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Objekt
Bildrechte
| Alternativtitel Deutsch: | Auferweckung des Sohnes des Teophilus und Petrus auf der Kathedra; Auferweckung des Sohnes des Theophilus und Kathedra Petri; Die Auferweckung des Sohnes des Theophilus und der hl. Petrus auf dem Lehrstuhl |
| Titel in Originalsprache: | Resurrezione del figlio di Teofilo e san Pietro in cattedra |
| Titel in Englisch: | The Raising of the Son of Theophilus and St. Peter Enthroned; Saint Peter Raising the Son of Theophilus and Saint Peter Enthroned as First Bishop of Antioch; The Raising of Theophilus’ Son and the Chairing of St Peter |
| Datierung: | um 1423 bis 1428 |
| Ursprungsregion: | italienischer Raum |
| Lokalisierung: | Italien; Florenz; Santa Maria del Carmine |
| Lokalisierung (Detail): | Cappella Brancacci; linke Wand (mit Blick auf den Altar), unteres Register; (Teil der malerischen Gesamtausstattung, bestehend aus: vier Evangelisten (Gewölbe, nicht erhalten); Szenen aus dem Leben des hl. Petrus (davon die zwei Bilder in den Lünetten und die Bilder links und rechts des Fensters an der Altarwand nicht erhalten); Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradies; Reste eines Wandbildes unterhalb des Fensters; ornamentales Blattwerk in der Fensterlaibung mit zwei erhaltenen Köpfen in Medaillons; das Gewölbe und die Lünetten wurden in den 1740ern zerstört und von Agostino Meucci und Carlo Sacconi übermalt, der Eingang in die Kapelle wurde von Joseph Chamont umgestaltet) |
| Medium: | Wandbild |
| Material: | Fresko; Secco |
| Bildträger: | Wand |
| Ikonografische Bezeichnung: | Erweckung des vor 14 Jahren verstorbenen Sohnes des Statthalters Theophilus; Erhebung auf den Bischofsthron (Cathedra Petri) in Antiochien |
| Iconclass: | 73F223816 – the son of Theophilus, king of Syria, is raised from the dead by Peter and Paul; 11P31112 – throne of St. Peter |
| Signatur Wortlaut: | ohne |
| Datierung Wortlaut: | ohne |
| Auftraggeber/Stifter: | erste Ausmalungsperiode (Masolino und Masaccio, ca. 1423–1428): Felice di Michele di Piuvichese Brancacci (1382–ca. 1447, Seidenkaufmann, Politiker und Diplomat); für die zweite Ausmalungsperiode (Filippino Lippi, 1481–1485) werden unterschiedliche AuftraggeberInnen angegeben: Compagnia di Santa Maria del Popolo (gegründet 1460; die Laienschwestern hielten ihre religiösen Zusammenkünfte in der Kapelle ab); Nachfahren der Familie Brancacci; Lorenzo de’ Medici (1449–1492); Mönche des Karmeliterklosters, wobei Tommaso Soderini (1403–1484/85) als wichtiger Geldgeber von Santa Maria del Carmine vermutlich ein Mitspracherecht hatte |
| Provenienz: | in situ; bei einem Brand der Kirche 1771 wurden die Fresken der Kapelle vom Ruß geschwärzt, blieben ansonsten jedoch verschont |
| Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt: | unbekannt |
Zur Ausstattung der Kapelle1 und zur Provenienz.2 Zum Stifter der ersten Ausmalungsperiode3 und zu den Stiftern der zweiten Ausmalungsperiode: Compagnia di Santa Maria del Popolo,4 Nachfahren der Familie Brancacci,5 Lorenzo de’ Medici6 sowie Mönche des Karmeliterklosters.7
Verweise
Joannides 1993, 313.↩︎
Procacci 1932, 149–151, 158 zitiert nach Ahl 2002a, 6 und Ahl 2002b, 139.↩︎
Das genaue Sterbejahr von Felice Brancacci ist nicht bekannt, für circa 1447 sprechen sich jedoch etwa Joannides 1993, 314 oder Posselt in Vasari/Lorini/Posselt 2011, 70 (FN 10) aus. Zur Rolle der Familie Brancacci und insbesondere von Felice Brancacci für die Brancacci-Kapelle siehe Ahl 2002b, 143–145; Eckstein 2014, 66–73; Salucci 2014, 33–38.↩︎
Im Anschluss an Molho 1977, 83 findet diese Annahme in der Forschungsliteratur die größte Anhängerschaft.↩︎
Diese Möglichkeit erwähnen etwa Joannides 1993, 315; Roettgen 1996, 92.↩︎
Zambrano in Zambrano/Nelson 2004, 188. Eckstein 2014, 202f lehnt Zambranos Vorschlag ab.↩︎
Ebd.↩︎
Bildnis 1
Bildrechte
| Lokalisierung im Objekt: | dritte Figur von rechts bzw. größte stehende Figur in der Gruppe am rechten Bildrand |
| Ausführung Körper: | Ganzfigur stehend |
| Ausführung Kopf: | Dreiviertelporträt |
| Ikonografischer Kontext: | Assistenzfigur |
| Blick/Mimik: | Blick aus dem Bild; leicht schielend |
| Gesten: | Hände nicht sichtbar |
| Körperhaltung: | aufrecht; Körper in Richtung Petrus ausgerichtet, leicht aus dieser Achse in Richtung Betrachter gedreht; Kopf leicht gesenkt |
| Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal: | die Figur blickt als einzige in der rechten der beiden im Bild dargestellten Szenen aus dem Bild; sie befindet sich in einer kompakten Gruppe von vier (ehemals wohl fünf, siehe „zugeordnete Personen“) Männern, wobei die anderen drei Männer im Profil wiedergegeben sind und auf den inthronisierten Petrus schauen; die Figur trägt rote Kleidung und wird stark überschnitten von der Figur vor ihr, die dunkel gekleidet ist; das Profil dieser Figur überschneidet das Gesicht des möglichen Selbstbildnisses im Bereich seiner linken Wange; hinter der Gruppe öffnet sich eine rechteckige Tür, sodass insbesondere die hier diskutierte Figur von einem schwarzen Hintergrund hinterfangen ist; die Figur trifft ein heller Lichtstrahl, sodass ihre linke Gesichtshälfte stark beleuchtet ist, während die rechte im Schatten bleibt; die Figur dürfte ursprünglich die einzige gewesen sein, die Petrus beinahe (?) berührt (siehe „Gesten“), alle anderen halten einen gewissen Abstand ein (einzig bei der mittleren knienden Rückenfigur vorne kann dies nicht beurteilt werden, sie dürfte aber wie die sie flankierenden Männer die Hände gefaltet haben) |
| Zugeordnete Bildprotagonisten: | Teil der Männer, die Petrus umstehen: links (auf der gegenüberliegenden Seite Petri) eine Gruppe von Karmelitermönchen, davon der jüngste (stehend, Gesicht in Frontalansicht) vorgeschlagen als möglicherweise Fra Filippo Lippi; in den Mönchen werden allgemein nicht genau zuordenbare Porträts vermutet; die Figur ist Teil einer kompakten Gruppe von vier Männern, von links nach rechts: die kleinste vorgeschlagen als Masolino bzw. versuchsweise als Donatello, das vermutete Selbstbildnis, Profilfigur vorgeschlagen als Leon Battista Alberti von Berti, leicht abgesetzte Profilfigur vorgeschlagen als Filippo Brunelleschi von Meller; bei der Restaurierung wurde eine fünfte Figur gefunden, die den Abschluss der Gruppe nach rechts bildete; von dieser Figur dürften nur die Kopfwölbung und ein Teil der Beine sichtbar gewesen sein |
Bei der Restaurierung in den 1980er Jahren wurde entdeckt, dass der Arm der Figur übermalt wurde; die Figur hatte ursprünglich ihre Hand zum Fuß des Petrus ausgestreckt bzw. berührte diesen.1 Zu den Identifizierungen der zugeordneten Bildprotagonisten vgl. weiterführend: zum möglichen Bildnis von Fra Filippo Lippi,2 zu den Mönchen als nicht zuordenbare Porträts,3 zum möglichen Bildnis von Masolino,4 Donatello,5 Leon Battista Alberti von Berti,6 Filippo Brunelleschi,7 zur fünften Figur, die bei der Restaurierung gefunden wurde8
Verweise
Baldini/Casazza 1994, 197; Chemeri/Giovannoni/Germani 1992, 64.↩︎
Carniani 1998, 30.↩︎
Siehe etwa Joannides 1993, 334.↩︎
Etwa bei Baldini/Casazza 1994, 193.↩︎
Nagel 2009, 263f.↩︎
Etwa bei Baldini/Casazza 1994, 193; Berti 1988, 33; Nagel 2009, 105, 108 sowie Exkurs ab 262 und passim. Nagel beschäftigt sich eingehend mit der Frage, ob Alberti und Masaccio einander kannten und was ihre Bekanntschaft u. a. in Bezug auf die am Rand der Kathedra Petri eingefügte Porträtgruppe bedeutet.↩︎
Baldini/Casazza 1994, 197. Borsi und Borsi äußern sich etwas unbestimmt, scheinen aber vorzuschlagen, das Masaccio in dieser Figur seinen Bruder Lo Scheggia porträtiert haben könnte (Borsi/Borsi 1998, 12; siehe dazu auch den Forschungsstand).↩︎
Forschungsergebnis: Masaccio
| Künstler des Bildnisses: | Masaccio |
| Status: | weitgehend anerkannt |
| Typ | Autor/in | Jahr | Referenz | Seite | Anmerkungen |
|---|---|---|---|---|---|
| Erstzuschreibung | Salmi | 1929 | Salmi 1929 – L'autoritratto di Masaccio nella Cappella | 102 | - |
| Bejahend | Lanyi | 1944 | Lányi 1944 – The Louvre Portrait of Five | 88, 91f, 95 | - |
| Bejahend | Steinbart | 1948 | Steinbart 1948 – Masaccio | 65f | - |
| Bejahend | Meller | 1961 | Meller 1961 – La cappella Brancacci | 281f, 294 | - |
| Bejahend | Neumeyer | 1964 | Neumeyer 1964 – Der Blick aus dem Bilde | 46f | - |
| Bejahend | Prinz | 1966 | Prinz 1966 – Vasaris Sammlung von Künstlerbildnissen | 75 | - |
| Bejahend | Vayer | 1975 | Vayer 1975 – Deux portraits du Felice Brancacci | 6 | - |
| Bejahend | Sleptzoff | 1978 | Sleptzoff 1978 – Men or Supermen | 128 | - |
| Bejahend | Stubblebine | 1978 | Stubblebine 1978 – The Face in the Crowd | 390 | - |
| Bejahend | Berti | 1988 | Berti 1988 – Masaccio | 12 | - |
| Bejahend | Joannides | 1993 | Joannides 1993 – Masaccio and Masolino | 336 | - |
| Bejahend | Baldini/Casazza | 1994 | Baldini, Casazza 1994 – Die Brancacci-Kapelle | 193f, 197f | - |
| Bejahend | Roettgen | 1996 | Roettgen 1996 – Wandmalerei der Frührenaissance in Italien | 94 | - |
| Bejahend | Borsi/Borsi | 1998 | Borsi, Borsi 1998 – Masaccio | 12, 170 | - |
| Bejahend | Carniani | 1998 | Carniani 1998 – La Cappella Brancacci a Santa | 30 | - |
| Bejahend | Roesler-Friedenthal | 1998 | Roesler-Friedenthal 1998 – Das Porträt des Künstlers | 189–191 | - |
| Skeptisch/verneinend | Ames Lewis | 2000 | Ames-Lewis 2000 – The Intellectual Life | 211 | - |
| Bejahend | Schmid | 2002 | Schmid 2002 – Et pro remedio animae et | 116 | - |
| Bejahend | Horký | 2003 | Horký 2003 – Der Künstler ist im Bild | 65f mit Anm. 332 | - |
| Bejahend | Rejaie | 2006 | Rejaie 2006 – Defining Artistic Identity | 95–105, 114–121, insbes. 118–121, 227 | - |
| Bejahend | Nagel | 2009 | Nagel 2009 – Gemälde und Drama | 105, 108, 109–112, 262–266, 274 | - |
| Bejahend | Rossi | 2012 | Rossi 2012 – I pittori fiorentini del Quattrocento | 81f | - |
| Bejahend | Eckstein | 2014 | Eckstein 2014 – Painted Glories | 104, 193 | - |
| Bejahend | Salmi | [1950] | Salmi [1950] – Masaccio | 7 | - |
Salmi setzt sich in einem Aufsatz 1929 mit dem von Vasari indirekt identifizierten Selbstbildnis Masaccios im Zinsgroschen auseinander und versucht, Argumente gegen diese These zu finden. Er schlägt schließlich vor, das Selbstbildnis des Malers stattdessen in einer anderen Figur der Brancacci-Kapelle zu sehen. Diese steht in einer Gruppe von Männern neben dem Thron Petri am rechten Rand des Bildfeldes Auferweckung des Theophilus-Sohnes und Petrus in Cathedra, das sich unterhalb des Zinsgroschens befindet. Er beschreibt die Figur als solide, rot gekleidet, bartlos, mit breiter Stirn und bestechendem Blick dem Betrachter zugewendet; weiters weist der Autor darauf hin, dass sie beleuchtet ist, in ihren Zwanzigern sein dürfte und seiner Ansicht nach der Charakterisierung Masaccios durch Vasari als „gutmütig“ entspricht. Ihre Physiognomie lasse auch auf ein nach einer echten Person gemaltes Porträt schließen, das, wie bei Selbstbildnissen üblich, in Dreiviertelansicht gegeben sei. Der letzte Punkt ist insofern von besonderer Relevanz, als Salmi auf den Widerspruch bei Vasari aufmerksam macht, der einerseits schreibt, Masaccio habe sein Selbstbildnis in der Brancacci-Kapelle nach dem Spiegel gemalt, was eine Dreiviertelansicht nahelegen würde, andererseits aber das Profilbildnis aus dem Zinsgroschen als Vitenbildnis des Malers wählt. Salmi räumt ein, dass auch das von ihm vorgeschlagene Selbstbildnis letztlich nicht zu beweisen sei, hält es aber für deutlich wahrscheinlicher als Vasaris Vorschlag.1 In einer späteren Publikation äußert sich Salmi weniger ausführlich, aber in inhaltlich ähnlicher Weise zum Selbstbildnis Masaccios in der Brancacci-Kapelle.2
Lanyi (1944) beschäftigt sich mit dem Gruppenbildnis Fünf Meister der Florentiner Renaissance3 (siehe auch die Vorbemerkung zu Masaccio) und kommt zu dem Schluss, dass es sich um eine Zusammenstellung von aus unterschiedlichen Vorbildern entnommenen Porträts handeln muss.4 In Bezug auf den linken Kopf, den die später hinzugefügte Inschrift als „Giotto“ bezeichnet, geht Lanyi davon aus, dass es sich um eine Kopie nach einem verlorenen Selbstbildnis Masaccios in der Sagra handelt (siehe dazu ausführlicher den Forschungsstand zu den Selbstbildnissen in der Sagra). Ein Argument für diese Identifizierung ist für ihn, dass sich „Giotto“ und das von Salmi bei der Kathedra Petri vorgeschlagene Selbstbildnis Masaccios sehr ähnlich sehen.5
Steinbart (1948) erachtet es als gegeben, dass Masaccio sein Selbstbildnis in der hier diskutierten Figur einfügte und betont dessen innovativen Charakter. Zwar stelle sich das Individuum noch nicht einzeln, sondern unauffällig als Teil „einer gläubigen Gemeinschaft“6 dar, weswegen das Selbstbildnis auch bis ins 20. Jahrhundert unerkannt geblieben sei. Masaccio zeige sich aber offensichtlich bereits so, wie er sich in einem neben der Staffelei angebrachten Spiegel gesehen habe – eine Form des Selbstbildnisses, die einige Jahrzehnte später Usus geworden sei. Steinbart erwägt, dass Filippino als Nachfolger Masaccios dessen Selbstbildnis erkannte, da er sein eigenes im gegenüberliegenden Bildfeld ebenfalls am rechten Rand einfügte.7
Meller (1961) hält das von Salmi vorgeschlagene Selbstbildnis Masaccios ebenfalls für das authentische, u. a. aufgrund des Spiegelarguments und weil es zum neu erkannten Selbstbildnis Masaccios in der Tafel Fünf Meister der Florentiner Renaissance im Louvre passt.8 Durch verschiedene Vergleiche kommt er zum Schluss, dass die hinter Masaccio stehende, rechte Randfigur des Bildfeldes Filippo Brunelleschi darstellt.9 In seiner weiteren Argumentation verwendet Meller die hier diskutierte Figur als Ausgangspunkt, um ein weiteres Selbstbildnis Masaccios in der Schattenheilung vorzuschlagen.10
Neumeyer (1964) stimmt dem von Salmi vorgeschlagenen Selbstbildnis Masaccios zu und schreibt, es handle sich bei dieser Figur auch um die einzige von Masaccio in der Brancacci-Kapelle gemalte, die aus dem Bild blicke,11 was er als Indiz für ein Selbstbildnis nimmt. Einen weiteren Hinweis sieht er in der Tatsache, dass Filippino sich gegenüberliegend an ähnlicher Stelle einfügte.12
Prinz (1966) stimmt dem Vorschlag Salmis ohne neue Argumente zu. 13
Vayer (1975) hebt hervor, dass es sich bei der Darstellung der Figur in Dreiviertelporträt und mit direktem Blick zum Betrachter um die klassische Pose des Selbstbildnisses handle. Möglicherweise stünde Masaccio mit diesem Selbstbildnis am Beginn der Entwicklung dieses Genres, jedenfalls handle es sich hier aber um eines der ersten Beispiele dieser Art, die in der europäischen Malerei zur universellen Formel wurde.14
Sleptzoff (1978) steht einem Selbstbildnis Masaccios in der hier diskutierten Figur eher skeptisch gegenüber. Sollte es sich um ein Selbstbildnis handeln, so müsste man der Autorin zufolge den Maler als den Erfinder der später so populären Formel für integrierte Selbstbildnisse bezeichnen: „the self-portrait inserted into a corner of the scene, among the crowd but detached from it by its pose and the look directed outside the picture.“15 Allerdings seien noch einige Fragen – etwa ob die Figur ursprünglich von Masaccio oder Filippino Lippi gemalt wurde oder ob sie später restauriert wurde – offen, sodass keine abschließende Beurteilung möglich sei.16
Stubblebine (1978) zweifelt nicht an, dass Masaccio sich in der hier diskutierten Figur bei der Cathedra Petri dargestellt hat, sieht den Maler damit aber nicht als Erfinder oder ersten Protagonisten eines Darstellungstyps. Er findet Beispiele für ähnliche Selbstbildnisse bereits hundert Jahre vor Masaccio etwa in der Werkstatt Duccio di Buoninsegnas.17
Berti (1988) bejaht das hier diskutierte Selbstbildnis und bringt es in Zusammenhang mit dem Gemälde Tod des Masaccio von Auguste Couder18 und äußert die Ansicht, Couder hätte bereits unbewusst geahnt, dass Masaccios Selbstbildnis bei der Kathedra Petri und nicht im Zinsgroschen zu suchen ist.19
Joannides (1993) drückt mit eingefügten Fragezeichen leichte Zweifel aus, bezeichnet den Vorschlag Salmis, in der hier diskutierten Figur ein Selbstbildnis Masaccios zu sehen, aber dennoch als den überzeugendsten Identifizierungsversuch für das Fresko. Er weist darauf hin, dass die Verortung am Rand und der Blick zum Betrachter im Verlauf des Jahrhunderts für Selbstbildnisse charakteristisch werden. Weiters fällt ihm auf, dass die Körpergröße des Mannes zum Namen „Masaccio“ passe, der so viel wie „großer Tom“ bedeute. Außerdem macht er auf die Lichtführung aufmerksam, die das Gesicht Masaccios vor dem dunklen Durchgang in der Wand, den er als „trompe l’oeil“ bezeichnet,20 hell erleuchtet. Insgesamt sei Masaccio daran gelegen gewesen, der Huldigung Petri durch die umstehenden Personen Ausdruck zu verleihen.
Joannides war bereits bekannt, dass nach der Reinigung der Fresken während der jüngsten Restaurierungsarbeiten ein Detail zum Vorschein kam, das er als persönliche Geste und daher passend zu einem Selbstbildnis erachtet: Ursprünglich streckte die hier diskutierte Figur ihren Arm aus und scheint Petrus berührt zu haben; Filippino dürfte im Zuge der Überarbeitung und Fertigstellung des Freskos dieses Detail übermalt haben.21
Baldini und Casazza (1994) stimmen dem Selbstbildnis in der hier diskutierten Figur ebenfalls zu und schreiben, er habe sich umgeben von Masolino, Leon Battista Alberti und Brunelleschi zu den Gläubigen rund um Petrus gestellt. Als in die jüngste Restaurierung Involvierte setzen sich Baldini und Casazza insbesondere mit den Änderungen auseinander, die – mutmaßlich von Filippino – in diesem Bereich des Freskos und am Selbstbildnis vorgenommen wurden. Ursprünglich befand sich am rechten Rand der Gruppe von Männern rechts des Throns Petri eine weitere Figur, die später übermalt wurde. Die Selbstbildnis-Figur hatte vor der Übermalung ihren Arm ausgestreckt, womit laut den Autoren auf den Fußkuss der Bronzestatue Petri in Rom angespielt werden sollte.22
Roettgen (1996) akzeptiert das Selbstbildnis Masaccios in der hier diskutierten Figur, das durch den Blick aus dem Bild erkennbar sei. Die Identifizierung der weiteren Figuren der Gruppe mit Künstlerkollegen Masaccios hält sie dagegen für eine „verführerische, aber leider unbeweisbare Vermutung“.23 In der Interpretation des Selbstbildnisses positioniert sie sich klar gegen Mellers Versuch, die Porträts im Bildfeld politisch zu argumentieren (siehe die Vorbemerkung zur Brancacci-Kapelle). Ihrer Ansicht nach war im Quattrocento mit der Einfügung eines (Selbst-)Bildnisses eine religiöse Aussage verbunden – Masaccio „verewigte […] auf diese Weise sein Andenken als Maler und Christ“.24
Borsi und Borsi (1998) stimmen der Identifizierung der stehenden Figuren am rechten Bildrand als Masolino, Masaccio, (vielleicht) Alberti und Brunelleschi zu und erwägen, dass Masaccio in dieser Gruppe auch seinen Bruder Lo Scheggia dargestellt habe.25 Obwohl die Autoren die Identifizierung Albertis offenbar für weniger sicher halten als die übrigen, bringen sie die Gruppe in Zusammenhang mit der Widmung von De pictura (siehe dazu auch die Ausführungen von Nagel weiter unten).26
Roesler-Friedenthal (1998) behandelt die Frage nach dem Selbstbildnis Masaccios bei der Kathedra Petri unter dem Abschnitt „Assistenzporträts“. Diese seien meist wie andere Porträts auch in eine historia eingebettet, für die Alberti die theoretische Grundlage lieferte.27 An der hier diskutierten Figur fällt der Autorin die Größe und die Position vor der dunklen Türöffnung auf und ihr scheint auch der Tausch von Giotto gegen Masaccio in Fünf Meister der Renaissance (siehe die Vorbemerkung zu Masaccio) einzuleuchten. Die Autorin entscheidet sich aber dennoch nicht klar für oder gegen die Annahme eines Selbstbildnisses bei der Kathedra Petri.28
Im Unterschied zur großen Mehrheit der Forscher*innen steht Ames-Lewis (2000) dem Vorschlag, in der hier diskutierten Figur ein Selbstbildnis Masaccios zu sehen, skeptisch gegenüber. Der Autor stellt die Figur in eine Reihe mit anderen vermuteten Selbstbildnissen,29 die seiner Ansicht nach besser als Fälle von „auto-mimesis“ betrachtet werden sollten – Fälle, in denen wohl eher Leonardo da Vincis Aussage, dass jeder Maler sich selbst ähnliche Figuren male, zum Tragen komme.30
Für Schmid (2002) spricht nichts dagegen, in der Gruppe am rechten Bildrand der Kathedra Petri ein Selbstbildnis Masaccios im Kreis von Masolino, Alberti und Brunelleschi zu sehen. Seiner Ansicht nach hat so „zum ersten Male eine Künstlergruppe in Assistenz Einzug in einen (toskanischen) Freskenzyklus gefunden“.31 Er ergänzt: „Spätestens mit Masaccio scheint sich das Selbstbildnis zu einem gängigen Bestandteil religiöser Malerei etabliert zu haben, denn fortan sind Selbstporträts zahlreich und ohne Schwierigkeiten nachzuweisen“.32 Den Vorschlag Mellers, gleich mehrere Selbstbildnisse Masaccios in der Brancacci-Kapelle zu identifizieren (siehe Schattenheilung und die Vorbemerkung zu Masaccio), lehnt Schmid jedoch ab.33
Horký erwähnt das Selbstbildnis Masaccios bei der Kathedra Petri im Zusammenhang mit dem von Alberti in De pictura geäußerten Wunsch, die Maler mögen sein Bildnis in ihre Werke einfügen. Zwar entstanden die Fresken Masaccios vor Albertis Malereitraktat, der Theoretiker könnte sich aber auf eine gängige Praxis bezogen haben. Als Argument gegen ein Bildnis Albertis wertet Horký den Umstand, dass Alberti erst um 1430, also ebenfalls nach Entstehen der Fresken in der Brancacci-Kapelle, nach Florenz kam (siehe dazu auch die Überlegungen von Nagel unten).34
In ihrer Dissertation Defining Artistic Identity in the Florentine Renaissance: Vasari, Embedded Self-Portraits, and the Patron's Role (2006) setzt sich Rejaie intensiv auch mit dem hier diskutierten Selbstbildnis Masaccios auseinander. Sie steigt in die Diskussion um die Figur ein, indem sie die seit Salmis Erstidentifizierung bekannten Argumente für das Selbstbildnis auflistet und die aus ihrer Sicht wichtigsten hervorhebt: In Auferweckung des Theophilus-Sohnes und Petrus in Cathedra befinden sich die meisten Bildnisse zeitgenössischer Florentiner, und da ein Selbstbildnis ihrer Meinung nach am wahrscheinlichsten im Kontext anderer integrierter Porträts vorkommen darf, erscheint ihr dieses Bildfeld prädestiniert. Wie ebenfalls bereits Salmi feststellte, zeichne die konkrete Figur ein intensiver Blick aus, der von der Selbstbetrachtung im Spiegel herrühren dürfte. Überdies könnte Filippino mit seinem Selbstbildnis auf der gegenüberliegenden Wand auf jenes seines Vorgängers reagiert haben.
Die in der Forschung häufig vorgebrachten Interpretationen des Selbstbildnisses als Signatur oder als Herausstellung der eigenen Fähigkeiten akzeptiert Rejaie, sie hält jedoch fest, dass diese Ansätze weder die Rolle des Auftraggebers noch die Rezeption der zeitgenössischen BetrachterInnen hinreichend berücksichtigen. Der Auftraggeber, so die Autorin, musste das Selbstbildnis jedenfalls billigen. Ob das Renommée Masaccios, der damals eher einer unter vielen Malern war, ausreichte, um ihm das Privileg eines Selbstbildnisses einzuräumen, bezweifelt Rejaie.
Rejaie versucht nun, die Legitimation und Bedeutung der integrierten Bildnisse zeitgenössischer Florentiner zu bestimmen, wozu sie auf die nicht erhaltene Sagra zurückgreift, in der Masaccio, wie seit Vasari angenommen, zahlreiche prominente Bürger porträtierte. Während diese zeitgenössischen Porträts in der Sagra als Zeugen eines historischen Ereignisses – der Weihe der Kirche Santa Maria del Carmine, der sie tatsächlich beiwohnten – auftreten, bezeugen sie in den Fresken der Brancacci-Kapelle das Leben und die Wunder Petri. Durch ihre Anwesenheit werden die Geschehnisse ebenso wie etwa durch die zeitgenössische Architektur aktualisiert und in die Gegenwart geholt.
Wie bereits andere vor ihr spekuliert Rejaie über die Verbindungen Masaccios zu Albertis Schriften und speziell zu seinem Wunsch, die ihn lesenden Maler mögen sein Bildnis in ihre Bilder einfügen, wenn sie seine Ausführungen hilfreich fanden. Alberti schrieb zwar erst nach der Entstehung der Fresken in der Brancacci-Kapelle, Rejaie stellt aber in den Raum, dass Alberti bei seinen Passagen zu integrierten Bildnissen nicht nur neue Gedanken formulierte, sondern möglicherweise Motive festhielt, die auch schon für Masaccio ausschlaggebend waren. So könnte Masaccio sein Selbstbildnis eingebracht haben, um später als „true and helpful practitioner of the art of painting“35 anerkannt zu werden.
Schließlich beschäftigt sich die Autorin noch eingehend mit der mutmaßlich von Filippino übermalten Hand der Selbstbildnisfigur, die ursprünglich zu Petrus hin ausgestreckt war, um diesen zu berühren. Sie bringt diese Geste in Zusammenhang mit Quintilians Institutio Oratorio, wo der Autor im dritten Kapitel des 11. Buches empfiehlt, der Redner solle auf den Gegenstand zeigen, über den er gerade spricht. So könnte Masaccio mit seiner Geste auf Petrus als Mittelpunkt der Episode gewiesen und gleichzeitig die Aufmerksamkeit auf die Karmelitermönche gelenkt haben, die mit ihrer Anwesenheit bei Petrus in Antiochia die alte Herkunft ihres Ordens untermauern wollten. Darüber hinaus könnte die Geste laut Rejaie den Wunsch, sich mit dem Göttlichen zu verbinden, verkörpern und damit auch eine Anleitung bzw. ein Vorbild für die Betrachter*innen liefern.36
Einen Schwerpunkt des 2009 erschienenen Buches von Nagel mit dem Titel Gemälde und Drama. Giotto, Masaccio, Leonardo bildet die Frage nach dem Verhältnis zwischen Masaccio und Leon Battista Alberti, die sich für den Autor u. a. am gemeinsamen Porträt der beiden in der Brancacci-Kapelle bei der Kathedra Petri entzündet. Nagel geht zwar davon aus, dass in den Fresken der ersten Ausmalperiode zahlreiche Zeitgenossen porträtiert wurden, er hält Identifizierungsversuche aber für ebenso schwierig wie sinnlos.37 Lediglich für die Vierer- bzw. Fünfergruppe am rechten Rand des unvollendeten Bildfeldes Auferweckung des Theophilus-Sohnes und Petrus in Cathedra sei eine eingehende Beschäftigung lohnend – befinde sie sich doch einerseits an einer Stelle, wo üblicherweise Stifterbildnisse zu finden sind und ist doch andererseits mindestens einer der Männer einwandfrei identifizierbar: Über den Vergleich etwa mit seiner Selbstbildnis-Medaille hält Nagel für erwiesen, dass die Profilfigur, die das hier diskutierte Selbstbildnis überschneidet, Alberti (1406–1472) darstellt. Die linke, kleinste Figur der Gruppe könnte Nagel zufolge nicht wie häufig angenommen Masolino, sondern Donatello darstellen; der Identifizierung der Figur rechts von Alberti als Brunelleschi stimmt Nagel zu. Die rechte Randfigur, die bei den Restaurierungsarbeiten wiederentdeckt wurde, ist nicht zu identifizieren, da ihr Gesicht nie zu sehen gewesen sein dürfte.
Dass es sich bei der überschnittenen Figur um ein Selbstbildnis Masaccios handelt, präsentiert Nagel als gegeben und schreibt, dieses sei durch einen „unheimlich nahen, suggestiven Selbstbildnis-Blick“38 gekennzeichnet. Nach einer Analyse der Blicke im Zinsgroschen, die dort laut Nagel die weitgehend unerkannten Träger der Dramatik sind, formuliert er noch ausführlicher: „Masaccio hat dem Ikonenblick mit unübertrefflicher Klarheit abgesagt, Gottes Ich-Auge wird vom Ich-Auge des Malers ersetzt. Der einzige Blick zum Betrachter in Masaccios gesamten Brancacci-Werk (außer dem situativen Petrus-Blick in der ‚Schattenheilung‘ […]) ist sein eigener: im Selbstporträt, in dem er sich am Bischofsstuhl Petri den drei Modernisten Alberti, Brunelleschi, Donatello zugesellt“.39
Nagel setzt sich mit der Biografie dieser Männer auseinander und stellt Überlegungen zu ihrem Verhältnis zueinander und zum Werk Masaccios an. Er schreibt, Masaccio inszeniere die Künstlergruppe im Bildfeld als „die wahren, geistigen Stifter seiner Fresken.“40 Mit seiner ausgestreckten, das Gewand Petri berührenden41 Hand habe Masaccio dem Apostel gehuldigt, die Geste dürfte aber später als „vermessene[r] Künstlerhochmut: ‚Dies ist mein, unser Werk!‘“42 gelesen worden sein, worin auch der Grund für die Übermalung lag.
Insbesondere die Bedeutung von Alberti, den der Maler im Bild noch vor sich selbst und Brunelleschi platziert, streicht Nagel hervor. Üblicherweise wird in der Forschung davon ausgegangen, dass Alberti und Masaccio einander nie begegneten, da Alberti, dessen Familie aus Florenz verbannt worden war, erst nach dem Tod Masaccios (ca. 1428) in die Stadt kam. Nagel spekuliert jedoch, Alberti hätte bereits unmittelbar nach Aufhebung des Banns im November 1428 nach Florenz kommen können und Masaccio sei möglicherweise erst 1429 gestorben.43 Masaccio sei nun von der wissenschaftlichen Herangehensweise Albertis an die Kunst begeistert gewesen und möglicherweise hätten die beiden bei der Konzeption der Fresken richtiggehend zusammengearbeitet. Vor diesem Hintergrund sei es verständlich, dass der Maler dem Theoretiker als eine Art Stifterfigur in seinem Fresko ein Denkmal setzte.44 Umgekehrt widmete Alberti De pictura in der Ausgabe von 1436 Brunelleschi, Donatello, Ghiberti, Luca della Robbia und Masaccio. Masaccio ist hierbei, wie Nagel vermerkt, der einzige Maler und der Einzige, der bereits verstorben war. Überdies gibt es eine Schnittmenge zu den Nagel zufolge bei der Kathedra Petri Porträtierten.45
Rossi (2012) hebt den Neuheitswert der Einfügung eines Selbstbildnisses inmitten gleichgesinnter Künstler hervor. Durch dieses Gruppenporträt werde die bildende Kunst als intellektuelle Unternehmung beschrieben.46
Eckstein (2014) präsentiert das Selbstbildnis Masaccios als gegeben und schreibt, der Blick unter der gehobenen Augenbraue ziehe die Aufmerksamkeit der BetrachterInnen auf sich. Er vergleicht Masaccios Einbringung seiner selbst in das Bildgeschehen mit der Position, die ein Ich-Erzähler in einem Text einnimmt – konkret bezieht er sich auf Fra Pietro del Castagno, der in der Vita des hl. Andrea Corsini in die Ich-Perspektive wechselt, um die Wunder des Heiligen zu bezeugen.47
Verweise
Salmi 1929, 102.↩︎
Salmi [1950], 7.↩︎
Anonym, Fünf Meister der Florentiner Renaissance: Giotto, Uccello, Donatello, Manetti, Brunelleschi, erste Hälfte 16. Jh., Paris, Louvre, INV 267 (eingesehen am 29.08.2022).↩︎
Lányi 1944, 88.↩︎
Ebd., 91f, 95.↩︎
Steinbart 1948, 65.↩︎
Ebd., 65f.↩︎
Meller 1961, 281f, 294.↩︎
Ebd., 304–307.↩︎
Ebd., 298–300.↩︎
Diese Beobachtung ist nicht ganz richtig. Beispielsweise blickt auch eine Figur in Verteilung der Güter und Tod des Hananias – allerdings frontal – zum Betrachter.↩︎
Neumeyer 1964, 46f.↩︎
Prinz 1966, 75.↩︎
Vayer 1975, 6.↩︎
Sleptzoff 1978, 128.↩︎
Ebd.↩︎
Stubblebine 1978, 390.↩︎
Auguste Couder: Tod des Masaccio, um 1817, Öl auf Leinwand, 45 x 38 cm, St. Petersburg, Eremitage (Abbildung, eingesehen am 02.12.2022).↩︎
Berti 1988, 12; siehe in diesem Band auch die Anmerkungen zum Selbstbildnis von Foggi (S. 179), die jedoch keine neuen Gedanken einbringt.↩︎
Joannides 1993, 316.↩︎
Ebd., 336.↩︎
Baldini/Casazza 1994, 193f, 197f.↩︎
Roettgen 1996, 94.↩︎
Ebd.↩︎
Borsi/Borsi 1998, 12. Es geht nicht eindeutig hervor, in welcher Figur die Autoren Lo Scheggia vermuten. Da ihnen auch die Identifizierung Albertis als nicht völlig gesichert gilt, könnte Lo Scheggia hier ein Alternativvorschlag sein. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sie sich auf die übermalte und bei der jüngsten Restaurierung wiederentdeckte fünfte Figur der Gruppe beziehen.↩︎
Ebd., 12, 170.↩︎
Roesler-Friedenthal 1998, 189f.↩︎
Ebd., 191 inkl. Anm. 41.↩︎
Ames-Lewis erwähnt das in einem Karmelitermönch vermutete Selbstbildnis Fra Filippo Lippis im Barbardori-Altar und die durch die Durchreiche sichtbar werdenden Figur im Letzten Abendmahl von Dieric Bouts.↩︎
Ames-Lewis 2000, 211.↩︎
Schmid 2002, 116.↩︎
Ebd.↩︎
Ebd.↩︎
Horký 2003, 65f mit Anm. 332.↩︎
Rejaie 2006, 119.↩︎
Ebd., 95–105, 114–121, insbes. 118–121, 227. Zu möglichen Bezugnahmen auf dieses Selbstbildnis Masaccios durch Filippino Lippi im gegenüberliegenden Bildfeld siehe den Katalogeintrag zu Petrus und Paulus vor Nero im Disput mit Simon Magus und Kreuzigung Petri.↩︎
Nagel 2009, 262f.↩︎
Ebd., 263.↩︎
Ebd., 211f.↩︎
Ebd., 263.↩︎
Nagel schreibt, Masaccios Hand habe vor der Übermalung das Gewand Petri berührt (Nagel 2009, 263). Aus der die Restaurierung abschließenden Publikation geht jedoch nicht eindeutig hervor, ob Masaccio Petrus tatsächlich berührte oder die Hand nur zu Petrus ausgestreckt war (Baldini/Casazza 1994, 197).↩︎
Nagel 2009, 263.↩︎
Ebd., 264f.↩︎
Ebd., 108, 274.↩︎
Ebd., 105, 108, 109–112, 262–266, 274.↩︎
Rossi 2012, 81f.↩︎
Eckstein 2014, 104, 193. Del Castagno 2007 zitiert nach Eckstein 2014, 193.↩︎
Der große und der kleine Thomas (Teil 2)
Von den verschiedenen Vorschlägen für Selbstbildnisse Masaccios in den Fresken der Brancacci-Kapelle dürfte – so auch der Tenor der Forschungsmeinungen – jenes beim Bischofsstuhl Petri das plausibelste sein. Im Vergleich mit den anderen lässt sich zunächst festhalten, dass es gegen das hier diskutierte keine substantiellen Einwände gibt. Die Argumente für das Selbstbildnis wurden im Forschungsstand zur Genüge ausgeführt, besonders einleuchtend scheinen etwa die Körpergröße (Masaccio bedeutet „Big Tom“1 und die Selbstbildnisfigur ist die größte der Gruppe) oder der Blick aus dem Bild. Dieser Blick fängt den der BetrachterInnen, wirkt aber gleichzeitig fokussiert und verinnerlicht, was daran liegen mag, dass die Figur leicht zu schielen scheint.
