Johannes der Täufer (Donne-Altar)

Memling, Hans

um 1480

Vereinigtes Königreich; London; The National Gallery

Objekt

1 / 2
Bildrechte
Detailtitel:Johannes der Täufer (Linker Flügel von: Donne-Altar)
Alternativtitel Deutsch:Donne-Altar; Marienaltar des Sir John Donne of Kidwelly; Chatsworth-Altar; Triptychon des John Donne
Titel in Originalsprache:Donne Altaar; Johannes de Doper
Titel in Englisch:Donne-Altarpiece; John the Baptist
Datierung: um 1480
Anmerkungen zur Datierung:abweichende Datierungen von nach 1465 bis 1483
Ursprungsregion:altniederländischer Raum
Lokalisierung:Vereinigtes Königreich; London; The National Gallery
Lokalisierung (Detail):Inventarnummer: NG6275.1
Medium:Altarflügel; Triptychon; Tafelbild
Material:Öl
Bildträger:Holz (Eiche)
Maße: Höhe: 71 cm; Breite: 30,5 cm
Maße Anmerkungen:Mitteltafel: 71x 70,3 cm; Seitenflügel jeweils 71 x 30,5 cm
Ikonografische Bezeichnung:Johannes der Täufer (Baptista), der Vorläufer (Prodomos)
Iconclass:11H(JOHN THE BAPTIST)1 – John the Baptist; possible attributes: book, reed cross, baptismal cup, honeycomb, lamb, staff - specific aspects ~ male saint
Signatur Wortlaut:ohne
Datierung Wortlaut:ohne
Auftraggeber/Stifter:Sir John Donne of Kidwelly (Diplomat, Offizier, Ritter des Hauses von York) mit Elisabeth Hastings
Provenienz:vermutlich von den Erben John Donnes im 18. Jahrhundert in den Besitz des Earl of Burlington (Chiswick) gelangt, anschließend in jenen des Duke of Devonshire (Chatsworth, ab 1892); 1957 in den Bestand der National Gallery London übergegangen
Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt:unbekannt

Zu abweichenden Datierungen,1 zu abweichenden Maßangaben,2 zum Auftraggeber3 und zur Provenienz.4

Verweise

  1. Vgl. u. a. Campbell 1997, 76–80; De Vos 1994, 180–182.↩︎

  2. Abweichende Maßangaben (Mitteltafel 72,2 x 71,7 cm, Seitenflügel jeweils 72,2 x 31,1 cm) angegeben u. a. bei De Vos 1994, 183.↩︎

  3. Müller Hofstede 1998, 63.↩︎

  4. De Vos 1994, 183.↩︎

Bildnis 1

Bildrechte
Lokalisierung im Objekt:erste Figur von rechts
Ausführung Körper:Hüftbild stehend
Ausführung Kopf:Dreiviertelporträt
Ikonografischer Kontext:Figur im Hintergrund im Bildfeld Johannes des Täufers; Täufer als Namenspatron des Malers
Blick/Mimik:Blick Richtung rechts (Mitteltafel)
Gesten:linke Hand an Säule gelegt
Körperhaltung:aufrecht
Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal:hinter einer Säule halb verborgen, außerhalb des architektonischen Raumgefüges im Garten (Hintergrund); sowohl von der Säule als auch dem seitlichen Bildrand überschnitten (mehrfache Bildschwelle); besonders im Gesamtzusammenhang der Innentafeln des Altars an einer Schwelle zwischen Bildvordergrund (sakrale Szenen in einem Innenraum) und Landschaftshintergrund; in Ausnahmegröße; im Zusammenhang mit der parallel aufgefassten Komposition des rechten Seitenflügels ist der Pfau, der sich an gegengleich selber Position wie das diskutierte Selbstbildnis befindet, als Bezugspunkt zu nennen
Attribute:Beutel (?) an Band um die Taille
Kleidung:rote Kappe; einer Robe ähnelndes Oberkleid
Zugeordnete Bildprotagonisten:Hl. Johannes der Täufer

Forschungsergebnis: Memling, Hans

Künstler des Bildnisses:Memling, Hans
Status:kontrovers diskutiert
Andere Identifikationsvorschläge:ein Angestellter im Haushalt der Donne
Typ Autor/in Jahr Referenz Seite Anmerkungen
Erstzuschreibung Conway 1887 Conway 1887 – Early Flemish Artists and their 237 -
Bejahend Armstrong 1892 Armstrong 1892 – Exhibition of Pictures by Masters 11 -
Bejahend Kaemmerer 1899 Kaemmerer 1899 – Memling 32f -
Skeptisch/verneinend Weale 1901 Weale 1901 – Hans Memlinc 86f -
Skeptisch/verneinend Voll 1906 Voll 1906 – Die altniederländische Malerei von Jan 177 -
Skeptisch/verneinend Voll 1909 Voll 1909 – Memling o. S. [VII], 171 -
Bejahend Ring 1913 Ring 1913 – Beiträge zur Geschichte der niederländischen 103f -
Bejahend Friedländer 1916 Friedländer 1916 – Von Eyck bis Bruegel 55f -
Skeptisch/verneinend Voll 1923 Voll 1906 – Die altniederländische Malerei von Jan 177 -
Bejahend Benkard 1927 Benkard 1927 – Das Selbstbildnis vom 15 XIVf, 7 -
Bejahend Friedländer 1928 Friedländer 1928 – Memling und Gerard David 14 -
Bejahend Goldscheider 1936 Goldscheider 1936 – Fünfhundert Selbstportraits o. S. (Abb. 23) -
Bejahend Bazin 1939 Bazin 1939 – Memling o. S. (Abb. 1) -
Bejahend Friedländer 1939 Friedländer 1939 – The Memling Exhibition at Bruges 124 -
Skeptisch/verneinend Lambotte 1939 Lambotte 1939 – Hans Memling der Meister 20 -
Bejahend Baldass 1942 Baldass 1942 – Hans Memling o. S. (Abb. 10, 39) -
Bejahend Boon 1947 Boon 1947 – Het zelfportret in de Nederlandsche 11f -
Bejahend Hall 1963 Hall 1963 – Portretten van Nederlandse beeldende kunstenaars 204 -
Bejahend Winkler 1964 Winkler 1964 – Das Werk des Hugo van 2 -
Skeptisch/verneinend Corti/Faggin 1969 Corti, Faggin 1969 – L'opera completa di Memling 97 -
Skeptisch/verneinend Davies 1970 Davies 1970 – The National Gallery London 42, 49 -
Bejahend Friedländer 1971 Friedländer 1971 – Hans Memlinc and Gerard David 13 -
Skeptisch/verneinend McFarlane 1971 McFarlane 1971 – Hans Memling 11f -
Skeptisch/verneinend Faggin 1973 Faggin 1973 – Tout l'oeuvre peint de Memling 97 -
Bejahend King 1991 King 1991 – Representations of Artists 250 -
Bejahend De Vos 1994 De Vos 1994 – Hans Memling 183, 354 -
Skeptisch/verneinend Thiemann 1994 Thiemann 1994 – Hans Memling 68 -
Skeptisch/verneinend Devos 1994 De Vos 1994 – Hans Memlinc 474 -
Bejahend De Vos 1997 De Vos 1997 – Questions concernant Memling 4 -
Skeptisch/verneinend Lobelle-Caluwé 1997 Lobelle-Caluwé 1997 – Hans Memling 49 -
Bejahend Müller Hofstede 1998 Müller Hofstede 1998 – Der Künstler im Humilitas-Gestus 55f, 63f -
Bejahend Fünfhundert Selbstporträts 2000 o. Hg. (Hg.) 2000 – Fünfhundert Selbstporträts 39 -
Bejahend Calabrese 2006 Calabrese 2006 – Die Geschichte des Selbstporträts 62 -
Bejahend Legner 2009 Legner 2009 – Der Artifex 482 -
Bejahend Salomon 2009 Salomon 2009 – Geertgen tot Sint Jans 50–53 -
Skeptisch/verneinend Gigante 2010 Gigante 2010 – Autoportraits en marge 118f, 262 -
Bejahend Schaller 2021 Schaller 12/2021 – Hans Fries 18f, 70 (Anm. 231) -

„On the left wing, bearing a representation of John Baptist, the artist’s patron saint, he has introduced into the background what must be a portrait of himself in his working attire.“1 Conways (1887) Erstidentifizierung basiert auf einem Vergleich mit einer Notiz aus dem 16. Jahrhundert zu einem mittlerweile verlorenen Selbstbildnis.2 Wie in Marcanton Michiels Aufzeichnungen zur Malerei beschrieben, habe sich Memling „piu tosto grasso“ und „rubicondo“3 dargestellt, diese Charakteristika will Conway auch in der Figur des Donne-Altars erkennen.4

Trotz der vagen, subjektiven Argumentation wurde Conways Statement besonders in der älteren Forschung von vielen Autoren teils kommentarlos zustimmend übernommen,5 andere stellten weiterführende Überlegungen an, nicht ohne dabei auch auf die Fraglichkeit der Identifizierung zu verweisen. So etwa Kaemmerer (1899), der eine psychologisierende Beschreibung vornimmt, Memling Ruhe und Gleichmut, mangelnden Humor und Schwermütigkeit zuschreibt – auf weitere Analysen verzichtet der Autor mit dem Hinweis auf die unzureichende Sicherheit der Identifizierung,6 womit er ein Problem der nachfolgenden Forschergenerationen vorweg nimmt.7 Auch Corti und Faggin (1969) bzw. Faggin (1973) betonen trotz ihrer Zweifel, dass die Position in der Nähe des Namenspatrons des Künstlers die Hypothese einer Selbstdarstellung durchaus stützen könnte.8 Gegenteilig schreibt De Vos (1994), der die Möglichkeit eines Selbstbildnisses prinzipiell nicht ausschließt,9 dass Porträthaftigkeit und Nähe zum Namenspatron kaum für eine Identifizierung ausreichen.10

1901 stellt sich Weale aktiv gegen die Identifizierung, indem er die Frage aufwirft, weshalb Conways Vorschlag ausreichen solle, ein Selbstbildnis zu legitimieren. Für Weale steht lediglich fest, dass Memling bevorzugt Figuren hinter Säulen stehen bzw. durch Fenster blicken lasse. Letzteres bezieht er auf eine mutmaßliche Selbstdarstellung im Floreins-Triptychon.11

1906 schreibt Voll, dass es sich bei der Identifizierung um eine Annahme handle, die weder bewiesen noch ausgeschlossen werden kann.12 An anderer Stelle (1909) betitelt der Autor eine Abbildung des Porträts als Selbstbildnis und weist gleichzeitig erneut darauf hin, dass sich das Bildnis weder durch Quellen noch durch gesicherte vergleichbare Selbstdarstellungen belegen lasse.13

Ring (1913) bringt das Porträt in einen funktionalen Zusammenhang. Als vollständig von der heiligen Handlung isoliertes Sujet habe es Signaturcharakter. Zudem streicht der Autor Memlings Fähigkeit heraus, sich über die zurückhaltende Formulierung dem decorum entsprechend zu verhalten, was eine gesellschaftspolitische Komponente miteinschließe: „Die Tatsache, daß der Künstler sich – wenn auch halb verborgen im Hintergrund – auf demselben Altar anbringen durfte wie seine adeligen Auftraggeber, spricht für die gehobene soziale Schätzung des Standes.“14

Friedländer, der das Selbstbildnis erstmals 1916 bestätigt, nutzt die Erscheinungsform zur Ableitung von Memlings Geburtsjahr auf um 1433.15 1939 sollte der Autor diese Datierung unter Berücksichtigung eines weiteren mutmaßlichen Selbstporträts im Johannes-Altar auf kurz vor 1440 revidieren.16

Benkard (1927), der das Phänomen Selbstbildnis vom 15. bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts beleuchtete, versteht Memlings Eintreten „in den Kreis seiner Schöpfungen“ als symbolisch motivierten Akt: „Von draußen, aus der Welt, lugt das Selbstbildnis in die hieratische Feierlichkeit des Andachtsbildes, und so bescheiden seine spähende Rolle genannt werden mag – das menschliche Dasein drängt seine Gegenwart in die zeitengebundene Repräsentation der Glaubenslehre.“17 Der Autor argumentiert zudem, dass das Alter der dargestellten Person mit der (zwischenzeitlich widerlegten) Datierung des Altars von um 1467 korrespondiere sowie mit der Beobachtung, dass die Stifterfiguren auf dem Mittelbild angegeben sind, was ihre Wiederholung auf dem Seitenflügel ausschließe. Abschließend stellt er die Frage: „Wen anders denn sich selbst sollte Memling auf dem linken Flügel haben darstellen wollen?“18

1936 fand die mutmaßliche Selbstdarstellung in Goldscheiders Sammlung von 500 Selbstporträts Eingang.19

Boon (1947) akzeptiert in seinen Ausführungen zu niederländischen Selbstdarstellungen das Selbstbildnis im Donne-Altar, da sich der Maler im Hintergrund anführte, wie es seinem Stand entspreche. In der Position und der gegebenen Entfernung von der Gottesmutter zeige Memling in niederländischer Art Tiefgang und Achtung dem Heiligen gegenüber.

Hall (1963) listet in seiner Aufzählung niederländischer Selbstdarstellungen das Selbstporträt Memlings in der mystischen Vermählung der hl. Katharina und in der Johannestafel des Donne-Altars.20

Winkler (1964) streicht die Positionierung des Selbstbildnisses im Vergleich mit dem von Hugo van der Goes im Monforte-Altar als gängige Entwicklung heraus.21

Davies (1970) verweist auf die Tradition der Selbstrepräsentation durch integrierte Selbstbildnisse bei den frühen niederländischen Malern und erörtert in Folge das hier vorgeschlagene Selbstporträt. Im direkten Vergleich mit der ähnlich gestalteten Figur im Johannesaltar arbeitet der Autor insbesondere Abweichungen zwischen diesen beiden heraus (etwa die Farbe der Haare oder die der Augen) und kommt zu einem abschlägigen Ergebnis: Weder dieser Vergleich noch Vergleiche mit anderen vorgeschlagenen Selbstbildnissen geben verifizierbare Hinweise auf ein authentisches Selbstporträt des Malers, das seiner Meinung nach in keinem Fall vorliege. „Any similarity of features there and here seems insufficient to establish identity“.22 Zudem könnten auch über das mutmaßliche Alter der Porträtfigur keine Angaben gemacht werden, speziell, da man das Geburtsjahr des Malers nicht exakt wisse. Davies resümiert abschließend: „In my view, the claim that this is a self-portrait is too uncertain for any deduction to be made; why should it not be a trusted servant of Donne’s?“23 Davies Ansatz unterstützt u. a. Thiemann (1994), die feststellt: „Es gibt keine gesicherten Portraits des Malers. Aus diesem Grunde kann es sich nur um eine Vermutung handeln.“24

McFarlane (1971) stellt fokussierend auf die „Börse“, die der Mann um den Leib gebunden trägt, eine ähnliche These in den Raum. Der Autor versteht das Utensil als Attribut, das das Porträt als Steward im Haushalt der Donne kennzeichnen könnte und zudem als Merkmal eines Malers nicht glaubwürdig wäre. Weiterführend argumentierend stellt er eine Korrespondenz der Figur mit der im Hintergrund des Johannes-Altars fest. Der dort angegebene, dunkel gekleidete Mann wird sowohl als Selbstporträt als auch als eine über Kräne und Fässer als im Weinimport tätig gekennzeichnete Person besprochen. McFarlane befürwortet letztere These und stellt die Identifikationsmerkmale „Börse“ im Donne-Altar und „Fässer und Kräne“ im Johannes-Altar gleich.25 1997 unterstützte Lobelle-Caluwé McFarlanes Argumentation.26

King (1991) reiht Memlings Selbstporträt in die Tradition von Autorenporträts ein.27

1994 lehnt Devos die thematisierten Selbstdarstellungen von Hans Memling im Johannes-Altar, im Donne-Altar und im Passionstriptychon von Lübeck ohne weiterführende Angaben ab.28

De Vos (1997) berücksichtigt nur zwei Porträts als mögliche Selbstdarstellungen Memlings, die Figur am Seitenflügel des Donne-Altars und jene im Lübecker Kreuzigungsaltar.29

1998 sollte Müller Hofstede in seinem Standardwerk Der Künstler im Humilitas-Gestus altniederländische Selbstbildnisse und ihre Bedeutung im Bildzusammenhang aufarbeiten und die Theorie von Demutsgesten (einen Aspekt, den schon Ring im Zusammenhang mit Memling formuliert hatte (s. o.))30 und deren komplexe Bedeutung zusammenfassen. Müller Hofstede zufolge werden Maler dergestalt zu Urhebern, Selbstbildnisse zu Autorenporträts, die entsprechend antiker Rhetorik ihren Wunsch nach Teilhabe am sakralen Geschehen, Fürbitte und liturgischer memoria in bescheidener Zurückhaltung zum Ausdruck bringen. Memlings Porträtfigur im Donne-Altar dient dem Autor als besonders überzeugendes Beispiel solch diskreter Selbstinszenierungen.31 Memlings Zurückhaltung innerhalb des Altarsystems zeige sich über dreierlei Faktoren: Abgrenzung von der „Bühne seiner Sacra Conversazione“ (am Seitenflügel, hinter einer Säulenstellung zum Hintergrund hin), Abwertung des Bildnisses über Minderung „in seinem figürlichen Bestand“ (partielle Überschneidung, zurückhaltende Mimik und Gestik, kein Hinweis auf Anteilnahme am Geschehen), „rhetorischer Aspekt der parvitas (Kleinheit)“, was den Stellenwert des Stifters aufwertet.32 In der Analyse der Auftragsumstände – über den Stifter Sir John Donne sollte das Gemälde nach England, dem wichtigsten Wirtschaftspartner Flanderns, gelangen – gibt Müller Hofstede als weiterführende Motivation für das Selbstbildnis auch das Bestreben nach weltlicher memoria, den möglichen Wunsch nach Ansehen außerhalb der Niederlande an.33

In jüngerer Zeit nahm Calabrese (2006) in seiner Geschichte des Selbstporträts Müller Hofstedes Bescheidenheitstopos für die Figur in Anspruch.34

Legner (2009) betont die versteckte Position des Porträts außerhalb der Handlung ebenfalls. Der Maler zeige sich, „als wollte er sich nicht in den Vordergrund, den Raum der Heiligen und der Stifter, begeben.“35

Salomon (2009) arbeitet wiederkehrende ikonografische Standards niederländischer Selbstdarstellungen heraus - ein solcher ist die Positionierung von Selbstbildnissen in räumlicher Nähe zu einer Säule, wie es bereits bei van Eycks Spiegelung in der Paele-Madonna zu beobachten ist. Ein von vielen anerkanntes Beispiel hierfür ist das Selbstporträt von Memling im Donne-Altar, das die Autorin mit der Beschreibung von Michiel abstimmt. Ist dieses Porträt eine Selbstdarstellung, so die Autorin weiter, so muss auch der Mann, der im Johannes-Altar hinter einer Säule hervortritt, eines sein. Weitere Beispiele seien in nachfolgenden Gemälden gegeben: Dieric Bouts, Feuerprobe, Dieric Bouts, Abendmahlaltar und Rogier van der Weyden, Sakramentsaltar.36

Zuletzt bestätigt Schaller (2021) das Selbstporträt Memlings als Humilitas- bzw. Parvitas-Figur.37 Über einen weiterführenden Vergleich identifiziert sie zudem eine Selbstdarstellung Memlings im Seitenflügel des Triptychons der Anbetung der Könige im Prado – es handelt sich nach Schaller um eine Person mit identischen Gesichtszügen, sieht man von der korpulenteren Ausführung im Donne-Altar ab. Zudem erinnere die auf der Säule aufliegende Hand der Figur an eine ähnliche Ausführung eines Beobachters im Columba-Altar, den die Autorin als Selbstporträt Rogier van der Weydens vorschlägt.38

Gigante (2010), die der Ansicht ist, dass die meisten Identifikationen von Selbstdarstellungen bei Memling keine Grundlage haben, äußert sich auch hinsichtlich des Bildnisses im Donne-Altar skeptisch. Sollte es sich um eine Selbstdarstellung handeln, was die Autorin bezweifelt, würde die isolierte Figur als Bild-im-Bild auf die Tätigkeit des Malers weisen und durch den direkten Blick in den Bildraum ziehen.39

