Exequien des hl. Franziskus

Ghirlandaio, Domenico

um 1482/83 bis 1485

Italien; Florenz; Santa Trinità; Cappella Sassetti

Objekt

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Bildrechte
Alternativtitel Deutsch:Begräbnis des hl. Franziskus
Titel in Originalsprache:Esequie di San Francesco; Morte di San Francesco
Titel in Englisch:The Death of St. Francis
Datierung: um 1482/83 bis 1485
Ursprungsregion:italienischer Raum
Lokalisierung:Italien; Florenz; Santa Trinità; Cappella Sassetti
Lokalisierung (Detail):Sassetti-Kapelle, rechte Kapellenwand, 2. Register; Teil der malerischen Gesamtausstattung bestehend aus zwei Themenkreisen: Erster Themenkreis zur Geburt Christi: Hl. David, Augustus und die Sibylle von Tibur (Aracoeli-Vision) (Fassade); Sibylle von Cumae, Sibylle Agrippina, Sibylle von Eritrea, eine weitere unidentifizierte Sibylle (Gewölbe); Anbetung der Hirten (Altarbild); zweiter Themenkreis zur Vita des hl. Franziskus: Lossagung vom Vater, Bestätigung der Ordensregel der Franziskaner durch Papst Honorius III., Feuerprobe vor dem Sultan, Stigmatisation, Erweckung eines Knaben, Exequien (Kapellenwände); weiters: Porträts der Stifter Nera de‘ Corsi und Francesco Sassetti (Gesamtausstattung unter Beteiligung der Werkstatt)
Medium:Wandbild
Material:Fresko; Secco
Bildträger:Wand
Ikonografische Bezeichnung:Tod und Begräbnis des hl. Franziskus; Verehrung der Wundmale; Untersuchung der Wundmale durch den Arzt Hieronymus
Iconclass:11H(FRANCIS)682 – deathbed of St. Francis of Assisi: the physician Jerome, touching the wounds, is converted
Signatur Wortlaut:ohne
Datierung Wortlaut:ohne
Auftraggeber/Stifter:Francesco di Tommaso Sassetti (Bankier der Medici, um 1440–58 Führungspositionen in den Niederlassungen in Avignon, Lyon, Genf und Florenz, 1482–84 Geschäftsführer im Florentiner Stammhaus der Medicibank) mit Nera de‘ Corsi
Provenienz:in situ
Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt:öffentlich

Zur Kapellenausstattung1 und zum Auftraggeber.2

Verweise

  1. Roettgen 1997, 136–163, 148.↩︎

  2. Ebd., 138.↩︎

Bildnis 1

Bildrechte
Lokalisierung im Objekt:zweite Figur von links
Ausführung Körper:Schulterstück stehend
Ausführung Kopf:Dreiviertelporträt
Ikonografischer Kontext:Porträtfigur im Bildfeld zu Tod und Begräbnis des hl. Franziskus; Freundschaftsbild
Blick/Mimik:direkter Blick aus dem Bild
Gesten:Hände nicht sichtbar
Körperhaltung:aufrecht; Schulterblick
Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal:in hinterster Figurenebene an der linken Bildschwelle; Parallelisierung mit zeitgenössischen Assistenzfiguren am rechten Bildrand
Kleidung:auffällige Kopfbedeckung (Chaperon)
Zugeordnete Bildprotagonisten:äußerste Figur links, identifiziert als Piero Angelo Poliziano

Zur Identifizierung des Poliziano.1

Verweise

  1. Borsook/Offerhaus 1981, 41.↩︎

Forschungsergebnis: Ghirlandaio, Domenico

Künstler des Bildnisses:Ghirlandaio, Domenico
Status:Einzelmeinung
Andere Identifikationsvorschläge:Bartolomeo Fontio, humanistischer Berater von Sassetti
Typ Autor/in Jahr Referenz Seite Anmerkungen
Erstzuschreibung Davies 1908 Davies 1908 – Ghirlandaio 81 -
Skeptisch/verneinend Borsook/Offerhaus 1981 Borsook, Offerhaus 1981 – Francesco Sassetti and Ghirlandaio 41 -
Skeptisch/verneinend Kecks 2000 Kecks 2000 – Domenico Ghirlandaio und die Malerei 271f -

Davies (1908) ohne Argumentation angegebenen Identifizierung1 scheint in der Forschung keine Beachtung erfahren zu haben.

Borsook/Offerhaus (1981) und Kecks (2000) interpretieren das Bildnis als Bartolomeo Fontio (humanistischer Berater von Sassetti).2

Verweise

  1. Davies 1908, 81.↩︎

  2. Vgl. u. a. Borsook/Offerhaus 1981, 41; Kecks 2000, 271f.↩︎

Ein Sondieren von Möglichkeiten

Die zwischenzeitlich als eigenhändige Arbeit Domenico Ghirlandaios anerkannte Szene1 der Exequien des hl. Franziskus ist in einem kapellenartigen Apsisraum, der sich seitlich zum Hintergrund hin öffnet, verortet. Neben kompositionellen Bezugnahmen zu Giotto2 zitiert Ghirlandaio Fra Filippo Lippis Begräbnis des hl. Stephanus und greift somit auf ein Bildsystem zurück, das er schon in der Beerdigung der hl. Fina in San Gimignano erprobt hatte.3 Erneut wird der reale Kapellenraum im Bildraum der historie reflektiert, erneut repräsentiert der Bildraum die Funktion des Kapellenraums.4

Der Maler entwickelt von der sakralen historie ausgehend figurative Szenen. Seitlich hinter dem inneren Figurenkreis angeordnete, dem Lebensumfeld des Stifters angehörende Porträtfiguren bezeugen das Geschehen. An der rechten Seite ist es der Stifter selbst, der der Szene in Begleitung eines Knaben und eines jungen Mannes beiwohnt. Kecks argumentiert überzeugend, dass es sich hierbei um Sassettis Söhne handelt, um den als posthumes Bildnis verewigten verstorbenen Sohn und den neugeborenen Nachzügler, beide mit dem Namen Teodoro.5 Die Art der Szene und die Positionierung oberhalb der Grablege des Stifters nehmen das Totengedächtnis Sassettis vorweg.6 Die beiden Figuren links werden allgemein als geistige Schöpfer des Bildfelds angenommen und erfahren entsprechende Deutungen. Das äußerst linke Porträt ist als Humanist und Berater Piero Angelo Poliziano identifiziert.7 Die aus dem Bild blickende Figur daneben ist als Porträt von Bartolomeo Fontio, der zweite humanistische Berater Sassettis,8 und als Selbstbildnis Domenico Ghirlandaios thematisiert.9

Das fragliche Selbstbildnis befindet sich in der hintersten Figurenebene als zweites Assistenzporträt am linken Bildrand. Überschnitten vom Porträt des Poliziano links und der sakralen Gruppe um den Bischof rechts sind von der Figur nur der Richtung Kapellenraum gewandte Kopf und eine Schulter zu sehen. Ein Bekleidungsdetail, der rote Chaperon, schafft einen unmittelbaren Bezug zu frühen Künstlerkopfbedeckungen, wie sie insbesondere durch nordische Porträts und Selbstbildnisse (vgl. u. a. van Eyck) überliefert sind.10 Über den direkten Blick agiert das Porträt aus dem Bildgrund bis in den BetrachterInnenraum. Nur über den äußerst rechts porträtierten Stifter ist der Bildraum figural weiter in die Tiefe bespielt. Innerhalb des Systems der Bildfelder im gesamten Kapellenraum ist das Bildnis in ein Raster von Assistenzporträts, die sich jeweils am Bildrand befinden, eingeordnet. Es sind, soweit identifiziert, allesamt Personen, die das soziale, wirtschaftliche, kulturelle und familiäre Umfeld des Stifters spiegeln. Beispielsweise stehen Poliziano und sein Begleiter Rücken an Rücken mit dem Repräsentationsbild der Malerwerkstatt, das deutlich isoliert am Rand des Bildfeldes der Erweckung eines Knaben zu finden ist. Die Gesichtsform des Selbstbildnisses in der Erweckung weist trotz Abweichungen in Mund-, Nasen- und Augenpartie Ähnlichkeiten zum thematisierten in den Exequien auf. Die ikonografische Nähe der Exequien zum Frühwerk in San Gimignano und die damit korrespondierende unauffällige Ausführung der seitlichen Assistenzporträts mag den Verdacht erhärten, dass es Ghirlandaio in der vorliegenden Phase seines Schaffens um ein Ausloten von Darstellungsmöglichkeiten ging. Folglich könnte es sich in den Exequien tatsächlich um ein weiteres Selbstbildnis handeln, zumal Mehrfachausführungen von Selbstdarstellungen innerhalb eines Kapellenverbandes nicht auszuschließen sind, wofür Ghirlandaio auch in der Ausstattung der Tornabouni-Kapelle Beispiel geben wird. Übereinstimmungen lassen sich auch unter Abgleich mit einem weiteren verifizierten Selbstbildnis Ghirlandaios im Tafelbild der Anbetung der Könige finden, hier wie dort sind die Bildnisse mit derselben Kopfdrehung erfasst.

