Inhaltsverzeichnis
Objekt
Bildrechte
| Detailtitel: | Schlüsselübergabe an Petrus (Teil von: Christuszyklus) |
| Alternativtitel Deutsch: | Schlüsselübergabe |
| Titel in Originalsprache: | Consegna delle chiavi |
| Titel in Englisch: | Delivery of the Keys; Christ Giving the Keys to Saint Peter |
| Datierung: | 1481 bis 1482 |
| Ursprungsregion: | italienischer Raum |
| Lokalisierung: | Vatikan; Vatikanstadt; Cappella Sistina |
| Lokalisierung (Detail): | fünftes Bild an der Nordwand Teil der malerischen Gesamtausstattung des 15. Jahrhunderts (vor Michelangelo) bestehend aus Deckenfresko den Sternenhimmel darstellend von Pietro Matteo d’Amelia (nicht erhalten); Papstbildnisse im Fenstergaden; ursprünglich 16 Wandbilder je von Altarwand (Westen) bis Ostwand: im Norden Christuszyklus, im Süden Moseszyklus, davon je die Bilder an der Ost- und Westwand nicht erhalten |
| Medium: | Wandbild |
| Material: | Fresko |
| Bildträger: | Wand |
| Ikonografische Bezeichnung: | Schlüsselübergabe an Petrus (im Vordergrund); Zinsgroschen und versuchte Steinigung Jesu (im Hintergrund) |
| Iconclass: | 73C71242 – Christ gives the keys of heaven to Peter |
| Signatur Wortlaut: | P S |
| Datierung Wortlaut: | ohne |
| Signatur/Datierung Position: | signiert: Position: im Bild am Mantel Jesu |
| Inschriften: | CONTVRBATIO IESV CHRISTI LEGISLATORIS; Titulus in der architektonischen Rahmung oberhalb des Bildfeldes; Bedrängung Christi, des Gesetzgebers |
| Auftraggeber/Stifter: | Francesco della Rovere (Papst Sixtus IV.) |
| Provenienz: | in situ |
| Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt: | teilöffentlich |
Zur Gesamtausstattung der Kapelle1 und zur Inschrift.2 Die Signatur „P S“ wurde im Rahmen der jüngsten Restaurierungen entdeckt.3 Die Buchstaben verweisen möglicherweise auf Luca Signorelli, der auch den Apostel malte, der auf die Stelle zeigt.4 Das Bild wurde als „affresco quasi integrale“5 ausgeführt.
Bildnis 1
Bildrechte
| Lokalisierung im Objekt: | fünfte Figur von rechts |
| Ausführung Körper: | Schulterstück |
| Ausführung Kopf: | Dreiviertelporträt |
| Blick/Mimik: | direkter Blick aus dem Bild |
| Gesten: | Hände nicht sichtbar |
| Körperhaltung: | aufrecht; halb zum Betrachter, halb zur Bildmitte gedreht |
| Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal: | die Figur bildet gemeinsam mit der Figur rechts vor ihr, mit der sie farblich kontrastiert, den Abschluss des ersten Rings um die Szene der Schlüsselübergabe Christi an Petrus; die Figur wird von dieser Figur rechts vor ihr und von einem der Apostel stark überschnitten, sodass lediglich die Büste sowie im unteren Teil ein Stück des Gewandes und eines Schuhs sichtbar bleiben |
| Kleidung: | weitgehend monochrome, recht einfache Kleidung in dunklem Blau, ebensolche Kopfbedeckung (ebenfalls fast ganz in – ein allerdings helleres – Blau gekleidet ist die Figur mit dem Zirkel rechts daneben) |
| Zugeordnete Bildprotagonisten: | links von der Figur befindet die sich die Gruppe der hinter dem knienden Petrus stehenden Apostel; die Figur in Gelb unmittelbar rechts vor dem hier diskutierten Selbstbildnis wurde von Schmarsow vorgeschlagen als Giovanni de’ Dolci (Baumeister der Sixtinischen Kapelle und Piombatore del Papa); u. a. Scarpellini schlug dieselbe Figur vor als möglicherweise Baccio Pontelli oder Pinturicchio; die beiden Figuren rechts von dieser wurden vorgeschlagen als Bartolomeo della Gatta (mit Zirkel) etwa von Scarpellini und als Giovanni de’ Dolci (mit Winkelmaß) von Steinmann; allgemein werden insbesondere in den beiden letztgenannten Figuren mit Zirkel und Winkelmaß Baumeister bzw. Architekt der Sixtinischen Kapelle gesehen |