Verweise

  1. Conway 1887, 237.↩︎

  2. Vgl. den Einleitungstext zu Memling.↩︎

  3. Anonimo Morelliano (hg. von Frimmel 1888), 102f.↩︎

  4. Conway 1887, 237.↩︎

  5. Vgl. u. a. Armstrong 1892, 11; Baldass 1942, o. S. (Abb. 10), 39; Bazin 1939, o. S. (Abb. 1).↩︎

  6. Kaemmerer 1899, 32f, bes. 32.↩︎

  7. Vgl. u. a. De Vos 1994b, 183; Lambotte 1939, 20. Besonders undefiniert wirkt Volls Vorgehensweise, der das in seiner Erscheinungsform veränderte Porträt als Selbstbildnis publiziert, gleichzeitig aber auf seine mangelnde Belegung in Form einer Urkunde oder eines gesicherten Vergleichs aufmerksam macht (s. o.), vgl. Voll 1909, o. S. [VII], 171.↩︎

  8. Corti/Faggin 1969, 97; Faggin 1973, 97.↩︎

  9. De Vos 1994b, 183, 354; De Vos 1997, 4.↩︎

  10. De Vos 1994b, 354.↩︎

  11. Weale 1901, 86f.↩︎

  12. Voll 1906, 177.↩︎

  13. Voll 1909, o. S. [VII], 171.↩︎

  14. Ring 1913, 103f.↩︎

  15. Friedländer 1916, 55f; gleichlautend in: Friedländer 1928, 14; Friedländer 1971, 13.↩︎

  16. Friedländer 1939, 124. Friedländers unterschiedliche Einschätzungen stießen besonders bei McFarlane auf Kritik, vgl. McFarlane (hg. von Wind 1971), 11.↩︎

  17. Benkard 1927, XIVf.↩︎

  18. Benkard 1927, 7.↩︎

  19. Goldscheider 1936, o. S. (Abb. 23); vgl. zudem die Abbildung in der Neuauflage der Selbstporträtsammlung o. Hg. 2000, 39.↩︎

  20. Hall 1963, 204.↩︎

  21. Winkler 1964, 2.↩︎

  22. Davies 1970, 42.↩︎

  23. Ebd., 49.↩︎

  24. Thiemann 1994, 68.↩︎

  25. McFarlane (hg. von Wind 1971), 11f.↩︎

  26. Lobelle-Caluwé 1997, 49.↩︎

  27. King 1991, 250.↩︎

  28. De Vos 1994a, 474.↩︎

  29. De Vos 1997, 4.↩︎

  30. Ring 1913, 103f.↩︎

  31. Müller Hofstede 1998, 55f.↩︎

  32. Ebd., 63f.↩︎

  33. Ebd., 63.↩︎

  34. Calabrese 2006, 62. Calabrese verweist auf ein Zitat des Selbstporträts in ähnlichem Kompositionsmodus (Paul Delvaux, Schlafende Stadt, 1938, Privatsammlung).↩︎

  35. Legner 2009, 482.↩︎

  36. Salomon 2009, 50–53.↩︎

  37. Schaller 2021, 18f.↩︎

  38. Ebd., 70 (FN 231).↩︎

  39. Gigante 2010, 118f, 262.↩︎

Dem Maler einen Garten

Hinter einer Säule halb verborgen steht eine Person außerhalb des architektonischen Raumgefüges an der Schwelle zwischen Landschaftshintergrund und sakraler Vordergrundhandlung, weder der einen noch der anderen Sphäre zugehörig. Mit konzentriertem Blick ist der Mann Richtung sacra conversazione auf der Mitteltafel ausgerichtet, kaum kann dabei von einem „aktiven Erblicken“ der Szene ausgegangen werden, die verinnerlichte Ausstrahlung weist vielmehr auf ein kontemplatives Erleben. Sowohl die sonst im Gesamtaltar nicht vorkommende Dimension (weitere Hintergrundfiguren finden sich in deutlich kleinerem Maßstab in die Landschaft eingebettet) als auch das Fehlen offensichtlicher Bezüge (sieht man von der etwa von Corti/Faggin und Faggin thematisierten Nähe zu Johannes dem Täufer als möglichen Namenspatron ab),1 betonen die Isolation des Porträts.2 Nur ein im rechten Altarflügel gegengleich angeführter Pfau ließe sich als korrespondierender Bezugspunkt diskutieren. Als ein „Sinnbild des ewigen Lebens“, wie von De Vos vorgeschlagen,3 könnte man den Vogel symbolisch als Motiv der Unsterblichkeit der Kunst bzw. des Künstlers denken, als ein Zeichen nicht nur der allgemeinen Anerkennung der sozial gehobenen Stellung des Standes, wie es Ring vorschlägt),4 sondern konkret als Auszeichnung des Malers selbst – vorausgesetzt, es handelte sich bei der Figur tatsächlich um ein Selbstporträt Memlings. Hält die Forschung beweiskräftige Argumente für eine Zuschreibung als Selbstdarstellung bereit? Gerade wegen der Erkenntnisse Müller Hofstedes, die auf die Festschreibung einer niederländischen Tradition abzielen,5 wäre ein dahingehend negatives Urteil weitreichend und stellte zahlreiche Selbstbildnisse auch anderer niederländischer Künstler in Frage. Tatsächlich überzeugen weder physiognomische Zuschreibungen noch die Beziehung zu Johannes dem Täufer als Namenspatron, letzteres besonders durch den Umstand, dass Memling den Baptisten auch in anderen Altarwerken einbrachte, ohne ihm eine Figur beizustellen.6 Auch Hinweise auf wohlwollende Stifter sind mangels beweisender Belege reine Fiktion.7 Einzig ein Blick auf Memlings Oeuvre mag weiterführende Erkenntnisse bieten.

Der Maler arbeitete durchwegs mit sich wiederholenden Systemen, insbesondere kompositorischer Art, und figurierte ähnlich geartete Protagonisten. Mehrfach wurde bereits auf die Übereinstimmungen der Madonnen gewiesen, die nicht zuletzt wegen physiognomischer Entsprechungen als idealisierte Porträts von Memlings Ehefrau gedeutet werden.8 Es stellt sich die Frage, weshalb der Maler, der offensichtlich im Falle der Ehefrau/Madonna porträthafte Wiedererkennbarkeit intendiert, auf solch ein Merkmal im Falle seines eigenen Abbildes verzichten sollte? Besonders wesentlich scheint diese Problematik im Vergleich mit dem Johannes-Altar, für den ebenfalls ein Selbstporträt diskutiert wird. Hier wie dort steht ein etwas fleischiger Mann ohne sonderliche Regungen außerhalb des heiligen Bezirks, die kompositorische Verwandtschaft ist unverkennbar, hinsichtlich des Antlitzes handelt es sich allerdings offensichtlich um zwei verschiedene Personen. Ist im Falle des Johannes-Altar aufgrund weiterführender Überlegungen wohl auszuschließen, dass es sich um eine Selbstdarstellung handelt, kann der dort aufgeführte Mann dennoch als Vorentwicklung für das Bildnis im Donne-Altar diskutiert werden. Neben der auffälligen kompositorischen Verankerung könnte selbst das Attribut der Börse seinen Ursprung in Ableitung der Präfiguration finden. Entgegen McFarlanes Ausführungen.9 könnte der Beutel als Hinweis auf die Profession, auf den Lohn des ausführenden Meisters Memlings definiert werden? Memling orientierte sich in vielerlei Hinsicht (Komposition, Charakterbildung, Landschaftsformulierung) an Vorbildern wie insbesondere Rogier van der Weyden, Jan van Eyck oder Petrus Christus.10 In keinem der Oeuvres dieser Maler ist eine entsprechende Figur zu finden.11 Memling dürfte das Porträt selbständig entwickelt haben: eine trotz aller Zurückhaltung auffällig präsente Figur, die für die Darstellung keinerlei ikonografische oder inhaltliche Relevanz aufweist. Diente die zeitgenössische Figur einem System, die BetrachterIn ins Spiel zu bringen, stützt sie als Identifikationsfigur die Funktion des Andachtsbilds und ist sie damit bildtheoretisch aussagekräftig? Lieferte der Schöpfer des Bildes eine Art Gebrauchsanweisung kontemplativen Verhaltens? „Der Zeigegestus [Johannes des Täufers] wird zur Allegorie der Malerei. Andacht, so lautet die Botschaft des Malers, erfordert Bildbetrachtung, die dann in Kunstbetrachtung übergeht“,12 so Kruse, die Memling als Maler mit kunsttheoretischem Hintergrund festschreibt.13 Das mutmaßliche Selbstporträt des Malers ist dem Täufer beigestellt, das Bildnis begleitet mit seinem Blick den Gestus des Heiligen – bekleidet der Künstler die Position einer für die „Kunst“ gleichnishaften Figur?

Der Schluss liegt nahe, dass das Männerbildnis wohl kaum grundlos derart unterschwellig-prominent die Position am Seitenflügel einnimmt, die traditionellerweise oft von Stiftern besiedelt ist – unabhängig von der Identifizierung muss das Porträt eine für den Auftrag relevante Person darstellen. Auch wenn ein klassisches Selbstbildnis nicht einwandfrei nachgewiesen werden kann, dürfte Memling zumindest die Möglichkeit beansprucht haben, in Form eines Rollen- bzw. Kryptoporträts aufzutreten – der Mann ist als ein Symbol für den Maler lesbar. Um mit Benkard14 zu argumentieren stellt sich die berechtigte Frage: Wen außer sich selbst sollte Memling mit der Figur gemeint haben?

Verweise

  1. Corti/Faggin 1969, 97; Faggin 1973, 97.↩︎

  2. Nach De Vos stehen die beiden Johannesfiguren vielmehr in Zusammenhang mit dem Stifter John Donne, vgl. De Vos 1994b, 182f.↩︎

  3. Ebd., 183.↩︎

  4. Ring 1913, 103f.↩︎

  5. Müller Hofstede 1998, 55f, 63f.↩︎

  6. Vgl. beispielsweise erste Öffnung des Greverade-Altars.↩︎

  7. Ring 1913, 103f.↩︎

  8. Übereinstimmende Porträts der Ehefrau in Gestalt der Hl. Maria werden etwa diskutiert für: Thronende Madonna mit Kind und Stifter mit dem hl. Georg, um 1480–85, London, National Gallery; Thronende Madonna mit Kind und zwei Engeln, um 1485–90, Washington, National Gallery of Art; Thronende Madonna mit Kind, umgeben von den Heiligen Katharina und Barbara und zwei musizierenden Engeln, nach 1479, New York, Metropolitan Museum of Art; Triptychon mit der Anbetung der Könige; Triptychon des Jan Floreins. Vgl. u. a. Campbell 1997, bes. 71; Michiels 2007, 102–106.↩︎

  9. McFarlane (hg. von Wind 1971), 11f.↩︎

  10. Zu Memlings Vorbildern vgl. u.a. Campbell 2005; De Vos 1994b, bes. 361–364; Lane 1997; Lobelle-Caluwé 1998, 66f; zu Memlings Beziehungen zur älteren deutschen Malerei vgl. De Vos 1994b, 355–360.↩︎

  11. Entfernte Ähnlichkeiten, besonders hinsichtlich der Abwertung der Figur über „Verkleinerung“ sind eventuell im mutmaßlichen Selbstbildnis in Van Eycks Rolin-Madonna gegeben.↩︎

  12. Kruse 1996, 48.↩︎

  13. Ebd.↩︎

  14. Benkard 1927, 7.↩︎

Literatur

Anonimo Morelliano: Der Anonimo Morelliano. Marcanton Michiel's notizia d'opere del disegno. Text und Übersetzung von Dr. Theodor Frimmel (Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance, N. F. 1), hg. von Theodor Frimmel, Wien 1888.
Armstrong, Walter: Exhibition of Pictures by Masters of the Netherlandish and Allied Schools of XV. and Early XVI. Centuries. Printed for the Burlington Fine Arts Club, London 1892.
Baldass, Ludwig von: Hans Memling. Mit 100 Bildern und 25 Farbentafeln, Wien 1942.
Bazin, Germain: Memling, Paris 1939.
Benkard, Ernst: Das Selbstbildnis vom 15. bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts, Berlin 1927.
Boon, Karel G.: Het zelfportret in de Nederlandsche en Vlaamsche schilderkunst, Amsterdam 1947.
Calabrese, Omar: Die Geschichte des Selbstporträts, München 2006.
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