Inhaltsverzeichnis
Objekt
Bildrechte
| Alternativtitel Deutsch: | Anbetung der Könige |
| Titel in Originalsprache: | Aanbidding van de koningen |
| Titel in Englisch: | Adoration of the Kings |
| Datierung: | unbekannt |
| Ursprungsregion: | altniederländischer Raum |
| Lokalisierung: | verloren |
| Ikonografische Bezeichnung: | Geburt Christi; Drei Könige (Anbetung und Zyklus der Magier) |
| Iconclass: | 73B57 – adoration of the kings: the Wise Men present their gifts to the Christ-child (gold, frankincense and myrrh) |
| Inschriften/Signatur/Datierung weitere Ausführungen: | Es sind keine Informationen zu einer möglichen Signatur bzw. Datierung gegeben. |
| Auftraggeber/Stifter: | unbekannt |
| Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt: | unbekannt |
Bildnis 1
Bildrechte
| Lokalisierung im Objekt: | nahezu bildzentrale Figur links der Außenmauer des Stalls; vor einem rechteckigen Fenster stehend |
| Ausführung Körper: | Schulterstück |
| Ausführung Kopf: | Dreiviertelporträt |
| Ikonografischer Kontext: | einzelner Hirte am Rand der Anbetungsszene der Könige am Geburtsstall Christi |
| Blick/Mimik: | undefinierbarer Blick, in der Kopie von David schielt das Bildnis (ein Auge blickt nach links unten, das andere aus dem Bild heraus nach vorne), in der Berliner Kopie ist dieser Effekt weniger deutlich; Sprachgestus |
| Gesten: | hinweisende Geste der linken Hand; recht Hand nicht sichtbar |
| Körperhaltung: | leicht nach vorne gebeugt; Kopf stark nach rechts gedreht |
| Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal: | die Figur befindet sich an einer Bildschwelle zwischen sakraler Handlung, die dem Stall zugeordnet ist, und weltlicher Handlung, die etwa durch die zeitgenössischen Figuren am linken Bildrand gezeigt ist; sie ragt durch die Laibung des Fensters hindurch, ist daher in einem Bereich zwischen „innen“ und „außen“; sowohl der Kopf als auch die Hand/der Arm sind von der Fensteröffnung überschnitten, der Großteil der Figur ist hinter den vorgelagerten Königen verborgen; horizontal nahezu zentral angeordnet; Sonderstellung durch: Körperdrehung im Raum, intensiv auffallende Färbung des Gewandes (diese Farbe kommt ansonsten nur in abgeschwächter Form in der Hintergrundlandschaft vor); durch die auffallend exakt gemalte Fensteröffnung betont |
| Attribute: | Hirtenstab; Lederriemen auf der rechten Schulter weist auf eine Tasche oder einen Beutel hin |
| Zugeordnete Bildprotagonisten: | evtl. Figur mit blauem Umhang am linken Bildrand (ähnliche Geste); evtl. Figur mit der roten Kappe im linken Bildbereich, als Gehilfe von van der Goes |
Forschungsergebnis: Goes, Hugo van der
| Künstler des Bildnisses: | Goes, Hugo van der |
| Status: | Einzelmeinung |
| Status Anmerkungen: | Es handelt sich um ein verlorenes Gemälde, das in zwei Kopien erhalten ist. Eine Kopie ist mit der Inventarnummer 546 in der Gemäldesammlung Berlin gelistet, eine andere Kopie ist Gerard David zugeordnet und befindet sich in der Alten Pinakothek in München. Zum großen Teil orientiert sich die Beschreibung des zur Diskussion gestellten Selbstporträts am Gemälde in München. Der Katalogeintrag wird mangels des van der Goes‘schen Originals zwar fragmentarisch gehalten, doch soll damit die Bedeutung der verlorenen Selbstdarstellung nicht geschmälert werden – ist sie Teil einer größeren Reihe von Selbstporträts des Künstlers in der Rolle eines Hirten. Zudem wird eine Publikation von Guenther berücksichtigt, in der ein weiterer Fokus auf die Figur selbst – allerdings nicht auf die Möglichkeit einer Selbstdarstellung – sowie auf eine weitere Kopie nach van der Goes gelegt wird, die sich im Princeton University Art Museum befindet. |
| Andere Identifikationsvorschläge: | Narr |
| Typ | Autor/in | Jahr | Referenz | Seite | Anmerkungen |
|---|---|---|---|---|---|
| Erstzuschreibung | Franke | 2012 (2009) | Franke 2012 – Raum und Realismus | 101–103, 157, 271–274 | - |
Wie Franke 2012 betont, befand sich ein einzelner Hirte in einer mittlerweile verlorenen Anbetung der Könige, die in zwei Kopien nach Hugo van der Goes erhalten ist;1 an einer mehrfach hervorgehobenen Bildschwelle, nahezu bildzentral, vor einem auffälligen Fenster in der Stallwand zwischen sakraler und weltlicher Ebene. Unter Zuhilfenahme der Nachbildungen analysiert Franke sorgfältig weitere Freistellungsmomente bzw. Auffälligkeiten des Motivs (u. a. fehlende direkte Einbindung ins Bildthema, ikonografisch ungewöhnliche Nähe des Hirten zu den Königen, unübliche Darstellung eines einzelnen Hirten, deutliche Distanz zum Betrachter). Nach einem direkten physiognomischen Vergleich mit einem mutmaßlichen Selbstbildnis von van der Goes in der Anbetung der Hirten in Berlin resümiert die Autorin, dass es sich bei der Figur im verlorenen Gemälde um eine Selbstdarstellung des Malers gehandelt hat. Im Mittelpunkt ihrer Argumentation stehen die Kommentargesten des Hirten (Geste der Hand und Sprachgestus über den geöffneten Mund). Diese Gesten und das Agieren im Fenster deutet Franke als zeichenhaftes Statement „hinter der Handlung“ – als ein, in Anlehnung an Albertis Theorie vom Bild als Fenster, selbstreflexives Verhalten.2 Das Bildnis ist folglich Ausdruck der Profession von van der Goes und eines überlegten Umgangs mit seinen Möglichkeiten.3 Zudem weise es auf die Spiritualität des Malers hin, was sich prinzipiell über die Figuration in der Rolle eines Hirten erkläre, die Franke u. a. mit den mystischen Lehren von Bernhard von Clairvaux in Verbindung bringt.4
Verweise
Es handelt sich hierbei um: Gerard David, Die Anbetung der Könige (Kopie nach Hugo van der Goes), 1495–1505, München, Alte Pinakothek; Unbekannter Meister, Die Anbetung der Könige vor dem Stall im Hügel (Kopie nach Hugo van der Goes), um 1500, Berlin, Staatliche Museen, Gemäldegalerie. Abgebildet u. a. bei Friedländer 1969, Tafel 34, Abbildung 20a, 20b.↩︎
Franke 2012, 101–103, 271–274, bes. 273.↩︎
Ebd., 157.↩︎
Ebd., 157, 273.↩︎
Eine Erinnerung – eine in Kopien erhaltene Selbstdarstellung
Bereits 1961 analysierte Arndt in einem Beitrag zur Kopienkritik Gerhard Davids Anbetung der Könige (nach Hugo van der Goes)1 sowie eine entsprechende Anbetung eines unbekannten Meisters2 in Abstimmung mit Gemälden von Hugo van der Goes und stellte deutliche Übereinstimmungen (darunter exakte motivische Übernahmen) mit dessen Spätwerk fest. Spätestens seit den Forschungen von Arndt kann angenommen werden, dass diese Künstler einen Prototyp von Hugo van der Goes übernommen haben.3 Franke, die 2012 ihre an der Universität Hamburg verfasste Dissertation zu Hugo van der Goes publizierte, fokussiert auf einen im Oeuvre von Goes ausgedrückten spirituellen Weg der Erkenntnis, der sich auch in der Formulierung verschiedener Selbstporträts ablesen lässt. Das mutmaßliche Selbstporträt in der Rolle eines Hirten in der hier diskutierten verlorenen Anbetung der Könige ist eines davon.4 Stringente Argumentationslinien zu Hugo van der Goes’ malerischer wie auch spiritueller Entwicklung, seine Bezüge zu mystischen Lehren der Zeit sowie die Einbeziehung der Vita des Malers machen Frankes Theorien ebenso nachvollziehbar wie ihre präzisen und detailgenauen Beobachtungen an den Gemälden. Der Hirte ist für den Maler eine Identifikationsfigur und eine direkte malerische Umsetzung theologischer Vorgaben, so Franke. Wesentlich dabei sind insbesonderedie Lehren von Bernhard von Clairvaux.5
Franke bringt mit ihren Thesen eine erweiterte Interpretationsmöglichkeit für Selbstbildnisse in die Forschungsdiskussion ein: Das Selbstbildnis wird zu einem Ausdruck autoreferenzieller Bedeutung – zu einem Spiegel authentischer Frömmigkeit, der in psychologischer Hinsicht nahezu autonom agiert. Frankes überzeugender Theorie ist nichts entgegenzuhalten, sieht man von der Fragwürdigkeit des optischen Vergleichs der Figur, deren Physiognomie nur über Kopien und demnach möglicherweise wenig authentisch erhalten ist, mit dem Bildnis in der Berliner Anbetung ab. Die Ähnlichkeit könnte auch durch eine standardmäßige Verwendung eines gewissen Darstellungstyps für Hirtenfiguren bedingt sein. In diesem Zusammenhang ist auch Arndts Forschungsergebnis zu berücksichtigen, wonach David eine Lochpause verwendete, um Unterzeichnung exakt und detailgetreu zu übertragen – diese jedoch in der malerischen Ausarbeitung veränderte.6 Ein weiteres Argument für die Identifizierung des Selbstbildnisses ist, dass bereits Arndt Übereinstimmungen der Figur mit einem Apostel im Marientod von Hugo van der Goes notierte: „Mit der Deutlichkeit einer Signatur“ bestätige der Hirte sein Urbild; Haltung und insbesondere der geheimnisvolle Blick erinnern an den Jünger, der sich am rechten Kopfende des Betts Mariens festhält7 – auch dieses Bildnis wird als mögliche Selbstdarstellung von van der Goes diskutiert.
Eine abweichende Überlegung bringt Guenther ein, die die diskutierten Hirtenfiguren in den Gemälden nach der verlorenen Anbetung von van der Goes nach ihren Funktionen im Bildzusammenhang hinterfragt. Guenther zieht zu den oben erwähnten Beispielen eine weitere Adaption des Goes’schen Prototyps hinzu – eine beschnittene Version der Szene, die sich im Princeton University Art Museum befindet.8 Die Autorin verknüpft die Hirtenfigur nach einer Analyse von Körperhaltung, Kleidung und Gesichtsausdruck der Bildnisse mit der Narren-Ikonografie; die Gestalt in Princeton zudem mit der „des Bösen“. Die Hirten sind nach Guenther allesamt Indikatoren für ein ambivalentes Verhältnis zur Epiphanie. Sie resümiert, Hugo van der Goes habe in seinem Urbild bereits eine Parodie geschaffen, die das zeremonielle Ideal kritisierte. Als Argumente für die Identifizierung der Figuren als Narren nennt sie die in traditionellen Narrenfarben gehaltene Kleidung der Figuren in Gelb und Grüntönen, die humorvollen Mienen und die geschorenen Häupter – für die erweiterte Zuschreibung an „das Böse“ argumentiert sie mit den roten Haaren des Mannes in Princeton und seinem verschlagenen Gesichtsausdruck.9
Verweise
Gerard David, Die Anbetung der Könige (Kopie nach Hugo van der Goes), 1495–1505, München, Alte Pinakothek.↩︎
Unbekannter Meister, Die Anbetung der Könige vor dem Stall im Hügel (Kopie nach Hugo van der Goes), um 1500, Berlin, Staatliche Museen, Gemäldegalerie.↩︎
Arndt 1961. Erstmals wurde der Zusammenhang von Friedländer festgestellt, vgl. u. a. Friedländer 1904. In jüngerer Zeit bestätigen die Vorbildwirksamkeit von van der Goes etwa: Franke 2012, 82–85; Stroo 2001, 240.↩︎
Weitere Hirtenfiguren, für die Identifikationen als Selbstbildnis vorgeschlagen sind, finden sich im Portinari-Altar und in der Anbetung der Hirten in Berlin.↩︎
Vgl. Einleitungstext zu Hugo van der Goes.↩︎
Arndt 1961, 156–158.↩︎
Ebd., 166.↩︎
Werkstatt Gerhard David, Anbetung der Könige (nach Hugo van der Goes), um 1510, Princeton University Art Museum.↩︎
Guenther 2006.↩︎
Literatur
Zitiervorschlag:
Krabichler, Elisabeth: Anbetung der Könige vor dem Stall im Hügel (Katalogeintrag), in: Metapictor, http://explore-research.uibk.ac.at/arts/metapictor/katalogeintrag/goes-hugo-van-der-anbetung-der-konige-vor-dem-stall-im-hugel-unbekannt-verloren/ (05.12.2025).