Grazer Kreuzigung

Laib, Conrad

1457

Österreich; Graz; Domkirche Hl. Ägydius

Objekt

Bildrechte
Alternativtitel Deutsch:Kreuzigung Christi; Kreuzigung im Gedräng; Volkreicher Kalvarienberg
Titel in Originalsprache:Kreuzigung Christi
Titel in Englisch:Crucifixion of Christ
Datierung: 1457
Ursprungsregion:deutschsprachiger Raum
Lokalisierung:Österreich; Graz; Domkirche Hl. Ägydius
Lokalisierung (Detail):Friedrichskapelle, freistehend
Medium:Altarbild; Tafelbild
Material:Öl; Gold
Bildträger:Holz (Fichte)
Technik Anmerkungen:Verarbeitung von Pastiglia-Auflagen, Pressbrokatapplikationen
Maße: Höhe: 274 cm; Breite: 271 cm
Ikonografische Bezeichnung:Kreuzigung Christi; Kreuzigung im Gedräng
Iconclass:73D6 – the crucifixion of Christ: Christ's death on the cross; Golgotha (Matthew 27:45–58; Mark 15:33–45; Luke 23:44–52; John 19:25–38)
Signatur Wortlaut:Laib; LAIB
Datierung Wortlaut:1457
Signatur/Datierung Position:signiert: auf der Feldflasche der Figur des Stephaton links des Kreuzes Christi sowie in eine Inschrift integriert auf dem gelben Brustharnisch des Kriegers neben der Mariengruppe in der linken unteren Bildecke; datiert: auf der Standarte rechts des Kreuzes
Inschriften:

S.P.Q.R; auf der roten Fahne links des mittleren Kreuzes
JIIISABNII / LAIB / MARIA / III; auf dem gelben Brustharnisch des Kriegers neben der Mariengruppe in der linken unteren Bildecke
1628 und 1663; gegriffelt auf den unteren Längsbalken des Kreuzes

Auftraggeber/Stifter:nicht zweifelsfrei überliefert; mögliche Auftraggeber Kaiser Friedrich III. oder evtl. eine dem Hof nahestehende Person bzw. dem Hof nahestehende Personen
Provenienz:bestimmt für St. Ägydius (Dom, Graz), Hofkirche Kaiser Friedrichs III.; in situ Dom Graz; nach verschiedenen Aufstellungsplätzen in der Kirche, diversen Ausstellungen (1957 Landesmuseum Joanneum; 1976 Stadtmuseum) und einer Auslagerung zur Restaurierung im Bundesdenkmalamt in Wien (1979) seit 2003 in der Friedrichskapelle des Doms
Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt:öffentlich

Die Maße der Tafel sind in der Literatur mit leichten Abweichungen angegeben, hier wird auf die Angaben von Köllermann zurückgegriffen.1
Zu technischen Details und Restauration2 und zur Ikonografie im Detail;3 zur Provenienz,4 zu Diskussionen zum Stifter (Kaiser Friedrich III.5 oder eine dem Hof nahestehende Person6) und zum ursprünglichen Aufstellungsort.7

Verweise

  1. Köllermann 2007, 41.↩︎

  2. Vgl. u. a. Garzarolli-Thurnlackh 1931; Höring 1997; Koller 1997; Prast 1997.↩︎

  3. Vgl. u. a. o. A. 1997, 216f; Roth 1967, zum volkreichen Kalvarienberg allgemein, zu Laib bes. 77–79.↩︎

  4. Höring 1997, 146.↩︎

  5. Köllermann 2007, 135f. Geht man von einer Auftraggeberschaft des Kaisers aus, so muss man nach Biedermann darauf schließen, dass dieser das Programm unter Beratung von Theologen (Eneas Silvius Piccolomini (der spätere Papst Pius II), Johannes Kapistran, Nikolaus von Kues) erstellen ließ, vgl. Biedermann 2010, bes. 278f.↩︎

  6. Köllermann 2007, 147.↩︎

  7. Zum ursprünglichen Aufstellungsort vgl. u. a. ebd., 135–140. Die Autorin schlägt als ursprünglichen Aufstellungsort den Bereich vor dem Triumphbogen im Eingangsbereich des Kirchenschiffs zum Sanktuarium vor. Sie weicht damit von den Vorschlägen ab, dass es sich um einen Hochaltar gehandelt hat.↩︎

Bildnis 1

Bildrechte
Lokalisierung im Objekt:Figur am Fuße des Kreuzes Christi links
Ausführung Körper:Ganzfigur stehend
Ausführung Kopf:im Profil
Ikonografischer Kontext:Figur wohnt der Kreuzigung in der Rolle des Stephatons bei; der römische Soldat streckt den Stab mit dem Essigschwamm empor, der Christus traditionsgemäß kurz vor seinem Tod gereicht wird
Blick/Mimik:Blick in Richtung Christus
Gesten:hält mit der rechten Hand den Stab mit Essigschwamm; linke Hand nicht sichtbar
Körperhaltung:aufrecht; rechter Arm nach oben gestreckt; Kopf in den Nacken gelegt und nach oben ausgerichtet; linke Körperhälfte im Bildraum leicht nach innen gedreht
Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal:die weitgehend freigestellte Figur ist nur im unteren Bereich vom Nimbus und Kopf Maria Magdalenas überschnitten; die formal zugeordnete Heilige spiegelt Kopfhaltung, Armausrichtung und Blickrichtung, zudem korrespondieren sowohl die Ausführung der Überbekleidung, die Farben des Gewandes als auch die Form des Nimbus und Farbe des Kopftuches mit der Kopfbedeckung Stephatons; neben Stephaton (und Christus) ist sie die einzige, deren Hände das Holz des zentralen Kreuzes überschneiden; trotz der Übereinstimmungen wird Stephaton auf den ersten Blick als Einzelperson wahrgenommen; oberhalb des Mannes spiegelt der Zierschmuck des Pferdes von Longinus die runde Form der Kopfbedeckung; die Figur ist über einen dunklen, unbestimmbaren Farbraum im Bereich von Rücken und Kopf von den umgebenden Pferden isoliert, deren Köpfe bogenförmig um das Haupt Stephatons angeordnet sind; diese Köpfe und auch das Bein des vordersten Pferdes betonen die Silhouette der Figur; die Menschenmenge weist oberhalb von Stephaton eine Lücke auf; der goldfarbene Hintergrund drängt wie ein Pfeil direkt zum Gesicht der Figur; die Pfeilform ist durch ihre Wiederholung in der Kleidung verstärkt: Dies zeigt sich beim hinteren Ausschnitt und bei dem spitz zulaufenden unteren Abschluss der Überbekleidung; dieser untere Abschluss fungiert zudem als optische Verlängerung des Stabes der Figur; gegengleich scheint auch der dunkle Hintergrund in Kombination mit dem Stab einen Pfeil auf die Hand zu richten; die Hand ist nahezu bildzentral angegeben; auf Höhe des Kopfes der Figur findet sich kein weiteres Bildnis; die Feldflasche an der rechten Hüfte ist mit einem Malerwappen ausgestattet, darin ist neben zwei leeren Maltafeln ein drittes, leicht querovales Feld sichtbar, in dem sich die Signatur LAIB befindet; der Essigschwamm ist über den schräg nach oben gerichteten Stab exakt auf Höhe der Datierung auf der weißen Fahne gehoben; der Stab verläuft nahezu parallel zur Lanze des Longinus; diese verlängert den Weisegestus der Figur in goldener Rüstung im unteren linken Eck, auf der ebenfalls eine Inschrift samt Namensnennung eingearbeitet ist
Formale Besonderheiten:integrierte Signatur auf der Feldflasche: LAIB
Attribute:Feldflasche; Stab mit Essigschwamm
Kleidung:auffallende Übereinstimmungen mit der Kleidung Maria Magdalenas
Zugeordnete Bildprotagonisten:Maria Magdalena; goldgerüstete Figur im linken unteren Eck

Forschungsergebnis: Laib, Conrad

Künstler des Bildnisses:Laib, Conrad
Status:kontrovers diskutiert
Typ Autor/in Jahr Referenz Seite Anmerkungen
Erstzuschreibung Rainer/Rainer 2003 Rainer, Rainer 2003 – Conrad Laib 434 -
Skeptisch/verneinend Köllermann 2007 Köllermann 2007 – Conrad Laib 41 -
Bejahend Krabichler 2024 Krabichler 2024 – Vor aller Augen 222–226 -

Rainer und Rainer (2003) vergleichen die beiden Rückenfiguren in Laibs Kreuzigungen (Stephaton in der Grazer Tafel und den Reiter in der Salzburger Tafel) und schließen wegen Übereinstimmungen der Darstellungen auf einen Zusammenhang der Figuren mit der Person des Künstlers rück: „Vielleicht ist jeweils ein in Bescheidenheit abgewandeltes Selbstporträt gemeint.“ Weiterführend argumentieren sie, dass das verdeckte Gesicht spätestens seit Entwicklungen der Brüder Limburg „ein Topos der Künstlerselbstdarstellungen“ sei.1

Köllermanns (2007) Analysen der Selbstbezeichnungen Laibs in der Grazer Kreuzigung stehen in direktem Zusammenhang mit ihren Überlegungen zu Laibs Salzburger Kreuzigung. Gegenteilig zur Salzburger Tafel ist in Graz ein hochrangiger Stifter anzunehmen, was dem Maler Grenzen in seiner Selbstinszenierung auferlegt haben mag. Folglich sind die Signaturen im Rahmen von üblichen Demutsformeln zu lesen. In einer formalen Analyse der Figur des Stephaton stellt Köllermann einerseits ikonografische Abweichungen zum überlieferten Darstellungsmodus fest (unüblich edle Gewandung der Figur, farbliche und kompositionelle Parallelen mit Maria Magdalena), andererseits deutliche Freistellungs- bzw. Betonungstendenzen (viel Freiraum für die Figur, Verankerung in einer bräunlichen Fläche, Markierung des Porträts durch den keilförmig darauf zulaufenden Goldhintergrund). Zudem weise der Stab mit dem Schwamm auf die Datierung. Dieser Befund mache das Bildnis „zu einem Identifikationsmuster für den Künstler: und das mitten im Bild und mit einer Wirkkraft, die das ganze Bildzentrum überspannt.“2

Krabichler (2024) bezieht sich in ihrer Dissertation zu Selbstporträts in Assistenz auf ihre hier vorliegenden Ausführungen und bietet eine Zusammenschau der bei Laib als Selbstbildnisse thematisierten Porträts. Eingebettet in ein Kapitel zu österreichischen Selbstporträts im 15. Jahrhundert bewertet sie die Entwicklungen Laibs hinsichtlich der Kombinationen von Inschriften/Signaturen und Selbstbildnissen als herausragend. In einer Gegenüberstellung der Selbstbildnisse in der Salzburger Kreuzigung und in der Grazer Kreuzigung fokussiert Krabichler auf metareferenzielle Tendenzen der Bildnisse (u. a. Verortung einer bildinternen BetrachterIn, bewusste Formulierung von Hinweisen auf auktoriales Schöpfertum, auf Profession und künstlerische Selbstpositionierung, Ausreizung von Systemen von Bild- und BetrachterInnenraum, Real- und Transzendentalraum, sakralen, historischen und zeitgenössischen Zeitebenen). Sie resümiert, dass die bewusst eingesetzten Selbstinszenierungen miteinander kommunizieren und eventuell als Qualitätsmarken eingesetzt wurden. Zudem arbeitet Krabichler heraus, dass Laibs System der Selbstdarstellung auf den Maler Rueland Frueauf d. J. und dessen Selbstinszenierungen einwirkte.3

Verweise

  1. Rainer/Rainer 2003, 434.↩︎

  2. Köllermann 2007, 41.↩︎

  3. Krabichler 2024, 222–226.↩︎

Bildnis 2

Bildrechte
Lokalisierung im Objekt:unter dem linken Kreuz
Ausführung Körper:Ganzfigur stehend
Ausführung Kopf:Dreiviertelporträt
Ikonografischer Kontext:wohnt der Kreuzigung bei
Blick/Mimik:Blick nach links zur Frau; angedeuteter Sprachgestus
Gesten:hält mit der rechten Hand einen Bogen; weist mit der linken Hand auf Christus, mit einem Pfeil darin zudem auf die Mariengruppe
Körperhaltung:aufrecht; leicht Richtung linken Bildrand gebeugt; zum zentralen Kreuz gestreckter Arm/gestreckte Hand
Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal:der Mann bildet zusammen mit der Frau und den Kindern am linken Bildrand eine kommunikative Gruppe; von seiner Position aus interagiert er mit der Frau (Blick, Redegestus), er weist mit dem ausgestreckten Arm und insbesondere dem Zeigefinger auf Christus, mit dem Pfeil in seiner Hand auf die Mariengruppe; sein Weisegestus auf das zentrale Kreuz wird von der Lanze des Longinus aufgenommen; gemeinsam mit der ebenfalls in Goldgelb gerüsteten Rückenfigur am rechten Bildrand bildet er eine Klammer um das Geschehen, gemeinsam leiten die Figuren die BetrachterIn an
Formale Besonderheiten:integrierte Inschrift auf der Rüstung: JIIISABNII / LAIB / MARIA / III; Gold
Attribute:Pfeil und Bogen
Kleidung:Rüstung
Zugeordnete Bildprotagonisten:Frau mit zwei Kindern am linken Bildrand; Mariengruppe; Christus; Longinus; Stephaton; Rückenfigur am rechten Bildrand

Forschungsergebnis: Laib, Conrad

Künstler des Bildnisses:Laib, Conrad
Status:kontrovers diskutiert
Status Anmerkungen:Wie im Forschungsstand detailliert angeführt, ist eine Überlegung zu einem möglichen Selbstporträt in der Figur des Mannes mit goldener Rüstung samt dem integrierten Schriftzug „[…]LAIB[…]“ als Ablehnung dieser Option formuliert. Trotzdem ist die Figur als wesentlicher Bestandteil der Komposition auch hinsichtlich ihrer autoreferenziellen Qualitäten (Inschrift) zu sehen.
Typ Autor/in Jahr Referenz Seite Anmerkungen
Erstzuschreibung o. A. 1997 o. A. 1997 – 7. Conrad Laib 217 -

Im Katalogbeitrag zur Grazer Tafel im Ausstellungskatalog der Österreichischen Galerie Belvedere (1997) finden sich Überlegungen zu möglichen Selbstdarstellungen Laibs. Es ist etwa vermerkt, dass es sich bei der Figur mit der zweiten Namensnennung des Künstlers auf dem Brustharnisch keineswegs um ein Selbstporträt handeln könne, da der fehlende direkte Blick sowie die „abstoßende Wirkung der Korpulenz und die in den, durchaus individuellen, Gesichtszügen ausgedrückte unschmeichelhafte Derbheit eine Integration eines Familienporträts des Künstlers ausschließt.“1

Verweise

  1. O. A. 1997, 217.↩︎

Bildnis 3

Bildrechte
Lokalisierung im Objekt:erste Figur links neben dem rechten Kreuz hinter dem Fuß des Schächers
Ausführung Körper:Schulterstück
Ausführung Kopf:annähernd Frontalansicht

Forschungsergebnis: Laib, Conrad

Künstler des Bildnisses:Laib, Conrad
Status:Einzelmeinung
Status Anmerkungen:Wie im Forschungsstand detailliert angeführt, ist eine Überlegung zu einem möglichen Selbstporträt in der Figur eines Mannes unter dem rechten Kreuz als Ablehnung dieser Option formuliert. Der hier fragmentarisch gehaltene Eintrag ist diesem Vermerk, der der Vollständigkeit halber aufgeführt ist, geschuldet. Die Figur erfährt keine weitere Beschäftigung.
Typ Autor/in Jahr Referenz Seite Anmerkungen
Erstzuschreibung o. A. 1997 o. A. 1997 – 7. Conrad Laib 229 -

Im Katalogbeitrag zur Grazer Tafel im Ausstellungskatalog der Österreichischen Galerie Belvedere (1997) finden sich Überlegungen zu möglichen Selbstdarstellungen Laibs. In den Fokus kommt etwa eine halb verdeckte Figur hinter dem Fuß des schlechten Schächers: Dessen „Frontalblick wie auch die in der Physiognomik ausgedrückte Unbehaglichkeit über das Geschehen ließen auf ein Selbstportrait des Malers schließen, zumal auch seine Signatur ähnlich ‚versteckt‘ realisiert wurde.“ Diese These wird allerdings umgehend wieder relativiert, da es sich bei der Figur um einen im Gemälde häufig vorkommenden Kopftyp handle.1

Verweise

  1. O. A. 1997, 229.↩︎

Eines gibt das andere

Gegenteilig zur omnipräsenten Inschrift auf der Satteldecke der Selbstporträtfigur in der Salzburger Kreuzigung bringt Laib seinen Namen in der Grazer Tafel an versteckter, unauffälliger Position auf der Essigflasche Stephatons an. Die Signatur ist integriert in ein Malerwappen, konkret in ein querovales Feld darin, das wegen der Form eines Brotlaibs als Kryptonym gelesen werden kann.1 Obwohl die Kreuzigung in Graz, die zu den größten erhaltenen spätgotischen Altarbildern gehört,2 wenig Forschungsinteresse ausgelöst hat, gilt sie gerade durch diese Namensnennung als maßgeblich für die Identifizierung des Malers Conrad Laib und auch für die Zuweisung der Salzburger Tafel an ihn.3 Datiert ist das Gemälde auf der weißen Fahne im rechten Bildteil. Der Essigschwamm am Ende des Stabs Stephatons betont die Ziffernfolge durch seine Position.

Eine zweite Inschrift auf dem goldenen Wams eines Mannes im linken unteren Bildeck, die ebenfalls die Buchstabenfolge LAIB enthält, hat weit weniger Signaturcharakter. Köllermann deutet sie, im Zusammenspiel mit dem daneben angeführten Namen MARIA, als devotional zu bewertende Kryptoinschrift. Mit dieser empfehle sich der Maler in traditioneller Auffassung versteckter Selbstnennungen der Gottesmutter an, die sich in der Gruppe der Marien neben ihm befindet.4 Der Pfeil in der linken Hand, der auf diese Gruppe ausgerichtet ist, unterstützt die Bezugnahme zu den Frauen. Abweichende Thesen verorten die Figur in profanerem Umfeld. Wie Biedermann ausführt, könnte es sich bei den seitlich auftretenden Gestalten, die durch ihre extravagante Kleidung hervorstechen, um von zeitgenössischen Passionsspielen bzw. von der Schauspielpraxis inspirierte Assistenzfiguren handeln, die als Praecursor und Conclusor das Geschehen anleiten.5 Im Ausstellungskatalog der Österreichischen Galerie Belvedere (1997) wird vorsichtig die These einer möglichen Selbstdarstellung in dieser Figur formuliert und sogleich wieder relativiert. Dabei kommt der Aspekt zu tragen, dass es sich bei dem Mann samt der ihn umgebenden Gruppe um ein Gegenbild zu der negativ konnotierten Versammlung der Spötter rechts handle. Obwohl der im Katalog angeführten prinzipiellen Ablehnung eines (herkömmlichen) Selbstporträts zugestimmt werden soll, ist die sehr subjektive Begründung (der Autor argumentiert mit einer „abstoßenden Wirkung“ der Figur) wenig aussagekräftig. Auch die Feststellung, dass kein direkter Blick bei der Figur ausgeführt wurde, ein solcher aber essenziell wäre, hat kaum als Begründung gegen eine Interpretation als Selbstdarstellung Bestand.6 Ein direkter Blick ist keineswegs als konstantes Merkmal bei Selbstdarstellungen anzutreffen. Vielmehr kann die Figur mit ihrer selbstbezeichnenden (signaturähnlichen) Inschrift als ein Hinweis auf Eigenhändigkeit und künstlerische Erfindung und folglich als kryptomorphes Bildnis gelesen werden. Zum einen weist der Ritter in deutlicher Geste, die vom Speer Longinus’ aufgenommen und weitergeführt wird, direkt auf das Hauptmotiv der Tafel, auf Christus (und damit in einem übergreifenden Sinn auf „sein Werk“); zum anderen bringt er mit der Familiengruppe ein innovatives und ungewöhnliches Motiv in das Geschehen ein.7 Als Paraphrase nach Altichiero verweist er mit der Gruppe auf seine künstlerischen Wurzeln und seine Kenntnisse internationaler Entwicklungen.8

Das Bildnis des Stephaton hingegen ist als Selbstporträt des Malers in der Rolle des Soldaten mit dem Essigschwamm überzeugend. Zahlreiche Aspekte verbinden es mit der Selbstinszenierung in der Salzburger Kreuzigung (kompositionelle Verankerung, Ausführung der Figur, Profildarstellung, Freistellungsmechanismen).9 Zudem werden manche der Argumente, die bereits im Salzburger Gemälde für eine Selbstdarstellung sprechen, in der Grazer Tafel in deutlich ausgeprägterer Form sichtbar. Das Bildnis ist etwa physiognomisch herausragend: Während in der früheren Tafel übereinstimmende Züge bei umgebenden Protagonisten festgestellt werden konnten, ähnelt im Grazer Bildverband keine einzige Figur Stephaton. Auch nimmt Laib in Graz eine konsequentere Rolle ein: Stellte sich der Maler vormals als anonymer Reiter dar, ist durch die historisch überlieferte Figur in Graz eine übergeordnete Identität gegeben.10 Besondere Steigerung erfährt die Figur hinsichtlich der Freistellungsmechanismen. Trotz der formalen Übereinstimmungen mit der unter ihm knienden Maria Magdalena strahlt das Bildnis den Charakter einer Einzelfigur aus. Es scheint, als beanspruche Stephaton im zentralen Bildbereich auffallend viel Raum. Dieser Eindruck lässt sich quantitativ nicht belegen, vielmehr ist er auf ein ausgeklügeltes kompositorisches System zurückzuführen. Während einerseits die umliegenden Pferde und das Holz des Kreuzes die Silhouette der Figur betonen und ihr so nahezu auratischen Raum verschaffen, kommt andererseits der Goldhintergrund sehr nahe. Eine Zäsur in der Menschenmenge des Hintergrundes öffnet den Raum; wie ein Pfeil, dessen Form sich in der Kleidung der Selbstporträtfigur nach unten hin fortsetzt und gegengleich durch den Stab auch nach oben hin verlängert wird, markiert dieser Raum das Selbstporträt. Zudem ist besonders die braune Fläche, die die Figur zu weiten Teilen umgibt, wesentlich. Diese wurde von Köllermann als „späte Korrektur“ beschrieben, die der Herauslösung Stephatons aus dem Geschehen diente.11 Wie Frodl-Kraft feststellt, erlaubt das „Prinzip der Flächenfüllung [Laibs] keine Leere“ 12 – umso größer ist der Stellenwert, der dieser motivisch nicht fassbaren, dunklen Fläche zukommt, die im Grunde wie ein Leerraum funktioniert – ein Freiraum als „Privatraum“ für das Selbstporträt. Eine weitere Potenzierung erfährt die Figur in ihrem Zusammenspiel mit dem Mann in der goldenen Rüstung, der wiederum wie o. a. in Verbindung mit dem Speer Longinus’ steht. Dieser ist nahezu parallel zum Stab Stephatons gemalt. Die beiden Porträts markieren damit wesentliche Bildmomente und verbinden Bildräume sowie zeitliche Ebenen: die überlieferte Historie, die aktuelle Zeit der materiellen Finalisierung des Bildes, den Maler als übergreifenden, immateriellen Schöpfer.13

