Francesca, Piero della
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| Weitere Namen: | Piero dei Franceschi; Piero Franceschi; Piero di Franceschi; Piero Deifranceschi; Piero dellaFrancesca; Piero de la Francesca; Piero della Francesco; Piero di Benedetto di Piero Franceschi da Sansepolcro; Piero di Benedetto di Pietro; Pietro di Benedetto dei Franceschi; Pietro di Benedetto dei Franceschi; Pietro di Benedetto; Pietro dei Franceschi; Petrus Pictor Burgensis; Petrus Burgensis; Piero Adriatico |
| Geburt: | um 1412 in Sansepolcro |
| Tod: | 1492 in Sansepolcro |
| Lexika: | AKL | GND |
Nach mündlicher Überlieferung werden in Sansepolcro, dem Geburtsort Piero della Francescas, in zwei Werken der Stadt Selbstporträts vermutet: das eine auf der Mitteltafel des Misericordia-Altares und das andere auf dem Wandgemälde der Auferstehung Christi im ehemaligen Konservatorenpalast. Auch in seinem umfangreichen Kreuzzyklus in Arezzo soll der Künstler sich selbst verewigt haben, so etwa bei der Szene der Begegnung der Königin von Saba mit König Salomon. Die Forschung des 20. Jahrhunderts hat ihn zudem in anderen Szenen des Zyklus‘ identifiziert. Vor nicht allzu langer Zeit wurde schließlich auch eine der Gestalten der rätselhaften Geißelung Christi in Urbino als Selbstbildnis gedeutet.
Ein schwerwiegendes Argument bei vielen dieser Zuweisungen ist die propagierte Ähnlichkeit zu einem autonomen Selbstporträt aus der Hand des jungen Künstlers, das sich in Form einer kleinen Tafel lange im Besitz der Nachkommen des Künstlers in Sansepolcro befunden habe. Die Tafel wird schon 1848 im Kommentar zur Vasari-Ausgabe von Marchese u. a. erwähnt und gleichzeitig in einen Ähnlichkeitsbezug zum Vitenbildnis der zweiten Vasari-Ausgabe gestellt: „[U]na tavoletta col ritratto di Piero stesso, dipinto di sua mano [...] ch'è quel medesimo, dal quale Vasari trasse copia per un ornamento della sua opera“.1 Dieses jugendliche Selbstbildnis wurde von der Familie Franceschi-Marini wahrscheinlich im 19. Jahrhundert veräußert und galt seitdem als verschollen.2 Burckhardt erwähnt diese „tavoletta“ noch 1898 in seinen Beiträgen zur Kunstgeschichte.3 Eine qualitätvolle Tafel im Musée des Beaux Arts in Besançon, die einen jungen Mann mit blondem lockigem Haar darstellt, wurde von einigen ForscherInnen mit eben dieser Tafel gleichgestellt.4 Da eine Zuweisung an Piero inzwischen eindeutig widerlegt ist, nimmt Prinz an, dass die Tafel aus Besançon zwar nicht das besagte Selbstporträt Pieros sei, aber aus dem Besitz der Familie stamme und als Vorlage für das Vitenbildnis Vasaris gedient habe.5 Vayer vermutet in der Tafel aus Besançon eine Kopie des Künstlers Francesco del Cossa6 nach dem verschollenen Selbstporträt.7 Erst 2007 wurde aber im Katalog zur Ausstellung Piero della Francesca e le corti italiane in Arezzo eine Tafel aus der Sammlung Frescobaldi in Florenz mit dem verschollen geglaubten Selbstbildnis des jungen Pieros identifiziert.8
