Verteilung des Kirchenschatzes durch den hl. Laurentius
Pacher, Michael
Deutschland; München; Alte Pinakothek
Inhaltsverzeichnis
Objekt
| Detailtitel: | Verteilung des Kirchenschatzes durch den hl. Laurentius (Außenflügel von: Laurentius Altar) |
| Alternativtitel Deutsch: | Almosenspende des hl. Laurentius |
| Titel in Originalsprache: | Verteilung des Kirchenschatzes (Laurentius Altar) |
| Titel in Englisch: | Distribution of the Treasure of the Church by St. Laurence |
| Datierung: | um 1465 |
| Ursprungsregion: | deutschsprachiger Raum |
| Lokalisierung: | Deutschland; München; Alte Pinakothek |
| Lokalisierung (Detail): | Inventarnummer: 5304; Schreinflügel, Außenseite; ursprünglich Teil eines Ensembles von vier Flügeln, die im geschlossenen Zustand des Altars sichtbar waren |
| Medium: | Altarflügel; Tafelbild |
| Bildträger: | Holz (Zirbe) |
| Maße: | Höhe: 101,1 cm; Breite: 97,6 cm |
| Ikonografische Bezeichnung: | Laurentius verteilt den Kirchenschatz unter den Armen |
| Iconclass: | 11H(LAURENCE)42 – the charity of St. Laurence: he distributes the treasures of the church (gold and silver dishes and cups, vessels) to the poor |
| Signatur Wortlaut: | ohne |
| Datierung Wortlaut: | ohne |
| Auftraggeber/Stifter: | unbekannt |
| Provenienz: | Hochaltar der Pfarrkirche von St. Lorenzen; nach dessen Abbruch im späten 17. Jahrhundert verschiedene Destinationen: Augustinerchorherrenstift Neustift bei Brixen, 1809 Innsbruck; 1812 von der Alten Pinakothek München erworben |
| Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt: | öffentlich |
Die Datierung wird in der Literatur verschieden angegeben, hier sind die Ausführungen von Madersbacher übernommen.1 In einem Brief des Richters zu St. Michelsburg ist die Beauftragung des Altars um 1462/63 überliefert.2 Die Tafel ist beschnitten.3 Die Ikonografie der Laurentiusszenen folgt der Legenda Aura.4
Bildnis 1
| Lokalisierung im Objekt: | erste Figur am rechten Bildrand |
| Ausführung Körper: | Schulterstück |
| Ausführung Kopf: | Frontalansicht |
| Ikonografischer Kontext: | Assistenzfigur bei der Verteilung der Almosen des Heiligen |
| Blick/Mimik: | verinnerlichter Blick nach links unten |
| Gesten: | Hände nicht sichtbar |
| Körperhaltung: | aufrecht |
| Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal: | Figur am rechten Bildrand, von diesem und der vorgelagerten Rückenfigur stark überschnitten; kompositorisch der Dreiergruppe rechts angehörig, von dieser durch Anteilslosigkeit psychologisch, durch den dominant großen Kopf, die auffällige dunkle Haube und die intensiv grüne Farbe der Kleidung formal abgegrenzt; abweichend von den anderen Figuren ist der Kopf von Mauerwerk hinterfangen, wodurch ein Freiraum geschaffen wird; einzige Frontalansicht im Bildverband |
| Kleidung: | auffällige Kopfbedeckung |
| Zugeordnete Bildprotagonisten: | keine |
Forschungsergebnis: Pacher, Michael
| Künstler des Bildnisses: | Pacher, Michael |
| Status: | weitgehend anerkannt |
| Status Anmerkungen: | Das Prädikat „weitgehend anerkannt“ ist auf wenige Forschungsmeinungen zurückzuführen. Dabei fand das Gros der ForscherInnen, das sich nicht zu einer möglichen Selbstdarstellung äußert, keine Berücksichtigung. Trotz intensiver Recherche konnte die Erstthematisierung der Figur als mögliches Selbstporträt nicht ausfindig gemacht werden. |
| Typ | Autor/in | Jahr | Referenz | Seite | Anmerkungen |
|---|---|---|---|---|---|
| Bejahend | Hempel | 1952 | Hempel 1952 – Das Werk Michael Pachers | 17 | - |
| Bejahend | Stütz | 1990 | Stütz 1990 – Zur Darstellung des Selbstporträts österreichischer | 98–100 | - |
| Bejahend | Madersbacher | 2015 | Madersbacher 2015 – Michael Pacher | 16f | - |
| Bejahend | Krabichler | 2024 | Krabichler 2024 – Vor aller Augen | 226–231, bes. 227f | - |
Hempel beruft sich 1952 auf eine ältere Thematisierung der Figur als Selbstdarstellung, ohne die Quelle hierzu zu vermerken: „Nicht unmittelbar beteiligt taucht der bärtige Kopf eines Mannes von etwa 45 Jahren auf, in dem ein Selbstporträt des Künstlers vermutet wurde.“1
„Wir wissen zwar nicht, wie Pacher wirklich aussah, aber das Porträt hebt sich durch die Frontalität und den beobachtenden Blick und auch durch die zeitgenössische Tracht so sehr vom Bildgeschehen ab, daß es sich mit Sicherheit um ein Selbstbildnis handelt“,2 so Stütz 1990. Die Autorin erörtert die Figur als ein nach allgemeiner Meinung gesichertes Selbstbildnis. Der Maler präsentiere sich über ein zurückgenommenes und dennoch individuell-realistisches Porträt als anwesender, ins Thema eingebundener Zuseher. Dieses bescheidene und dennoch selbstbewusste Statement3 sei an Zeitgenossen gerichtet und für diese auch durch die auffallende Kopfbedeckung, die die Autorin als „eine Art Attribut des Meisters“ beschreibt, erkennbar gewesen.4 Die „Miene des Mitleids“, die die Figur „von oben herab“ auf die Bettler richte, impliziere, dass es sich um einen melancholischen Menschen handle und drücke Mitgefühl gegenüber dem Heiligen aus. Dies, so Stütz, weise auf Pachers Rolle als Maler: „Als bildlicher Erzähler weiß er bereits in dieser Szene, daß Laurentius sterben muß. [Er zeigt] seine Reaktion, seine Gefühle bezüglich des Geschehens.“5 In zahlreichen Vergleichen bringt die Autorin das Bildnis mit möglichen Selbstdarstellungen von Masaccio, Benozzo Gozzoli oder Dieric Bouts in Zusammenhang und resümiert, dass Pacher das Sujet bekannt gewesen sein muss. Einschränkend räumt Stütz ein, dass die Figur in Abstimmung mit der Entstehungszeit des Gemäldes zu alt aussehe, was sie in weiterführenden Überlegungen mit einer möglichen Abweichung des Geburtsjahres rechtfertigt.6
2015 nimmt Madersbacher die These von Stütz auf. Er verifiziert das mögliche Selbstbildnis über einen physiognomischen Abgleich mit einer Figur Pachers in der Tafel Christus und die Ehebrecherin im Altar von St. Wolfgang. Diese sei vergleichbar, stelle eine gealterte Wiederholung des Bildnisses in der Verteilung des Kirchenschatzes dar und weise dieselben Mechanismen auf, die den italienischen Traditionen des Typus des Selbstporträts in Assistenz entsprechen (Abgrenzung der Figur durch Anteilslosigkeit am Geschehen, Ausrichtung auf die BetrachterIn). „Die Tatsache indes, dass sich diese Figur im Werk Pachers zu wiederholen scheint, unterstützt die These vom Selbstbildnis. Denn am Altar von Sankt Wolfgang wird eine vergleichbare Figur auftreten, ebenso vom Geschehen isoliert und en face dem Betrachter zugewandt. [Die] grundlegenden physiognomischen Merkmale [stimmen] überein. So ist es wohl berechtigt, darin erneut ein Selbstporträt des Künstlers zu vermuten.“7 Zudem verweist Madersbacher auf Pachers Kenntnisse italienischer Entwicklungen im Bereich künstlerischer Selbstdarstellungen, insbesondere auf die Selbstinszenierungen seines Lehrmeisters Andrea Mantegna, und stellt deren mögliche Vorbildwirkung für Pacher in den Raum.8
Krabichler (2024) erörtert eine Zusammenschau selektierter, für Pacher thematisierter Selbstinszenierungen, indem sie sich auf zwei verschiedene Darstellungsmodi und -systeme fokussiert zum einen auf Bildnisse, die den üblichen Darstellungskonventionen für integrierte Selbstdarstellungen entsprechen – en face ausgerichtet und in vom Hauptgeschehen abgesetzten Randbereichen positioniert (in: Verteilung des Kirchenschatzes; Christus und die Ehebrecherin, zum anderen auf Porträts, die als aktive Motive innerhalb dichter Netze von Interaktion, Verflechtungen und Bezügen wirken (in: Marientod; Hochzeit von Kana. Der Fokus liegt hierbei auf der Analyse bildreflexiver und auktorialer Tendenzen unter Berücksichtigung der künstlerischen und intellektuellen Basis Pachers. Krabichler unterstützt Madersbachers These, nach der sich die Selbstbildnisse in der Verteilung des Kirchenschatzes und Christus und die Ehebrecherin gegenseitig rechtfertigen.9
Verweise
Hempel 1952, 17.↩︎
Stütz 1990, 100.↩︎
In seiner „relativen Bescheidenheit“ sei das Bildnis mit der Selbstdarstellung von Thomas von Villach im Dekorsystem der Stiftskirche St. Paul im Lavanttal, 1492/93, vergleichbar. Vgl. ebd., 99.↩︎
Ebd.↩︎
Ebd., 100.↩︎
Ebd., 98–100.↩︎
Madersbacher 2015, 16.↩︎
Ebd., 17.↩︎
Krabichler 2024, 226–231, bes. 227f.↩︎
Indizienbeweise
Das Bildnis in der Verteilung des Kirchenschatzes durch den hl. Laurentius1 ist das einzige vorgeschlagene Selbstbildnis Pachers, dessen Thematisierung in der Forschung weiterverfolgt wurde. Hauptargumente zur Identifizierung sind Merkmale, die überlieferten Darstellungskriterien des integrierten Selbstporträts entsprechen: Frontalität des Kopfes, Auffälligkeit durch zeitgenössische Kleidung und Isolation vom Geschehen durch die Position am Bildrand. Die bedeutungsperspektivische Vergrößerung der Figur sowie die Betonung des Kopfes durch die ihn zur Gänze hinterfangende Mauer tragen zum Eindruck einer gewissen Desintegration im Bildverband bei. Hinweise auf das Alter der Figur, das nicht dem Entstehungszeitraum der Tafel entspreche, wurden aus heutiger Perspektive getätigt. Sie sind kaum von Relevanz, da keinerlei Kenntnisse hinsichtlich der tatsächlichen äußeren Erscheinung des Malers vorliegen. Trotz des von Madersbacher vorgenommenen, die These stützenden, überzeugenden Abgleichs mit einem Bildnis in der Tafel Christus und die Ehebrecherin im Altar von St. Wolfgang kann die Identifikation des hier thematisierten möglichen Selbstbildnisses weder einwandfrei bestätigt noch gänzlich dementiert werden. Tendenziell ist der Identifizierung des Bildnisses als Selbstbildnis zuzustimmen.
Verweise
Zur detaillierten Erfassung des Altars samt der älteren Literatur vgl. u. a. Katalogeintrag Madersbacher 2015, 127–138. Weiterführend zu den Predellaflügeln des Hochaltars vgl. Madersbacher 2015, 139–143.↩︎
Literatur
Zitiervorschlag:
Krabichler, Elisabeth: Verteilung des Kirchenschatzes durch den hl. Laurentius (Katalogeintrag), in: Metapictor, http://explore-research.uibk.ac.at/arts/metapictor/katalogeintrag/pacher-michael-verteilung-des-kirchenschatzes-durch-den-hl-laurentius-um-1465-munchen-alte-pinakothek/ (05.12.2025).