Erweckung eines Knaben
Ghirlandaio, Domenico
Italien; Florenz; Santa Trinità; Cappella Sassetti
Inhaltsverzeichnis
Objekt
Bildrechte
| Titel in Originalsprache: | Il miracolo del fanciullo resuscitato |
| Titel in Englisch: | The Resurrection of the Boy |
| Datierung: | um 1482/83 bis 1485 |
| Ursprungsregion: | italienischer Raum |
| Lokalisierung: | Italien; Florenz; Santa Trinità; Cappella Sassetti |
| Lokalisierung (Detail): | Sassetti-Kapelle, Altarwand, 2. Register; Teil der malerischen Gesamtausstattung bestehend aus zwei Themenkreisen: Erster Themenkreis zur Geburt Christi: Hl. David, Augustus und die Sibylle von Tibur (Aracoeli-Vision) (Fassade); Sibylle von Cumae, Sibylle Agrippina, Sibylle von Eritrea, eine weitere unidentifizierte Sibylle (Gewölbe); Anbetung der Hirten (Altarbild); zweiter Themenkreis zur Vita des hl. Franziskus: Lossagung vom Vater, Bestätigung der Ordensregel der Franziskaner durch Papst Honorius III., Feuerprobe vor dem Sultan, Stigmatisation, Erweckung eines Knaben, Exequien (Kapellenwände); weiters: Porträts der Stifter Nera de‘ Corsi und Francesco Sassetti (Gesamtausstattung unter Beteiligung der Werkstatt) |
| Medium: | Wandbild |
| Material: | Fresko; Secco |
| Bildträger: | Wand |
| Ikonografische Bezeichnung: | der hl. Franziskus erweckt einen Jungen in Rom; der hl. Franziskus erweckt einen vor dem Haus erschlagenen Jungen |
| Ikonografie Anmerkungen: | Zusammenfassung von zwei ähnlichen Begebenheiten aus den posthumen Wundertaten des hl. Franziskus |
| Iconclass: | 11H(FRANCIS OF PAOLA)52 – St. Francis of Paola raising a child from the dead |
| Signatur Wortlaut: | ohne |
| Datierung Wortlaut: | ohne |
| Auftraggeber/Stifter: | Francesco di Tommaso Sassetti (Bankier der Medici, um 1440–58 Führungspositionen in den Niederlassungen in Avignon, Lyon, Genf und Florenz, 1482–84 Geschäftsführer im Florentiner Stammhaus der Medicibank) mit Nera de‘ Corsi |
| Provenienz: | in situ |
| Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt: | öffentlich |
Zur Kapellenausstattung,1 zur Ikonografie2 und zum Auftraggeber.3
Verweise
Roettgen 1997, 136–163, 148.↩︎
Vgl. Quellennachweise, Darstellungen, Ikonografie, Typologie und Literatur zu Franz (Franziskus) von Assisi, in: Gerlach 2015, 260–315, bes. 275 (Namenspatron), 280 (Freskenzyklus in der Sassetti-Kapelle), 307 (Franziskus erweckt einen Jungen in Rom; Franziskus erweckt einen vor dem Haus erschlagenen Jungen).↩︎
Roettgen 1997, 138.↩︎
Bildnis 1
Bildrechte
| Lokalisierung im Objekt: | erste Figur rechts |
| Ausführung Körper: | Ganzfigur stehend; seitliche Ansicht |
| Ausführung Kopf: | Dreiviertelporträt |
| Ikonografischer Kontext: | Porträtfigur am Rand des Bildfeldes zur Erweckung eines Knaben |
| Blick/Mimik: | direkter Blick aus dem Bild |
| Gesten: | keine gestische Aufladung |
| Körperhaltung: | aufrecht; Schulterblick; linker Arm (selbstbewusst) in die Taille gestützt |
| Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal: | Paarbildung am Rand der rechten Figurengruppe; an der Bildschwelle rechts außen vor einem Tormotiv stehend; Selbstbildnis sowohl von der Rückenfigur, die das Bewegungsmotiv aufnimmt, als auch vom seitlich gemalten Pfeiler überschnitten; Interaktion mit der BetrachterIn (direkter Blick); Interaktion mit der beigestellten Profilfigur, diese betont durch einen auf das Selbstporträt weisenden Blick den herausgehobenen Wert desselben; Gegenüberstellung von Profil- und Dreiviertelporträt; Leerstelle vor dem Gesicht; weitere Zusammenhänge innerhalb des gesamten Freskenprogramms (s. u.) |
| Kleidung: | auffällig blauer, pelzverbrämter Rock, farblich vom Umfeld differenziert; durch den freigestellten Körper auffällig sichtbar |
| Zugeordnete Bildprotagonisten: | Figur links neben dem Selbstporträt, vorgeschlagen als Sebastiano Mainardi und auch als Davide Ghirlandaio; Rückenfigur links vor dem Selbstporträt, vorgeschlagen als Filippo Strozzi, als Neri di Gino Capponi, als dessen Sohn Gino di Neri Capponi oder als Leon Battista Alberti |
Forschungsergebnis: Ghirlandaio, Domenico
| Künstler des Bildnisses: | Ghirlandaio, Domenico |
| Status: | weitgehend anerkannt |
| Typ | Autor/in | Jahr | Referenz | Seite | Anmerkungen |
|---|---|---|---|---|---|
| Erstzuschreibung | Cavalcaselle/Crowe | 1896 | Cavalcaselle, Crowe 1896 – Storia della pittura in Italia | 284 | - |
| Bejahend | Steinmann | 1897 | Steinmann 1897 – Ghirlandajo | 31 | - |
| Bejahend | Warburg | 1902 | Warburg 1902 – Domenico Ghirlandajo in Santa Trinita | 9f | - |
| Bejahend | Goldscheider | 1936 | Goldscheider 1936 – Fünfhundert Selbstportraits | o. S. (Abb. 31f) | - |
| Bejahend | Lauts | 1943 | Lauts 1943 – Domenico Ghirlandajo | 26 | - |
| Bejahend | Chiarini | 1961 | Chiarini 1961 – Il Ghirlandaio alla Cappella Sassetti | 27 | - |
| Bejahend | Chiarini | 1962 | Chiarini 1962 – Una citazione dalla 'Sagra' di | 55 | - |
| Bejahend | Borsook/Offerhaus | 1981 | Borsook, Offerhaus 1981 – Francesco Sassetti and Ghirlandaio | 41 | - |
| Bejahend | Marchand | 1998 | Marchand 1998 – The Representation of Citizens | 113f, 118 | - |
| Bejahend | Roesler | 1999 | Roesler 1999 – Selbstbildnis und Künstlerbild | 17–44, 68 | - |
| Bejahend | Brown | 2000 | Brown 2000 – The Painter's Reflection | 118 | - |
| Bejahend | Kecks | 2000 | Kecks 2000 – Domenico Ghirlandaio und die Malerei | 270 | - |
| Bejahend | Fünfhundert Selbstporträts | 2000 | o. Hg. (Hg.) 2000 – Fünfhundert Selbstporträts | 30f | - |
| Bejahend | Cadogan | 2000 | Cadogan 2000 – Domenico Ghirlandaio | 235 | - |
| Bejahend | Horký | 2003 | Horký 2003 – Der Künstler ist im Bild | 67, 74, 138 | - |
| Bejahend | Rohlmann | 2003 | Rohlmann 2003 – Bildernetzwerk | 197f | - |
| Bejahend | Rejaie | 2006 | Rejaie 2006 – Defining Artistic Identity | 148f, 171, 179f, 229, 185 | - |
| Bejahend | Gigante | 2010 | Gigante 2010 – Autoportraits en marge | 331f | - |
| Bejahend | Kecks | 2021 | Kecks 2021 – Ghirlandaio | o. S. | - |
Das Porträt wird seit den Forschungen von Cavalcaselle/Crowe (1896) allgemein als Selbstbildnis anerkannt. Als Hauptargument der Identifizierung führen die AutorInnen Ähnlichkeiten mit dem von Vasari identifizierten späteren Selbstporträt Ghirlandaios im Bildfeld Die Vertreibung von Joachim aus dem Tempel in der Tornabuoni-Kapelle sowie mit dem Selbstbildnis in der Anbetung der Könige im Ospedale degli Innocenti an.1 Die Aufnahme des Bildnisses in Goldscheiders Sammlung von 500 Selbstporträts (1936) dürfte zur Akzeptanz beigetragen haben.2 Weiterführende Vergleiche von Chiarini (1961) führten in der Folge zur Identifizierung der beigestellten Figur als Werkstattmitglied Sebastiano Mainardi.3
1962 stellt Chiarini die These auf, Domenico Ghirlandaio habe sich für die Gruppe mit dem Selbstbildnis von einer fast identisch gestalteten Konstellation in Masaccios Sagra inspirieren lassen. Zur Verifizierung führt der Autor ein im Folkestone Museum verwahrtes Blatt mit Zeichnungen an, die er für Kopien von Gruppen von Assistenzfiguren aus der Sagra hält.4
Trotz kritischer Überlegungen zur Entwicklung der Darstellungskonventionen von Stifter- und Künstlerporträts verweist bereits Warburg (1902) auf die inhaltliche (und dem decorum entsprechende) Distanz des Selbstbildnisses (und anderer Assistenzporträts) zum sakralen Geschehen und vergleicht die Bildfindung mit mittelalterlichen Gebetsbüchern und den dortigen Drolerien.5
Borsook/Offerhaus (1981) führen neben dem direkten Blick des Selbstporträts aus dem Bild besonders die dem späteren Selbstbildnis in der Tornabuoni-Kapelle entsprechende Position am Bildrand an. Die Autoren arbeiteten zudem Ghirlandaios hohen sozialen Status als Maler heraus, der sich in der Aufführung des Bildnisses im Verband hochrangiger Mitglieder der Florentiner Gesellschaft spiegelt.6
Im Abgleich mit Ghirlandaios Vorentwicklungen in San Gimignano bringt Marchand (1998) Positionierung und Ausstrahlung der Figur mit der Funktion eines festaiuolos in Verbindung. Das Bildnis sei mit anonymen Ankündigern in religiösen Dramen und Bildern des Trecento vergleichbar.7
Eine außergewöhnlich detaillierte Analyse des Selbstbildnisses bietet Roesler in ihrer Dissertation Selbstbildnis und Künstlerbild in der italienischen Renaissance (1999).8 Detailuntersuchungen der Selbstbildnisse Ghirlandaios im Kapitel Meister und Geselle in der Sassetti-Kapelle9 fokussieren insbesondere auf die These einer möglichen ikonografischen Tradition des Selbstbildnisses allgemein, das nach der Autorin beispielhaft an den Entwicklungen Ghirlandaios festgemacht werden kann. Roesler untersucht innerbildliche Akzentuierungsstrategien und kompositorische Zusammenhänge im Gesamtfreskenprogramm der Kapelle. Zudem zeigt sie sozialpolitische Hintergründe bzw. Mechanismen gesellschaftlicher und intellektueller Aufwertung der Person Domenico Ghirlandaios auf. Nach Roesler vereint die Künstlerfigur komplementäre Merkmale: Sie ist über den direkten Blick als Künstler ausgewiesen; über den Pelzbesatz am Saum zeigt sie gehobenen sozialen Anspruch.10 Ein Fokus der Analysen liegt auf der Gebärdensprache der Figur. Roesler beruft sich auf die tradierte Verwendung der Pose für David-Darstellungen, über deren Ikonografie das Triumphzeichen des angewinkelten Ellenbogens als Erkennungsmerkmal etabliert ist. Über eine breit angelegte Indizienkette bringt die Autorin das Selbstporträt mit einer auf der Kapellenfassade dargestellten David-Figur in Verbindung, deren Blick als richtungsweisendes Moment der BetrachterInnenführung auf das Selbstbildnis Ghirlandaios gerichtet sei und resümiert, dass das Motiv der David-Ikonografie auf die beiden Figuren verteilt sei11 – ein Motiv, das in Florenz vorrangig zur selbstbewussten Inszenierung Lorenzo de’Medicis angewandt wurde.12 Die Relation von Mimik und Gebärden der beiden evoziert für Roesler eine Verschmelzung Ghirlandaios zur Kunstfigur eines Alten Davids, der Männlichkeit über die Armhaltung und Träumerisches über die Kopfbewegung vereine und zudem ein gewisses „erotisches Sentiment“ auslöse.13 Weiters verortet Roesler das Selbstbildnis innerhalb tradierter Darstellungsmechanismen seit Giotto di Bondone. Zudem exzerpiert die Autorin Traditionslinien zur Malerfamilie der Gaddis, insbesondere zu einem verlorenen Selbstbildnis Taddeo Gaddis im Bildfeld der Erweckung des Knaben in S. Croce.14 Über einen Verweis auf ein mögliches Selbstbildnis von Ghirlandaios Sohn Ridolfo in einer Erweckungsszene15 schlägt sie eine Traditionslinie von integrierten Selbstporträts innerhalb dieser Ikonografie vor.16
Cadogan (2000) verweist auf dynastische Ambitionen (s. u.).17
Brown (2000) listet in ihrer Aufzählung wesentlicher Florentiner Selbstdarstellungen zwei Beispiele von Ghirlandaio auf: das integrierte Selbstbildnis in der Erweckung eines Knaben und das in der Vertreibung von Joachim aus dem Tempel. Die Autorin betont, dass die Entwicklung des Sujets in Florenz begründet liege und in Zusammenhang mit der wachsenden gesellschaftlichen Anerkennung der Maler stehe. Diese zeigen sich gemeinsam mit bedeutenden Stiftern und setzen ihre Bildnisse als Signaturen oder als Zeichen von devotio ein.18
Kecks (2000, 2021) betont die selbstbewusste Inszenierung Ghirlandaios über seine Selbstporträts. Domenicos Auftreten im Reigen führender Persönlichkeiten entspreche nicht nur dem allgemeinen Statusverständnis des Künstlers der Zeit, vielmehr belege es Ghirlandaios persönliche gesellschaftliche Selbstwahrnehmung.19
Horký (2003) bestätigt Ghirlandaios sozialen Status, indem sie unter Berufung auf Warburgs Studie zur Sassetti-Kapelle dessen Begriff der „Anhängerschaft“ (consorteria)20 in Erinnerung ruft, der das Selbstporträt als Mitglied einer fiktiven Gemeinschaft greifbar macht. Weiterführend verdeutlicht die Autorin, dass das Zusammenschließen gesellschaftlicher Gruppen mittels zeitgenössischer Porträtfiguren Ghirlandaio auch als bildnerisches Konzept für die spätere Tornabuoni-Kapelle gedient hat.21 Sie verbindet Ghirlandaios Körperhaltung mit einem nur als Kopie erhaltenen Bildnis Ercole de‘Robertis,22 das von Vasari als Vitenbild des Malers übernommen wurde.23 Ercoles Identifizierung stützend verweist die Autorin auf eine um ca. 1560 datierbare Zeichnung eines Unbekannten, die auch Ghirlandaios Selbstbildnis anführt – der Zeichner, wohl aus dem Umkreis Vasaris stammend, könnte Selbstdarstellungen für dessen zweite Ausgabe der Vite gesammelt haben.24
Rejaie (2006) bestätigt drei Selbstbildnisse von Ghirlandaio (in der Vertreibung von Joachim aus dem Tempel in der Tornabuoni-Kapelle, in der Erweckung eines Knaben in der Sassetti-Kapelle, im Innocenti-Altarbild25) und spricht dem Maler in der Folge eine lokale Führungsposition zu: „[…] three separate works located within two square miles of each other containing selfimages, which puts Domenico at the forefront as the painter of the greatest number of known self-portraits of Quattrocento artists within the city of Florence.“26 Dies kommt ihrer These entgegen, nach der Selbstbildnisse von Auftraggebern (und der Renaissance-Gesellschaft) als Zeichen der Reputation eines Künstlers als Marke gesehen und entsprechend genutzt wurden.27 Konkret zum Bildnis in der Erweckung eines Knaben fokussiert die Autorin auf eine gesellschaftspolitische Ebene und interpretiert den Auftrag als eine Verbrüderung mit den de’Medici – sowohl durch den Stifter als auch durch den Künstler. Bezugnehmend auf Cadogan (s. o.) räumt Rejaie ein, dass dynastische Ambitionen ein treibender Faktor für das Selbstbildnis gewesen sein könnten.28 Als Leiter einer gutgehenden Werkstatt habe der Maler gute Gründe gehabt, sich selbst „sichtbar“ zu vermarkten29 – in Position, selbstbewusster Pose und BetrachterInnenansprache hervorgehoben.30 Abschließend spekuliert Rejaie, dass Ghirlandaio mit seinen Selbstbildnissen Meilensteine seines Schaffens markierte.31
Gigante (2010) bringt die Selbstdarstellungen Ghirlandaios in der Vertreibung des Joachim und in der Erweckung des Knaben mit Signorellis Bildnis in Orvieto in Vergleich. Signorelli habe ein herausragendes Beispiel einer im Bildraum isolierten Selbstrepräsentation mit kategorischer Ausrichtung auf die BetrachterIn gegeben; er habe sich „en personne“32 im Raum verankert. Signorellis Lösungen stehe den späteren Ausführungen von Albrecht Dürer nahe und auch Ghirlandaio sei vergleichbar.33
Kategorisierungsvorschläge verschiedener Autoren verorten das Bildnis weiters innerhalb eines Werkstattverbandes,34 als einen Zeugen35 und als Zuschauer.36
Verweise
Cavalcaselle/Crowe 1896, 284.↩︎
Goldscheider 1936, o. S. (Abb. 31f).↩︎
Chiarini 1961, 27.↩︎
Chiarini 1962, 55. In der Forschung wird abweichend von Chiarini dahingehend argumentiert, dass nur ein Teil der Zeichnungen als Kopien nach der Sagra zu werten sind bzw. dass der von Chiarini mit Ghirlandaio in Zusammenhang gebrachte Teil direkt aus dessen Fresko entnommen sei; vgl. u. a. Horký 2003, 74). Bei der Sagra handelt es sich um ein mittlerweile verlorenes Fresko aus der Brancacci-Kapelle (Santa Maria del Carmine, Florenz), das die Prozession anlässlich der Weihe der Kirche zum Inhalt hatte. Die Darstellung brachte Masaccio den Ruf ein, Erfinder der Gestaltung von Menschenszenen in der Renaissance zu sein; vgl. Joannides 1993, 443, 446).↩︎
Warburg 1902, 9f.↩︎
Borsook/Offerhaus 1981, 41.; vgl. u. a. bereits Steinmann 1897, 31.↩︎
Marchand 1998, 113f, 118.↩︎
Roesler 1999.↩︎
Ebd., 17–44.↩︎
Roesler 1999, 22f.↩︎
Ebd., 23–27.↩︎
Merseburger 2016, 119f.↩︎
Roesler 1999, 39, 68.↩︎
Taddeo Gaddi, Erweckung des Knaben, ehemals Florenz, S. Croce, verloren.↩︎
Ridolfo Ghirlandaio, Zanobius-Wunder (Der hl. Zinobius rettet ein Kind), 1516/17, Florenz, Accademia.↩︎
Roesler 1999, 43.↩︎
Cadogan 2000, 235.↩︎
Brown 2000, 118.↩︎
Kecks 2000, 270; Kecks 2021, o. S.↩︎
Horký 2003, 67; Warburg 1902, 10.↩︎
Horký 2003, 67, 138.↩︎
Unbekannter Maler, Kopie nach zwei Bildnissen im Marientod von Ercole de‘Roberti in der Garganelli-Kapelle, 15. Jahrhundert (?), Paris, Louvre.↩︎
Horký 2003, 138.↩︎
Ebd., 74.↩︎
Rejaie 2006, 149.↩︎
Ebd., 171.↩︎
Ebd., 148f.↩︎
Ebd., 179.↩︎
Ebd., 229.↩︎
Ebd., 180.↩︎
Ebd., 185.↩︎
Gigante 2010, 331.↩︎
Ebd., 331f.↩︎
Rohlmann 2003, 197f.↩︎
Lauts 1943, 26.↩︎
Warburg 1902, 9f.↩︎
Einzug in die gehobene Gesellschaft
Die sakrale historie befindet sich zentral im horizontal dreigeteilten Bildfeld: Der vom Tod erweckte Knabe sitzt auf einer Liegebank, ihm zugeordnete Pleurantfiguren, Mönche, eine Frau sowie der über dem Wunder schwebende Heilige komplettieren die Szene. In der kunsthistorischen Forschung wird die Darstellung seit den Ausführungen von Aby Warburg 19071 einhellig in direktem Bezug zum Leben des Stifters gesehen, dem nach dem Tod seines ältesten Sohns zeitnah zur Ausstattung der Kapelle 14792 ein Nachzügler geboren worden war.3 Seitlich teils identifizierte Assistenzporträts bezeugen das Geschehen. Am äußersten Rand der rechten Gruppe sind das Selbstporträt Ghirlandaios sowie das Bildnis von seinem Schwager und Werkstattmitglied Sebastiano Mainardi weitgehend anerkannt. Unabhängig von exakten Identifizierungen der Porträtfiguren stellt Ghirlandaio sich und seine Werkstatt in sozial bedeutende Relationen.4
Das Selbstbildnis am äußersten Bildrand zeigt sich über den kommunikativen Aspekt des Blickes aus dem Bild, der Position sowie der Überschneidung durch das Architekturfragment der vorgelagerten Säule als der Bild- und der BetrachterInnenwelt anteilig. Die Figur ist mit der raumeinnehmenden, selbstbewussten Körperhaltung mit angewinkeltem Ellenbogen und dem Schulterblick, mit der sogenannten genialen Kopfwendung5 als Künstlerbild erkenntlich gemacht6 – eine Kombination an Darstellungsmechanismen, die Ghirlandaio kontinuierlich weiterentwickelt. Als Künstlerselbstbildnis erhebt sich die Figur aus der Namenslosigkeit und wird zum eigenverantwortlichen Autor. Innerbildliche Bezugssysteme vernetzen und trennen die Figur mehrfach: Sie ist der Gruppe der männlichen Zeugen anteilig, ontologisch jedoch vom Geschehen getrennt. Gleichzeitig steht die Figur zusammen mit der Begleitperson innerhalb der männlichen Assistenzporträts isoliert, formal von der sich farblich unterscheidenden Rückenfigur abgesondert. Ghirlandaio bildet zusammen mit seinem Werkstattmitglied Mainardi, der sich ihm zuwendet, eine Kleingruppe innerhalb der Szene, ein Bild im Bild, das pars pro toto die gesamte Werkstatt repräsentiert und die übergeordnete Ebene der Profession bzw. die Malerei an sich zum Thema macht. Kompositorische Details wie die perspektivische Rücklagerung in eine Gebäudenische, die Einfassung der Porträts durch die Eingangstür des Auftraggebers,7 die Positionierung am Ende einer isokephalen Reihe samt dem aussagekräftigen Leerraum vor dem Gesicht des Meisters sowie die effektvolle Gegenüberstellung von Profil- und Dreiviertelporträt verstärken die Wirkung. Über die Freistellung der Figur, die vom Rest der Gruppe differierende Farbe Blau des Gewandes und die in die Taille gestemmte Hand wird der Meister zudem als Einzelfigur ausgewiesen. Ein Kleidungsdetail – der Pelzbesatz am Saum, der nach Roeslers Beobachtungen ansonsten ausschließlich am Porträt von Lorenzo de’Medici zu finden ist – spiegelt gehobenen sozialen Anspruch.8 Die Körperdrehung befördert raumbildende Wirkung: Indem die Rückenfigur Präsenz und Körperhaltung des Künstlerbildnisses aufnimmt, bildet sich im Zusammenspiel ein „Bewegungs-Halbkreis“, der über die Blickrichtung der Rückenfigur zum Zentrum des Bildes führt – zum Knaben, der farblich korrespondiert. Im Zusammenspiel von Blickachsen und Bewegungsmomenten mit raumgreifender Wirkung wird somit der Blick der BetrachterIn vom Künstlerselbstporträt ausgehend bis ins Bildzentrum weitergeleitet. Dass das Figurenpaar „Ghirlandaio und Mitarbeiter“ am Rande der Fiktion, inhaltlich außerhalb der Bildwelt „steht“ und der Maler damit seine übergeordnete Funktion als Autor und bedingt auch als „Stifter“ betont, wird insbesondere im Gesamtzusammenhang der Kapelle deutlich. Es ist folglich notwendig, den Blick auszuweiten: In der Vertikalachse unterhalb des besprochenen Bildfeldes ist der Stifter in seinem Gebetsraum, einem isolierten, unbesiedelten Bereich gezeigt. Über der Erweckungsszene ist das abschließende Lünettenfeld mit dem Bildfeld der Bestätigung der Ordensregel schmaler und direkt über dem Selbstporträt teilweise bereits abgeschlossen. Die dort versammelten Assistenzporträts zeigen u. a. Lorenzo de’Medici.9 Trotz seiner sinnbildlich übergreifend abgegrenzten Position am Rand der Bilder reiht sich Domenico folglich zwischen Sassetti, dem materiellen Stifter, und de’Medici, der als Kunstmäzen als übergeordneter Stifter für die Stadt Florenz interpretierbar ist, als geistiger Schöpfer der Kapellenausstattung ein.10 Der desintegrative Charakter des Selbstbildnisses fällt gerade im Vergleich mit anderen Assistenzporträts in der Sassetti-Kapelle auf, etwa dem von Davies identifizierten Bildnis des Bruders Davide Ghirlandaio im rechten äußeren Bereich im Bildfeld der Feuerprobe vor dem Sultan;11 trotz der exponierten Position und der auffälligen Kleidung weist diese Figur ansonsten deutlich weniger Freistellungsmerkmale auf.12 Nach Cadogan oder Rejaie ist das Selbstbildnis Ghirlandaios unter dem Aspekt dynastischer Ambitionen zu interpretieren. Zur Zeit der Ausmalung wurden die ältesten Söhne Ghirlandaios, Bartolomeo und Ridolfo, geboren; als Familienoberhaupt sowie Werkstattmeister sei ihm (wie dem Patron) an Verewigung gelegen gewesen.13 Ohne die Funktion der memoria von Bildnissen innerhalb sakraler Bildverbände gänzlich ausschließen zu wollen, sei angemerkt, dass die Familie Ghirlandaio über einen privaten Andachtsraum verfügte, eine Familienkapelle in der Villa der Ghirlandaios in Colleramole. In dieser pflegte die Malerfamilie, wie Horký ausführt, ihre religiösen Ambitionen14 – was das Bildnis einmal mehr ins Licht malerischer Selbstrepräsentation rückt.
Über eine Symbiose verschiedener Bezüge definiert sich Ghirlandaio als multifunktionaler, integrativer und dennoch isoliert-herausgehobener Wert an der Schwelle seines Bildes: als Zeuge (der sakralen Historie und dem sozialen Status seines Auftraggebers gegenüber), als Autor (Schöpfer, Vermittler, Visionär), als eine dem gesellschaftlichen Leben der Stadt angehörende Persönlichkeit und als erfolgreicher und anerkannter Meister seiner Werkstatt. Das Selbstporträt Ghirlandaios in der Vertreibung Joachims aus dem Tempel in der Tornabuoni-Kapelle führt verschiedene der hier vorliegenden Darstellungsmodi weiter. Das bekräftigt die These, Ghirlandaio habe im Bildfeld der Erweckung des Knaben eine Reihe ineinandergreifender Prinzipien für seine Selbstdarstellung formelhaft grundgelegt,15 die er in abgewandelter Form schon in San Gimignano in der Beerdigung der hl. Fina auslotete. Die Autorenfigur am Rand sollte nicht Ghirlandaios einzige Methode der Selbstdarstellung bleiben.
Verweise
Warburg 1979, 143, 156.↩︎
Ebd., 137f, 154.↩︎
Roettgen 1997, 141.↩︎
Zu den Identifizierungen vgl. u. a. Borsook/Offerhaus 1981, 36–42, bes. 38–40; Cadogan 2000, 236; Kecks 2000, 269f; Marchand 1998, 119–123; Roettgen 1997, 145.↩︎
Vgl. Raupp 1984, 181–219, bes. 182–184.↩︎
Horký 2003, 138, 175. Diese Kombination (Gestik und Mimik) perfektioniert Ghirlandaio mit seinem Selbstbildnis im Bildfeld der Vertreibung von Joachim aus dem Tempel in der Tornabuoni-Kapelle. Der Schulterblick als isoliertes Element ist zudem im Selbstporträt im Tafelbild der Anbetung der Könige im Ospedale degli Innocenti beobachtbar.↩︎
Das Portal bezeichnet den Eingang von Sassettis Wohnhaus auf der Piazza Trinità in Florenz. Zu Überlegungen zur lokalen Verortung vgl. u. a. Roettgen 1997, 141–143; Rohlmann 2003, 185.↩︎
Roesler 1999, 22f.↩︎
Zu den Identifizierungen vgl. Borsook/Offerhaus 1981, 36f.↩︎
Dabei handelt es sich um eine Positionierung, die das Wohlwollen des Stifters samt dessen Berater und deren Bereitschaft, die Inszenierung des Künstlers als Teil der Selbstrepräsentation anzuerkennen, voraussetzte. Zu Bildentwicklung in Familienkapellen bzw. zu Verhältnissen von Auftraggebern und Künstlern am Beispiel von Ghirlandaios Fresken in der Tornabuoni-Kapelle vgl. O'Malley 2004, 24–26.↩︎
Davies 1908, 75; Kecks 2000, 263.↩︎
Davies vermutete zudem ein Selbstporträt Mainardis in der Feuerprobe sowie ein weiteres Selbstporträt Ghirlandaios im Bildfeld der Exequien, vgl. Davies 1908, 75, 81.↩︎
Cadogan 2000, 235f Rejaie 2006, 179.↩︎
Horký 2003, 111f; zu Ghirlandaios Anwesen vgl. zudem Roesler 1999, 56–59.↩︎
Horký 2003, 67, 138.↩︎
Literatur
Zitiervorschlag:
Krabichler, Elisabeth: Erweckung eines Knaben (Katalogeintrag), in: Metapictor, http://explore-research.uibk.ac.at/arts/metapictor/katalogeintrag/ghirlandaio-domenico-erweckung-eines-knaben-um-1482-83-bis-1485-florenz-santa-trinita-cappella-sassetti/ (05.12.2025).