Verweise

  1. Die Inschrift auf der Feldflasche ist etwa im Katalogbeitrag zur Grazer Tafel im Ausstellungskatalog der Österreichischen Galerie Belvedere (1997) als eine „eigenständige Signatur“ in der selbstreferenziellen Ausführung als Kryptonym erfasst. Über den „Brotlaib“ ist eine Bezugnahme zum Namen des Malers impliziert. Vgl. ebd., 217. Den Hinweis auf die Form eines „Brotlaibs“ als Bestandteil des Malerwappens und folglich darauf, dass es sich unzweifelhaft um eine Signatur handle, lieferte u. a. auch Baldass 1946, 64.↩︎

  2. O. A. 1997, 214.↩︎

  3. Zum Forschungsstand der Grazer Kreuzigung vgl. u. a. zusammenfassend Köllermann 2007, 140 (Anm. 606). Die Inschrift auf der Essigflasche wurde erstmals von Eitelberger dokumentiert, der aber ausschloss, dass es sich dabei um eine Signatur handeln könnte, vgl. Eitelberger von Edelberg 1882, 86. Für die Verbindung der beiden Tafeln und die Festschreibung des Künstlernamens Laib sprachen sich erstmals aus: Fischer 1908, 73f; Suida 1908, 41; Suida 1931, 105. Weiterführend zur frühen Forschungsgeschichte zu Laib allgemein vgl. Köllermann 2007, 16–18. Zur Analyse der Grazer Tafel vgl. u. a. Köllermann 2007, 135–146.↩︎

  4. Köllermann belegt ihre Analyse durch Hinweise auf zahlreiche Beispiele vergleichbarer unscheinbarer Selbstbezeichnungen, vgl. weiterführend Köllermann 2007, 41. Die Deutung der Inschrift in sakralem Zusammenhang bzw. mit Bezugnahmen auf die Gottesmutter vertreten u. a. auch Rainer/Rainer 2003, 435, die der Figur zudem prophetischen Charakter zusprechen.↩︎

  5. Weitere Verweise auf das darstellende Spiel zeigen sich in der Grazer Kreuzigung in den Rückenfiguren, der Menschenvielfalt und den bildinternen Dialogen, insbesondere etwa der Kommunikation zwischen den beiden als Reiter ausgeführten Rückenfiguren unter dem Kreuz Christi, die zwischen Bild- und BetrachterInnenraum vermitteln. Ein ähnliches System bedient Laib auch in der Salzburger Kreuzigung, vgl. Biedermann 2010, 276f.↩︎

  6. O. A. 1997, 217. Vgl. weiterführend den Forschungsstand.↩︎

  7. Vgl. u. a. Biedermann 2010, 278.↩︎

  8. Zur Bedeutung Altichieros im Zusammenhang mit Laibs Selbstinszenierungen vgl. die Analyse der Salzburger Tafel. Zu Laibs Motivübernahmen von Altichiero, insbesondere zu der hier thematisierten Figurengruppe, vgl. weiterführend Frodl-Kraft 1999, 158f, bes. 159 (Anm. 4).↩︎

  9. Vgl. weiterführend den Einleitungstext zu Conrad Laib und den Analysetext zur Salzburger Kreuzigung.↩︎

  10. Zu detaillierten Überlegungen zur Physiognomie der Selbstporträtfigur und die Einnahme von Rollen vgl. den Analysetext zur Salzburger Kreuzigung.↩︎

  11. Köllermann 2007, 41, weiterführend 179 (Anm. 160).↩︎

  12. Frodl-Kraft 1999, 161.↩︎

  13. Zu detaillierten Überlegungen zu Freistellungsmechanismen und formalen Betonungen vgl. den Analysetext zur Salzburger Kreuzigung und die Beschreibung zur Interaktion der Figur.↩︎

Literatur

Baldass, Ludwig: Conrad Laib und die beiden Rueland Frueauf (Sammlung Schroll), Wien 1946.
Biedermann, Gottfried: Bemerkungen zu Conrad Laibs „Kreuzigungstafeln“ in Wien und Graz – vor allem auch vor dem Hintergrund der osmanischen Bedrohung, in: Madersbacher, Lukas/Steppan, Thomas (Hg.): De re artificiosa. Festschrift für Paul von Naredi-Rainer zu seinem 60. Geburtstag, Regensburg 2010, 269–281.
Eitelberger von Edelberg, Rudolf: Das Passionsbild im Dom zu Graz, in: Die graphischen Künste, 4. Jg. 1882, 85–88.
Fischer, Otto: Die altdeutsche Malerei in Salzburg (Kunstgeschichtliche Monographien, 12), Leipzig 1908.
Frodl-Kraft, Eva: Conrad Laib. Die Kreuzigungstafel von 1449 und das Grazer Dombild von 1457, in: Römische Historische Mitteilungen, 41. Jg. 1999, 157–169.
Garzarolli-Thurnlackh: Zur Konservierung des Grazer Dombildes von Konrad Laib, in: Belvedere. Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde, 10. Jg. 1931, H. 2, 49–53.
Höring, Franz: Die große Grazer Kreuzigung von Conrad Laib – Restauriergeschichte und Restauriermaßnahmen 1980–1997, in: Saliger, Arthur (Hg.): Conrad Laib (Wechselausstellung der Österreichischen Galerie, 211; Ausstellungskatalog, Museum mittelalterliche Kunst – Unteres Belvedere, Orangerie, 19.9.–26.10.1997), Wien 1997, 144–158.
Koller, Manfred: Zur Werkstattpraxis und Maltechnik von Conrad Laib, in: Saliger, Arthur (Hg.): Conrad Laib (Wechselausstellung der Österreichischen Galerie, 211; Ausstellungskatalog, Museum mittelalterliche Kunst – Unteres Belvedere, Orangerie, 19.9.–26.10.1997), Wien 1997, 110–142.
Krabichler, Elisabeth: Vor aller Augen. Das integrierte Selbstporträt als Metabild in der Frühen Neuzeit (Dissertation, Universität Innsbruck), Innsbruck 2024.
Köllermann, Antje-Fee: Conrad Laib. Ein spätgotischer Maler aus Schwaben in Salzburg (Neue Forschungen zur deutschen Kunst, 8), Berlin 2007.
Prast, Georg: Untersuchungen über das Bewegungsverhalten der Grazer Domtafel von Conrad Laib. Messungen der Oberflächentopographie des Tafelbildes sowie der Entwicklung von Wölbungskräften, in: Saliger, Arthur (Hg.): Conrad Laib (Wechselausstellung der Österreichischen Galerie, 211; Ausstellungskatalog, Museum mittelalterliche Kunst – Unteres Belvedere, Orangerie, 19.9.–26.10.1997), Wien 1997, 160–169.
Rainer, Michael/Rainer, Thomas: Conrad Laib. Kreuzigung. Katalogbeitrag 204, in: Rosenauer, Artur/Fillitz, Hermann (Hg.): Spätmittelalter und Renaissance (Geschichte der bildenden Kunst in Österreich, 3), München 2003, 434–435.
Roth, Elisabeth: Der volkreiche Kalvarienberg in Literatur und Bildkunst des Spätmittelalters (Philologische Studien und Quellen, 2), Berlin (2. Aufl.) 1967.
Suida, Wilhelm: Zur Geschichte der altösterreichischen Malerei, in: Repertorium für Kunstwissenschaft, 31. Jg. 1908, 37–41.
Suida, Wilhelm: Zwei altdeutsche Bilder in Padua, in: Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen, 52. Jg. 1931, 101–106.
o. A.: 7. Conrad Laib. Kreuzigung Christi. 1457 („Grazer Dombild“), in: Saliger, Arthur (Hg.): Conrad Laib (Wechselausstellung der Österreichischen Galerie, 211; Ausstellungskatalog, Museum mittelalterliche Kunst – Unteres Belvedere, Orangerie, 19.9.–26.10.1997), Wien 1997, 214–256.

Zitiervorschlag:

Krabichler, Elisabeth: Grazer Kreuzigung (Katalogeintrag), in: Metapictor, http://explore-research.uibk.ac.at/arts/metapictor/katalogeintrag/laib-conrad-grazer-kreuzigung-1457-graz-domkirche-hl-agydius/ (05.12.2025).