Abschließend bleibt zu resümieren, dass Überlegungen, die sich aus Vergleichsbeispielen ableiten, die Kopfbedeckung und Hinweise auf physiognomische Ähnlichkeiten nicht beweiskräftig sind. Das Bildnis ist nicht als Selbstporträt Ghirlandaios verifizierbar.

Verweise

  1. Vgl. u. a. Kecks 2000, 271.↩︎

  2. Kompositionelle Bezüge zu Giotto, der im Tod des Hl. Franziskus (1325) in der Bardi-Kapelle in S. Croce den Tod des Heiligen mit der Verehrung seiner Wundmale in ein Bildfeld setzte, sind evident. Vgl. u. a. Roettgen 1997, 141.↩︎

  3. Cavalcaselle/Crowe 1896, 270; Kecks 2000, 271.↩︎

  4. Rohlmann 2003, 198.↩︎

  5. Kecks 2000, 272. Diese Familientragödie fand ihre Aufarbeitung bereits im Bildfeld zur Erweckung des Knaben.↩︎

  6. Roettgen 1997, 146; Rohlmann 2003, 220.↩︎

  7. U. a. Borsook/Offerhaus 1981, 41; Cadogan 2000, 230, 236; Roettgen 1997, 145.↩︎

  8. U. a. Borsook/Offerhaus 1981, 41; Kecks 2000, 271f. Nach Roesler kann das mutmaßliche Doppelporträt der beiden Humanisten in Giottos Exequien in der Bardi-Kapelle Anregung und Motivation für ein ebensolches in der Sassetti-Kapelle gewesen sein, vgl. Roesler 1999, 43.↩︎

  9. Davies 1908, 81.↩︎

  10. Vgl. Jan van Eyck, Mann mit rotem Turban, 1433, London, National Gallery. Zum Chaperon als Kopfbedeckung der Künstler vgl. bes. Scherer 2004.↩︎

Literatur

Borsook, Eve/Offerhaus, Johannes: Francesco Sassetti and Ghirlandaio at Santa Trinita, Florence. History and Legend in a Renaissance Chapel, Doornspijk 1981.
Cadogan, Jean K.: Domenico Ghirlandaio. Artist and Artisan, New Haven 2000.
Cavalcaselle, Giovanni Battista/Crowe, Joseph Archer: Storia della pittura in Italia. Dal secolo II al secolo XVI. 7. Pittori Fiorentini del secolo XV e del principo del seguente, Florenz 1896.
Davies, Gerald S.: Ghirlandaio, London 1908.
Kecks, Ronald G.: Domenico Ghirlandaio und die Malerei der Florentiner Renaissance (Italienische Forschungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz, 4. F., 2), München 2000.
Roesler, Antoinette: Selbstbildnis und Künstlerbild in der italienischen Renaissance (Dissertation, Freie Universität Berlin), Berlin 1999.
Roettgen, Steffi: Wandmalerei der Frührenaissance in Italien. Band 2. Die Blütezeit 1470–1510, München 1997.
Rohlmann, Michael: Bildernetzwerk. Die Verflechtung von Familienschicksal und Heilsgeschichte in Ghirlandaios Sassetti-Kapelle, in: Rohlmann, Michael (Hg.): Domenico Ghirlandaio. Künstlerische Konstruktion von Identität im Florenz der Renaissance, Weimar 2003, 165–244.
Scherer, Annette: Die Kopfbedeckung des Künstlers. Kleidungsutensil und Topos, in: Germanisches Nationalmuseum (Hg.): Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 2004, 17–36.

Zitiervorschlag: