21 In der Chronologie der Selbstbildnisse stellt die Autorin eine Entwicklung von der Darstellung im Werkstattverband hin zur Freistellung des Meisters im Innocenti-Altarbild fest. Dies interpretiert sie als den Wunsch Domenicos, „to proclaim himself not only the primary talent of his workshop, but a painter whom God had blessed with unusual success in both his personal and professional lives.“22

Kecks (2021) hob die große Anzahl von Ghirlandaios Selbstporträts als ein selbstbewusstes Statement hervor. Die Darstellung inmitten zeitgenössischer Florentiner Persönlichkeiten bestätige im Findelhaus ebenso wie in der Sassetti- und der Tornabuoni-Kapelle das Selbstverständnis des Künstlers als bedeutenden Charakter seiner Zeit.23

Verweise

  1. Cavalcaselle/Crowe 1896, 414.↩︎

  2. Allgemeine Erwähnung findet das Selbstbildnis etwa u. a. bei Borsook/Offerhaus 1981, 41; Cadogan 2000, 261; Schmid 2002, 114; Steinmann 1897, 40.↩︎

  3. Vgl. u. a. Delbé 2013, o. S.; Kecks 1995, 151; Marle 1931, 65; Micheletti 1990, 67.↩︎

  4. Vgl. u. a. Lauts 1943, 41.↩︎

  5. Häufig wird das Porträt des Stifters thematisiert, u. a. bei: Rohlmann 2003, 27.↩︎

  6. Cavalcaselle/Crowe 1896, 414.↩︎

  7. Kueppers 1916, 35.↩︎

  8. Roesler 1999, 64–67.↩︎

  9. Roesler 1999, 63. Die Autorin betont auch, dass es sich beim hier vorliegenden Selbstporträt um das einzige Ghirlandaios in einem Tafelbild handeln soll. Das weitgehend anerkannte Selbstbildnis in der Anbetung der Hirten stößt bei Roesler auf Ablehnung, vgl. Roesler 1999, 60.↩︎

  10. Horký 2003, 84f.↩︎

  11. Domenico Ghirlandaio, Bildnis eines Mannes, 1448, Detroit, Institute of Arts. Vgl. ebd., 175–177.↩︎

  12. Gilbert 2003, 183 (Anm. 41, 43).↩︎

  13. Rejaie 2006, 149.↩︎

  14. Ebd., 171.↩︎

  15. Ebd., 148f.↩︎

  16. Ebd., 181–183.↩︎

  17. Rejaie 2006, 229.↩︎

  18. Ebd., 182.↩︎

  19. Ebd., 230.↩︎

  20. Ebd., 177f.↩︎

  21. Ebd., 230.↩︎

  22. Ebd., 185.↩︎

  23. Kecks 2021, o. S.↩︎

Ein Netz von Bezügen

Ghirlandaios Tafelbild stellt trotz der Darstellung wesentlicher Elemente der Anbetung der Könige und vergleichbarer Formulierung des Themas etwa bei Botticelli keine übliche Umsetzung des Sujets dar.1 Als ein zeitloses Repräsentationsbild,2 als eine synoptische Übersicht, die verschiedene Ikonografien, Orte und Zeitebenen verbindet, subsummiert das Gemälde Aspekte von Prophezeiung, Erlösungshoffnung und Zeitenwende und symbolisiert den Sieg des Christentums über das Heidentum. Die Verbindung zur Funktion als Andachtsbild für das Waisenhaus ist evident. Ein enges Netz gegenseitiger Bezüge fordert zu Deutungen und Interpretationen heraus – das betrifft nicht zuletzt das mögliche Selbstbildnis Ghirlandaios.

Dieses ist im linken Bereich hinter dem jüngsten, stehenden König und dem hoch aufragenden Kreuz des Täufers zu finden. In aufrechter Haltung und mit selbstbewusstem Ausdruck, mit direkter BetrachterInnenansprache sowie Blick über die Schulter dem Großteil der Selbstdarstellungen des Malers entsprechend, inszeniert sich Ghirlandaio selbstbewusst im horror vacui der Figuren. Wie der zu seiner Rechten dargestellte Auftraggeber Giovanni di Francesco Tesori3 ist das Porträt in zeitgenössischer Kleidung gezeigt. Bildsymmetrisch zum Selbstbildnis findet sich auf der rechten Seite eine Porträtfigur, deren Umhang allerdings mit Perlenschmuck verfeinert ist. Das aus dem Bild blickende Selbstporträt und diese auf das Jesuskind schauende Figur wirken eigentümlich ähnlich, als hätten sie ihre Bewegungsabläufe synchronisiert. Am äußerst linken Bildrand befindet sich die Figur eines weiteren jungen Mannes. Unabhängig von verschiedenen Identifizierungsvorschlägen (s. o.) ist das Selbstporträt mit diesen beiden Figuren auf einer gemeinsamen zentralen horizontalen Bildachse verortet. Die mutmaßliche Formulierung verschiedener Mitarbeiter belebt die intensiven Diskussionen über den Anteil der Werkstatt, deren Hände trotz eigenständiger Komposition und großteils persönlicher Malerei von Domenico Ghirlandaio speziell im Hintergrund angenommen werden (Kindermord, berittenes Gefolge der Könige, Hirten).4 Kompositorische Relationen spiegeln ein Bezugssystem, das Ghirlandaio etwa in der Figur seines Selbstbildnisses in der Anbetung der Hirten in der Sassetti-Kapelle vorformuliert hat. Sein dortiges Selbstporträt blickt auf eine die BetrachterIn stellvertretende Figur, während sie mit einer Hand auf den Bildinhalt, auf die malerische Schöpfung weist. Hier blickt das Selbstporträt direkt zur BetrachterIn, während die parallelisierte Figur rechts die Funktion übernommen hat, zum Bildthema weiterzuleiten, indem sie auf das Jesuskind schaut. Repräsentiert das erste Bildnis ein Autorenbild, so könnte das zweite den Prozess der malerischen Schöpfung verdeutlichen. In der Figur Johannes des Täufers, der vertikal axial zum Selbstbildnis an vorderster Ebene gemalt ist und dem Künstler wie aus dem Gesicht geschnitten scheint, verbinden sich beide Mechanismen in einer Figur. Wie Horký ausführte, ist die „speaking hand“,5 die deiktische Geste des Sprechens, fixer Bestandteil der Ikonografie Johannes des Täufers6 – eine Synchronisierung des Heiligen mit dem Künstler im Sinne eines „Sprechens“ über das im Bild Dargestellte scheint folgerichtig.

Ghirlandaios Hinwendung zur niederländischen Malerei ist hinreichend erforscht.7 Im vorliegenden Fall stellte Rohlmann einen konkreten Bezug zum Portinari-Altar von Hugo van der Goes fest, ein nordisches Triptychon, das im Vorfeld für das Hospital von Sta Maria Nuova gestiftet wurde und ebenfalls die Anbetung des Kindes innerhalb der Hospitalfunktionen thematisiert. Ghirlandaio antwortete mit einem themenverwandten Altar, was auch ein Konkurrenzverhalten Florentiner Sozialfürsorgeunternehmen dokumentiert.8 Bei Goes ist nach Roesler das Motiv des direkten Blicks aus dem Bild dem Stier vorbehalten.9 Auch Ghirlandaios Stier wendet sich an die BetrachterIn, was die im Forschungsstand vorgebrachte These der Autorin untermauert, Ghirlandaio habe über kompositorische Systeme symbolische Bezugnahmen zur Ikonografie des hl. Lukas gemacht.

Das Selbstporträt in der Innocenti-Tafel steht im Brennpunkt kompositorischer und ikonografischer Zusammenhänge. In Summe verdeutlichen diese ein Repräsentationskonzept, das der Maler in der Anbetung der Hirten in der Sassetti-Kapelle entwickelt hat und das die BetrachterIn zum Bildthema als malerische Schöpfung leitet.

Verweise

  1. Zu Ikonografie, Bildform und Deutungsebene vgl. u. a. Kecks 2000, 345f. Zur Geschichte des Altarblattes, Motivation und den sozialen Hintergründen vgl. u. a. Rohlmann 2003, 27–30.↩︎

  2. Kecks 2000, 346.↩︎

  3. Kecks 1995, 151.↩︎

  4. Kecks 2000, 345.↩︎

  5. Vgl. zudem Baraš 1987, 15–39.↩︎

  6. Horký 2003, 114. Zum Gestus des Zeigers vgl. Gandelman 1992.↩︎

  7. Vgl. Anbetung der Hirten in der Sassetti-Kapelle.↩︎

  8. Rohlmann 2003, 29.↩︎

  9. Roesler 1999, 66.↩︎

Literatur

Baraš, Moše: Giotto and the Language of Gesture (Cambridge Studies in the History of Art), Cambridge u. a. 1987.
Borsook, Eve/Offerhaus, Johannes: Francesco Sassetti and Ghirlandaio at Santa Trinita, Florence. History and Legend in a Renaissance Chapel, Doornspijk 1981.
Cadogan, Jean K.: Domenico Ghirlandaio. Artist and Artisan, New Haven 2000.
Cavalcaselle, Giovanni Battista/Crowe, Joseph Archer: Storia della pittura in Italia. Dal secolo II al secolo XVI. 7. Pittori Fiorentini del secolo XV e del principo del seguente, Florenz 1896.
Delbé, Madeline Andrea: Künstlerselbstdarstellungen in der italienischen Renaissance (Bachelorarbeit, Universität Trier), Trier 2013.
Gandelman, Claude: Der Gestus des Zeigers, in: Kemp, Wolfgang (Hg.): Der Betrachter ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik (Kunstgeschichte zur Einführung), Berlin 1992, 71–93.
Gilbert, Creighton E.: How Fra Angelico and Signorelli Saw the End of the World, University Park 2003.
Horký, Mila: Der Künstler ist im Bild. Selbstdarstellungen in der italienischen Malerei des 14. und 15. Jahrhunderts, Berlin 2003.
Kecks, Ronald G.: Domenico Ghirlandaio und die Malerei der Florentiner Renaissance (Italienische Forschungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz, 4. F., 2), München 2000.
Kecks, Ronald G.: Ghirlandaio catalogo completo. Catalogo completo (Biblioteca d'arte), Florenz 1995.
Kecks, Ronald G.: Ghirlandaio, Domenico, in: Allgemeines Künstlerlexikon Online, 2021, https://db.degruyter.com/view/AKL/_00189579T (14.01.2021).
Kueppers, Paul Erich: Die Tafelbilder des Domenico Ghirlandajo (Zur Kunstgeschichte des Auslandes, 111), Strassburg 1916.
Lauts, Jan: Domenico Ghirlandajo (Sammlung Schroll), Wien 1943.
Marle, Raimond van: The Renaissance Painters of Florence in the 15th Century. The Third Generation. Part II (The Development of the Italian Schools of Painting, 13), Den Haag 1931.
Micheletti, Emma: Domenico Ghirlandaio, Florenz 1990.
Rejaie, Azar M.: Defining Artistic Identity in the Florentine Renaissance: Vasari, Embedded Self-Portraits, and the Patron's Role (Dissertation, University of Pittsburgh) 2006.
Roesler, Antoinette: Selbstbildnis und Künstlerbild in der italienischen Renaissance (Dissertation, Freie Universität Berlin), Berlin 1999.
Rohlmann, Michael (Hg.): Domenico Ghirlandaio. Künstlerische Konstruktion von Identität im Florenz der Renaissance, Weimar 2003.
Schmid, J.: Et pro remedio animae et pro memoria. Bürgerliche repraesentatio in der Cappella Tornabuoni in S. Maria Novella (Italienische Forschungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz: I Mandorli, 2), München u. a. 2002.
Steinmann, Ernst: Ghirlandajo (Künstler-Monographien, 25), Bielefeld u. a. 1897.

Zitiervorschlag: