Die Anbetung der Könige (Pisaner Altar)

Masaccio

1426

Deutschland; Berlin; Staatliche Museen zu Berlin

Objekt

Bildrechte
Detailtitel:Anbetung der Könige (Teil von: Pisaner Altar)
Alternativtitel Deutsch:Die Anbetung der Könige (Altarpredella)
Titel in Originalsprache:Adorazione dei Magi
Titel in Englisch:Adoration of the Magi (Pisa Altarpiece)
Datierung: 1426
Ursprungsregion:italienischer Raum
Lokalisierung:Deutschland; Berlin; Staatliche Museen zu Berlin
Lokalisierung (Detail):Gemäldegalerie; Ident. Nr. 58A (ursprünglich Teil eines Polyptychons für Santa Maria del Carmine, Pisa, bestehend aus mehreren Tafeln, deren genaue Anordnung umstritten ist; die Anbetung der Könige war Teil der Predella und befand sich vermutlich unterhalb der Mitteltafel (Madonna mit Kind und Engeln, National Gallery, London))
Medium:Altarbild
Material:Tempera; Gold
Bildträger:Holz (Pappel)
Maße: Höhe: 22,3 cm; Breite: 61,7 cm
Maße Anmerkungen:Maße ohne Rahmen
Ikonografische Bezeichnung:Drei Könige (Anbetung und Zyklus der Magier): Anbetung der Magier oder Könige
Iconclass:73B57 – adoration of the kings: the Wise Men present their gifts to the Christ-child (gold, frankincense and myrrh)
Signatur Wortlaut:ohne
Datierung Wortlaut:ohne
Auftraggeber/Stifter:Giuliano di Colino degli Scarsi (um 1370–1454, Notar)
Provenienz:ursprünglich Teil eines Altarbildes für die Grabkapelle der Familie des Stifters in Santa Maria del Carmine, Pisa; die Grabkapelle wurde zwischen 1414 und 1429 ausgestattet; Ende des 16. Jh. wurde die Kirche umgestaltet, das Polyptychon wurde auseinandergenommen und die Tafeln befinden sich heute in verschiedenen Museen; an ihren aktuellen Ort gelangte die Tafel mit der Anbetung der Könige 1880/81 durch einen Ankauf vom Florentiner Kunsthändler Stefano Bardini
Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt:öffentlich

Zum ursprünglichen Bildzusammenhang,1 zum Stifter,2 zur Provenienz: dabei zur Grabkapelle,3 zur Verteilung auf verschiedene Museen4 und zum Ankauf.5

Verweise

  1. Vgl. etwa Gordon 2002, 127–130; Spike 1996, 159.↩︎

  2. Vgl. etwa Gordon 2002, 126 mit bibliografischen Angaben zu den entsprechenden Dokumenten. Zu den Lebensdaten siehe etwa Vasari/Lorini/Posselt 2011, 87–88 (Anm. 31). mit bibliografischen Angaben.↩︎

  3. Vgl. etwa Gordon 2002, 126 mit bibliografischen Angaben zu den entsprechenden Dokumenten.↩︎

  4. Posselt in Vasari/Lorini/Posselt 2011, 87–88 (FN 31–33).↩︎

Bildnis 1

Bildrechte
Lokalisierung im Objekt:dritte Figur von rechts, hinter den Pferden
Ausführung Körper:Kopfbild
Ausführung Kopf:Dreiviertelporträt
Ikonografischer Kontext:im Gefolge der Heiligen Drei Könige
Blick/Mimik:direkter Blick aus dem Bild
Gesten:Hände nicht sichtbar
Körperhaltung:aufrecht; nur der Kopf und die Füße mit einem kleinen Teil der Beine sind sichtbar; Kopf etwas in den Nacken gelegt
Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal:die Figur befindet sich im rechten Bilddrittel bei den Pferden der Könige; der Kopf der Figur wird zwischen zwei Pferdeköpfen sichtbar; die Figur scheint sich zu strecken, um aus dem Bild zum Betrachter blicken zu können
Zugeordnete Bildprotagonisten:zwei Männer rechts, die mit den Pferden beschäftigt sind, davon der Mann im Profil vorgeschlagen als lo Scheggia (Bruder von Masaccio); zwei ganzfigurig im Profil dargestellte Männer mit Kopfbedeckung direkt hinter den Königen vorgeschlagen als Florentiner Bürger bzw. als Ser Giuliano (Stifter) und dessen verstorbener Neffe Marco oder Sohn Niccolino

Zur Identifizierung weiterer Figuren vgl.: zu lo Scheggia,1 zu Florentiner Bürgern bzw. zu Ser Giuliano und seinNeffe Marco2 oder Sohn Niccolino.3

Verweise

  1. Volponi/Berti 1968, 84.↩︎

  2. Siehe Diskussion etwa bei Beck 1978, 34; Duwe 1992, 118f; Joannides 1993, 394 und insbes. Rowlands 2003, 52, 69–71. Beck zufolge war der Neffe Marco Notar und starb 1421; Rowlands setzt sich ausführlicher mit den historischen Personen und ihrer Stifterrolle auseinander.↩︎

  3. Siehe etwa Steinbart 1948, 35f.↩︎

Forschungsergebnis: Masaccio

Künstler des Bildnisses:Masaccio
Status:kontrovers diskutiert
Andere Identifikationsvorschläge:Stallbursche; Porträt des jüngeren Bruders Masaccios
Typ Autor/in Jahr Referenz Seite Anmerkungen
Erstzuschreibung Berti in Volponi/Berti 1968 Volponi, Berti 1968 – L'opera completa di Masaccio 91 -
Bejahend Stubblebine 1978 Stubblebine 1978 – The Face in the Crowd 391 -
Skeptisch/verneinend Joannides 1993 Joannides 1993 – Masaccio and Masolino 170
Details
(lehnt indirekt ab, da er die Figur konkret, aber lediglich als Stallbursche, erwähnt)
Bejahend Prinz 2000 Prinz (Hg.) 2000 – Die Storia oder die Kunst 596 -

Das Bildnis wird teilweise als Stallbursche bezeichnet1 bzw. auch als Porträt des jüngeren Bruders von Masaccio vorgeschlagen.2

Berti (1968) schreibt, es könnte sich nach der Meinung einiger Forscher bei dem Reitknecht, der zwischen den Köpfen der Pferde auftaucht, um ein Selbstbildnis Masaccios oder um ein Bildnis seines jüngeren Bruders handeln. Möglicherweise ist Bertelli auch der erste, der ein Selbstbildnis Masaccios vorschlägt und verweist nur bezüglich der Identifizierung als Bruder auf andere Forscher. Die Formulierung im Wortlaut: „Nello staffiere che si affaccia tra i musi dei due cavalli è forse da riconoscere un autoritratto, alquanto soggettivizzato, o un ritratto del fratello minore dello stesso Masaccio, secondo l'ipotesi di qualche studioso.“3

Stubblebine (1978) schlägt in seinem Aufsatz „The Face in the Crowd“ eine Reihe von integrierten Selbstbildnissen im frühen 14. Jahrhundert im Raum Siena vor – so etwa in der Figur unmittelbar hinter Jesus in einer Tafel der Rückseite der Maestà von Duccio di Buoninsegna.4 Dort versucht dem Autor zufolge eine Figur, die im Unterschied zu ihren Nachbarn nicht militärisch, sondern in ein rotes Gewand gekleidet ist, über Jesu Schulter zum Betrachter zu blicken. Stubblebine vergleicht die Figur mit der hier diskutierten Figur in der Anbetung, die er für ein Selbstbildnis Masaccios hält. Die geistreiche Weise, in der beide Figuren versuchen, über ein Hindernis hinweg einen Blick auf den Betrachter zu erhaschen, zeuge von einem hohen Grad an Reflektiertheit der Maler.5

Lediglich indirekt lehnt Joannides (1993) das Selbstbildnis ab: Er beschreibt die hier diskutierte Figur als einen mit schräg gelegtem Kopf zum Betrachter schielenden Stallknecht. Von einem möglichen Bildnis schreibt Joannides nichts, er hält die Einfügung dieser Figur für ein Zugeständnis an das Anekdotische.6

Prinz (2000) behandelt in seiner Studie Die Storia oder die Kunst des Erzählens in der italienischen Malerei und Plastik des späten Mittelalters und der Frührenaissance 1260–1460 den Pisaner Altar im Kapitel „Bewegung und Zeitablauf“. Masaccio habe in den etwas intimeren Tafeln der Predella die Möglichkeit genutzt, Bewegung darzustellen bzw. diese in einem entscheidenden Moment einzufrieren.7 Dieses „Momenthafte“8 sieht Prinz etwa auch bei der hier diskutierten Figur, bei der es sich um „das Selbstbildnis des Meisters, das merkwürdigerweise bisher nicht erkannt worden ist“9 handle. Prinz erkennt im Abgleich der Physiognomie mit dem Selbstbildnis Masaccios bei der Kathedra Petri in der Brancacci-Kapelle ausreichend Ähnlichkeiten und schreibt, der Maler mache in der Anbetung der Könige durch sein jähes Erscheinen hinter den Pferdeköpfen den Betrachter auf sich aufmerksam.10

Verweise

  1. Etwa von ebd.↩︎

  2. Volponi/Berti 1968, 91. Laut Berti äußern diese Ansicht einige Forscher, deren Namen er aber nicht nennt.↩︎

  3. Bert in ebd.↩︎

  4. Christus vor Pilates, 1308–11, Tempera auf Holz, 50 x 57 cm, Museo dell’Opera del Duomo, Siena.↩︎

  5. Stubblebine 1978, 391. Der Autor sieht in der Figur bei Pilatus ein Selbstbildnis Simone Martinis. Den mir zur Verfügung stehenden Abbildungen der Tafel nach zu urteilen blickt die Figur aber nicht wie Stubblebine meint aus dem Bild, sondern nach rechts zu Jesus bzw. Pilatus.↩︎

  6. Joannides 1993, 170.↩︎

  7. Prinz 2000, 594f.↩︎

  8. Ebd., 596.↩︎

  9. Ebd.↩︎

  10. Ebd.↩︎

Das Gesicht in der Herde

In Masaccios ausgeprägt querformatiger Anbetung der Könige sind die linke und die rechte Bildhälfte deutlich unterschiedlich charakterisiert: Links befinden sich bei der Heiligen Familie nur wenige Figuren, die Stimmung ist würdig und ehrfurchtsvoll, rechts ist das geschäftige Treiben der Knechte der Heiligen Drei Könige festgehalten, die die Pferde versorgen, während ihre Herren das Jesuskind anbeten.1 Die naturalistische Darstellung der Pferde und die zeitgenössische Gewandung der Gefolgsleute der Könige hebt bereits Vasari hervor.2 Einer dieser Knechte zieht die Aufmerksamkeit der BetrachterInnen besonders auf sich, da er sich hinter zwei Pferden bzw. zwischen einem weißen und einem schwarzen Pferdekopf richtiggehend streckt, um einen Blick nach vorne zu erhaschen. Es handelt sich hierbei um die einzige Figur in dieser Tafel, die aus dem Bild blickt.

Wer zuerst ein Selbstbildnis Masaccios in dieser Figur sah, konnte bislang nicht klar ermittelt werden. Wie im Forschungsstand erläutert (siehe oben), dürfte sich Berti (1968) auf eine frühere Identifizierung beziehen. Was auffällt, ist, dass der Vorschlag in der Forschung kaum Widerhall fand, obwohl die Tafel häufig besprochen wird.3 Es scheint, als würden sowohl Stubblebine (1979) als auch Prinz (2000) davon ausgehen, dass sie die ersten sind, die in der Figur ein Selbstbildnis vermuten (siehe Forschungsstand). Für beide ist der intensiv angestrebte Blick aus dem Bild ein Hauptkriterium. Prinz meint zudem, das Gesicht sei mit Masaccios in der Forschung weitgehend akzeptiertem Selbstbildnis bei der Kathedra Petri in der Brancacci-Kapelle in Einklang zu bringen. Dieser Vergleich gestaltet sich jedoch aus mehrerlei Gründen äußerst schwierig, denn in der Anbetung der Könige sehen wir einen in den Nacken gelegten Kopf im Dreiviertelporträt nach rechts, in der Brancacci-Kapelle einen gesenkten Kopf mit Dreiviertelporträt nach links; wir haben es mit Tafelmalerei im einen und Wandmalerei im anderen Fall zu tun und auch die Größe der Köpfe ist äußerst unterschiedlich (die Höhe des Bildfeldes in der Brancacci-Kapelle ist mit 232 cm gut zehnmal so groß wie die Höhe der Predellentafel). Gut vergleichbar ist lediglich die Haarfarbe, wobei das Ergebnis gegen ein Selbstbildnis in beiden Fällen spricht: Die Figur in der Brancacci-Kapelle ist dunkelhaarig, die Figur im Pisaner Altar hat helle Haare. Um die Identifizierung der Figur bei der Kathedra Petri als Masaccio zu bekräftigen, wurde auch wiederholt mit der angenommenen Körpergröße des Malers argumentiert. Da Masaccio so viel wie „großer Tom“ heißt, sei der Maler vermutlich verhältnismäßig hochgewachsen gewesen und überrage dementsprechend auch die anderen Männer beim Thron des Petrus.4 In der Anbetung der Könige lässt sich die Körpergröße schwerer abschätzen, da die Figur in einer weiter hinten liegenden Bildebene zwischen Pferden und nicht wie bei der Kathedra Petri zwischen weiteren Porträtfiguren steht. Vergleicht man aber die Größe in Relation zu den Pferden, so dürfte die hier diskutierte Figur kleiner sein als etwa der im Profil dargestellte Knecht mit Gerte rechts vorne.

Ivan Nagel stellte die These auf, Masaccio könnte Leon Battista Alberti vor der Fertigstellung der Fresken in der Brancacci-Kapelle 1428 begegnet sein, sodass sich die Empfehlungen des Kunsttheoretikers in den Malereien Masaccios niederschlugen.5 Alberti riet auch, Figuren zur Betrachteransprache aus dem Bild schauen zu lassen. Allerdings handelt es sich beim Pisaner Altar um das einzige dokumentarisch greifbare Werk Masaccios, die Bezahlungen erfolgten sämtlich 1426.6 In diesem Fall wäre die Einflussnahme also höchstens umgekehrt von der Theorie auf die Praxis anzunehmen, was aber selbstverständlich nicht an der hier diskutierten Figur festgemacht werden kann –, dürfte Alberti hier doch mehr eine gängige Praxis niedergeschrieben als etwas radikal Neues gefordert haben.

Verweise

  1. Vgl. dazu etwa auch die Beschreibung bei Duwe 1992, 119.↩︎

  2. Vasari/Lorini/Posselt 2011, 31.↩︎

  3. Eine Ausnahme stellt etwa Foggi in Berti 1988, 148 dar, die neutral darauf verweist, dass die Figur sowohl als Selbstbildnis Masaccios als auch als Bildnis seines Bruders vorgeschlagen wurde.↩︎

  4. Joannides 1993, 336.↩︎

  5. Vgl. etwa Nagel 2009, 263–265 und den Katalogeintrag zu Auferweckung des Teophilus-Sohnes und Petrus in Cathedra. Nagel versucht dazu, den Tod Masaccios später und die Ankunft Albertis in Florenz früher als gemeinhin angenommen anzusetzen.↩︎

  6. Gordon 2002, 126; auch erwähnt etwa bei Hoffmann 2009.↩︎

Literatur

Beck, James: Masaccio. The Documents (Villa I Tatti, 4), Locust Valley, NY 1978.
Berti, Luciano: Masaccio, Florenz 1988.
Duwe, Gert: Die Anbetung der Heiligen Drei Könige in der italienischen Kunst des Trecento und Quattrocento, Frankfurt am Main u. a. 1992.
Gordon, Dillian: The Altarpieces of Masaccio, in: Ahl, Diane Cole (Hg.): The Cambridge Companion to Masaccio (Cambridge Companion to the History of Art), Cambridge 2002, 123–137.
Hoffmann, Sabine: Masaccio, in: Allgemeines Künstlerlexikon Online, 2009, https://www.degruyter.com/database/AKL/entry/_00185699/html (07.12.2021).
Joannides, Paul: Masaccio and Masolino. A Complete Catalogue, London 1993.
Nagel, Ivan: Gemälde und Drama. Giotto, Masaccio, Leonardo, Frankfurt am Main 2009.
Prinz, Wolfram (Hg.): Die Storia oder die Kunst des Erzählens in der italienischen Malerei und Plastik des späten Mittelalters und der Frührenaissance 1260–1460. Textband, Mainz 2000.
Rowlands, Eliot Wooldridge: Masaccio. Saint Andrew and the Pisa Altarpiece (Getty Museum studies on art), Los Angeles 2003.
Spike, John Thomas: Masaccio, New York, NY 1996.
Steinbart, Kurt: Masaccio, Wien 1948.
Stubblebine, James H.: The Face in the Crowd. Some Early Sienese Self-Portraits, in: Apollo 1978, H. 108, 388–393.
Vasari, Giorgio/Lorini, Victoria/Posselt, Christina (1568): Das Leben des Malers Masaccio aus San Giovanni di Valdarno. Vita di Masaccio da S. Giovanni di Valdarno. Pittore (1568), in: Posselt, Christina (Hg.): Das Leben des Masolino, des Masaccio, des Gentile da Fabriano und des Pisanello (Edition Giorgio Vasari, 33), Berlin 2011, 22–47, 81–100.
Volponi, Paolo/Berti, Luciano: L'opera completa di Masaccio (Classici dell'arte, 24), Mailand 1968.

Zitiervorschlag: