Ghirlandaio, Domenico

Bildrechte
Weitere Namen:Domenico Ghirlandaio; Domenico Bigordi Ghirlandaio; Domenico di Tommaso di Currado di Doffo Biordi; Domenico di Tommaso Biorgi da Firenze; Domenico Bigordi; Domenico Ghirlandajo; Domenico Grillandajo; Domenico di Tommaso Ghirlandaio; Domenico di Tommaso Bigordi; Domenico Bighordi; Domenico del Ghirlandaio; Domenico Grillandai; il Ghirlandaio; Domenico di Tommaso di Currado di Doffo Bigordi; Domenico Corradi
Geburt: 1449 in Florenz
Tod: 1494 in Florenz
Lexika: AKL | GND

Domenico Ghirlandaio und seine Werkstatt

Domenico Ghirlandaio gehört zu den bedeutendsten und meistbeschäftigten Malern in Florenz im ausgehenden 15. Jahrhundert. Bereits für das Ensemble seiner ersten freskierten Gesamt-Kapellenausstattung in San Gimignano in den späten 1470er Jahren werden für das Bildfeld der Beerdigung der hl. Fina diverse Figuren als Selbstdarstellungen diskutiert. In diesem Frühwerk ist der Einsatz von Assistenzporträts in architektonisch gegliederten Bildräumen als Ausdruck sozialer Interaktion und politischer Inszenierung grundgelegt – ein System, das Ghirlandaio im Folgejahrzehnt in Florenz in den Ausstattungen der Sassetti- (1485) und der Tornabuoni-Kapelle (1486–90) zur Meisterschaft bringen sollte. Ließe sich die Theorie zum integrierten Selbstporträt in San Gimignano bestätigen, so wäre dort präfiguriert, was in Varianten zu einem Markenzeichen Ghirlandaios werden sollte: Die expressive Formulierung seiner Person in Kombination mit wesentlichen Mitgliedern seiner Werkstatt und/oder künstlerischen Vorbildern, dargestellt mit ausdrucksstarker Mimik und Gestik, eingebettet in ein dichtes Netz von Bezügen, vorzugsweise an Bildschwellen positioniert. In Kompositionen, die aus der Kapelle der hl. Fina entwickelt scheinen, wird dies im Bildfeld der Erweckung eines Knaben in der Sassetti-Kapelle sichtbar, am deutlichsten aber in der Vertreibung von Joachim aus dem Tempel in Ghirlandaios Hauptwerk, der Tornabuoni-Kapelle. Für diese beiden Kapellenverbände werden zahlreiche Bildnisse – mehr oder minder überzeugend – als integrierte Selbstporträts übereinstimmender kompositioneller Verankerungen erörtert. Teils unklare Autorenschaft impliziert auch die Möglichkeit, dass es sich von Fall zu Fall um potenzielle Selbstdarstellungen von Werkstattmitgliedern wie Davide Ghirlandaio oder Sebastiano Mainardi handeln könnte, was eine Vorbildwirksamkeit des Meisters auch in Bezug auf integrierte Bildnisse für seine Familie und seine Schüler möglich macht.
Zu den vorgeschlagenen Selbstporträts gehören in der Sassetti-Kapelle neben der Erweckung eines Knaben die Exequien des hl. Franziskus und die Feuerprobe vor dem Sultan. Einer These Roeslers, die auf die Möglichkeit eines Porträts oder einer Selbstdarstellung Davide Ghirlandaios in der Figur des Hl. Davids über dem linken Pfeiler des Bogens des Kapelleneingangs weist, wird auf Grund des autonomen Charakters des Bildnisses nicht nachgegangen.1
Für die Tornabuoni-Kapelle sind die Bildfelder Vertreibung von Joachim aus dem Tempel und Heimsuchung besprochen. Die mutmaßliche Selbstdarstellung in letztgereihtem Fresko sprengt den Rahmen von Ghirlandaios System der Selbst- und Werkstattinszenierung: Hier erscheint der Meister alleine, vergleichsweise unauffällig und klein inmitten des Bildfeldes. Nicht die eigene Werkstatt ist thematisiert, vielmehr stehen starke Reminiszenzen zu Jan van Eyck im Raum – ein Zusammenhang, der in dieser Deutlichkeit hier erstmals Erwähnung findet. Nahezu zeitgleich belegt auch ein eigenständiges Gemälde von Domenicos Bruder Benedetto, eine Geburt Christi, eine starke Verbindung italienischer und nordischer Entwicklungen. Zudem bietet die Tornabuoni-Kapelle mit der einzigen Signatur des Malers – BIGHORDI GRILLANDAI (Familien- und Berufsname in der Mehrzahl) – im Bildfeld der Mariengeburt einen weiteren Sonderfall der Selbstinszenierung.2 Ein Hinweis auf mögliche Künstlerbilder im Bildfeld der Predigt des Johannes in der Tornabuoni-Kapelle wird nicht weiter verfolgt.3

Mögliche Selbstbildnisse Ghirlandaios (teils samt Werkstatt) werden auch im Rahmen der Gesamtausstattung der Sixtinischen Kapelle (1481/82), in der sich eine prinzipielle Vielzahl von Künstlerbildern (Porträts und Selbstporträts) und anderen Selbstinszenierungsmechanismen findet, angenommen (spekuliert): Zum einen eine zwischenzeitlich auf Grund einer revidierten Zuschreibung der Autorenschaft durchaus vage Vermutung einer Selbstdarstellung im Zug durch das rote Meer, zum anderen ein als Kryptonym gewerteter, als Blumenkranz ausgeführter Kopfschmuck auf dem Haupt eines Jünglings in der Berufung der Apostel Petrus und Paulus (ghirlanda/Ghirlandaio)4 und schließlich ein mögliches Selbstbildnis im zwischenzeitlich zerstörten Bildfeld der Auferstehung und Himmelfahrt Christi.

Auch in Ghirlandaios Tafelmalerei lassen sich Selbstporträts in teils abgewandelten Systemen der BetrachterInnenansprache ausmachen. Während eine Darstellung im Altarbild zur Anbetung der Hirten in der Sassetti-Kapelle trotz früher Beschreibung von Vasari kontrovers diskutiert wird, erfährt die Identifizierung eines Selbstbildnisses im Innocenti-Altarbild weitgehende Anerkennung. Ein weiteres Porträt in einer Anbetung der Könige in den Uffizien wird trotz mangelnder bisheriger Thematisierung, aber wegen übereinstimmender Aspekte mit anderen Selbstbildnissen, in die Datenbank aufgenommen.
Einer These Horkýs zufolge kann zudem ein Ghirlandaio zugeschriebenes Tafelbild, das Porträt eines Mannes in Detroid, als mögliches autonomes Selbstbildnis des Malers eingestuft werden. Zu dieser Überzeugung gelangt die Autorin nach Vergleichen von Kopfhaltungen diverser Selbstdarstellungen.5

Ghirlandaio begründete eine weitreichende Traditionslinie – die Reihe möglicher Selbstbildnisse, die sich aus seinem Werkstattverband heraus entwickeln sollte, reicht bis ins 16. Jahrhundert hinein. Dies ist etwa über Bildnisse von Domenicos Sohn Ridolfo, unter anderem in der Kapelle des Familiensitzes in Colle Ramole (Villa La Grande Podere), verdeutlicht.6

Verweise

  1. Roesler beruft sich auf die in der florentinischen Skulptur tradierte Verwendung der Pose für David-Darstellungen, über deren Ikonografie das Triumphzeichen des angewinkelten Ellenbogens als Erkennungsmerkmal etabliert ist. Über eine breit angelegte Indizienkette verknüpft die Autorin das Selbstporträt Domenico Ghirlandaios im Bildfeld der Erweckung eines Knaben auf der Altarwand der Kapelle mit der auf der Kapellenfassade dargestellten David-Figur und resümiert, dass sich das Siegesmotiv auf diese beiden Figuren verteile. Wegen der Namensgleichheit von Domenicos Bruder Davide mit dem alttestamentarischen Helden könnte sich nach Roesler die Gelegenheit eines Rollen- oder Kryptoporträts ergeben habe. Die Züge des hl. David lassen sie die Möglichkeit eines Porträts oder gar Selbstporträts Davide Ghirlandaios vermuten. Vgl. Roesler 1999, 23–29. Trotzdem eine Ausführung des Bildfeldes durch Davide prinzipiell möglich ist, lässt sich Roeslers sehr ambitionierte These zum gegebenen Zeitpunkt nicht verifizieren – die David-Figur kann weder als Porträt noch als Selbstporträt festgeschrieben werden. Zu Davide Ghirlandaio als potenziellen Maler der David-Figur vgl. Kecks 2000, 254; Tolnay 1961, 246; zu Ghirlandaios Werkstatt allgemein vgl. Cadogan 2000, 153–171; zu Davides Werdegang und seinem Status innerhalb der Werkstatt vgl. u. a. Kecks 2000, 117–122.↩︎

  2. Neben Selbstdarstellungen bringt Ghirlandaio in der Ausmalung der Tornabuoni-Kapelle auch eine Inschrift des Namenszuges an, den bereits Milanesi als Signatur des Künstlers erkannte. Vgl. Vasari (hg. von Milanesi 1878), 264 (Anm. 1). Horký verwies auf die Signatur als dritte Variante beglaubigender Selbstdarstellungen in der Kapelle. Vgl.: Horký 2003, 145; vgl. zudem u.a.: Kecks 2000, 288, mit Hinweisen auf die ältere Forschung; Marchand 2012, 110; Roesler 1999; Simons 1987, 242.↩︎