Im Besitz der Franceschi-Marini befand sich auch jenes ganzfigurige Porträt Piero della Francescas9 aus der Hand des Santi di Tito, das sich heute im Museo Civico von Sansepolcro befindet.10 Nach Uguccioni soll dessen Schöpfer das Jugendbildnis Pieros als Vorlage genommen haben.11 Es zeigt einen arrivierten Gelehrten mit Hermelinrobe und Berretto bekleidet sowie den Werken des Euklid und des Archimedes an seiner Seite. Er hat auffallend jugendliche Gesichtszüge, die seit der Entfernung des später zugefügten Schnauzbartes umso deutlicher hervortreten.12 Ebenfalls auf das Jugendbildnis Pieros soll wie bereits erwähnt das Porträt zurückgehen, das wahrscheinlich Cristoforo Coriliano für die zweite Ausgabe von Vasaris Viten geschaffen hat.13 Es zeigt gleichfalls einen relativ jungen Mann mit großen Augen und ziemlich kantigen Gesichtszügen, wobei diese vielleicht dem Medium des Holzschnittes geschuldet sind. Er trägt ein Berretto, unter dem einige dunkle Locken hervorquellen und ihm in die Stirn fallen.14 Ein weiteres Porträt des Künstlers aus dem 16. Jahrhundert befindet sich im Salone der Accademia di San Luca in Rom.15
Wegen Übereinstimmungen mit den schon erwähnten Darstellungen wurden noch zwei autonome Bildnisse im Werk als Kryptoporträts festgestellt: Zum einen vermutet Del Vita in der Figur des Herkules16, die sich heute in Boston befindet, die Züge des Künstlers.17 Er sieht Ähnlichkeiten zu den in Sansepolcro traditionell als Selbstporträts definierten Figuren in der Auferstehung Christi und in der Misericordia-Tafel, nämlich das krause Haar, die groben Züge und die rundlichen Augen.18 Zum anderen erkennt Gilbert in der Darstellung des Petrus Martyrus 19in Arezzo die Züge des Künstlers wieder. Er vergleicht diesen mit einer Figur aus der Szene der Begegnung der Königin von Saba mit König Salomon aus demselben Kreuzzyklus, die schon Del Vita als Selbstbildnis identifiziert hatte.20 Gilbert nimmt des Weiteren an, dass der Karton zu Petrus Martyrus als Vorlage für das ganzfigurige Porträt Santi di Titos gedient hatte, was von Lightbown allerdings stark bezweifelt wird.21 Inzwischen wird angenommen, dass die Figur des heiligen Petrus Martyrus von Lorentino d’Andrea ausgeführt wurde und es sich somit nicht um ein Selbstporträt Pieros handeln kann.22
Ein weiters integriertes Selbstporträt wurde auf einer zerstörten Wandmalerei aus Ferrara vermutet. Das Schlachtengemälde ist nur in einer Kopie erhalten, die sich heute in London befindet, und wird deshalb nicht näher behandelt.23
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Hauptargumentationen der ForscherInnen auf Ähnlichkeitsfeststellungen beruhen. Durch das Vorhandensein eines autonomen Selbstporträts des jungen Künstlers in Sansepolcro, für dessen Authentizität die Nachkommen des Künstlers bürgen konnten, wurden in zwei Werken der Stadt integrierte Selbstbildnisse erkannt. Die Ähnlichkeit zum Selbstbildnis ließ sich damals durch eigenen Augenschein vor Ort in der Auferstehung Christi und auf der Misericordia-Tafel überprüfen. Fast alle späteren Zuweisungen berufen sich auf diese Ähnlichkeiten, umso mehr, als sie auch auf dem Vitenbild Vasaris zu finden sind – welches ja auf das Jugendbild zurückgehen soll. Die entsprechenden Bildnisse lassen sich einem Gesichts-Typus mit folgenden Eigenschaften zuordnen: rundliche Gesichtsform, dunkles, lockiges bis krauses Haar, rundliche, leicht hervortretende Augen, ausgeprägte Nasolabialfalten. Durch diese Züge ist der erste Typus der vermuteten Selbstporträts definiert. Del Vita geht von den Bildnissen in Sansepolcro aus und identifiziert Piero auch im Bostoner Herkules und in einer Figur der Begegnung der Königin von Saba mit König Salomon in Arezzo. Die Figur in Arezzo unterscheidet sich offensichtlich durch ein höheres Alter und eine länglichere Gesichtsform von den anderen. Er weist u.a. auf das hagere, längliche Gesicht, den energisch zusammengekniffenen Mund und einen starren, durchdringenden Blick hin.24 Diese Unterschiede erklärt er durch das unterschiedliche Alter des Künstlers bei der Entstehung der Werke. Der hagere Mann mittleren Alters mit den großen Augen und dem intensiven Blick repräsentiert den zweiten Typ der Selbstporträts. Neben den beiden soeben charakterisierten Typen gibt es noch einen dritten Gesichtstyp, der mit den Zügen Piero della Francescas in Zusammenhang gebracht wird: Roeck erkennt den Künstler nämlich in der Figur des älteren Mannes mit kurz geschorenem Haar und angespitzten Ohren, der des Öfteren im Werk Pieros erscheint.25 Dieser Typ unterscheidet sich fundamental von den beiden anderen und kann mit diesen nicht in Verbindung gebracht werden. Mercier übernimmt Roecks Zuweisung und erkennt zudem ein Selbstbildnis des Künstlers in der Figur des knieenden Gläubigen auf der Hieronymus-Tafel 26 der Galleria dell‘Accademia in Venedig.27
Verweise
Zitiert bei Uguccioni 1995, 157.↩︎
Ebd., 158; Weisbach sieht es noch 1835 erwähnt, 1861 war es schon verschollen, Weisbach 1900, 389f.↩︎
Burckhardt 1898, 181.↩︎
Anonym, Florenz oder Ferrara, Porträt eines jungen Mannes, um 1460, Besançon, Musée des Beaux-Arts et d’Archéologie.↩︎
Prinz 1966, 81f.↩︎
Zum Künstler vgl. Francesco del Cossa.↩︎
Vayer 1992, 435.↩︎
Refice 2007, 252.↩︎
Santi di Tito, Porträt Piero della Francescas, 1. Hälfte 17. Jahrhundert, Sansepolcro, Museo Civico.↩︎
Angelini 2014, 17.↩︎
Uguccioni 1995, 158.↩︎
Benolli nimmt den Schnauzbart noch als Ausschlusskriterium für die Authentizität des Santi-Proträts, Benolli 1994, 54.↩︎
Lightbown 1994, 244.↩︎
Cristoforo Coriliano, Porträt Piero della Francescas, aus der Ausgabe der Vite von Giorgio Vasari von 1568.↩︎
Vayer 1992, 435. Abbildung nicht greifbar.↩︎
Del Vita 1920, 110; Centauro und Settesoldi übernehmen diese Zuweisung, Centauro/Settesoldi 2000, 48.↩︎
Del Vita 1920, 110.↩︎
Piero della Francesca, Hl. Petrus Martyrus, Arezzo, Basilica di San Francesco, Abbildung in: De Vecchi 1967, 95.↩︎
Gilbert 1968, 89 (Anm. 41).↩︎
Lightbown 1994, 248.↩︎
Angelini 2014, 220.↩︎
Battisti 1992, 610 (Abb. 52b).↩︎
Del Vita 1920, 111f.↩︎
Roeck 2007, 89f.↩︎
Piero della Francesca, Der hl. Hieronymus und ein Stifter, um 1452, Venedig, Galleria dell’Accacemia.↩︎
Mercier 2021, 160.↩︎
Zugehörige Objekte
Auferstehung Christi
Francesca, Piero della
um 1458
Italien; Sansepolcro; Museo Civico
Auffindung und Prüfung des Kreuzes
Francesca, Piero della
1454 bis 1458
Italien; Arezzo; Basilica di San Francesco
Die Anbetung des heiligen Holzes und die Begegnung von Saba und Salomon
Francesca, Piero della
1454 bis 1458
Italien; Arezzo; Basilica di San Francesco
Die Schlacht zwischen Heraklius und Chosroes
Francesca, Piero della
1454 bis 1458
Italien; Arezzo; Basilica di San Francesco
Folter des Judas
Francesca, Piero della
1454 bis 1458
Italien; Arezzo; Basilica di San Francesco
Geißelung Christi
Francesca, Piero della
um 1448 bis 1449
Italien; Urbino; Galleria Nazionale delle Marche
Schutzmantelmadonna
Francesca, Piero della
1445 bis 1460
Italien; Sansepolcro; Museo Civico
Literatur
Zitiervorschlag:
Rupfle, Harald: Francesca, Piero della (Künstler), in: Metapictor, http://explore-research.uibk.ac.at/arts/metapictor/kuenstler/francesca-piero-della/ (05.12.2025).