Da das Selbstbildnis in einer sehr dicht gedrängten Gruppe von Männern steht, ist auch deren Identifizierung relevant. Üblicherweise werden in den Männern von links nach rechts Masolino, Masaccio, Alberti und Brunelleschi gesehen. Die Argumentation soll hier nicht im Detail nachvollzogen werden, es sei nur kurz auf die Alberti darstellende Bildnismedaille2 verwiesen, die beispielsweise bei Nagel zur Identifizierung durch einen Vergleich der Physiognomien herangezogen wird.3 Unabhängig davon, ob man in der kleineren Figur links nun Masolino oder mit Nagel eher Donatello sieht,4 scheint sich Masaccio im Kreise von Künstlerkollegen dargestellt zu haben. Damit ist er in doppelter Hinsicht in bester Gesellschaft, haben ihm dies doch auch spätere Maler gleichgetan: etwa Ghirlandaio, der sich mit seiner Werkstatt porträtiert oder Signorelli, der sich möglicherweise neben seinen verstorbenen Vorgänger Fra Angelico stellte.
Auch in Bezug auf Filippino Lippis Selbstbildnisse in der Brancacci-Kapelle, die er in das Bildfeld mit Disput und Kreuzigung Petri eingefügt, gibt es die Vermutung, dass sich der Maler teils gemeinsam mit anderen Künstlern darstellt. Die beiden vorgeschlagenen Selbstbildnisse von Masaccios Nachfolger Filippino befinden sich im selben, untersten Register der Freskenausstattung im Bildfeld gegenüber von der Szene mit der Auferweckung des Theophilus-Sohnes und Petrus in Cathedra. Immer wieder wird argumentiert, Filippino habe Masaccios Selbstbildnis erkannt und sein eigenes bzw. seine zwei eigenen an ähnlichen Stellen eingebracht – eine Argumentation, die beide Selbstbildnisse plausibler machen könnte. Interessant ist hier eine genauere Betrachtung und Analyse dieser drei vermuteten Selbstbildnisse, die im Katalogeintrag zu Filippinos Selbstbildnissen in der Kapelle angestellt wird.
Rätselhaft bleiben die beiden Details, die bei den Restaurierungsarbeiten in den 1980er Jahren wiederentdeckt wurden: Masaccios Arm sowie die fünfte, äußerst rechte Person der Gruppe. Von dieser fünften Person der Gruppe konnte nur ein schmaler Streifen einer Silhouette wiedergewonnen werden, sie dürfte aber auch nie viel mehr als ein schwaches Echo des vermuteten Brunelleschis, dem sie wie ein Schatten folgt, gewesen sein. Hier drängt sich der Verdacht auf, dass es sich eher um eine Art Pentimento handeln könnte: Vielleicht hatte Masaccio Brunelleschis Figur ursprünglich etwas kleiner und etwas weiter rechts konzipiert. Dieser Verdacht müsste aber durch eingehendes Studium der Restaurierungsberichte5 abgesichert werden. Jedenfalls fallen in der Brancacci-Kapelle keine vergleichbaren Schattenfiguren auf, denn obwohl viele Gesichter stark beschnitten sind, bleibt immer zumindest ein Auge oder der Mund sichtbar.
In Bezug auf Masaccios Arm ist die These nachvollziehbar, dass es den nachfolgenden Generationen befremdlich erschien, dass der Künstler den Apostel berührt, während Geistliche den Respektabstand und das Decorum wahren – warum Masaccio dies ursprünglich wagte oder durfte, ist eine offene Frage. Zu Rejaies Interpretationsversuch der Gebärde – sie stellt einen Zusammenhang zu Quintilians Empfehlung in den Raum, der Redner solle mit den Händen den Gegenstand seiner Rede anzeigen (s. o.) – ist hinzuzufügen, dass Quintilian auch ablehnt, die Richtung des Kopfes und der Gebärden divergieren zu lassen:
„Sodann soll er [der Kopf] aus dem Vortrag selbst seine passenden Bewegungen erhalten, so daß er in Einklang steht mit dem Gebärdenspiel und den Händen und Seitenwendungen sich anbequemt; […] die Blickrichtung wendet sich nämlich immer dahin, wohin auch die Gebärde weist – ausgenommen da, wo man etwas verurteilen, zugestehen oder zurückweisen muß, sodaß es so ist, als wendeten wir unser Antlitz davon ab und wiesen es gleichzeitig mit der Hand von uns z. B. ‚Ihr Götter, wendet ein solches Unheil ab!‘ oder ‚Nicht freilich würdig fühlt’ ich mich solcher Ehre‘.“6
Also hätte Masaccio zwar eine der Regeln Quintilians beachtet, eine andere aber missachtet – womit keine unmittelbare Bezugnahme Masaccios auf den antiken Autor gegeben sein dürfte.
Abschließend soll nochmals festgehalten werden, dass kein gewichtiges Argument gegen ein Selbstbildnis Masaccios in der hier diskutierten Figur vorgebracht wurde. Dennoch muss dies im Umkehrschluss nicht bedeuten, dass Masaccio sich hier wirklich selbst porträtiert hat. Mindestens ebenso plausibel ist die Annahme, dass der Maler hier einen anderen Zeitgenossen porträtierte, oder dass es sich um eine anonyme Figur handelt, welche die Aufmerksamkeit der BetrachterInnen auf sich ziehen und lenken sollte.
Verweise
Spike 1996, 128.↩︎
Leon Battista Alberti: Selbstbildnis, um 1435, Bronze, 20,1 x 13,55 cm (unregelmäßiges Oval), National Gallery of Art, Washington D. C. (Abbildung, eingesehen am 23.08.2022).↩︎
Nagel 2009, 105, 108.↩︎
Ebd., 311 (Anm. 21).↩︎
O. Hg. 1992.↩︎
Quintilianus (hg. von Rahn 1975), 635–637; die in der Edition gesetzten Anmerkungen wurden ausgelassen.↩︎
Literatur
Zitiervorschlag:
Gstir, Verena: Auferweckung des Theophilus-Sohnes und Petrus in Cathedra (Katalogeintrag), in: Metapictor, http://explore-research.uibk.ac.at/arts/metapictor/katalogeintrag/masaccio-auferweckung-des-theophilus-sohnes-und-petrus-in-cathedra-um-1423-bis-1428-florenz-santa-maria-del-carmine/ (05.12.2025).