  3. Chrzanowska identifiziert zwei im rechten Mittelgrund, in hinterster Figurenebene sitzende Männer als zeitgenössische Porträts, die der Narration in auffälliger Anteilslosigkeit begegnen. Ausgehend von Domenico Ghirlandaios in der Tornabuoni-Kapelle prinzipiell angewandtem Prinzip der häufigen Darstellung und auch Wiederholung von Porträts stellt Chrzanowska fest, dass es sich bei den Männern trotz fehlender Identifizierung um Mitglieder von Ghirlandaios Werkstatt handeln könnte. Vgl. Chrzanowska 2016, 3. Die Umsetzung der Figuren in der Predigt des Johannes lässt auf Grund stilistischer Merkmale auf eine Beteiligung der Werkstatt – insbesondere der beiden Maler Davide Ghirlandaio oder Sebastiano Mainardi – schließen, weshalb ein mögliches Portrait eines Mitarbeiters die Option einer Selbstdarstellung impliziert. Diese These – ebenso wie die Theorie zum Werkstattbild – ist aber weder durch physiognomische Ähnlichkeiten zu Vergleichsbildnissen noch über sonstige Quellen zu stützen. Zum Forschungsstand und zu Vorschlägen zur Händescheidung vgl. u. a. Kecks 2000, 313, zur möglichen Beteiligung Davides 118, zur möglichen Beteiligung Sebastianos 124.↩︎

  4. Der italienische Begriff „ghirlanda“ bedeutet in der deutschen Übersetzung „Kranz“.↩︎

  5. Vgl. Horký 2003, 175–177; vgl. weiterführend Katalogeintrag zum Innocenti-Altarbild.↩︎

  6. Zur Familienkapelle und deren Ausstattung, die neben einer Selbstdarstellung Ridolfos auch ein Porträt Domenicos aufweist, vgl. ebd., 111f; Roesler 1999, 56–59.. Zu Bildnissen Ridolfos in Colle Ramole vgl.: Ridolfo Ghirlandaio, Selbstbildnis mit Porträt des Sohnes, Porträt von Domenico Ghirlandaio, 1515/16, Colle Ramole, Villa Agostini, La Grande Podere (Familienkapelle), Abbildungen: © Privatbesitz. Weitere mögliche Selbstbildnisse Ridolfos aus dem 16. Jahrhundert sind bei Roesler thematisiert, die sowohl eine monumentale Himmelfahrt Mariens in den Staatlichen Museen in Berlin als auch ein Gemälde zum Hl. Zenobius, der einen Knaben erweckt in den Uffizien in Florenz anführt. Vgl. Roesler 1999, 70, 136–138.↩︎

Zugehörige Objekte

Literatur

Cadogan, Jean K.: Domenico Ghirlandaio. Artist and Artisan, New Haven 2000.
Chrzanowska, Agata Anna: Ghirlandaio, Ficino and Hermes Trismegistus. The Prisca Theologia in the Tornabuoni Frescoes, in: Laboratorio dell'ISPF, 13. Jg. 2016, H. 16, 1–27.
Horký, Mila: Der Künstler ist im Bild. Selbstdarstellungen in der italienischen Malerei des 14. und 15. Jahrhunderts, Berlin 2003.
Kecks, Ronald G.: Domenico Ghirlandaio und die Malerei der Florentiner Renaissance (Italienische Forschungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz, 4. F., 2), München 2000.
Marchand, Eckart: His Masters Voice: Painted Inscriptions in the Works of Domenico Ghirlandaio, in: Artibus et Historiae, 33. Jg. 2012, H. 66, 99–120.
Roesler, Antoinette: Selbstbildnis und Künstlerbild in der italienischen Renaissance (Dissertation, Freie Universität Berlin), Berlin 1999.
Simons, Patricia: Patronage in the Tornaquinci Chapel, Santa Maria Novella, Florence, in: Kent, Francis William/Simons, Patricia/Eade, J. C. (Hg.): Patronage, Art, and Society in Renaissance Italy, Canberra u. a. 1987, 221–250.
Tolnay, Charles de: Two Frescoes by Domenico and David Ghrilandaio in Santa Trinità in Florence, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 1961, H. 23, 237–250.
Vasari, Giorgio: Le vite de' più eccellenti pittori, scultori ed architettori. Tomo III (Le opere di Giorgio Vasari, 3), hg. von Gaetano Milanesi, Florenz 1878.

Zitiervorschlag:

Krabichler, Elisabeth: Ghirlandaio, Domenico (Künstler), in: Metapictor, http://explore-research.uibk.ac.at/arts/metapictor/kuenstler/ghirlandaio-domenico/ (05.12.2025).