Zu Thesen zu den zugeordneten Protagonisten: zur Figur in Gelb als Giovanni de’ Dolci1, Baccio Pontelli oder Pinturicchio,2 zu den Figuren rechts von dieser als Bartolomeo della Gatta (mit Zirkel)3 und als Giovanni de’ Dolci (mit Winkelmaß)4 – die beiden letztgenannten Figuren werden als Baumeister bzw. Architekt der Sixtinischen Kapelle gesehen.5
Verweise
Schmarsow 1886, 225.↩︎
Scarpellini 1991, 79. Scarpellini erwähnt die Identifizierungen als de’ Dolci oder Pinturicchio ohne Quellen anzugeben.↩︎
Ebd. Scarpellini erwähnt die häufige Identifizierung als Bartolomeo della Gatta ohne Quellen anzugeben.↩︎
Steinmann 1901, 351. Weitere Informationen zu diesen Identifizierungsvorschlägen finden sich auch im Abschnitt Forschungsstand in diesem Katalogeintrag.↩︎
Etwa Schmarsow 1886, 225.↩︎
Forschungsergebnis: Perugino, Pietro
| Künstler des Bildnisses: | Perugino, Pietro |
| Status: | kontrovers diskutiert |
| Andere Identifikationsvorschläge: | Virginio Orsini |
| Typ | Autor/in | Jahr | Referenz | Seite | Anmerkungen |
|---|---|---|---|---|---|
| Erstzuschreibung | Lange | 1885 | Lange 1885 – Zu Perugino's Jugendentwicklung | 97 | - |
| Bejahend | Schmarsow | 1886 | Schmarsow 1886 – Melozzo da Forli | 225 | - |
| Bejahend | Steinmann | 1901 | Steinmann 1901 – Die Sixtinische Kapelle | 348–351 | - |
| Bejahend | Cavalcaselle/Crowe | 1902 | Cavalcaselle, Crowe 1902 – Storia della Pittura in Italia | 189f | - |
| Bejahend | Benkard | 1927 | Benkard 1927 – Das Selbstbildnis vom 15 | 11 | - |
| Bejahend | Goldscheider | 1936 | Goldscheider 1936 – Fünfhundert Selbstportraits | Abb. 34 | - |
| Bejahend | Hartlaub | 1958 | Hartlaub 1958 – Das Selbstbildnerische in der Kunst | 89 | - |
| Bejahend | Castellaneta/Camesasca | 1969 | Castellaneta, Camesasca 1969 – L'opera completa del Perugino | 92 |
Detailsausführliche Zusammenstellung der Identifizierungen auch der umgebenden Figuren
|
| Skeptisch/verneinend | Meller | 1974 | Meller 1974 – Two Drawings of the Quattrocento | 269–270 | - |
| Bejahend | Sleptzoff | 1978 | Sleptzoff 1978 – Men or Supermen | 132 | - |
| Skeptisch/verneinend | Ferino-Pagden | 1989 | Ferino Pagden 1989 – Perugino al servizio dei Della | 64–66 | - |
| Bejahend | Scarpellini | 1991 | Scarpellini 1991 – Perugino | 79 | - |
| Bejahend | Schweikhart | 1993 | Schweikhart 1993 – Das Selbstbildnis im 15 | 16 | - |
| Bejahend | Asemissen/Schweikhart | 1994 | Asemissen, Schweikhart 1994 – Malerei als Thema der Malerei | 67 | - |
| Bejahend | Roettgen | 1997 | Roettgen 1997 – Wandmalerei der Frührenaissance in Italien | 82–83, 84, 96 | - |
| Skeptisch/verneinend | Woods-Marsden | 1998 | Woods-Marsden 1998 – Renaissance Self-Portraiture | 259 (Anm. 4 zu S. 105) | - |
| Bejahend | Garibaldi | 1999 | Garibaldi 1999 – Perugino | 105 | - |
| Skeptisch/verneinend | Nesselrath | 2003 | Nesselrath 2003 – The Painters of Lorenzo | 51, 113 | - |
| Bejahend | Garibaldi | 2004 | Garibaldi 2004 – Perugino | 77–82 | - |
| Bejahend | Marchand | 2004 | Marchand 2004 – Gebärden in der Florentiner Malerei | 308–310 | - |
| Bejahend | Rehm | 2009 | Rehm 2009 – Botticelli | 101 | - |
| Skeptisch/verneinend | Rossi | 2020 | Rossi 2020 – Perugino, Antoniazzo e Filippo Lippi | o. S. | - |
Lange (1885), der auch als Erster ein Selbstbildnis Peruginos in der äußerst rechten Figur in der Reise des Moses sah, spricht sich für ein weiteres Selbstbildnis des Malers in der Schlüsselübergabe aus. Er hält dieses Gesicht für die Vorlage der Porträtgrafik des Malers in den Viten Vasaris, lediglich Kopfbedeckung und Haare seien dort etwas verändert worden. Aufgrund der Tatsache, dass Perugino hier deutlich älter („jedenfalls die Vierzig schon überschritten“1) erscheint als in der Reise, nimmt Lange an, Perugino habe die Schlüsselübergabe erst Ende der 1480er Jahre gemalt.2
Auch Schmarsow (1886) sieht in der fünften Figur von rechts ein Selbstbildnis Peruginos und stellt außerdem Mutmaßungen darüber an, wer die zeitgenössischen Figuren rechts von ihm sein könnten (s. o.).3
Steinmann (1901) setzt sich mit Langes Identifizierungen auseinander, hält es aber zum einen für unwahrscheinlich, dass sich Perugino in der Sixtinischen Kapelle zweimal selbst dargestellt haben soll und verweist zum anderen auf die deutlichen Unterschiede (auch das Alter und die Leibesfülle betreffend) zwischen den beiden von Lange vorgeschlagenen Gesichtern (siehe auch den Katalogeintrag zur Reise des Moses). Für ihn ist das Porträt in der Schlüsselübergabe das authentische, was er mit folgenden Argumenten begründet: Der Blick sei als Blick des Künstlers in den Spiegel erkenntlich; eine Ähnlichkeit mit dem Selbstbildnis in der Anbetung der Könige sei trotz der großen zeitlichen Distanz festzustellen; die Selbstbildnisse seien üblicherweise im letzten ausgeführten Bild als Signatur eingefügt worden; und schließlich ähnle das Bildnis stark dem Selbstbildnis Peruginos im Collegio del Cambio in Perugia (siehe dazu den Eintrag zum Künstler in der Datenbank).4
Ihre Zustimmung zum Selbstporträt Peruginos in der Schlüsselübergabe begründen Cavalcaselle und Crowe (1902) mit der Ähnlichkeit zum autonomen Bildnis Peruginos in den Uffizien.5 Sie thematisieren auch den Umstand, dass Perugino sich im sixtinischen Fresko mit Baumeistern bzw. Architekten umgeben hat – er sei, anders als andere große Maler seiner Zeit, offenbar nicht selbst als Architekt tätig gewesen, habe aber möglicherweise mit Architekten zusammengearbeitet.6
Für Benkard (1927) ist das Selbstbildnis „inmitten der weltlichen Assistenz […] ohne Schwierigkeiten aufzufinden“7. Er vermutet, Perugino habe die Praxis, das eigene Bildnis als eine Signatur anzubringen, von seinen florentinischen Malerkollegen in der Sixtinischen Kapelle übernommen.
In Goldscheiders (1936) Bildband zu Selbstbildnissen ist das hier besprochene als einziges aus den Wandfresken des Quattrocento in der Sixtinischen Kapelle aufgenommen worden.8
Hartlaub (1958) ist der Ansicht, es ließen sich Ähnlichkeiten zwischen den in festgehaltenen Physiognomien von Malern und den ansonsten von ihnen gemalten Gesichtern feststellen, auch bei Perugino sei dies der Fall. Sein Selbstbildnis in der Schlüsselübergabe deutet Hartlaub als „wohlgenährtes Gesicht mit dem charakteristischen Doppelkinn“. Es zeige ein Phlegma, das „zu dem ‚lento‘ der Kantilene seiner Andachtsbilder“ passe.9
Castellaneta und Camesasca (1969) präsentieren das Selbstbildnis als gegeben und erwähnen darüber hinaus, dass es Vorschläge gibt, in den Figuren neben Perugino Pinturicchio und Bartolomeo della Gatta zu sehen. Sie bieten eine ausführliche Zusammenstellung der Identifizierungen in diesem Bildfeld.10
Einen anderen Identifizierungsvorschlag für die hier diskutierte Figur liefert Meller (1974), der zwar eine physiognomische Ähnlichkeit mit dem Selbstbildnis Peruginos im Collegio del Cambio in Perugia (siehe dazu den Eintrag zum Künstler in der Datenbank) einräumt, das Gesicht aber für unvereinbar mit dem frühen Selbstbildnis Peruginos in der Anbetung der Könige in Perugia hält. Er stellt stattdessen eine Übereinstimmung mit einem Porträt-Kupferstich in Aliprando Capriolos Cento Capitani (Rom 1596)11 fest, der dort als „Virginio Orsini“ bezeichnet ist und dessen Aussehen wiederum durch andere Bildnisse belegt sei. Meller hält es ausgehend davon für wahrscheinlich, dass der päpstliche General auch in zwei weiteren Wandfresken der Sixtina porträtiert ist, und zwar im Abendmahl (zweite Figur von links, siehe auch den Katalogeintrag zu diesem Fresko von Rosselli) und in den Versuchungen Christi (Figur mit der roten Kopfbedeckung direkt links hinter dem Priester, siehe auch den Katalogeintrag zu diesem Fresko von Botticelli). Dass ein Porträt Orsinis für ein Selbstporträt Peruginos gehalten werden kann, ist für Meller darauf zurückzuführen, dass der Maler bei Porträts mit „stereotype elements“12 arbeitete.13
Sleptzoff (1978) sieht in der Figur wieder ein Selbstbildnis.14 Sie betont den starken Realismus des Bildnisses, das charakterisiert vom prüfenden Blick des Künstlers in den Spiegel sei, und nimmt einen „look that judges, the look of a man given to introspection“15 wahr.16
Wie Meller ist auch Ferino-Pagden (1989) der Ansicht, dass die hier diskutierte Figur dreimal in den Wandfresken porträtiert wurde (in den von Meller vorgeschlagenen Figuren in Versuchungen Christi, Schlüsselübergabe und Abendmahl). Ob mit dieser Figur tatsächlich Virginio Orsini gemeint ist, lässt sie offen, sie schließt allerdings aus, dass es sich um Darstellungen Peruginos handeln könnte. Es erscheint ihr unwahrscheinlich, dass Perugino sich seit seinem Selbstbildnis in der Anbetung der Könige in Perugia, die sie auf ca. 1475 datiert, so stark verändert habe bzw. dass er sich in den ca. 20 Jahren, die bis zum Selbstbildnis im Collegio del Cambio (siehe dazu den Eintrag zum Künstler in der Datenbank) vergehen sollten, so wenig verändert haben sollte. Sie befürwortet das Selbstbildnis in der Reise des Moses nach Ägypten und schlägt ein weiteres im Testament und Tod Mose vor. Insgesamt habe Perugino als einziger der Maler des Quattrocento in der Sixtina ein Fresko signiert (die Taufe Christi) und sein Selbstbildnis zweimal eingebracht. Die für den Papst so wichtige Szene der Schlüsselübergabe müsse bzw. könne aber für sich selbst sprechen.17
Scarpellini (1991) referiert unterschiedliche Identifizierungsvorschläge für die Personen rund um die hier diskutierte Figur mit Vorbehalt, präsentiert Peruginos Selbstbildnis aber als gegeben. Die Farbe des Baretts gibt er irrtümlich als „rosso“ an, die restliche Beschreibung verweist aber eindeutig auf den üblichen Verdächtigen. Für die Figur direkt neben bzw. vor Perugino, die einen Sextanten in der Hand halte, bringt Scarpellini eine mögliche Identifizierung als Baccio Pontelli ins Spiel; in der Figur mit dem Richtmaß sieht er wie andere vor ihm Giovanni de’ Dolci. Er stellt in den Raum, Perugino könnte sich für die Konstruktion der perspektiven Darstellung der Gebäude im Hintergrund der Szene Zeichnungen eines dieser beiden Architekten als Vorlage genommen haben.18
Sowohl Schweikhart (1993)19 als auch Asemissen und Schweikhart (1994)20 sprechen von einem gesicherten Selbstbildnis, da Vergleiche mit anderen Selbstbildnissen Peruginos bzw. insbesondere mit jenem im Collegio del Cambio (siehe dazu den Eintrag zum Künstler in der Datenbank) die Identifizierung untermauerten.
Roettgen zweifelt das Selbstbildnis Peruginos als eines der wenigen in der Sixtinischen Kapelle nicht an und thematisiert insbesondere die Selbstdarstellung im Kreise von Architekt bzw. Baumeister. Aufgrund der deutlichen Hervorhebung durch roten Mantel und Winkelmaß kann ihr zufolge mit dieser Figur nur der Architekt der Kapelle gemeint sein, mit der Person dahinter vermutlich ein an der praktischen Ausführung Beteiligter. Dass sich Perugino in dieser Gesellschaft abbildet, weist laut der Autorin darauf hin, dass der Architekt „an der Konzeption der Ausmalung beteiligt war“21 – diese Konzeption wirke zwar selbstverständlich, stellte aber eine komplexe Aufgabe dar. Die Porträts von Maler und Architekt(en) seien überdies in „gebührendem Abstand von den ‚Honoratioren‘“22 angebracht, also in einiger Entfernung von den (vermuteten) Bildnissen des Papstclans in den Versuchungen bzw. der Taufe Christi.23 Von Bedeutung könnte Roettgen zufolge auch die Abbildung in der Nähe des Namenspatrons sein: Pietro Perugino zeigt sich in der Gruppe hinter Petrus, der zweite Vorname des vermuteten Architekten de’ Dolci sei ebenfalls Pietro.24
Woods-Marsden schließt sich Meller und Ferino-Pagden in deren Ablehnung des Selbstbildnisses an.25
In ihrem Perugino-Katalog befürwortet Garibaldi (1999) das Selbstbildnis Peruginos, das sich bei den Bildnissen der Architekten Baccio Pontelli und Giovannino de’ Dolci befinde, und spricht von einem „ritratto dell'artista sintetizzato con estrema potenza“.26 In der Monografie von 2004 wiederholt Garibaldi diese Einschätzung, erwähnt jedoch zusätzlich ohne weitere Kontextualisierung die Identifizierungsvorschläge der hier diskutierten Figur als Virginio Orsini und der Figur mit dem Zirkel als Bartolomeo della Gatta. In den Figuren mache sich bereits die „soave malinconia“27 bemerkbar, die von nun an typisch für Perugino bleibe.28
Für Nesselrath (2003) ist die Identifizierung der Figur als Virginio Orsini plausibel, als Pro-Argument nennt er dessen Bindehautentzündung, die Perugino detailgenau dargestellt habe. Er zählt dies zu jenen kleinen Details, die die Maler wohl zu ihrer eigenen Unterhaltung einfügten, da sie aus der üblichen Betrachterposition gar nicht sichtbar sind.29
Marchand (2004) schreibt, dass bisher zwei (Selbst-)Bildnisse Peruginos in der Sixtinischen Kapelle diskutiert worden seien, jenes in der Schlüsselübergabe und eines im Letzten Abendmahl. Letzteres lehnt er ab, ersteres stuft er als „relativ sicher [ein], da das Portrait alle diskutierten Charakteristika eines Selbstportraits hat und dem gesicherten Selbstportrait Peruginos erstaunlich ähnlich ist“30. Für ihn sind die Porträts in der Schlüsselübergabe auch Ausdruck eines sozialen Unterschieds: Während der nicht mit seinen eigenen Händen arbeitende Architekt prominent und ganzfigurig in der vordersten Bildebene gezeigt wird, muss sich der Maler mit einem Brustbild in der zweiten Reihe begnügen.31
Als das „einzige sicher identifizierbare“32 Malerbildnis in der Sixtinischen Kapelle bezeichnet die hier diskutierte Figur Rehm (2004), der das Porträt Peruginos als Hinweis darauf wertet, dass diesem eine Führungsrolle unter den Malern zukam.33
Rossi (2020) schreibt, dass sich Perugino in der hier diskutierten Figur selbst porträtiert habe, sei ein weit verbreiteter Irrtum. Die Figur ähnle entfernt dem Selbstbildnis Peruginos im Collegio del Cambio, wo der Maler aber nicht älter wirke. Perugino hätte sich also Anfang der 1480er in der Schlüsselübergabe so dargestellt, wie er erst knapp 20 Jahre später aussah, was Rossi für ausgeschlossen hält. Das authentische Selbstbildnis Peruginos in der Sixtinischen Kapelle sieht Rossi in der Reise des Moses nach Ägypten.34
Verweise
Lange 1885, 97.↩︎
Ebd.↩︎
Schmarsow 1886, 225.↩︎
Steinmann 1901, 348–351.↩︎
Das Bildnis mit der Inv. Nr. 1482 (Inventar 1890; Abbildung im Online-Katalog der Uffizien) erfuhr unterschiedliche Zuschreibungen (u. a. Perugino, Raffael, Lorenzo di Credi, Hans Holbein d. J.) und auch der Porträtierte wurde verschieden identifiziert (u. a. Perugino, Andrea del Verrocchio, Martin Luther). Vgl. dazu Rebmann 2011, 152.↩︎
Cavalcaselle/Crowe 1902, 189f.↩︎
Benkard 1927, 11.↩︎
Goldscheider 1936, Abb. 34.↩︎
Hartlaub 1958, 89.↩︎
Castellaneta/Camesasca 1969, 92. Aufgrund fehlender Literaturangaben konnte dem Hinweis auf mögliche (Selbst-)Bildnisse Pinturicchios und della Gattas in der Schlüsselübergabe nicht nachgegangen werden. Auch wird nicht ganz klar, welche zwei Figuren die Autoren meinen („altri ancora ravvisarono, accanto al Perugino, il Pintoricchio e l’altro possibile aiuto nella stesura del dipinto, Bartolomeo della Gatta“). Siehe auch den Abschnitt zu Scarpellini (1991) in diesem Forschungsstand.↩︎
Ein Digitalisat des Buchs ist in der Śląska Biblioteka Cyfrowa (www.sbc.org.pl) zu finden, Tafel 62 zeigt Virginio Orisini.↩︎
Meller 1974, 270.↩︎
Ebd., 269–270. Zur Diskussion um Viriginio Orisinis Porträt in der Sixtinischen Kapelle vgl. auch den Eintrag zum Fresko Zug durch das Rote Meer. Meller irrt sich übrigens in seiner Angabe der Erstidentifizierenden des von ihm abgelehnten Selbstbildnisses Peruginos in der Schlüsselübergabe: Er gibt Crowe und Cavalcaselle, Storia della pittura in Italia Bd. 9, 1907 an (Meller 1974, 277 (Anm. 40)).↩︎
In Ihrer Bibliografie fehlt der ein paar Jahre zuvor veröffentlichte Aufsatz Mellers, in dem er die Figur als Virginio Orsini identifiziert (s. o.).↩︎
Sleptzoff 1978, 132.↩︎
Ebd.↩︎
Ferino Pagden 1989, 64–66.↩︎
Vgl. Scarpellini 1991, 79.↩︎
Schweikhart 1993, 16.↩︎
Asemissen/Schweikhart 1994, 67.↩︎
Roettgen 1997, 84.↩︎
Ebd., 96.↩︎
Roettgen 1997, 82–83, 84, 96. Die Verortung dieser Bildnisse rührt wiederum davon her, dass sich gegenüber diesen letztgenannten Fresken der Papstthron befindet.↩︎
Ebd., 97.↩︎
Woods-Marsden 1998, 259 (Anm. 4 zu S. 105).↩︎
Garibaldi 1999, 105.↩︎
Garibaldi 2004, 82.↩︎
Ebd., 77–82.↩︎
Nesselrath 2003, 51; diese Ansicht wiederholt der Autor im Jahr darauf (Nesselrath 2004, 113).↩︎
Marchand 2004, 310 (Anm. 381).↩︎
Ebd., 308–310.↩︎
Rehm 2009, 101.↩︎
Ebd.↩︎
Rossi 2020, o. S.↩︎
Der Vergleich macht unsicher
Für die Sixtinische Kapelle wurden insgesamt drei integrierte Selbstbildnisse Peruginos vorgeschlagen – in der Reise des Moses nach Ägypten, im Testament und Tod Mose und in der Schlüsselübergabe. Letzteres ist das mit Abstand am intensivsten diskutierte, wobei sowohl gute Argumente für als auch gegen ein Selbstbildnis vorgebracht wurden. Jenes in Testament und Tod kann bislang als Einzelmeinung bezeichnet werden.
Bereits Steinmann (s. o.) sprach an, was auch heute noch schnell ins Auge springt: Aufgrund der erheblichen Unterschiede zwischen den beiden vorgeschlagenen Selbstbildnissen in der Reise und in der Schlüsselübergabe bezüglich Alter, Statur und auch Physiognomie dürfte es äußerst unwahrscheinlich sein, dass Perugino in beiden Figuren dargestellt ist. Lange, der beide Selbstbildnis-Identifizierungen als Erster vorschlug, löste dieses Problem teilweise, indem er die Schlüsselübergabe später, auf Ende der 1480er Jahre, datierte (s. o.). Diese Datierung findet heute jedoch keine Zustimmung mehr.1 Es gilt also, die beiden möglichen Selbstbildnisse unter Einbeziehung verschiedener Aspekte gegeneinander abzuwägen.
Peruginos genaues Geburtsjahr ist nicht bekannt, Garibaldi setzt es in ihrer Monografie zum Maler zwischen 1445 und 1452 an – er dürfte also zum Zeitpunkt seiner Beschäftigung in der Sixtinischen Kapelle zwischen Ende 20 und Mitte 30 gewesen sein. Somit ist ein Ausschluss eines der Porträts aufgrund eines unpassenden Alters kaum möglich.
Während die Selbstbildnisse der übrigen Maler in der Sixtinischen Kapelle tendenziell versteckter in größeren Personengruppen vermutet werden, wäre Perugino im Vergleich dazu in der Schlüsselübergabe recht prominent dargestellt. Zwar ist auch von dieser Figur fast ausschließlich die Büste zu sehen (ein Stück des Gewandes und der Teil eines Schuhs blitzen durch), doch ist die Szene deutlich weniger bevölkert als andere in den Wandfresken und zudem befindet sich die Figur in unmittelbarer Nähe zu den Aposteln. Doch dieses Umfeld, in dem sich der Maler präsentieren würde, kann nicht einfach als unpassend abgetan werden, wurde doch immer wieder vermutet, nicht wie von Vasari behauptet Botticelli,2 sondern Perugino hätte eine Führungsposition unter den Malern der Sixtinischen Kapelle eingenommen.3 Perugino ist auch der einzige Maler, der ein Wandbild (Die Taufe Christi) signiert hat.4
Unabhängig von der Identifizierung mit konkreten Personen sind die Männer rechts von der hier diskutierten Figur durch ihre Attribute klar als Architekten bzw. als mit dem Bau von Gebäuden – in diesem Fall naheliegenderweise der Sixtinischen Kapelle – befasste Männer gekennzeichnet. Ausgehend davon wäre zu klären, wie üblich die (Selbst-)Darstellung eines Malers in diesem Kreise war.5
Lange ging noch davon aus, dass dieses Bildnis als Vorlage für den Porträtstich in Vasaris Vita Peruginos gedient hätte. Prinz weist aber darauf hin, dass der Druckgrafik das Selbstbildnis Peruginos im Collegio del Cambio (siehe dazu den Eintrag zum Künstler in der Datenbank) zugrunde liegt.6 Obwohl der Stecher sich einige Freiheiten herausnahm, kann dem Befund von Prinz aufgrund von Details, die zwischen Cambio-Selbstbildnis und Druckgrafik übereinstimmen, zwischen Druckgrafik und Schlüsselübergabe aber nicht, zugestimmt werden.7 Sicherlich ist auch Meller Recht zu geben, wenn er schreibt, Perugino habe bei Porträts mit „stereotype elements“8 gearbeitet (s. o.) – dadurch sind am Ende alle vorgeschlagenen Selbstbildnisse Peruginos mehr oder weniger miteinander vereinbar. Ein Detail allerdings sticht heraus: Die vorgeschlagenen Figuren in der Anbetung der Könige, in der Reise und auch im Cambio haben – sofern dies anhand von Reproduktionen verlässlich bestimmt werden kann – dunkle bzw. braune Augen. Die Augenfarbe der hier diskutierten Figur in der Schlüsselübergabe hingegen ist deutlich heller.
Wie in der Ausführung des Forschungsstandes deutlich wurde, liegt für die Figur in der Schlüsselübergabe seit Meller (s. o.) ein alternativer Identifikationsvorschlag vor: Er sieht hier Virginio Orsini dargestellt. Dass ein Porträt des päpstlichen Generals in den Wandfresken der Sixtina existiert, ist plausibel. Bereits Vasari erwähnt ein Porträt Orisinis, das ihm zufolge allerdings aus der Hand Piero di Cosimos stammt.9 Meller stützt seinen Vorschlag u. a. mit einem Porträtstich Orsinis aus Aliprando Capriolis Ritratti di cento capitani illustri (1600). Den Porträts in diesem Band sind kurze Beschreibungen beigefügt und in jener Virginio Orsinis heißt es im letzten Absatz, er habe ein rötliches Gesicht, blaue Augen und schwarze Haare gehabt.10 Dies würde zur hier diskutierten Figur passen. Nesselrath spricht darüber hinaus von der Bindehautentzündung Orsinis, die Perugino abgebildet habe, liefert aber keine weiteren Erklärungen oder Belege dazu.11
Steinmann macht sich in einem Aufsatz auf die Suche nach dem Porträt Orsinis und geht dabei davon aus, dass dieser in militärischem Umfeld porträtiert worden sein könnte.12 Ob Steinmann mit den Männern in Rüstung im Durchzug durch das Rote Meer tatsächlich die richtigen Figuren finden konnte, sei dahingestellt,13 doch hat das Argument der wahrscheinlichen Kennzeichnung als Militär etwas für sich und würde wieder gegen eine Identifizierung mit der hier diskutierten Figur sprechen.
In früheren kunsthistorischen Ausführungen wurde bisweilen mit despektierlichen, dabei wenig sachdienlichen Beschreibungen von Porträtköpfen bzw. Rückschlüssen auf den Charakter der Person nicht hinter dem Berg gehalten. Auffällig negativ äußerten sich Forscher über Peruginos mögliches Selbstbildnis in der Schlüsselübergabe. Steinmann schreibt etwa, in der Figur habe sich Perugino selbst nach dem Spiegel „mit einem fetten Gesicht und Doppelkinn, ganz gewiss kein genialer Künstlerkopf“14 porträtiert. Benkard lässt sich gar zur folgenden Aussage hinreißen: „Der Anblick dieses Gesichtes mag als lehrreiches Beispiel dafür gelten, ein wie gefährlicher Artikel Gefühlsseligkeit zu allen Zeiten war und ist. Perugino, der Meister der empfindsamen Madonnen und Heiligen, trug schon in seinem etwa 40. Lebensjahre die behäbige Fülle zur Schau, mit der uns sein Selbstbildnis auf dem Fresko mit der Schlüsselübergabe an Petrus in der Sixtinischen Kapelle bekannt macht.“15 Ein ganz anderes Stereotyp bedient dagegen Sleptzoff in ihrer Interpretation des Porträts: „not that his neighbours are ideal beings but the face we are considering – the stout man’s in the prime of life, sensitive, intelligent, with the dishevelled hair of a Bohemian – expresses more. His self-scrutiny in the mirror is not only that of a painter who wants to copy appearances; it is a look that judges, the look of a man given to introspection.“16 In diesen wertenden Aussagen könnte ein Nachhall der Präsentation Peruginos durch Vasari in dessen Viten zu hören sein. Vasari zeichnet ein negatives Bild von Perugino, kreidet ihm Wiederholungen und Gleichförmigkeit an und stellt ihn als altmodisch und stur dar. Dabei kannte der frühe Kunsthistoriker Perugino und sein Werk schlecht und dürfte ihn als Kontrastfolie für die Florentiner Künstler missbraucht haben.17
Abschließend kann festgehalten werden, dass die hier diskutierte Figur auffällt – nicht zuletzt dadurch, dass sie mit ihrem strengen und eindringlichen Blick jenen der BetrachterInnen auffängt und ins Bild hineinzieht. Vergleicht man diesen Blick mit dem des Apostels links der Figur, der ebenfalls aus dem Bild schaut, wird unmittelbar ein Unterschied verständlich: Man ist konfrontiert mit dem entrückten Blick einer biblischen Gestalt auf der einen und mit dem Selbstbewusstsein eines realen Quattrocentisten auf der anderen Seite. Ob es aber tatsächlich der Blick des Malers sein könnte, bleibt mangels konkreter Hinweise oder gar Beweise weiterhin unklar.
Verweise
Zur Datierung vgl. etwa Scarpellini 1991, 77. Pfisterer 2013, 25 schlägt eine neue Reihenfolge und Datierung vor, nimmt aber ebenfalls an, dass das hier diskutierte Fresko während der Hauptphase zu Beginn der 1480er ausgeführt wurde.↩︎
Vasari/Lorini/Dombrowski 2010, 28.↩︎
Vgl. etwa Nesselrath 2003, 50; Rehm 2009, 101; Woods-Marsden 1998, 105; Zöllner 2005, 86. Nesselrath betrachtet die Frage differenziert.↩︎
Nesselrath 2003, 50. Siehe dazu auch die Text zur Sixtinischen Kapelle in dieser Datenbank.↩︎
Diese Frage kann im gegebenen Rahmen nicht beantwortet werden, eine umfassende Untersuchung des hier diskutierten Selbstbildnisses müsste sich jedoch damit auseinandersetzen.↩︎
Prinz 1966, 106.↩︎
Zu nennen sind hier beispielsweise die Haare insbesondere an der rechten Seite des Kopfes, die umgestülpte Kopfbedeckung oder das teilweise sichtbare Ohr.↩︎
Meller 1974, 270.↩︎
Vasari/Irlenbusch/Lorini 2008, 15. Vasari erwähnt dieses Porträt erst in der zweiten Ausgabe der Viten.↩︎
Caprioli 1600, Nr.62: „di volto rubicondo: d'occhi azzurri: & capelli neri“.↩︎
Nesselrath 2003, 51.↩︎
Steinmann 1895, insbesondere 186f.↩︎
Bacci 1966, 128f referiert den Forschungsstand zu diesen Identifizierungen.↩︎
Steinmann 1901, 348.↩︎
Benkard 1927, 11.↩︎
Sleptzoff 1978, 132.↩︎
Diese Einschätzung Vasaris stützt sich auf Hiller von Gaertringen 2011a; Hiller von Gaertringen 2011b.↩︎
Literatur
Zitiervorschlag:
Gstir, Verena: Schlüsselübergabe an Petrus (Katalogeintrag), in: Metapictor, http://explore-research.uibk.ac.at/arts/metapictor/katalogeintrag/perugino-pietro-schlusselubergabe-an-petrus-1481-bis-1482-vatikanstadt-cappella-sistina/ (05.12.2025).