Anbetung der Könige (Monforte-Altar)
Goes, Hugo van der
Deutschland; Berlin; Staatliche Gemäldegalerie
Inhaltsverzeichnis
Objekt
Bildrechte
| Titel in Originalsprache: | Aanbidding van de koningen; Monforte-Aaltar |
| Titel in Englisch: | Adoration of the kings; Monforte Altarpiece |
| Datierung: | vor 1470 |
| Ursprungsregion: | altniederländischer Raum |
| Lokalisierung: | Deutschland; Berlin; Staatliche Gemäldegalerie |
| Lokalisierung (Detail): | Inventarnummer: 1718 |
| Medium: | Altarbild; Tafelbild |
| Material: | Öl |
| Bildträger: | Holz (Eiche) |
| Maße: | Höhe: 147–157,5 cm; Breite: 239 cm |
| Maße Anmerkungen: | Bildmaße mit Rahmen: 170,2 x 263 cm, im Mittelteil 180,2 x 97,8 cm. Der Mittelteil des Bildes ist auf einer Breite von 76,5 cm höher und weist dort eine Gesamthöhe von 157,5 cm auf. Das Altarbild ist beschnitten und als einziger Teil eines ehemaligen Flügelaltars erhalten. |
| Ikonografische Bezeichnung: | Geburt Christi; Drei Könige (Anbetung und Zyklus der Magier) |
| Iconclass: | 73B57 – adoration of the kings: the Wise Men present their gifts to the Christ-child (gold, frankincense and myrrh) |
| Signatur Wortlaut: | ohne |
| Datierung Wortlaut: | ohne |
| Inschriften: | PIIS MLORVB; auf der Dolchscheide des rechts hinter dem zweiten König knienden Pagen |
| Auftraggeber/Stifter: | Guillaume (Willem) Hugonet (Kanzler unter Karl dem Kühnen), vorgeschlagen von Dhanens; Antoine de Croÿ (ein Rat Herzog Philipps des Guten), vorgeschlagen von Châtelet |
| Provenienz: | 1914 Ankauf der Staatlichen Museen zu Berlin aus dem Kloster Monforte de Lemos in Nordspanien |
| Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt: | unbekannt |
Zu Restaurierung, gemäldetechnischen Untersuchungen, Rekonstruktionsversuchen und ursprünglichem Bestand (es handelte sich um ein Triptychon mit Aufsatz).1 Der Schriftzug ist bereits bei Friedländer erwähnt und u. a. bei Grosshans abgedruckt.2
Provenienz und Auftraggeberschaft sind ungeklärt,3 zu Vorschlägen zum Stifter Guillaume (Willem) Hugonet4 oder Antoine de Croÿ.5
Verweise
Graf 2003; Grosshans 2002; zur Höhe des Gemäldes im Mittelteil vgl. Graf 2003, 255 (Anm. 1).↩︎
Friedländer 1914, 1; Grosshans 2002, 159.↩︎
Vgl. u. a. De Vos 2002, 128; Franke 2021; Grosshans 2002, 134–137, 157–159; Kapfer 2008, 40f; o. A. 2019 (Onlinedatenbank der Sammlungen); Sander 1999, 252 (Anm. 29).↩︎
Dhanens 1985, 15–17; Dhanens 1998, 203–207, bes. 205, 207.↩︎
Châtelet 2001, 194–196.↩︎
Bildnis 1
Bildrechte
| Lokalisierung im Objekt: | Mann mit geschmückter schwarzer Kopfbedeckung direkt hinter dem mittigen Bretterverschlag |
| Ausführung Körper: | Halbfigur stehend |
| Ausführung Kopf: | Dreiviertelporträt |
| Ikonografischer Kontext: | Assistenzfigur hinter der Anbetung der Könige; evtl. in der Rolle eines Boten, der zum Zug der Könige gehört |
| Blick/Mimik: | verinnerlichter Blick schräg nach rechts vorne |
| Gesten: | linke Hand auf rechten Arm aufgelegt; beide Hände mit gekrümmten Fingern |
| Körperhaltung: | aufrecht; Kopf leicht nach vorne geneigt |
| Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal: | Teil einer Gruppe von Männern, einer unterbrochenen isokephal angeordneten Reihe von Bildnissen hinter einem Bretterverschlag; von der sakralen Szene abgegrenzt; die zwei rechts stehenden Figuren dieser Gruppe blicken den Mann an; auffallend synchrone Ausrichtung des Porträtkopfes dahinter; Ähnlichkeiten in Kopfform, -ausrichtung und Bart auch mit dem hl. Joseph im linken vorderen Bereich; rechte Hand des Mannes liegt auf der Abgrenzung direkt an der Schwelle zur Vordergrundbühne auf; Position im hinteren Bereich des Stalls in einer Zwischenzone, weder Vorder- noch Hintergrund anteilig, zudem vor einer Nische stehend; in einem Bereich mit starkem Tiefenzug verankert, am Beginn einer Mauerfront, die mittels verkürzter Details direkt in den Hintergrund leitet; partiell überschnitten; eigentümliches Zusammenspiel mit dem knienden König, die rechte Hand der Figur scheint nahezu in das Profil des Königs „eingepasst“; leicht rechts oberhalb des Kopfes auf einem Balken befindet sich ein Eichhörnchen, äußerst rechts am selben Balken ein kaum sichtbarer Vogel; einzige Figur abseits der Könige mit auffälligem Schmuck der Kopfbedeckung; Verbindung zum Schmuck auf der Brust und auf der Pelzmütze des ältesten Königs, die im Vordergrund am Stein mit der Vierpassschale lehnt (jeweils Gold, Edelsteine und Perlen); ähnliche Farbgebung der Kleidung im Vergleich mit dem farbigen König; rechte Hand bekleidet, linke unbekleidet; einzige der größeren Figuren mit Handschuhen |
| Attribute: | Handschuh |
| Kleidung: | auffällige Kopfbedeckung mit Schmuckelement und Feder; auffällig inszenierte Handschuhe; kostbare Kleidung, die farblich mit der des farbigen Königs korrespondiert |
| Sonstiges: | sehr kleine Hände |
| Zugeordnete Bildprotagonisten: | weitere männliche Figuren in derselben Ebene (eine massiv überschnittene hinter dem Porträt; zwei weitere rechts davon, die nach links blicken), vorgeschlagen als Pagen von Grosshans; zusammen mit dem jungen Pagen unmittelbar hinter dem Mohrenkönig am rechten Bildrand, von Châtelet vorgeschlagen als Antoine de Croÿs Sohn Philippe und Antoines Enkel Henry, Antoine und Guillaume; alle Figuren in dieser Ebene (hinter dem Bretterverschlag und auch am rechten Bildrand), bei Kapfer angegeben als Gefolgsleute der Könige; Figur am rechten Bildrand als weiteres thematisiertes Selbstporträt; zweite Figur von rechts als weiteres thematisiertes Selbstporträt; weitere Identifikationsvorschläge zu den beiden letztgenannten wie auch zu dem blonden Jungen, der bei diesen steht, angeführt in den Analysen zum zweiten Protagonisten von rechts; der älteste König als Porträt des Stifters Guillaume Hugonet, burgundischer Kanzler, vorgeschlagen von Dhanens bzw. als Bildnis von Antoine de Croÿ, Rat von Herzog Philipp dem Guten, angegeben von Châtelet |
Zu Vorschlägen zur Identifizierung der zugeordneten Protagonisten: Pagen in derselben Bildebene,1 gemeinsam mit dem Pagen rechts als Antoine de Croÿs Sohn Philippe und Antoines Enkel Henry, Antoine und Guillaume;2 alle Figuren als Gefolgsleute der Könige;3 der älteste König als Porträt des Stifters Guillaume Hugonet4 bzw. als Bildnis von Antoine de Croÿ.5
Forschungsergebnis: Goes, Hugo van der
| Künstler des Bildnisses: | Goes, Hugo van der |
| Status: | kontrovers diskutiert |
| Status Anmerkungen: | Für den Monforte-Altar sind verschiedene Bildnisse als mögliche Selbstdarstellungen thematisiert. |
| Andere Identifikationsvorschläge: | ein Mitglied des Gefolges der Könige; ein Abgesandter der Könige bzw. ein „vorauseilender Kurier“ (daneben Pagen), der die im Hintergrund dargestellte Szene der Begegnung mit den Hirten erweitert; ein Herold im Zug der Könige mit weiteren, diesem Zug zuzuordnenden Figuren; ein Gefolgsmann der Könige, wie alle Figuren in hinterster Ebene (hinter dem Bretterverschlag und am rechten Bildrand) |
| Typ | Autor/in | Jahr | Referenz | Seite | Anmerkungen |
|---|---|---|---|---|---|
| Erstzuschreibung | Destrée | 1914 | Destrée 1914 – Hugo van der Goes | 19f | - |
| Skeptisch/verneinend | Destrée | 1914 | Destrée 1914 – Hugo van der Goes | 231 |
DetailsGeorges Hulin nach Destrée
|
| Bejahend | Winkler | 1964 | Winkler 1964 – Das Werk des Hugo van | 2, 11 | - |
| Skeptisch/verneinend | Dhanens | 1985 | Dhanens 1985 – Het Monforte-retabel van Hugo van | 12 | - |
| Skeptisch/verneinend | Dhanens | 1998 | Dhanens 1998 – Hugo van der Goes | 200, 203, 383 (Anm. 278) | - |
| Bejahend | Sander | 1999 | Sander 1999 – An Hugos Statt | 240, 247f | - |
| Skeptisch/verneinend | Grosshans | 2002 | Grosshans 2002 – Die Königsanbetung aus Monforte | 149, 152 | - |
| Skeptisch/verneinend | De Vos | 2002 | De Vos 2002 – Flämische Meister | 134 | - |
| Skeptisch/verneinend | Guenther | 2006 | Guenther 2006 – Hugo van der Goes's Holy | 228f | - |
| Bejahend | Kemperdick/Sander | 2007 | Kemperdick, Sander 2007 – Die Winterthurer Anbetung der Heiligen | 41, 58 (Anm. 52) | - |
| Bejahend | Kapfer | 2008 | Kapfer 2008 – Überlegungen zu den Bildnissen | 39, 50, 73 | - |
| Skeptisch/verneinend | Salomon | 2009 | Salomon 2009 – Geertgen tot Sint Jans | 55–61, bes. 56, 58 | - |
| Skeptisch/verneinend | Franke | 2012 | Franke 2012 – Raum und Realismus | 48–52, bes. 52 | - |
| Bejahend | Scheel | 2014 | Scheel 2014 – Das altniederländische Stifterbild | 58f (Anm. 183) | - |
| Skeptisch/verneinend | Borchert | 2014 | Borchert 2014 – Meisterhaft | 172 | - |
Destrées Überlegungen aus dem Jahr 1914, in denen der Autor niederländische Selbstdarstellungen thematisiert (etwa von Hubert und Jan van Eyck, Dieric Bouts, Hans Memling und Gerard David), führten zur Identifikation möglicher Selbstdarstellungen von Hugo van der Goes in den Gemälden Marientod, Anbetung der Hirten und im Monforte-Altar. Während Destrée ein Selbstbildnis im Marientod lediglich für möglich hält, stellt er fest, dass für die restlichen eben genannten Gemälde physiognomische Übereinstimmungen der jeweiligen Protagonisten (und dabei insbesondere der Bärte) beweiskräftig dafür seien, dass es sich um dieselbe Figur und möglicherweise um eine Selbstdarstellung handelt:
„[…] il ne nous étonnerait nullement que Hugo n’eût transmis sa physionomie dans l'une des têtes puissantes de la Mort de Marie ou dans quelque autre production de sa maturité, comme l'Adoration des Bergers du Musée de Berlin, où l’on voit au troisième plan une tête barbue très caractéristique, sur laquelle nous attirons plus loin tout spécialement l’attention du lecteur. N’oublions pas non plus cet homme dans la force de l’âge qui, dans le tableau de Monforte de Lemos, apparait au même plan, accompagné d’un autre figurant. Il porte aussi la barbe, mais plus grande; et nous inclinons à croire que les deux effigies mutatis mutandis représentent bien le même personnage.“1
1964 bestätigt Winkler Destrées Überlegungen und untermauert die Identifizierung des bärtigen Mannes als Selbstdarstellung über retrograd und in die Zukunft orientierte Vergleiche: Einerseits sei das nach der Natur gemalte Porträt an einer für die Niederlande typischen Position im Hintergrund angebracht, womit es mit der Selbstdarstellung im Donne-Altar in Verbindung stehe,2 andererseits übe die Figur Vorbildwirksamkeit für zukünftige Selbstdarstellungen in Anbetungsszenen aus, wie etwa für jene in der Antwerpener Anbetung der Könige des Meisters von Frankfurt. Zudem stimmt Winkler mit Destrée dahingehend überein, dass sich dieselbe Figur auch im Hintergrund der Goes’schen Anbetung der Hirten befindet.3
1985 schließt Dhanens ausgehend von der Kleidung und der geschmückten Kopfbedeckung des Mannes darauf, dass es sich bei der Figur um ein Mitglied des Gefolges der Könige handeln könnte. Auch habe die Figur keine sonstigen Charakteristika, die sie als Selbstdarstellung ausweisen würde.4 1998 schließt die Autorin die Selbstporträtthese für den Mann mit Bart erneut aus.5 Stattdessen schlägt Dhanens vor, dass sich Hugo van der Goes im Mann mit der blauen Kappe am rechten Bildrand dargestellt habe.6
Sander (1999) analysiert nordische Anbetungsszenen und stellt eine Selbstporträttradition in der Nachfolge vom Monforte-Altar fest, den er als ein „Gegenstück künstlerischer Selbstvergewisserung und Selbstbehauptung der nachfolgenden Künstlergenerationen“ herausstreicht.7 Der Autor schließt vom Phänomen zahlreicher Porträt- bzw. Selbstporträtfiguren an immer ähnlichen Positionen rück, dass Maler ihre Bildnisse an diesen Stellen in Signaturfunktionen einbrachten.8 Dies sei damit erklärbar, dass die Künstler (sowohl Zeitgenossen von van der Goes als auch Maler der nachfolgenden Periode) erkannten, dass sich van der Goes im Monforte-Altar hinter dem ältesten König selbst porträtiert hatte. Zur Untermauerung seiner These zum van der Goes’schen Selbstbildnis betont Sander die „merkwürdige Befangenheit, ja fast Unbeholfenheit in der Gestaltung“ – besonders der linken Hand sowie des Blicks der Bildfigur. Diese Mängel führt Sander unter Bezugnahme auf Panofskys These zur Fertigung von Selbstporträts nach dem Spiegel auf den Entstehungsprozess des Bildnisses zurück. Im Vergleich mit Dürers Selbstbildnis als Dreizehnjähriger werde nach Sander deutlich, dass dieser sein Porträt ähnlich gestaltete.9 Zudem stimmt Sander den Mann mit Bart hinter der Mauer mit einer mutmaßlichen weiteren Selbstdarstellung des Malers in der Rolle des Hl. Lukas ab.10
2002 deutet Grosshans den Mann als einen „vorauseilenden Kurier“, als einen Abgesandten der Könige, der die im Hintergrund angegebene Szene der Begegnung mit den Hirten erweitert.11 Als Selbstbildnis von van der Goes erscheint ihm hingegen die Figur mit blauer Kappe wahrscheinlicher.12
De Vos (2002) charakterisiert die Figur als ein vermutliches Bildnis.13
2006 widmet sich Guenther einer verlorenen, über Kopien überlieferten Königsanbetung von Hugo van der Goes und bringt den Protagonisten mit dunkler Kappe im Monforte-Altar damit in Verbindung. Der Autorin erscheint es verlockend, den unkonventionellen Mann hinter der Mauer, der in einem Moment verinnerlichter religiöser Erfahrung gezeigt ist, als Selbstporträt einzuschätzen, wenngleich sie einschränkend anmerkt: „[W]e will probably never be certain“.14
Kemperdick und Sander stellen 2007 Vergleiche zwischen einer Königsanbetung von Geertgen tot Sins Jans, die sich in der Nationalgalerie in Prag befindet, und dem Monforte-Altar an. In beiden Fällen befinden sich zwei Porträts am rechten Bildrand hinter den farbigen Königen, wovon jeweils eines zum BetrachterInnenraum ausgerichtet ist. Die Autoren weisen wertneutral darauf hin, dass diese Männer wiederholt als Selbstdarstellungen gedeutet wurden. Sie betonen jedoch, dass sich im Fall des Monforte-Altars scheinbar auch eine Tradition etabliert habe, im bärtigen Mann im Mittelfeld ein Selbstbildnis zu sehen.15
Kapfer fokussiert 2008 nach einer detaillierten Erfassung der Forschungslage zu den Stifter- und möglichen Selbstdarstellungen von Hugo van der Goes auf zwei Bildnisse im Monforte-Altar, die ihrer Meinung nach als Selbstporträts in Frage kommen. Dabei handelt es sich um den bärtigen Mann hinter der Brüstung und die Figur mit der blauen Kappe. Als Argument für die Identifizierung des Mannes mit Bart als Selbstdarstellung führt sie Sanders These zu Kopien und Varianten des Altars samt übereinstimmenden integrierten Selbstporträts an.16 An anderer Stelle bezeichnet Kapfer alle Figuren in der Ebene hinter der Anbetungsszene (hinter dem Bretterverschlag und am rechten Bildrand) als Gefolgsleute der Könige.17
Salomon (2009) identifiziert eine Reihe von bärtigen Selbstdarstellungen bei Geertgen tot Sint Jans und bringt diese mit der Biografie des Malers in Einklang. Als Laienbruder war es Geertgen nicht gestattet, sich zu rasieren; der Bart galt als Zeichen des sündigen Menschen. Als solcher, so die Autorin, stellte der Maler seine Arbeit in den Dienst des Glaubens.18 Hugo van der Goes, der eine ähnliche Vita vorzuweisen hat, zeigt sich in der von Sander ausführlich besprochenen Figur im Monforte-Altar ebenfalls mit Bart, was die These stütze, nach der Gesichtsbehaarung zu einer „Christian formulation of self-debasement“19 werde. Weiterführend geht die Autorin auf die Vorbildwirksamkeit des Monforte-Altars ein, dessen Könige durch ihre spezifische ethnische Unterscheidungsmerkmale als Repräsentanten der drei damals bekannten Kontinente gelten – der bärtige König stehe dabei für den Osten. Im Oeuvre von Geertgen tot Sint Jans treten mehrere Magier mit Bärten auf, die von Salomon als Selbstdarstellung gewertet werden: diese finden sich in Epiphanien in Amsterdam, Cleveland und Prag. Ob es sich beim bärtigen König von van der Goes ebenfalls um eine Selbstdarstellung handelt, bleibe aber ungewiss.20
Franke (2012), die sich für eine Selbstdarstellung des Malers im Mann mit blauer Kappe in der Nähe des rechten Bildrands ausspricht, deutet die Figuren hinter dem Zaun als kompositorisch inszenierte Elemente, die die Vordergrundhandlung parallel verschoben spiegeln. Dies machen sie, indem sie Mienen, Gesten und Bezugssysteme wiederholen. Dieses System wertet Franke als durchdachtes Kalkül des Malers zur BetrachterInnenansprache und zur Verstärkung von Bildaussagen. Der Mann mit der Feder stehe etwa im engen formalen Zusammenhang mit dem hl. Joseph in vorderster Bildebene.21 Zudem identifiziert Franke das Bildnis über einen weiteren Vergleich mit einer als Bote fungierenden Figur am rechten Flügel des Portinari-Altars, die ebenfalls einen Handschuh abgestreift hat, als Herold.22
Scheel (2014) bezieht sich ebenfalls auf Sander und bezeichnet seine Identifizierung des Künstlerselbstbildnisses als „eindeutig“. Sie kategorisiert die versteckte Künstlerselbstdarstellung als „Sonderfall des Kryptoporträts“, die in der Funktion einer Signatur stehe und Künstlerstolz belege.23
Borchert (2014) äußert sich vorsichtig zu einer möglichen Selbstdarstellung im Monforte-Altar. Die Identifizierung des Mannes mit Bart lehnt er ab, da „diese Position wahrscheinlich zu prominent für ein verstecktes Künstlerselbstbildnis“ sei. Hingegen, so der Autor, sei ein Selbstporträt in der Figur mit der blauen Kappe denkbar.24
Verweise
Destrée 1914, 19f. An anderer Stelle bezieht sich Destrée auf das kritische Statement von Georg Hulin zu seiner These. Nach Hulin sind Bärte Merkmale von Einsiedlern oder wilden Männern gewesen, weshalb er das Goes’sche Selbstporträt in der Figur mit der blauen Kappe vermutet. Trotz intensiver Recherche konnte die entsprechende Textstelle bei Hulin nicht gefunden werden. Vgl. Destrée 1914, 231.↩︎
Winkler 1964, 2.↩︎
Ebd., 11.↩︎
Dhanens 1985, 12.↩︎
Dhanens 1998, 200, 383 (Anm. 278).↩︎
Dhanens 1985, 12; Dhanens 1998, 203.↩︎
Sander 1999, bes. 240.↩︎
Zu den konkreten Beispielen vgl. den Einführungstext zu Hugo van der Goes.↩︎
Albrecht Dürer, Selbstbildnis als Dreizehnjähriger, 1484, Wien, Albertina, Graphische Sammlung. Sander 1999, 247f; vgl. weiterführend Panofsky 1977, 19f.↩︎
Hugo van der Goes, Der hl. Lukas malt die Madonna, um 1480, Lissabon, Nationalmuseum für antike Kunst. Vgl. den Einführungstext zu Hugo van der Goes.↩︎
Grosshans 2002, 152.↩︎
Ebd., 149; gleichlautend in Grosshans 2003, 236.↩︎
De Vos 2002, 134.↩︎
Guenther 2006, 228f.↩︎
Kemperdick/Sander 2007, 41, 58 (Anm. 52).↩︎
Kapfer 2008, 50, 73.↩︎
Ebd., 39.↩︎
Salomon 2009, 55–61.↩︎
Ebd., 56.↩︎
Ebd., 58. Salomons Hinweis kann nicht als Identifizierung eines Selbstporträts in Gestalt des Königs gewertet werden. Auf eine detaillierte Besprechung der Figur wird daher verzichtet.↩︎
Zum „Echoeffekt“ bei Hugo van der Goes vgl. Franke 2012, 48–52.↩︎
Ebd., 48.↩︎
Scheel 2014, 58f (Anm. 183).↩︎
Borchert 2014, 172.↩︎
Bildnis 2
Bildrechte
| Lokalisierung im Objekt: | zweite Figur von rechts mit blauer Kopfbedeckung |
| Ausführung Körper: | Kopfbild |
| Ausführung Kopf: | Dreiviertelporträt |
| Ikonografischer Kontext: | Assistenzfigur hinter der Anbetung der Könige; evtl. Freundschaftsbild |
| Blick/Mimik: | verinnerlichter Blick aus dem Bild |
| Gesten: | Hände nicht sichtbar |
| Körperhaltung: | Körper nicht sichtbar, vermutlich stehend; Kopf nach rechts ausgerichtet |
| Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal: | hinter einem kaum sichtbaren Mauerfragment von der Vordergrundhandlung getrennt; bildet mit der rechten Randfigur ein Paar, in der Kombination mit der rechten Randfigur und dem vorgelagerten Pagen eine Dreiergruppe; steht in Zusammenhang mit allen Figuren in dieser Bildebene (Figuren rechts und in der Mitte hinter dem Bretterverschlag); neben dem Jesuskind die einzige Figur, die aus dem Bild blickt; eigenartige, undefinierbare Blickführung; weitgehend überschnitten (nahezu nur der Kopf sichtbar); in einer mittleren Bildebene: weder dem Vorder- noch dem Hintergrund anteilig; in dicht gedrängter Anordnung zwischen nach vorne abgrenzender Mauer und hinterer Architektur, der äußerst rechten Figur sehr nahe wirkt der Mann mit der blauen Kappe fast „unrealistisch verankert“; auffällig beleuchtetes Inkarnat; starke Glanzpunkte in den Augen; hervorstechendes Blau der Kappe im Vergleich zu den eher gedämpften Farben in diesem Bereich des Bildes |
| Formale Besonderheiten: | sehr differenziert gemaltes Inkarnat |
| Kleidung: | intensiv blaue Kopfbedeckung |
| Zugeordnete Bildprotagonisten: | weiteres mögliches Selbstbildnis in der Figur am rechten Bildrand; weitere Identifizierungen dieser Figur als ein Freund oder Kollege von van der Goes oder als ein hoher Beamter; vier männliche Figuren im Mittelteil hinter der Abgrenzung, darunter der Mann mit Bart und geschmückter Kopfbedeckung als mögliches Selbstbildnis; weitere Vorschläge zur Identifizierung der Gruppe sowie zu allen Figuren in der hinteren Ebene (auch zu denen am rechten Bildrand) angeführt in der Analyse zum Mann mit Bart. |
Zu Vorschlägen zur Identifizierung der zugeordneten Protagonisten: Zur Figur am rechten Bildrand als mögliches Selbstbildnis,1 als ein Freund oder Kollege von van der Goes2 oder als ein hoher Beamter3 – zusammen mit dem stark überschnittenen blonden Jungen am rechten Bildrand als Figur von formalem Echocharakter.4
Forschungsergebnis: Goes, Hugo van der
| Künstler des Bildnisses: | Goes, Hugo van der |
| Status: | kontrovers diskutiert |
| Status Anmerkungen: | In der gesichteten Literatur findet sich kaum mit Argumenten untermauerte Kritik der Selbstporträt-Theorie für die Figur mit der blauen Kappe, allerdings kann bei den AutorInnen, die andere Bildnisse im Monforte-Altar als Selbstbildnisse deklarieren bzw. bei jenen, die abweichende Identifizierungsvorschläge für das Porträt vorbringen, von einer Ablehnung dieses vorgeschlagenen Selbstporträts mit blauer Kappe ausgegangen werden. |
| Andere Identifikationsvorschläge: | Joos van Wassenhove (Justus van Gent); ein Gefolgsmann der Könige; ein hoher Beamter |
| Typ | Autor/in | Jahr | Referenz | Seite | Anmerkungen |
|---|---|---|---|---|---|
| Erstzuschreibung | Mendez Casal | 1909/10 | Mendez Casal 1909/10 – Les grandes oeuvres d'art inédites | 161 | - |
| Bejahend | Friedländer | 1914 | Friedländer 1914 – Die Anbetung der Könige Hugo | 2 | - |
| Bejahend | Friedländer | 1926 | Friedländer 1926 – Hugo van der Goes | 56 | - |
| Bejahend | Dhanens | 1985 | Dhanens 1985 – Het Monforte-retabel van Hugo van | 12 | - |
| Bejahend | Dhanens | 1998 | Dhanens 1998 – Hugo van der Goes | 200, 203, 238 (Anm. 278) | - |
| Bejahend | Châtelet | 2001 | Châtelet 2001 – Jean Prévost | 196 | - |
| Bejahend | De Vos | 2002 | De Vos 2002 – Flämische Meister | 133 | - |
| Bejahend | Grosshans | 2002 | Grosshans 2002 – Die Königsanbetung aus Monforte | 149 | - |
| Bejahend | Grosshans | 2003 | Grosshans 2003 – IRR-Investigation of the Panel Paintings | 236, 236 | - |
| Bejahend | Graf | 2003 | Graf 2003 – Der Monforte-Altar von Hugo van | 263–269 | - |
| Skeptisch/verneinend | Kemperdick/Sander | 2007 | Kemperdick, Sander 2007 – Die Winterthurer Anbetung der Heiligen | 41, 58 (Anm. 52) | - |
| Bejahend | Kapfer | 2008 | Kapfer 2008 – Überlegungen zu den Bildnissen | 39, 49f, 73 | - |
| Bejahend | Franke | 2012 | Franke 2012 – Raum und Realismus | 55, 265–271, 274 | - |
| Bejahend | Borchert | 2014 | Borchert 2014 – Meisterhaft | 172 | - |
Mendes Casal macht in Les Arts anciens de Flandre, erschienen als Sammelband für die Jahre 1909/10, erstmals auf die besondere Ausstrahlung der Figur mit blauer Kappe aufmerksam und darauf, dass sie sich von den anderen Bildprotagonisten unterscheide. Die Autorin interpretiert sie als ein nach dem Spiegel gemaltes Selbstporträt: „Elle [la figure] semble dessinée en une forme totalement distincte des autres, et tout en alle nous porte à croire qu'il s'agit là d’un portrait de Van der Goes peint en se regardant dans un miroir.“1
1914 betont Friedländer die Porträthaftigkeit der beiden Köpfe rechts im Bild und meint, dass man den Mann mit der blauen Kappe für den Maler „halten mag“.2 1926 charakterisiert er die beiden Figuren ohne Hinweise auf die Möglichkeit einer Selbstdarstellung als harmonische, italienisch wirkende Porträts.3
1985 fokussiert Dhanens auf den Blick des Porträts aus dem Bild, der das Resultat einer Anfertigung nach dem Spiegelbild sein müsse. Da das Einbringen von Selbstporträts zu van der Goes’ Zeit bereits in Italien und im Norden üblich war, nimmt sie eine solche Vorgehensweise auch für die blau bemützte Figur an. Konkret verweist die Autorin auf kompositorische Übereinstimmungen mit einer Figur in der Tafel Die Anbetung des Lammes und der Quell des Lebens im Genter Altar, die sie vorab als mögliches Selbstporträt von Hubert van Eyck identifiziert hat.4 Zudem spricht sie die Interaktion mit der Figur zur Linken des Selbstbildnisses an, die sie als südländisch wirkenden Freund oder Kollegen bewertet, den es zu ehren galt. Das Selbstporträt habe außerdem Signaturcharakter – mit ihm habe van der Goes sein erstes großes Triptychon vermutlich bewusst als Meisterwerk ausgezeichnet. Die Identifizierung des Mannes mit Bart als Selbstdarstellung lehnt Dhanens ab.5
1998 bestätigt Dhanens ihre Theorie6 und gibt an, dass es sich bei der Figur um die einzige handelt, die sich vom Geschehen abwendet und den Blick in den BetrachterInnenraum richtet.7
2001 schlägt Châtelet vor, es könne sich bei der Figur um Joos van Wassenhove (Justus van Gent), einen Freund von van der Goes, handeln. Als Selbstporträt identifiziert Châtelet hingegen den Mann am äußerst rechten Bildrand.8
2002 schlägt De Vos eine mögliche Identifizierung des Protagonisten als hohen Beamten vor.9
2002 betitelt Grosshans die beiden Figuren hinter der Mauer am rechten Bildrand als bürgerliche „Zuschauer“ bzw. als „Randfiguren des Geschehens“, die nicht zum Gefolge der Könige gehören. Beim Mann mit der blauen Mütze handle es sich dabei „mit großer Wahrscheinlichkeit“ um ein Selbstporträt des Malers. Der Autor verweist auf auffällige helle Lichtreflexe in den Augen, auf einen Effekt, der nur bei dieser Figur zum Tragen kommt. Mit Ausnahme des Jesuskindes sei der Mann zudem die einzige große Figur, die in Blickkontakt mit der BetrachterIn gedacht war, was Röntgenaufnahmen beweisen. In der endgültigen Ausarbeitung wurde die direkte Pupillenstellung des Bildnisses allerdings abgeschwächt.10 Die Figuren im Mittelteil deutet Grosshans als Pagen, den Mann mit Bart und geschmückter Mütze als Abgesandten der Könige.11
2003 bestätigt Grosshans seine Ergebnisse über eine weitere Analyse des Gemäldes (Infrarotreflektografie): „The impressive head of the man wearing a blue cap close to the right edge of the painting is in all probability a self-portrait of the artist.“ Als Ergänzung zu den Vorjahresergebnissen gelang es, die Spiegelung eines Fensters in den Pupillen des mutmaßlichen Selbstporträts nachzuweisen, was dem Blick, so Grosshans, eine größere Tiefe gebe. Im Zusammenspiel mit dem introvertierten, verinnerlichten Ausdruck verleihe dies dem Porträt eine natürliche, lebendige Ausstrahlung.12
Auch Grafs Restaurierungsbericht aus dem Jahr 2003 bestätigt eine Sonderbehandlung der Figur. Graf, die ebenfalls vermutet, dass der Mann mit der blauen Kopfbedeckung eine Selbstdarstellung verkörpert, erörtert, dass es sich bei beiden Porträts im rechten oberen Eck um wesentliche Bildnisse für den Maler gehandelt haben muss. Graf weist auf kompositorische Auffälligkeiten hin, wie die im Vergleich mit der Raum- und Personengestaltung im restlichen Gemälde gedrängte Anordnung der zwei Männer und des Pagen. Auch formal gebe es Besonderheiten, da das Inkarnat der mutmaßlichen Selbstdarstellung im Vergleich mit anderen Figuren, die sich im Hintergrund oder im Schatten befinden, heller, kontrastreicher und dichter modelliert ist. Die Autorin weist ebenfalls auf die Veränderung hin, die am rechten Auge vorgenommen wurde.13
Kemperdick und Sander stellen 2007 Vergleiche zwischen der Prager Anbetung der Heiligen Drei Könige von Geertgen tot Sint Jans und dem Monforte-Altar an. In beiden Fällen befinden sich zwei Porträts am rechten Bildrand hinter den farbigen Königen, wovon jeweils eines zur BetrachterIn ausgerichtet ist. Die Autoren weisen wertneutral darauf hin, dass diese Männer wiederholt als Selbstdarstellungen gedeutet wurden, betonen aber, dass sich im Falle des Monforte-Altars auch eine Tradition ausgebildet habe, die den bärtigen Mann im Mittelfeld als ein Selbstbildnis möglich macht.14
Kapfer fokussiert 2008 nach einer detaillierten Erfassung der Forschungslage zu den Stifter- und möglichen Selbstdarstellungen von Hugo van der Goes auf zwei Bildnisse, die ihrer Meinung nach als Selbstporträts in Frage kommen: auf den bärtigen Mann hinter der Brüstung und die hier diskutierte Figur mit der blauen Kappe. Für die Identifizierung des letztgenannten sprechen mögliche Bezugnahmen zu italienischen Beispielen von Selbstdarstellungen in Königsanbetungen, die ebenfalls durch einen Blick aus dem Bild gekennzeichnet sind.15 An anderer Stelle bezeichnet Kapfer alle Figuren in der Ebene hinter der Anbetungsszene (hinter dem Bretterverschlag und am rechten Bildrand) als Gefolgsleute der Könige.16
2012 stellt Franke fest, dass sich Hugo van der Goes mit der Selbstdarstellung als Figur mit blauer Kappe im Monforte-Altar am Beginn einer Entwicklung von Selbstinszenierungen innerhalb seines Oeuvres befindet. Zusammen mit dem Bildnis am äußerst rechten Bildrand, dessen Mund in leichtem Redegestus geöffnet und dessen Blick auf das Geschehen gerichtet ist, sowie einem blonden Jungen davor, der die Gesten der Könige wiederholt (rechte Hand: die der Anbetung des mittleren Königs, linke Hand: die des jüngsten Königs), zeige sich das Bildnis innerhalb des szenischen Zusammenschlusses mit der zentralen Anbetung verbunden – und das trotz der seitlichen Ausgrenzung. Die Position am Bildrand, die „Randzone mit der Künstlersignatur“, 17 sei als Nahraum zur Handlungsbühne definiert, was über einen Mauerrest als bildinhärente Schwelle verdeutlicht ist.18 In der Interaktion mit den anderen Figuren werde der Maler, ähnlich den Vermittlerfiguren von Mysterienspielen, an das Geschehen angebunden. Gleichzeitig verweise sein unbestimmter Blick auf seine Vorstellungskraft, nämlich auf seine Fähigkeiten als Erfinder.19 Ein Stab, den der Knabe schräg zum Bildrand in seiner Linken hält, entspreche einem Malstock (dieses Detail beziehe sich auf das Medium der Malerei). In einer weiteren Interpretation des Stabes erwähnt Franke die Vorstellung vom Wandern durch Bildwelten, die als Basis sinnlicher Erfahrung der Welt und die Fähigkeit der Übersetzung derselben in Bilder interpretiert werden kann.20 Zudem verweist die Autorin auf die Tradition von Selbstbildnissen und vergleicht die Position von van der Goes am Bildrand mit der eines Selbstporträts von Rogier van der Weyden im Columba-Altar. Weiterführend arbeitet Franke die Bedeutung des Selbstporträts als „bildliche Beseelung der prophetischen Rede“ heraus. Erneut bezieht sie sich auf die Vorbildwirksamkeit von van der Weyden, dessen mutmaßliche Selbstdarstellung in Dialog mit einer jüdisch anmutenden Figur steht, die die Propheten symbolisiert. Ebenso verhalte es sich in der Anbetung der Könige des Meisters der Perle von Brabant aus dem Bouts-Kreis, dem direkten Vorbild des Monforte-Altars.21 Insbesondere zur Bouts’schen Selbstinszenierung bestehen deutliche formale und kompositorische Übereinstimmungen22 – in der Weiterentwicklung des Systems hat van der Goes nach Franke die zweite Figur im Monforte-Altar mit Redegestus ausgeführt, was „das Wort“ (die Propheten) indirekt verkörpere.23 Nach weiteren Überlegungen schließt Franke aufgrund von Ähnlichkeiten (besonders von Gesichtsformen) auf eine ganze Gruppe von möglichen Selbstdarstellungen bei van der Goes: Es handelt sich hierbei neben dem Bildnis mit blauer Kappe im Monforte-Altar um eine Darstellung des hl. Lukas,24 um einen Hirten in der Berliner Anbetung und um einen Apostel im Marientod.25
Borchert (2014) äußert sich wenig bestimmt zu einer möglichen Selbstdarstellung im Monforte-Altar. Die Identifizierung eines Selbstbildnisses im bärtigen Mann im Zentrum lehnt er ab, da „diese Position wahrscheinlich zu prominent für ein verstecktes Künstlerselbstbildnis“ sei. Hingegen, so der Autor, sei ein Selbstporträt in der Figur mit der blauen Kappe denkbar.26
Verweise
Mendez Casal 1909, 161.↩︎
Friedländer 1914, 2. Friedländer bezieht sich dabei ohne weitere Angaben auf Wilhelm von Bode (Formulierung: „mit Bode“). Trotz des Hinweises konnte keine entsprechende Stelle bei Wilhelm von Bode gefunden werden.↩︎
Friedländer 1926, 56.↩︎
Dhanens 1980, 190.↩︎
Dhanens 1985, 12.↩︎
Dhanens 1998, 200, 203, 383 (Anm. 278).↩︎
Ebd., 203. Dhanens verabsäumt es darauf hinzuweisen, dass auch das Jesuskind seinen Blick in den BetrachterInnenraum richtet. Dies dürfte zudem auch für die Figur des vom Pferd abgestiegenen Reiters am linken Bildrand im Hintergrund zutreffen.↩︎
Châtelet 2001, 196.↩︎
De Vos 2002, 133.↩︎
Grosshans 2002, 149.↩︎
Ebd., 152.↩︎
Grosshans 2003, 236, 239.↩︎
Graf 2003, 263–269.↩︎
Kemperdick/Sander 2007, 41, 58 (Anm. 52).↩︎
Kapfer 2008, 50, 73. Eine weitere Selbstdarstellung von Hugo van der Goes scheint der Autorin in der Rolle des hl. Lukas in der Lukas-Madonna möglich, vgl. weiterführend den Einführungstext zu Hugo van der Goes.↩︎
Ebd., 39, 49f, 73.↩︎
Franke 2012, 266.↩︎
Ebd., 55.↩︎
Ebd., 270.↩︎
Dieses neue Selbstverständnis des Malers findet seinen Ausdruck nach Franke auch in van der Goes' Gemälde vom Hl. Lukas (vgl. Einführungstext zu Hugo van der Goes), in dem der Maler die überlieferte Befugnis zu Malen in Form einer Selbstdarstellung auf die eigene Person überträgt. Vgl. ebd. Als Zeichen solcher Wanderschaft nennt Franke zwei Gemälde, in denen sich Selbstbildnisse in Kombination mit Gehstöcken befinden: Jan van Eycks Rolin-Madonna und Dieric Bouts' Abendmahlaltar. Vgl. Franke 2012, 265, 270. Eine ähnliche These zum Wandern in Bildern, allerdings ohne bildlich formuliertes Zeichen, kommt beim Selbstporträt in Domenico Ghirlandaios Heimsuchung zur Anwendung.↩︎
Franke 2012, 266–269.↩︎
Es handelt sich jeweils um Gesichter, die von rechts beleuchtet sind. Das Selbstporträt interagiert beide Male mit einer zweiten Figur, die im Profil oder verlorenen Profil dargestellt ist – der Blick der Selbstbildnisse führt an diesen vorbei ins Ungewisse. In den Augen der Selbstdarstellungen wirken starke Lichtreflexe, diese sind nach Franke Zeichen göttlicher Inspiration. Vgl. ebd., 270.↩︎
Ebd.↩︎
Vgl. den Einleitungstext zu Hugo van der Goes.↩︎
Franke 2012, 274.↩︎
Borchert 2014, 172.↩︎
Bildnis 3
Bildrechte
| Lokalisierung im Objekt: | erste Figur am rechten Bildrand |
| Ausführung Körper: | Kopfbild |
| Ausführung Kopf: | Dreiviertelporträt |
| Ikonografischer Kontext: | Assistenzfigur hinter der Anbetung der Könige; evtl. Freundschaftsbild |
| Blick/Mimik: | kommunizierender Blick nach links; Sprachgestus |
| Gesten: | Hände nicht sichtbar |
| Körperhaltung: | aufrecht; Oberkörper frontal; Kopf nach links gedreht |
| Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal: | ähnliche Verankerung im Bild wie die Figur mit der blauen Kopfbedeckung: Gruppenbildungen der Figuren rechts, Verbindungen mit den Figuren hinter dem Bretterverschlag in der Bildmitte; Abgrenzung von der sakralen Handlung durch das Mauerfragment; innerhalb einer gedrängt wirkenden Situation; in einer Bildebene zwischen Vorder- und Hintergrund; weitgehend überschnitten |
| Zugeordnete Bildprotagonisten: | Figur links des möglichen Selbstporträts, das von Châtelet als Joos van Wassenhove (Justus von Gent) identifiziert wird; weitere Vorschläge zu den beiden Figuren und dem stark überschnittenen blonden Jungen am rechten Bildrand ausgeführt in der Analyse zum möglichen Selbstporträt mit blauer Kappe; vier männliche Figuren im Mittelteil hinter der Abgrenzung, darunter der Mann mit Bart und geschmückter Kopfbedeckung; weitere Vorschläge zur Identifizierung der Figuren dieser Gruppe und auch der Protagonisten am rechten Bildrand angeführt in der Analyse zum vermutlichen Selbstporträt im Mittelfeld |
Forschungsergebnis: Goes, Hugo van der
| Künstler des Bildnisses: | Goes, Hugo van der |
| Status: | Einzelmeinung |
| Status Anmerkungen: | Für den Monforte-Altar sind verschiedene Bildnisse als mögliche Selbstdarstellungen thematisiert. |
| Andere Identifikationsvorschläge: | südländisch wirkender Freund oder Kollege von van der Goes; ein Gefolgsmann der Könige; ein hoher Beamter; ein Mann, der über den Redegestus das Wort verkörpere |
| Typ | Autor/in | Jahr | Referenz | Seite | Anmerkungen |
|---|---|---|---|---|---|
| Erstzuschreibung | Châtelet | 2001 | Châtelet 2001 – Jean Prévost | 196 | - |
2001 bringt Châtelet einen neuen Aspekt in die Forschungsdiskussion ein: Unter Berücksichtigung biografischer Details des Malers schlägt er das Bildnis am rechten Bildrand als ein Selbstporträt des Malers vor. Ein physiognomischer Vergleich des Porträts mit dem Bild des Hl. Lukas in Lissabon,1 in dem sich van der Goes ebenfalls dargestellt haben soll, beweise die These. Ohne exakte Bezugnahmen stellt der Autor zudem fest, dass sich dieses Bildnis in mehreren Gemälden befinde. Den Mann mit der blauen Kappe identifiziert Châtelet in Abgleich mit einer Bildnisfigur im Abendmahl in Urbino als Joos van Wasserhove (Justus von Gent), der im Zusammenhang mit der Aufnahme von Hugo van der Goes in der Antwerpener Lukasgilde steht. Während dieser in Richtung BetrachterInnen ausgerichtet ist, konzentriere sich der Maler auf die Geschehnisse in seinem Bild: „À l’extrémité droite, le jeune homme qui se distingue de profil […] est bien notre homme. […] le jeune Van der Goes semble plus préoccupé par la scène qui se déroule dans le tableau.“ Châtelet deutet die Figurenkonstellation als Freundschaftsbild, als ein Zeichen der Wertschätzung von van der Goes und als einen Hinweis auf die Unterstützung von van Wasserhove.2
Châtelets Vorschlag fand in der gesichteten Literatur keine Resonanz.
Weiters wird die Figur als südländisch wirkender Freund oder Kollege von van der Goes eingeschätzt,3 als ein Gefolgsmann der Könige,4 als ein hoher Beamter,5 bzw. als ein Mann, der über den Redegestus das Wort verkörpere.6
Es kann nur einen geben
Weder Datierung noch Bestimmung des nur fragmentarisch erhaltenen Monforte-Altars sind exakt überliefert, dennoch gilt das Retabel als erster großer Auftrag nach der Ernennung von Hugo van der Goes zum Freimeister und wird Ende der 1460er Jahre angesetzt. Trotz unterschiedlicher Thesen zum Stifter und zu Identifizierungen der im Gemälde angeführten Assistenzporträts kann auch die ursprüngliche Auftragssituation nicht zweifelsfrei rekonstruiert werden. Fakt ist, es handelt sich um ein Gemälde von performativem Charakter, das über Lichtregie, kompositorische Anlage sowie Mimik und Gestik vereinzelter Figuren stark auf eine Ausrichtung auf die BetrachterIn fokussiert – über Anknüpfungspunkte zu Mysterienspielen der Zeit oder zu Tableaux vivants1 lässt sich die Anbetungsszene in gelebten Glaubenstraditionen der Zeit verankern. Künstlerisch stellt sich van der Goes mit dem Altar in die Nachfolge von Jan van Eyck2 und Rogier van der Weyden.3 Franke arbeitete zudem die direkte Vorbildwirksamkeit von Dieric Bouts heraus.4
Stark vereinfacht lässt sich die Komposition in drei Bildebenen einteilen: erstens in die bühnenartig konzipierte Vordergrundebene mit der sakralen Handlung; zweitens in einen figural und architektonisch bespielten Landschaftshintergrund, der die Hauptszene narrativ erweitert; und drittens in einen Bereich dazwischen, in dem sich innerhalb der erweiterten Stallarchitektur zahlreiche Zeugen in porträthafter Ausführung befinden. Für drei dieser Männerfiguren, die in ähnlichen, vom Hauptgeschehen getrennten Positionen aber in variierenden kommunikativen Systemen ausgeführt sind, wurden Identifizierungen als Selbstporträts vorgeschlagen: für den Mann im Mittelbereich hinter der Bretterwand mit der federgeschmückten dunklen Kappe, für das zweite Bildnis rechts außen mit der auffälligen blauen Kappe und für die fast im Profil gezeigte Figur am äußerst rechten Bildrand. Für letzteres Bildnis liegt (sieht man von der für Selbstdarstellungen durchaus üblichen kompositorischen Verankerung am äußersten Bildrand ab) kein überzeugendes Argument für die Zuschreibung als Selbstbildnis vor, weshalb von einer weiteren Analyse der Figur Abstand genommen wird.5 Hingegen verlangen die Forschungsmeinungen zu den beiden anderen eine intensivere Beschäftigung. Die Interpretationen zur Motivation und Aussage der diskutierten Selbstdarstellungen weichen stark voneinander ab, der Forschungsstand ist vielschichtig und differenziert. Teils überschneiden sich Meinungen bzw. sind Argumente von solch starker Überzeugungskraft, dass sie andere, ebenfalls sehr stringent erörterte Thesen zu widerlegen scheinen. Freilich sind alle Aussagen, die auf eine Identifizierung eines einzelnen Selbstporträts im Monforte-Altar fokussieren, als indirekte Ablehnung der jeweils anderen Vorschläge zu verstehen. Die physiognomischen Unterschiede der in Frage kommenden Bildnisse sind zu gravierend, als dass man von einer mehrfachen Selbsterfassung des Malers im Altar ausgehen könnte.
Der Mann mit Bart und geschmücktem Hut
Seit Destrées Erstthematisierung der Figur als mutmaßliches Selbstporträt (1914)6 führen die angestellten Überlegungen weitgehend in zwei Richtungen: Zum einen könnte es sich um eine Selbstdarstellung handeln, zum anderen wäre es möglich, dass die Figur eine privilegierte Person aus dem Zug der Könige repräsentiert. Viele der vorgebrachten Thesen – sowohl pro als auch kontra Selbstdarstellung – lassen sich ins Gegenteil verkehren: So muss etwa der geschmückte Hut und die kostbare Kleidung nicht zwangsläufig, wie von Dhanens vorgetragen, ein Ausschlussgrund für das Selbstporträt sein,7 es könnte sich auch um eine Betonung der Künstlerpersönlichkeit innerhalb der Assistenzporträts handeln. Die Parallelisierung der Figur mit dem hl. Joseph im Vordergrund wiederum und die daraus resultierende Funktion einer rein auf kompositorischer Ebene angestrebten, von der Person des Künstlers unabhängigen BetrachterInnenansprache, wie von Franke dargestellt,8 könnte ebenso gut als Kalkül des Malers gewertet werden, sein Publikum über seine eigene Person zu erreichen. Auch Sanders Argumentation, dass die unausgereifte Qualität des Selbstporträts auf das übliche Malen nach dem Spiegelbild zurückzuführen sei9 birgt Widerspruchspotenziale. Man könnte schließlich auch davon ausgehen, dass van der Goes gerade bei seiner Selbstdarstellung durch besondere Sorgfalt auf sich aufmerksam hätte machen wollen. Frankes sehr glaubhaft vorgetragene These, der abgelegte Handschuh verweise auf eine andere Goes’sche Bildfigur und damit auf die Funktion des Bildnisses als Herold,10 ließe sich entgegnen, dass das Tragen oder Nichttragen von Handschuhen – zumindest bei späteren Selbstbildnissen – gerade bei Künstlern zu einem sozialpolitischen Statement wird. So porträtierte etwa Albrecht Dürer seinen Vater11 mit bloßen Händen, während er sich selbst in seinem Selbstbildnis mit Landschaft12 hingegen mit bekleideten Händen zeigt. Teils werden die beiden Bilder als Segmente eines Diptychons verstanden und als Zeichen von Abgrenzung des Sohns zum Handwerkertum der Vorfahren bzw. als Manifest des Aufstiegs der Kunst der Malerei gewertet.13
Dass sich die Figur an einer bildinternen Schnittstelle befindet und über besondere Merkmale (Kopfschmuck, Handschuhe) sowie vielschichtige Bezüge ausgezeichnet ist, steht außer Frage. Dennoch lohnt es sich, weitere Details rund um die mutmaßliche Selbstinszenierung in direkten Zusammenhang zu stellen. Auffällig ist etwa das Eichhörnchen auf dem Balken über dem Bildnis, das in dieser Zeit als Symbol der Suche nach göttlicher Wahrheit und gerade im Zusammenhang mit Porträts als allgemeines Tugendsymbol gelesen wurde.14 Wesentlich sind auch die bezeichnenden Blicke der beiden Männer rechts der Figur. Interessant scheint weiters die Nähe zum als Porträt des Stifters vorgeschlagenen ältesten König, die über die seltsame kompositorische Anpassung (die rechte Hand des mutmaßlichen Künstlerporträts scheint nahezu wie ins Profil des ältesten Königs eingebettet) und Ähnlichkeiten in der Ausführung von Schmuckelementen gegeben ist. Farblich wird die Figur überdies durch korrespondierende Kleidung in Bezug zum dritten König gesetzt, der im Übrigen ein perspektivisches Meisterwerk darstellt. Alle diese Relationen weisen das Porträt als einen, im Bildzusammenhang wichtigen Mann aus – aber handelt es sich tatsächlich um eine Selbstdarstellung?
Das schlagkräftigste Argument für eine Identifizierung dieser Figur als Selbstbildnis wurde von Sander erörtert, der die These der Vorbildhaftigkeit, die bereits Winkler 1964 vorbrachte,15 1999 stringent und überzeugend darlegte.16 Nach Sander haben eine Vielzahl der Maler um bzw. nach Hugo van der Goes das Selbstporträt in der Figur erkannt und ein entsprechendes Pendant in eigene Anbetungsszenen eingebracht – sie stellten sich folglich in die direkte Nachfolge von van der Goes, der zu den einflussreichsten altniederländischen Meistern in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zählt. Dieser habe damit eine Tradition der Selbstdarstellung begründet und die Nachahmungen zeugen von einer „bewußten Auseinandersetzung mit dem Erbe der vorhergehenden Generationen […] als Kunst.“17 Sanders Überlegungen sind von großer Reichweite – auch in Hinblick auf die Interpretation und Zuschreibung von Bildnissen in der Nachfolge von van der Goes. Umso schwieriger gestaltet es sich, die These anzuzweifeln, speziell da die bei Sander aufgezählten Gemälde als beweiskräftige Quellen dafür dienen, dass sich Hugo van der Goes wohl mit einem Selbstbildnis im Monforte-Altar verewigt hat. Nun ist die Frage, ob bei einer Ablehnung des „Originals“ zwangsläufig auch die Porträts der Nachahmer als Selbstbildnisse ausscheiden. Gerade das Beispiel der Selbstdarstellung des Meisters von Frankfurt in einer Anbetung der Könige, die als Kopie des Monforte-Altars gilt, steht wegen starker Ähnlichkeit zu einem belegten Selbstporträt des Malers relativ gesichert fest.18 Nun kann die Malerei der Zeit niemals isoliert betrachtet werden, immer repräsentiert sie eine mehr oder weniger deutliche Synthese von Vorentwicklungen. Gerade Hugo van der Goes zeichnete sich, wie Sander an anderer Stelle ausführt, in der Adaption von Vorbildern und der Neuinterpretation, in der „Kunst der Anverwandlung“ aus.19 Auch sein Einfluss war beträchtlich, denn nach Dhanens existiert kaum eine Anbetung der Könige am Ende des 15. bzw. Anfang des 16. Jahrhunderts, die nicht von van der Goes beeinflusst worden wäre.20 Zudem bot van der Goes andere inspirierende Grundlagen für spätere Bildwerke. Wesentlich hierbei ist etwa der Portinari-Altar, der von Domenico Ghirlandaio im Tafelbild zur Anbetung der Hirten frei interpretiert ist.
Hatte also die Figur hinter dem Holzverschlag im Monforte-Altar Vorbildwirksamkeit oder wurde vielleicht die Komposition an sich zum Modell? Eventuell sind auch die Anbetungsszenen mit mutmaßlich integrierten Selbstbildnissen nach dem Monforte-Altar als individuelle Kommentare zu verstehen. Vielleicht begründete sich die Tradition des Selbstbildnisses hinter der Abgrenzung erst lange nach van der Goes,21 indem sich Maler allenfalls symbolisch auf ein möglicherweise überliefertes Selbstbildnis bezogen und die zentrale Position selbständig als besonders geeignet erachteten.
Neben der Beobachtung, dass fehlende physiognomische Übereinstimmungen zu anderen vorgeschlagenen Selbstdarstellungen von Hugo van der Goes die Identifizierung des Mannes mit geschmücktem Hut als solche in Frage stellen,22 lassen auch weitere Eindrücke starke Zweifel an der Selbstbildnis-These aufkommen: Das Bildnis ist trotz einer porträtmäßigen Erfassung wenig differenziert, nahezu statisch formuliert, was gemäldetechnische Untersuchungen belegen.23 Auch die nicht direkt gegebene BetrachterInnenansprache kann als Kontra-Argument ins Feld geführt werden. Dies war ein Merkmal, auf das am Beginn der Entwicklung der Selbstporträts, wozu zumindest noch das Frühwerk von van der Goes zählt, kaum eine Selbstdarstellung verzichtete. Nach Abwägung aller Argumente ist die u. a. von Dhanens propagierte Interpretation der Figur als zwar privilegierter Teilnehmer des Zugs der Könige,24 aber nicht als Selbstbildnis äußerst glaubwürdig.
Der Mann mit auffällig blauer Kopfbedeckung
Bereits 1909/10 verwies Mendez Casal in seiner Erstthematisierung des möglichen Selbstporträts in der Figur mit der blauen Kopfbedeckung auf die Fertigung nach einem Spiegel,25 die als prinzipielles Merkmal von Selbstdarstellungen verstanden wird. Ein diese These untermauerndes Indiz ist der in den BetrachterInnenraum gerichtete Blick der Figur, der in Forschung bis heute wiederholt als ausschlaggebendes Argument für die Identifizierung des Mannes als den ausführenden Maler genannt wird. Als besonders wesentlich in diesem Zusammenhang sind die gemäldetechnischen Untersuchungen zu erachten. Diese haben eine intensive Beschäftigung des Malers mit dem Porträt an sich und besonders mit den Augen, die sich durch auffällige, im Gemälde sonst nicht vorkommende Glanzpunkte auszeichnen, deutlich gemacht. In den Augen konnten zudem Spiegelungen nachgewiesen werden, die ihre Intensität verstärken, darüber hinaus konnte festgestellt werden, dass van der Goes zu Beginn einen direkten Blick des Mannes aus dem Bild intendiert hatte, den er erst in der finalen Ausarbeitung abschwächte.26 Diese Kriterien und die gerade im Vergleich mit dem Mann mit federgeschmücktem Hut sehr differenzierte Ausführung des Inkarnats27 sind überzeugende Argumente für die Wichtigkeit, die die Figur für Hugo van der Goes hatte – eine solche Bedeutung dürfte wohl nur einem Selbstbildnis zukommen, da es sich bei dem Bildnis wegen der abgewerteten Position nicht um eine wesentliche Hauptfigur aus den Reihen der Stifter handeln kann. Einschränkend ist hinzuzufügen, dass sich der stark verinnerlichte Blick weit vom optimalen BetrachterInnenstandpunkt weg orientiert und damit nur als sehr indirekte Ansprache gelesen werden kann.28 Dieser Blick ähnelt damit dem eines Stifters, der die heilige Handlung vor seinem inneren Auge wahrnimmt – handelte es sich um ein Selbstporträt, könnte folglich intendiert gewesen sein, die Fähigkeit des Malers, transzendentes Wissen zu figurieren, hervorzuheben. Auch Franke verweist auf den unbestimmten Blick als ein Zeichen von Vorstellungskraft. Weitere bildtheoretische Überlegungen Frankes fundieren das Selbstbildnis intellektuell und verankern es in der Darstellungstradition: Aspekte wie das Wandern in Bildern, die Thematisierung des Mediums Malerei oder die angestrebte Verbindung des Malers mit der Theologie (dem Wort) werden wesentlich.29
In Weiterführung von Châtelets Hinweis, es könne sich in der Kombination der beiden Figuren am Bildrand um ein Freundschaftsbild handeln,30 ist ein Vergleich mit einem nahezu zeitgleich ausgeführten italienischen Beispiel möglich – nämlich mit Domenico Ghirlandaios Selbstdarstellung im Fresko der Erweckung eines Knaben in der Sassetti-Kapelle. Wie bei van der Goes stehen auch bei Ghirlandaio zwei Bildnisse vom sakralen Geschehen getrennt am rechten Bildrand: Dabei handelt es sich um eine Selbstdarstellung und ein Porträt eines Werkstattmitglieds, das über den Blick mit dem Meister verbunden ist.31 Eine Qualität Ghirlandaios ist es, BetrachterInnenansprache und -führung über die Kombination von Sichtachsen zu erwirken. Auch dies könnte von Hugo van der Goes angestrebt worden sein, der es verstand, seine Szenen in bühnenartigen Räumen anzulegen bzw. eine Wechselbeziehung zwischen Bildraum und BetrachterInnenraum herzustellen. Das Selbstbildnis von Hugo van der Goes führt an der Figur mit der dunklen Kopfbedeckung vorbei aus dem Gemälde, diese hingegen blickt Richtung Bildzentrum. Gemeinsam lenken das potentielle Malerbildnis und seine Begleiter den Blick der Rezipierenden gezielt dorthin.
Zu guter Letzt bleibt anzumerken, dass die Figur das Alter des Malers zum Zeitpunkt der Gestaltung des Monforte-Altars spiegelt – auch dies ist ein Argument, die Identifikation des Porträts mit der auffälligen blauen Kappe als Selbstdarstellung des Meisters zu unterstützen.
Verweise
Franke 2021.↩︎
Neben anderen erkennt etwa Dhanens Übereinstimmungen mit Jan van Eycks Rolin-Madonna, vgl. Dhanens 1985, 13; Dhanens 1998, 203. U. a. betonen Dhanens und De Vos zudem Zusammenhänge mit dem Genter Altar van Eycks, vgl. De Vos 2002, 131; Dhanens 1980, 190.↩︎
U. a. betont etwa Sander die Nähe zu van der Weydens Columba-Altar, Grosshans zieht Vergleiche zu Rogiers Kreuzabnahme, 1435–38, Madrid, Museo del Prado. Vgl. Grosshans 2002, 134; Sander 1992, 205, 220f.↩︎
Franke fokussiert hierbei auf den Abendmahl-Altar und die Anbetung der Könige (Perle von Brabant) aus dem Bouts-Kreis, vgl. Franke 2012, bes. 23–36.↩︎
Der Identifizierungsvorschlag von Châtelet basiert weitgehend auf einem nur bedingt nachvollziehbaren physiognomischen Vergleich mit der Figur des Goes’schen hl. Lukas (um 1480, Lissabon, Museu Nacional de Arte Antiga). Vgl. weiterführend den Einleitungstext zu Hugo van der Goes.↩︎
Destrée 1914, 19f.↩︎
Dhanens 1985, 12.↩︎
Franke 2012, 48–52.↩︎
Sander 1999, 247f.↩︎
Franke 2012, 48. Die Autorin zieht Parallelen zu einem Herold im linken Hintergrund des rechten Seitenflügels des Portinari-Altars, der ebenfalls einen Handschuh abgestreift hat.↩︎
Albrecht Dürer, Albrecht Dürer d. Ä., 1497, London, National Gallery.↩︎
Albrecht Dürer, Selbstbild mit Landschaft, 1498, Madrid, Museo del Prado.↩︎
Vgl. u. a. Marschke 1998, 287–289.↩︎
Dittrich/Dittrich 2005, 73.↩︎
Winkler 1964, 11.↩︎
Sander 1999.↩︎
Sander 1999, 248f.↩︎
Vgl. weiterführend den Einführungstext zum Meister von Frankfurt und die Einträge zu den Anbetungen der Könige in Antwerpen und Wien.↩︎
Sander 1992, 220–226.↩︎
Dhanens bezieht sich hierbei auf Goldschmidt, der bereits 1915 auf zahlreiche Zitate nach dem Monforte-Altar aufmerksam gemacht hat. Vgl. Dhanens 1998, 215; Goldschmidt 1915.↩︎
Zwischen dem Monforte-Altar und der Anbetung der Könige vom Meister von Frankfurt liegen zumindest 30 Jahre, zwischen Hugo van der Goes’ Ableben und dem Gemälde des Frankfurters wenigstens 18 Jahre.↩︎
Vgl. Einleitungstext zu Hugo van der Goes.↩︎
Gegenteilig wurde der Figur mit blauem Hut besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Vgl. Graf 2003, 263–269.↩︎
Dhanens 1985, 12.↩︎
Mendez Casal 1909, 161.↩︎
Grosshans 2002, 149; Grosshans 2003, 236, 239.↩︎
Graf 2003, 263–269.↩︎
Der zentrale Fluchtpunkt des Gemäldes liegt im Bereich hinter dem Bretterverschlag, nahe des blauen Pagens. Eine Illustration von Perspektivlinien und Fluchtpunkt findet sich bei Dhanens 1998, 192.↩︎
Franke 2012, 270.↩︎
Châtelet 2001, 196.↩︎
Bei Ghirlandaio befindet sich das Selbstporträt direkt am Bildrand, die zweite Figur links daneben. Dies entspricht nicht ganz der hier vorliegenden Situation, wohl aber der Interpretation Châtelets, der die Randfigur als Selbstbildnis von van der Goes erachtet. Die Trennung vom Geschehen ist bei van der Goes über das Mauerfragment gegeben, hinter dem die beiden Figuren stehen.↩︎
Literatur
Zitiervorschlag:
Krabichler, Elisabeth: Anbetung der Könige (Katalogeintrag), in: Metapictor, http://explore-research.uibk.ac.at/arts/metapictor/katalogeintrag/goes-hugo-van-der-anbetung-der-konige-monforte-altar-vor-1470-berlin-staatliche-gemaldegalerie/ (05.12.2025).