Die Prozession zum Sakramentswunder von Sant’Ambrogio
Rosselli, Cosimo
Italien; Florenz; Sant’Ambrogio
Inhaltsverzeichnis
Objekt
Bildrechte
| Alternativtitel Deutsch: | Die Übergabe des Kelchs mit dem Sakramentswunder an den Erzbischof; Prozession des hl. Ambrosius und Eucharistiewunder |
| Titel in Originalsprache: | Trasferimento del calice miracoloso dalla chiesa di sant’Ambrogio all’episcopio; Miracolo dell’Eucaristia; |
| Titel in Englisch: | The Procession of the Holy Blood; The Miracle of the Holy Blood; The Display of the Miraculous Relic |
| Datierung: | 1484 bis 1486 |
| Ursprungsregion: | italienischer Raum |
| Lokalisierung: | Italien; Florenz; Sant’Ambrogio |
| Lokalisierung (Detail): | Cappella del Miracolo del Sacramento; linke Wand; Teil der malerischen Gesamtausstattung bestehend aus: Kirchenväter (im Gewölbe), Engel mit Musikinstrumenten und Weihrauchfässern (an der Altarwand um den Altar von Mino da Fiesole) ebenfalls von Rosselli |
| Medium: | Wandbild |
| Material: | Fresko; Secco; Gold; Wachs |
| Ikonografische Bezeichnung: | Blut, Heiliges: Wunderblut |
| Iconclass: | 11H(AMBROSE) – Ambrose, bishop of Milan; possible attributes: beehive, cradle with baby, three-knotted scourge; 11Q73244 – legends and miracles associated with the Eucharist (or the Host) |
| Signatur/Datierung Position: | signiert und datiert auf den Stufen der Kirche |
| Auftraggeber/Stifter: | Benediktinerinnen von Sant’Ambrogio vertreten durch Salvino Salvini („governatore“ des Konvents) und Maria Barbadori (Äbtissin) |
| Provenienz: | in situ |
| Zugänglichkeit zum Entstehungszeitpunkt: | öffentlich |
Das Wandbild wurde während der Restaurierung 1965/66 abgenommen, die Sinopie ist heute separat in der Kirche ausgestellt.1 Der genaue Inhalt der Darstellung ist nicht abschließend geklärt, Gabrielli listet die verschiedenen Deutungen und kommt selbst zum Schluss, es müsse der Moment dargestellt sein, in dem der Bischof die Reliquie an sich nimmt, um sie zu untersuchen.2
Gabrielli erwähnt die Signatur und Datierung auf den Stufen, ohne eine Transkription bereitzustellen. Die fragmentarischen Schriftzeichen wurden bereits früher bemerkt und sind der Autorin zufolge heute nur noch auf Fotos vor der Restaurierung in den 1930ern zu sehen.3
Zu den AuftraggeberInnen4 und zu weiteren, teils verlorenen Arbeiten von Rosselli für Sant'Ambrogio.5
Bildnis 1
Bildrechte
| Lokalisierung im Objekt: | dritte Figur von links |
| Ausführung Körper: | Kopfbild |
| Ausführung Kopf: | Dreiviertelporträt |
| Ikonografischer Kontext: | Teil der Menschenmenge, die sich anlässlich eines Ereignisses (Prozession) rund um das Wunderblut von Sant’Ambrogio auf dem Vorplatz der Kirche versammelt hat |
| Blick/Mimik: | direkter Blick aus dem Bild |
| Gesten: | Hände nicht sichtbar |
| Körperhaltung: | aufrecht stehend, Körperachse parallel zur Bildoberfläche, Kopf nach links (weg von der Bildmitte) gedreht |
| Interaktion/Raum-, Bildraumbeziehung/ Alleinstellungsmerkmal: | zwischen zwei miteinander kommunizierenden Männern, überschnitten von diesen; etwas weiter hinten schließt rechts eine Gruppe von drei Frauen an (Teil einer größeren Menge, aber klar als Dreiergruppe erkenntlich); wiederum rechts von dieser im Vordergrund eine weitere Dreiergruppe stehender Männer, vorgeschlagen als Pico della Mirandola flankiert von Marsilio Ficino und Angelo Poliziano |
| Kleidung: | einfache schwarze Kopfbedeckung; soweit sichtbar ebensolche Kleidung, weißer Kragen; ähnlich gekleidet ist nur die linke Randfigur |
| Zugeordnete Bildprotagonisten: | in einer Gruppe von vier Männern am linken Bildrand im Vordergrund |
Auf Abbildungen ist der linke Bildrand häufig beschnitten oder liegt im Schatten, sodass die linke Randfigur (Blick Richtung Bildinneres, schwarze Kopfbedeckung) fehlt.
Zur Identifizierung der Dreiergruppe im rechten Vordergrund als Pico della Mirandola flankiert von Marsilio Ficino und Angelo Poliziano vgl. Gabrielli.1
Verweise
Detaillierte Aufschlüsselung der Zuschreibungen in Gabrielli 2007, 192–194; siehe auch unten.↩︎
Forschungsergebnis: Rosselli, Cosimo
| Künstler des Bildnisses: | Rosselli, Cosimo |
| Status: | kontrovers diskutiert |
| Typ | Autor/in | Jahr | Referenz | Seite | Anmerkungen |
|---|---|---|---|---|---|
| Erstzuschreibung | Steinmann | 1901 | Steinmann 1901 – Die Sixtinische Kapelle | 398, 403 | - |
| Bejahend | Zeri/Gardner | 1971 | Zeri, Gardner 1971 – Italian Paintings | 148 | - |
| Bejahend | Horký | 2003 | Horký 2003 – Der Künstler ist im Bild | 68f | - |
| Skeptisch/verneinend | Gabrielli | 2007 | Gabrielli 2007 – Cosimo Rosselli | 192 | - |
Steinmann (1901) dürfte das hier diskutierte Selbstbildnis Rossellis in Sant’Ambrogio als erster benannt haben. Er bespricht es im Kontext seiner Beschäftigung mit der Bergpredigt desselben Malers in der Sixtinischen Kapelle. Der Autor macht auf zwei Männer links im Vordergrund der Bergpredigt aufmerksam, die sich unterhalten; einer der Männer hat dem Betrachter den Rücken zugekehrt und wendet sich dem anderen zu, sodass er im Profil erscheint. In Sant’Ambrogio habe Rosselli diese Figurenkonstellation mit Variationen erneut verwendet, nun aber sich selbst dazwischen eingebracht. Für Steinmann ist dieses Selbstbildnis in Sant’Ambrogio auch Vergleichsbeispiel für das von ihm festgestellte in der Bergpredigt.1
In einem Katalogeintrag zum Porträt eines Mannes (um 1482, Tempera auf Holz, New York, The Metropolitan Museum of Art) von Rosselli gehen Zeri/Gardner (1971) u. a. der Frage nach, ob es sich bei diesem autonomen Bildnis um ein Selbstporträt handelt. Sie verweisen auf die Ähnlichkeit dieses Männerbildnisses mit zwei als Selbstbildnis diskutierten Figuren Rossellis – jener in der Bergpredigt und jener in Sant’Ambrogio. Alle drei Bildnisse könnten ihnen zufolge Rosselli darstellen, am wenigsten wahrscheinlich sei dies beim autonomen Bildnis.2
Horký (2003) hält das hier diskutierte Selbstbildnis, das in den meisten Reiseführern erwähnt werde, für „abgesichert“, da es den von Steinmann in der Bergpredigt und von Padoa Rizzo in Santissima Annunziata (siehe die Vorbemerkung zu Rosselli) identifizierten Selbstbildnissen ähnlich sehe. Die Autorin arbeitet auch heraus, wie das Selbstbildnis hervorgehoben ist: Es befindet sich in einer von zwei abgesetzten Dreiergruppen3 von Männern in der linken Bildhälfte, unterscheidet sich durch die schwarze Bekleidung von seinen Begleitern und blickt direkt auf den in die Kapelle eintretenden Betrachter.4
In ihrer Monografie zu Cosimo Rosselli erwähnt Gabrielli (2007) das mögliche Selbstbildnis in Sant’Ambrogio und hält es auch für kompatibel mit der als Selbstbildnis vorgeschlagenen Figur in der Bergpredigt.5
Verweise
Steinmann 1901, 398, 403.↩︎
Zeri/Gardner 1971, 148.↩︎
Der Autorin dürfte nur eine auf der linken Seite beschnittene Abbildung zur Verfügung gestanden haben, wie sie vielfach kursieren, sodass ihr die eigentliche linke Randfigur unbekannt blieb und sie die Männer am linken Bildrand als Dreier- anstatt richtig als Vierergruppe bezeichnet.↩︎
Horký 2003, 68f.↩︎
Gabrielli 2007, 192.↩︎
Fliegender Wechsel
Auch wenn die Ikonografie des großen Bildfeldes in der Sakramentskapelle von Sant’Ambrogio nicht im Detail geklärt ist, steht außer Frage, dass ein Ereignis, wahrscheinlich eine Prozession, dargestellt ist, bei der das Wunderblut des Eucharistiewunders von 1230 im Mittelpunkt steht.1 Verortet ist das Ereignis heute noch erkennbar am Vorplatz der Kirche von Sant’Ambrogio.2 In der Forschung wurden daher immer wieder Porträts von Personen des 13. Jahrhunderts sowie von Zeitgenossen Rossellis vorgeschlagen,3 bereits Vasari spricht von einem gelungenen Bildnis Giovanni Pico della Mirandolas, nennt aber keine konkrete Figur.4 In der eingesehenen Literatur bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts kommt in erster Linie das Porträt Picos (teils mit Identifizierungen der anderen beiden Männer dieser Gruppe) zur Sprache,5 das mögliche Selbstbildnis beschreibt lediglich Steinmann (s. o.). Dieses wurde in der Folge in der Forschung immer wieder erwähnt,6 aber fast nie ausführlicher diskutiert.7
Ein Vorbild für Rosselli dürfte Masaccios Darstellung der Sagra im Kreuzgang der Florentiner Kirche Santa Maria del Carmine gewesen sein,8 in der ebenfalls die Bildnisse zahlreicher Zeitgenossen sowie ein Selbstbildnis vermutet werden. Vor Rosselli griff Ghirlandaio in der Sassetti-Kapelle auf Masaccios Bildfindung zurück,9 auch Ghirlandaio dürfte dort in den Exequien sich selbst und Angelo Poliziano porträtiert haben. Auch in Sant’Ambrogio findet sich mit der linken Randfigur, die in der Forschung bislang kaum beachtet wurde, eine weitere Person, die aufgrund ihrer räumlichen Nähe zur hier diskutierten Figur und aufgrund der nahezu identen Kleidung (nur diese beiden Figuren tragen im Bildvordergrund ein schwarzes Gewand, das einen weißen Kragen sichtbar lässt, sowie eine schwarze Kopfbedeckung) eine gewisse Zugehörigkeit zum möglichen Selbstbildnis demonstriert. Diese Kleidung zeichnet wiederum auch das vorgeschlagene Selbstbildnis Rossellis in der Bergpredigt aus.
Vergleicht man die verschiedenen vorgeschlagenen Selbstbildnisse Rossellis miteinander, so scheinen sich jenes in der Bergpredigt und jenes in Sant’Ambrogio, die auch zeitlich nahe beieinander liegen, generell am ähnlichsten zu sehen. Das Gesicht ist jeweils länglich, fast spitz, mit langer Nase und gefurchter Stirn, die Haare dunkel und etwas gelockt; Mund und Kinn lassen sich ebenso miteinander in Einklang bringen wie die grünliche Augenfarbe und – wie eben bemerkt – auch die Bekleidung. Diese Beobachtungen scheinen die Selbstbildnis-These zu stützen, können sie aber nicht beweisen, denn Rosselli könnte auch eine andere Person zweimal porträtiert oder einen Karton aus der Sixtinischen Kapelle in Sant’Ambrogio wiederverwendet haben. Dass Rosselli Elemente aus dem päpstlichen Auftrag recycelte, zeigt die bereits von Steinmann erwähnte Konstellation zweier Männer, die in ähnlicher Weise in der Bergpredigt und in Sant’Ambrogio auftauchen (s. o.).
Da bei Restaurierungsarbeiten in den 1960er Jahren das Fresko abgenommen wurde und die Sinopie10 seither separat ausgestellt ist, bietet sich eine Gegenüberstellung dieser beiden Arbeitsschritte Rossellis an. Unter den zahlreichen Änderungen sind hier auch jene von Interesse, die eine Figurengruppe im rechten Bildvordergrund betreffen:11 Während in der Unterzeichnung sowohl die junge Frau vor den Stufen der Kirche als auch das rechts von ihr befindliche Mädchen im Profil zu sehen sind, haben sie in der Malschicht ihr Gesicht dem Betrachter zugewendet und blicken aus dem Bild.12 Auch die hier als Selbstbildnis diskutierte Figur schaut erst im fertigen Fresko zum Betrachter, in der Sinopie hat sie den Kopf und vermutlich auch den Blick gesenkt. Rosselli entschied sich also mindestens dreimal dazu, Figuren gegenüber der Sinopie so abzuändern, dass sie durch ihren Blick aus dem Bild den Betrachter direkt ansprechen und als Vermittlerfiguren fungieren können.13
Ein weiterer interessanter Unterschied zur Sinopie fiel Grillotti auf. Ihr zufolge sollte Pico, der eindeutig am langen Haar zu erkennen sei, ursprünglich in der Figurengruppe links dargestellt werden, in der sich auch das hier diskutierte Selbstbildnis befindet, und zwar in der Rückenfigur rechts vor dem möglichen Selbstbildnis.14
Der für integrierte Selbstbildnisse charakteristische Blick aus dem Bild war in Sant’Ambrogio also nicht von Beginn an vorgesehen. An diese Bemerkung lassen sich mehrere Fragen anknüpfen, etwa, ob spätere Betrachter ohne diesen speziellen Blick überhaupt auf den Gedanken gekommen wären, in dieser Figur ein Selbstbildnis Rossellis zu suchen. Die physiognomischen Ähnlichkeiten zum vorgeschlagenen Selbstbildnis in der Bergpredigt dürften so stark sein, dass diese Frage vorsichtig positiv beantwortet werden kann. Andererseits könnte die Entscheidung, ein Selbstbildnis in das Fresko zu integrieren, auch erst nach dem Anbringen der Unterzeichnung gefallen sein und möglicherweise in Zusammenhang mit der Verlegung des Porträts Pico della Mirandolas stehen. In den zur Verfügung stehenden Reproduktionen sieht es überdies so aus, als würde in der Unterzeichnung die linke Randfigur fehlen, für die hier ein Zusammenhang mit Rosselli in den Raum gestellt wurde. Eine mögliche Interpretation dieser Tatsachen und Beobachtungen wäre also, dass zu einem späten Zeitpunkt entschieden wurde, Picos Porträt an eine zentralere Position zu verschieben, wodurch Platz für ein Selbstbildnis Rossellis frei wurde, der sich gemeinsam mit einem Mitarbeiter dargestellt haben könnte. Der Konjunktiv bleibt bei dieser Interpretation jedoch obligatorisch.
Verweise
Zu den Ereignissen im Jahr 1230 und ihren Folgen siehe Borsook 1981; Grillotti 1998.↩︎
Borsook 1981, 181; Ciseri 2018, 64.↩︎
Vgl. etwa die Zusammenstellung bei Gabrielli 2007, 192–194.↩︎
Vasari/Lorini/Hoff 2010, 63–65.↩︎
Baldinucci, 376; Cavalcaselle/Crowe 1898, 169f; Francioni 1875, 37; Marle 1929, 606; Orzalesi 1900, 10; Richa 1755, 248 (Richa zitiert „Cinelli Gio.“ wörtlich ohne nähere Angaben).↩︎
So etwa Cinelli 2018, 76; Fahy 2011, 301f; Grillotti 1998, 72 (FN 42); Prinz 1966, 95f.↩︎
Die umfangreichen Quellen zu Sant’Ambrogio und zum Auftrag an Rosselli wurden im Rahmen dieses Forschungsprojekts nicht ausgewertet. Es kann jedoch vorsichtig davon ausgegangen werden, dass in ihnen kein Hinweis auf ein Selbstbildnis Rossellis zu finden ist, sind die Quellen doch bereits von Francioni 1875 publiziert und seither wiederholt thematisiert worden, vgl. etwa Borsook 1981; Ciseri 2018, 62.↩︎
Vgl. etwa Eckstein 2014, 47–50; Grillotti 1998, 72; Joannides 1993, 445f.↩︎
Borsook 1981, 181.↩︎
Zur Sinopie siehe Griswold 2001, 49–51.↩︎
Eine Gegenüberstellung dieser Figurengruppe in Sinopie und Malschicht findet sich hier: o. A. 2016.↩︎
Im Unterschied zur Sinopie blickt schräg links oberhalb des vermuteten Selbstbildnisses auch eine Nonne frontal aus dem Bild. Am rechten Bildrand scheint der Blick aus dem Bild von der vorletzten Figur auf die Randfigur übergangen zu sein, es dürfte hier also keine „neue“ Betrachteransprache hinzugekommen sein.↩︎
Grillotti 1998, 73.↩︎
Literatur
Zitiervorschlag:
Gstir, Verena: Die Prozession zum Sakramentswunder von Sant’Ambrogio (Katalogeintrag), in: Metapictor, http://explore-research.uibk.ac.at/arts/metapictor/katalogeintrag/rosselli-cosimo-die-prozession-zum-sakramentswunder-von-santambrogio-1484-bis-1486-florenz-santambrogio/ (05.12.2025).