Inhaltsverzeichnis
Objekt
Bildrechte
| Detailtitel: | Wunder des hl. Vinzenz Ferrer (Predella von: Griffoni-Polyptychon) |
| Alternativtitel Deutsch: | Predella Griffoni-Polyptychon |
| Titel in Originalsprache: | Predella del Polittico Griffoni; Miracoli di San Vincenzo Ferrer |
| Titel in Englisch: | Miracle of St. Vincent Ferrer; Predella of the Griffoni Polyptychon |
| Datierung: | 1473 |
| Ursprungsregion: | italienischer Raum |
| Lokalisierung: | Vatikan; Vatikanstadt; Pinacoteca Vaticana |
| Lokalisierung (Detail): | Inventarnummer: 40286 |
| Medium: | Predella; Tafelbild |
| Material: | Tempera |
| Bildträger: | Holz |
| Maße: | Höhe: 30 cm; Breite: 215 cm |
| Ikonografische Bezeichnung: | Vinzenz Ferrer |
| Iconclass: | 11H(VINCENT FERRER)51 – miraculous healings of St. Vincent Ferrer |
| Signatur Wortlaut: | ohne |
| Datierung Wortlaut: | ohne |
| Auftraggeber/Stifter: | Floriano Griffoni (Patrizier) |
| Provenienz: | Cappella Griffoni, San Petronio, Bologna; 1725 Demontage und Zerteilung des Polyptychons durch Kardinal Pompeo Aldrovandi (Basis für die Verteilung der verschiedenen Kompartimente an unterschiedlichen Orten); Predella 1839 in päpstlichen Besitz und 1909 in den Bestand der Pinacoteca Vaticana überführt |
| Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt: | unbekannt |
Bildnis 1
Bildrechte
| Lokalisierung im Objekt: | erste Figur von links |
| Ausführung Körper: | Ganzfigur stehend |
| Ausführung Kopf: | Dreiviertelporträt |
| Ikonografischer Kontext: | Figur am linken Rand einer Reihe von Wunderdarstellungen; der Episode der Heilung einer Gelähmten zugeordnet |
| Blick/Mimik: | Blick nach links; angedeuteter Sprachgestus |
| Gesten: | Hände nicht sichtbar |
| Körperhaltung: | aufrecht mit nach links gewandtem Kopf; leichte Schrittstellung; weitausladende Armhaltung |
| Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal: | am linken Rand der Predella; der Säulenarchitektur der ersten Wunderszene (Heilung einer Gelähmten) vorgelagert; an vorderer Bildebene, im Gegensatz zu weiteren Figuren (etwa Figurengruppe rund um das Pferd in Rückenansicht weiter rechts) vom Bildrand nicht beschnitten; zur Gänze einsichtig; raumgreifende Wirkung durch breite Armhaltung; in Farbe, Kleidung und Ausführung den beiden Porträtfiguren rechts der ersten Szene ähnlich; Kopf und Teile des Körpers von einer Ziegelmauer hinterfangen und betont, in dieser befindet sich ein Fenster mit einer Spiegelung; hinter der Figur und weiter links im Bild führt ein dunkler Durchgang in eine unbestimmte Tiefe |
| Kleidung: | schwarze Kleidung mit auffälligem rot-weißen Besatz; schwarze Kopfbedeckung |
| Zugeordnete Bildprotagonisten: | weitere zeitgenössisch gekleidete Figuren in der vorderen Bildebene, insbesondere die beiden möglichen Porträts rechts der ersten Wunderszene (Heilung einer Gelähmten), von Filippini vorgeschlagen als zwei Stifter aus der Familie Griffoni; der ältere der beiden von Torella als Stifter Floriano Griffoni interpretiert |
Forschungsergebnis: Roberti, Ercole de
| Künstler des Bildnisses: | Roberti, Ercole de |
| Status: | kontrovers diskutiert |
| Typ | Autor/in | Jahr | Referenz | Seite | Anmerkungen |
|---|---|---|---|---|---|
| Erstzuschreibung | Filippini | 1933 | Filippini 1933 – Pittori ferraresi del Rinascimento | 12f | - |
| Erstzuschreibung | Filippini | 1933 | Filippini 1933 – La predella di Ercole da | o. S. | - |
| Bejahend | Bargellesi | 1934 | Bargellesi 1934 – Ercole da Ferrara | o. S. | - |
| Bejahend | Salmi | 1960 | Salmi 1960 – Ercole de Roberti | 15, 35 | - |
| Bejahend | Torella | 1985/87 | Torella 1985/87 – L'ombra della mezzaluna sull'arte italiana | 47 | - |
| Bejahend | Manca | 1992 | Manca 1992 – The Art of Ercole de’ | 96 | - |
| Skeptisch/verneinend | Molteni | 1995 | Molteni 1995 – Ercole de’ Roberti | 115 | - |
| Skeptisch/verneinend | Gigante | 2010 | Gigante 2010 – Autoportraits en marge | 111 | - |
Filippini identifiziert 1933 das Selbstporträt Ercole de’Robertis in zwei Publikationen. In einer Abhandlung zu Pittori ferraresi benennt der Autor das in Signaturfunktion gestaltete Selbstbildnis in der Griffoni-Predella und führt zudem eine verlorene Selbstdarstellung des Malers aus der Cappella Garganelli an, die über eine Kopie im Louvre erhalten ist.1 In detaillierteren Überlegungen zur Predella in einem getrennten Text streicht Filippini sowohl die Porträthaftigkeit der schwarz gekleideten Figur am Rand der Predella als auch ihre isolierte Stellung heraus. De’Roberti, ein Schüler Cossas, zeige sich über das Porträt für seine Arbeit verantwortlich: „Il giovane pittore, dunque, quasi per affermare e distinguere la sua personalità da quella del maestro, non senza legittimo orgoglio, per la grande diligenza e l'amore posto nel suo lungo lavoro, ha voluto porre in principio della predella, il suo stesso ritratto. Ciò non equivale a una firma?“ Zur Untermauerung der These bringt der Autor die Figur in Abstimmung mit weiteren Bildnissen Ercoles: Sowohl das bei Vasari publizierte Porträt des Malers als auch die über eine Kopie überlieferte verlorene Selbstdarstellung aus der Cappella Garganelli zeige dieselben physiognomischen Charakteristika: etwa ein rundes Gesicht, große Augen, volle Lippen, eine gebogene Nase, lange Haare.2
Bargellesi (1934) illustriert seine Ausführungen zu Leben und Werk von Ercole de‘Roberti mit einer Abbildung der in der Bildunterschrift als „autoritratto“ titulierten Figur der Predella.3
Salmi (1960) glaubt, dass die Figur am Bildrand von Cossa entworfen wurde, meint aber, dass sie von de‘Roberti coloriert und in eine Selbstdarstellung überführt worden sei. Auch Salmi erinnert der Mann an das verlorene Bildnis der Cappella Garganelli.4 Dort habe der Maler möglicherweise nach inspirierenden Studien in Florenz, etwa des Freskenprogramms Ghirlandaios in der Sassetti-Kapelle, Porträts eingebracht.5
Torella (1985/87) unterstützt Filippinis Einschätzung.6
Auch Manca (1992) erscheint die Selbstporträtthese plausibel, da sowohl die Platzierung als auch die Erscheinung der Figur an das Selbstbildnis de‘Robertis aus der Garganelli-Kapelle erinnern.7
Molteni (1995) trägt den Forschungsstand zum möglichen Selbstporträt wertneutral und kommentarlos vor.8
Gigante (2010) erkennt in den beiden Figuren im Gemälde in Paris zwei Vertreter der Stifterfamilie (Domenico und Bartolomeo). Weiterführend bezieht sich die Autorin wertneutral auf den Forschungsstand zum Bildnis in der Griffoni-Predella, wenngleich ihr kritischer Hinweis auf die Verwandtschaft, die zwischen den Bildnissen der beiden Werke erkannt wurde, einer indirekten Ablehnung der Selbstporträtthese gleichkommt: „Une partie de la critique a cru reconnaître, toutefois, une parenté entre le jeune de la Dormitio Virginis du Louvre et le premier personnage à gauche, en noir, dans la première scène de la Prédelle Griffoni […] et a dès lors proposé de reconnaître dans ce dernier un autre autoportrait de Roberti.“ 9
Der festaiuolo
„Costui, dunque, avendo miglior disegno che il Costa, dipinse sotto la tavola da lui fatta in San Petronio, nella cappella di San Vincenzio, alcune storie di figure piccole a tempera, tanto bene e con si bella e buona maniera, che non è quasi possibile veder meglio, nè imaginarsi la fatica e diligenza che Ercole vi pose: laddove è molto miglior opera la predella che la tavola“,1 so Vasari. Neben diesem überschwänglichen Lob des Biografen findet die Predella auch Erwähnung in einer Auflistung Pietro Lamas, der sie dabei der Hand Ercole de’Robertis zuweist, den Rest des Polyptychons jedoch nicht erwähnt. Bereits diese beiden frühen Aufzeichnungen betonen die Qualität der Predella und betrachten sie getrennt vom Gesamtensemble des Polittico Griffoni, das auf verschiedene Museen aufgeteilt ist.2 Beim Griffoni-Ensemble handelt es sich um das bedeutendste erhaltene Werk, das die Zusammenarbeit von Ercole de‘Roberti und seinem Meister Francesco del Cossa belegt. Die Predella ist de‘Roberti zugeschrieben, der als junger Künstler seinen persönlichen Stil auslotete.3
Die in mittlerer und hinterer Bildebene synchron dargestellten Episoden aus den Wundertätigkeiten des hl. Vinzenz Ferrer4 folgen einem Rhythmus, der sich aus Zäsuren, Freiflächen und konzentrierten Handlungsebenen einstellt. Der angestrebte Einheitsraum entwickelt sich sowohl in die Breite als auch in die Tiefe, führt in unbestimmte Bildgründe und in den BetrachterInnenraum, was sich insbesondere über an vorderster Bildebene angesiedelte, stark beschnittene Bildelemente zeigt (etwa das Pferd in Rückenansicht). Veduten und Landschaftselemente, Charaktere unterschiedlichster Nationen in verschiedenen Zeit- und Handlungsebenen (darunter das vermutliche Selbstbildnis) besiedeln die bühnenartig aufgebaute szenische Zusammenschau und aktualisieren das Gemälde, zudem überführen sie es auch in Allgemeingültigkeit. Wie Mosso betont, darf die Predella als innovative und experimentelle persönliche Interpretation antiker Friese interpretiert werden, die den Maler in Dialog mit etwa Giovanni Bellini oder Andrea Mantegna bringt.5
Als Selbstdarstellung Ercole de‘Robertis wird eine schwarz gekleidete, in ausladender Körperhaltung isoliert am linken Predellenrand stehende Figur angenommen. Die Identifizierung des Künstlerbildes basiert auf Vergleichen mit dem Vitenbild des Malers bei Vasari und einem ebenfalls bei Vasari thematisierten Selbstporträt, einem verlorenen Bildnis aus der Cappella Garganelli, das über eine Kopie überliefert ist.6 Die festgestellten physiognomischen Ähnlichkeiten der Bildnisse können dabei nur in groben Zügen bestätigt werden, handelt es sich doch in zwei von drei Fällen um Porträts aus zweiter Hand; zudem ist im Fall des Holzschnittes bei Vasari die der Technik geschuldete, wenig detaillierte Darstellung mitzudenken. Weit aufschlussreicher hingegen sind die Position und die Erscheinung der Figur. Erstere entspricht der eines auktorialen Erzählers,7 der zur Anleitung der BetrachterIn eingesetzt wurde. In zeitlicher, räumlicher und psychologischer Differenzierung nimmt der Maler eine den Bildinhalt vermittelnde Position am Rand der Bildbühne ein. Wie zur Verstärkung seiner Präsenz versammelt er dezente Hinweise auf den Innovationsgrad seiner Erfindung in unmittelbarer Nähe seiner vermutlichen Selbstinszenierung: Hinweise auf innerbildliche und bildexterne Raumerschließung (der dunkle Durchgang in Richtung Hintergrund, die Schrittstellung nach vorne, der Blick seitlich aus dem Bild heraus), auf bildtheoretische Grundlagen (ein Albertis Bildkonzept andeutendes Fenster) und auf die Herstellung von Selbstporträts (die in der Predella singuläre Spiegelung im Fenster). Die auffällige, stark raumeinnehmende Körperhaltung der Figur hingegen weist zudem starke Übereinstimmungen mit dem, im Einleitungstext zum Maler als Kopie von Ercole de‘Robertis Selbstdarstellung aus der Garganelli-Kapelle besprochenen Porträt auf. Von einer direkten Bezugnahme zum verlorenen Bildnis in der Garganelli-Kapelle und folglich einer Präfiguration des von Alberti erwähnten Selbstbildnisses kann ausgegangen werden. Der Innovationsgrad der Griffoni-Predella ist allgemein anerkannt – eine Befürwortung der Selbstdarstellung überführt den Maler in eine weitere, die künstlerische Leistung verstärkende Ebene.
Verweise
Vasari (hg. von Milanesi 1878), 142f.↩︎
Aus der umfangreichen Literatur zum Griffoni-Polyptychon gesamt vgl. u. a. Costarelli 2020; Ferretti 2020, 1–113; Lowe 2020; Mauro 2021 (die Publikation konnte nicht eingesehen werden); Mosso 2023; Natale/Cavalca 2020; Torella 1988/89; zur Predella im Besonderen vgl. u. a. Cavalca 2007; Filippini 1933a; Gentili 1982; Jaffé u. a. 1999, XXVIf; Manca 1992, 93–97; Molteni 1995, 114–117; Torella 1985/87. Die Rekonstruktion des Ensembles geht auf Longhi zurück, dessen Ausführungen weitgehend anerkannt sind, vgl. Longhi 1934, 48–50. Zu einer schematischen Darstellung des Polyptychons vgl. Mosso 2023, 118 (Abb. 23). Die Predella gehört zur Sammlung der Pinacoteca Vaticana, weitere Teile des Ensembles befinden sich im Bestand von Museen in London (National Gallery), Washington (National Gallery of Art), Mailand (Pinacoteca di Brera), Gazzada (Museo di Villa Cagnola), Paris (Musee du Louvre), Rotterdam (Museum Boijmans van Beuningen), Ferrara (Pinacoteca nazionale) und Venedig (Fondazione Giorgio Cini).↩︎
Vgl. etwa Jaffé u. a. 1999, xxvii.↩︎
Die Heilung einer Gelähmten, Die Auferstehung einer Hebräerin, Die Rettung eines Knaben aus einem brennenden Haus; Die Erweckung eines von der Mutter getöteten Jungen. Zu einer detaillierten Beschreibung der Szenen vgl. u. a. Torella 1985/87, 47f.↩︎
Mosso 2023, 124.↩︎
Zu den Vergleichsbildern vgl. den Einleitungstext zu Ercole de’Roberti.↩︎
Zum auktorialen Erzähler vgl. Horký 2003, 130–141.↩︎
Literatur
Zitiervorschlag:
Krabichler, Elisabeth: Wunder des hl. Vinzenz Ferrer (Katalogeintrag), in: Metapictor, http://explore-research.uibk.ac.at/arts/metapictor/katalogeintrag/roberti-ercole-de-wunder-des-hl-vinzenz-ferrer-1473-vatikanstadt-pinacoteca-vaticana/ (05.12.2025).