Berufung der Apostel Petrus und Andreas

Ghirlandaio, Domenico

1481 bis 1482

Vatikan; Vatikanstadt; Cappella Sistina

Objekt

Bildrechte
Detailtitel:Berufung der Apostel Petrus und Andreas (Teil von: Christuszyklus)
Alternativtitel Deutsch:Berufung der Apostel; Berufung der ersten Jünger
Titel in Originalsprache:Vocazione dei primi apostoli
Titel in Englisch:Vocation of the Apostles
Datierung: 1481 bis 1482
Ursprungsregion:italienischer Raum
Lokalisierung:Vatikan; Vatikanstadt; Cappella Sistina
Lokalisierung (Detail):Sixtinische Kapelle; drittes Bild an der Nordwand; Teil der malerischen Gesamtausstattung des 15. Jahrhunderts (vor Michelangelo) bestehend aus Deckenfresko den Sternenhimmel darstellend von Pietro Matteo d’Amelia (nicht erhalten); Papstbildnisse im Fenstergaden; ursprünglich 16 Wandbilder je von Altarwand (Westen) bis Ostwand: im Norden Christuszyklus, im Süden Moseszyklus, davon je die Bilder an der Ost- und Westwand nicht erhalten
Medium:Wandbild
Material:Fresko; Secco; Gold; Wachs
Bildträger:Wand
Ikonografische Bezeichnung:Apostelszenen und -zyklen: Berufungen
Iconclass:11H(PETER)31 – the apostle Peter, first bishop of Rome; possible attributes: book, cock, (upturned) cross, (triple) crozier, fish, key, scroll, ship, tiara - vocation, conversion of male saint; 11H(ANDREW)31 – the apostle Andrew; possible attributes: book, X-shaped cross, fish, fishing-net, rope, scroll - vocation, conversion of male saint
Signatur Wortlaut:ohne
Datierung Wortlaut:ohne
Inschriften:

CONGREGATIO POPVLI LEGEM EVANGELICAM ACCEPTVRI; Titulus in der architektonischen Rahmung oberhalb des Bildfeldes; Versammlung des Volkes, um das evangelische Gesetz anzunehmen

Auftraggeber/Stifter:Francesco della Rovere (Papst Sixtus IV.)
Provenienz:in situ
Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt:teilöffentlich

Zu einer schematischen Darstellung der Kapellenausstattung1 und zur Inschrift.2

Verweise

  1. Roettgen 1997, 100.↩︎

  2. Ebd., 457.↩︎

Bildnis 1

Bildrechte
Lokalisierung im Objekt:dritte Figur der Gruppe links im Mittelgrund
Ausführung Körper:Kopfbild
Ausführung Kopf:Dreiviertelporträt
Blick/Mimik:kommunizierender Blick zum Begleiter links der Figur
Gesten:Hände nicht sichtbar
Körperhaltung:aufrecht, Kopf zur Begleitperson gewendet
Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal:überschnitten von seinem Begleiter und den Figuren vor ihm; im Gesamtensemble der Figurengruppe an einer Bildschwelle am linken Bildrand; Gesicht im Vergleich zu Figuren im Umfeld nahezu zur Gänze beleuchtet und dadurch auffallend
Attribute:Blumenkranz
Kleidung:dunkle, einfache Kleidung; Blumenkranz im Haar
Sonstiges:blonde Haare
Zugeordnete Bildprotagonisten:Teil einer Gruppe von Männern, die sich zwischen Felsen am linken Bildrand nach unten Richtung Bildmitte zu bewegen scheinen, die mit Vorbehalt als Werkstattmitglieder Ghirlandaios vorgeschlagen sind (keine eindeutigen Zuordnungen möglich)

Zum Gesamtensemble der Figurengruppe am linken Bildrand vgl. Fermor, die die Figurenpaare in diesem Bildbereich als Kompositionselemente bespricht,1 bei denen es sich mutmaßlich um Werkstattmitglieder Ghirlandaios handeln könnte.2

Verweise

  1. Fermor 1990, 167.↩︎

  2. Rohlmann 1999, 188.↩︎

Forschungsergebnis: Ghirlandaio, Domenico

Künstler des Bildnisses:Ghirlandaio, Domenico
Status:Einzelmeinung
Status Anmerkungen:Lediglich ein Autor (Mejìa) erwähnt, dass vorgeschlagen wurde, in der hier diskutierten Figur ein Selbstbildnis zu sehen. Der/die Erstidentifizierende konnte bislang nicht eruiert werden. Die Annahme, Ghirlandaio könnte die Figur als Selbstverweis bzw. Selbstbezeichnung ohne Porträtähnlichkeit konzipiert haben, findet jedoch Zustimmung.
Typ Autor/in Jahr Referenz Seite Anmerkungen
Erstzuschreibung Rohlmann 1999 Rohlmann 1999 – Kontinuität und Künstlerwettstreit 188
Details
Kranz als Selbstbezeichnung
Bejahend Mejìa 2003 Mejìa 2003 – Biblical Reading of the Frescoes 25, 36 (Anm. 38) -
Bejahend Nesselrath 2004 Nesselrath 2004 – Perugino tra i pittori della 105f
Details
Kranz als Selbstbezeichnung
Bejahend Bernardini 2008 Bernardini 2008 – Sisto IV e il ciclo 210
Details
Kranz als Selbstbezeichnung
Bejahend Cadogan 2014 Cadogan 2014 – An Huomo di Chonto 37
Details
Kranz als Selbstbezeichnung

Rohlmann (1999) spricht als erster von einer „unmißverständliche[n] Anspielung“1 auf den Nachnamen Domenico Ghirlandaios durch den Blumenkranz. Der Name habe seinen Ursprung im Beruf bzw. der Tätigkeit des Vaters des Malers, der Blumenkränze bzw. Girlanden in Edelmetall herstellte.2

Mejìa (2003) schreibt, dass der Kopf als Selbstbildnis gehandelt worden sei,3 diskutiert den Vorschlag jedoch nicht weiter und bleibt auch die Quelle schuldig. Der/die Erstidentifizierende konnte bislang nicht eruiert werden.

Nesselrath (2003) verweist auf Korrekturen im Vergleich zum Karton bei der hier diskutierten Figur und der direkt neben ihr; er will allerdings nicht entscheiden, ob sie von Ghirlandaio oder einem anderen Maler ausgeführt wurden. Der Kranz verweise mithilfe eines Wortspiels auf den Nachnamen des Malers.4 Auch in einem weiteren Aufsatz zum Thema betont Nesselrath (2004) die Bedeutung der hier als Kryptonyme bezeichneten Selbstverweise, die die Maler in die Fresken der Sixtinischen Kapelle einbrachten. Zu diesen zählt er neben der Schale mit der roten Farbe (verweisend auf Rosselli in der Übergabe der Gesetzestafeln, vgl. die Vorbemerkung zur Sixtinischen Kapelle) auch den Blumenkranz der hier diskutierten Figur. Er stellt sie auf eine Ebene mit Selbstbildnissen und wertet sie als Signaturen.5

Ebenfalls als Signatur und Anspielung auf den Nachnamen Ghirlandaios bezeichnet die hier diskutierte Figur Bernardini (2008).6

Cadogan schließt sich der Meinung an, dass es sich bei dem Blumenkranz um ein Kryptonym handeln könnte und skizziert ihrerseits Ghirlandaios Bemühungen um seine Karriere und die Rolle, die dabei der Familienname spielte.7

Verweise

  1. Rohlmann 1999, 188.↩︎

  2. Ebd.↩︎

  3. Mejìa 2003, 25, 36 (Anm. 38).↩︎

  4. Nesselrath 2003, 51, 54.↩︎

  5. Nesselrath 2004, 105f.↩︎

  6. Bernardini 2008, 210.↩︎

  7. Cadogan 2014, 37.↩︎

Ein Kränzchen in Ehren

Ein Selbstbildnis Ghirlandaios im eigentlichen Sinn in der hier diskutierten Figur kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Ghirlandaios Gesichtszüge sind aus anderen integrierten Selbstbildnissen bekannt und nicht mit jenen des blonden Jünglings in Übereinstimmung zu bringen. Lediglich Mejìa (s. o.) weist auf eine Thematisierung als Selbstbildnis hin, liefert aber keine weiteren Hinweise bzw. Quellen für seine Behauptung.

Der Jünglingskopf mit dem Blumenkranz auf dem blonden Haar fiel aber bereits Steinmann (1901) ins Auge, der sich sehr von ihm angetan zeigt und ihn ausführlich beschreibt. Er deutet an, Botticelli könnte diesen Kopf gemalt haben, denn er unterscheide sich stark von Ghirlandaios Stil.1 Steinmann sieht zahlreiche Porträts in der linken und rechten Bildhälfte, nennt aber kaum Namen und schreibt ausdrücklich, nicht einmal Ghirlandaio selbst tauche auf. Er geht davon aus, dass die Berufung das erste Fresko Ghirlandaios in der Sixtinischen Kapelle war und der Maler sein Selbstbildnis wohl nach der „allgemeinen Sitte“2 in seinem letzten, verlorenen Fresko der Auferstehung und Himmelfahrt Christi als Signatur angebracht haben dürfte.3

Dass der Kranz aber im Sinne eines Kryptonyms auf den Maler verweisen soll, scheint plausibel und wäre auch kein Einzelfall in der Sixtinischen Kapelle. Unentschieden bleibt vorerst, ob Ghirlandaio selbst den Kranz einfügte oder ob tatsächlich ein anderer Maler dafür verantwortlich zeichnet. Bereits von Steinmann und später von Nesselrath (s. o.) wurde die Hand Botticellis vermutet, der wahrscheinlich gleichzeitig das unmittelbar links anschließende Fresko Versuchungen Christi malte. Das Gesicht steht auch wie von Steinmann angesprochen, dem von Botticelli bevorzugten Typus nahe.

Auf dem aktuellen Wissensstand basierend lassen sich also zumindest zwei Thesen formulieren. Erstens: Botticelli hat hier „mitgeholfen“ und sich dabei vielleicht einen kleinen Scherz erlaubt. Eine Neigung zu (boshaften) Scherzen und Streichen wird Botticelli seit Vasari nachgesagt, dessen Lebensbeschreibung allerdings als tendenziös und wenig zuverlässig gilt.4 Zweitens: Ghirlandaio selbst malte einen Jünglingskopf in Anlehnung an Botticellis Stil und verwendete just diesen, um damit auf sich selbst zu verweisen – ein nicht uninteressanter Gedanke, insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich gerade die beiden Maler Ghirlandaio und Botticelli etwa in Ognissanti bereits in künstlerischem Wettstreit geübt hatten.5 Die Erwägung der Möglichkeit, beide Maler hätten die Figur gemeinsam bzw. nacheinander gemalt (das Gesicht von Botticelli, der Kranz von Ghirlandaio – Wieder-Aneignung der fremden Einmischung), verlockt, dürfte aber nicht zuletzt aufgrund der praktischen Notwendigkeiten der Freskotechnik ins Reich der Spekulation führen.

Verweise

  1. Steinmann 1901, 378.↩︎

  2. Ebd., 388.↩︎

  3. Steinmann 1901, 378 u. 387f.↩︎

  4. Ausführlich diskutiert bei Rehm 2009.↩︎

  5. Locher 1999 widmet der Konkurrenz der beiden Künstler, ausgetragen in ihren Fresken von Hieronymus und Augustinus in der Ognissanti-Kirche in Florenz, eine eigene Publikation.↩︎

Literatur

Bernardini, Maria Grazia: Sisto IV e il ciclo quattrocentesco della cappella Sistina. La decorazione ad affresco con Storie di Mosè e Storie di Cristo, in: Bernardini, Maria Grazia/Bussagli, Marco (Hg.): Il '400 a Roma. Volume I. La rinascita delle arti da Donatello a Perugino (Ausstellungskatalog, Rom, 29.04.2008–7.09.2008), Mailand 2008, 209–215.
Cadogan, Jean K.: An »Huomo di Chonto:« Reconsidering the Social Status of Domenico Ghirlandaio and His Family, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 77. Jg. 2014, H. 1, 27–46.
Fermor, Sharon Elizabeth: Studies in the Depiction of the Moving Figure in Italian Renaissance Art, Art Criticism and Dance Theory (Dissertation, University of London), London 1990.
Locher, Hubert: Domenico Ghirlandaio, Hieronymus im Gehäuse. Malerkonkurrenz und Gelehrtenstreit (Kunststück, 13377), Frankfurt am Main 1999.
Mejìa, Jorge Maria: Biblical Reading of the Frescoes on the Walls of the Sistine Chapel, in: Mejìa, Jorge Maria/Buranelli, Francesco/Duston, Allen (Hg.): The Fifteenth Century Frescoes in the Sistine Chapel (Recent Restorations of the Vatican Museums, 4), Vatican City State u. a. 2003, 9–37.
Nesselrath, Arnold: Perugino tra i pittori della Cappella Sistina, in: Garibaldi, Vittoria/Mancini, Francesco Federico (Hg.): Perugino. Il divin pittore (Ausstellungskatalog, Perugia, 28.02.2004–18.07.2004), Florenz 2004, 105–114.
Nesselrath, Arnold: The Painters of Lorenzo the Magnificent in the Chapel of Pope Sixtus IV in Rome, in: Mejìa, Jorge Maria/Buranelli, Francesco/Duston, Allen (Hg.): The Fifteenth Century Frescoes in the Sistine Chapel (Recent Restorations of the Vatican Museums, 4), Vatican City State u. a. 2003, 39–75.
Rehm, Ulrich: Rufmord mit Folgen. Das Leben Botticellis nach Giorgio Vasari und die moderne Kunstgeschichtsschreibung, in: Schumacher, Andreas (Hg.): Botticelli. Bildnis, Mythos, Andacht (Ausstellungskatalog, Frankfurt am Main, 13.11.2009–28.02.2010), Ostfildern 2009, 131–141.
Roettgen, Steffi: Wandmalerei der Frührenaissance in Italien. Band 2. Die Blütezeit 1470–1510, München 1997.
Rohlmann, Michael: Kontinuität und Künstlerwettstreit in den Bildern der Sixtinischen Kapelle, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch, 60. Jg. 1999, 163–196.
Steinmann, Ernst: Die Sixtinische Kapelle. 1: Bau und Schmuck der Kapelle unter Sixtus IV., München 1901.

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