Lazzaro, Bastiani
Bildrechte
| Weitere Namen: | Lazaro Bastian; Lazaro Sebastian; Lazzaro Sebastiani; Lazzaro di Jacopo Bastiani |
| Geburt: | um 1425 in Padua |
| Tod: | 1512 in Venedig |
| Lexika: | AKL | GND |
Ein Augenzeuge
Lazzaro Bastiani gehört zusammen mit Künstlern wie Gentile und Giovanni Bellini, Mansueti oder Carpaccio der zweiten Generation venezianischer Maler an, die in der Tradition der venezianischen istoria stehen und die sich durch den von Fortini-Brown so bezeichneten „eyewitness style“ auszeichnen.1 Als „Augenzeugen“ schildern sie eine scheinbare Momentaufnahme der istoria: Ihre Darstellungen sind deskriptiv und detailtreu, bedacht auf Authentizität und Glaubhaftigkeit des historischen Ereignisses. Gemeinsam ist den genannten Künstlern zudem eine allgemeine narrative Grundhaltung, die sich vor allem in formalen Strategien in ihren Werken kundtut. Wie unten genauer erläutert, betrifft diese die Komposition, das Setting sowie die Positionierung der Figuren.
1495 gab die Scuola Grande di San Giovanni Evangelista einen Gemäldezyklus zu den Wundern der Kreuzesreliquie in Auftrag, die der Scuola im Jahr 1368 übertragen worden war. Der Zyklus umfasste wohl neun2 monumentale Leinwandgemälde3, die von Lazzaro Bastiani, Gentile Bellini, Vittore Carpaccio, Giovanni Mansueti, Pietro Perugino und Benedetto Diana geschaffen wurden. Die Gemälde werden heute in der Gallerie dell’Accademia in Venedig ausgestellt, waren ursprünglich jedoch für die Wände der Sala della Croce (albergo) bestimmt, wo die Kreuzreliquie aufbewahrt wurde.4
In diesem Kontext schuf Lazzaro Bastiani eine Darstellung der Übertragung der Reliquien des heiligen Kreuzes an die Scuola Grande di San Giovanni Evangelista (Offerta della reliquia della Croce ai confratelli della Scuola di San Giovanni Evangelista).5 Das Werk attestiert die Wahrhaftigkeit des historischen Ereignisses und ist durch die Darstellung des realen Ortes (die Kirche S. Giovanni Evangelista) und der als Zeugen auftretenden Bildprotagonisten stark in der Wirklichkeit der BetrachterIn verankert. Die Szene ist zentralperspektivisch konstruiert, bildzentral umrahmt eine Architektur das Geschehen. Diese kompositionellen Merkmale teilt Bastianis Offerta della reliquia mit den übrigen Gemälden des Zyklus. In allen Bildern dient ein Stadtvedute Venedigs als Bühnenraum für die Handlung, im Vordergrund sind die Szenen von zahlreichen Figuren bevölkert. In den Menschengruppen wurden Porträts von Mitgliedern der Scuola und anderen Persönlichkeiten der Stadt erkannt, ebenso potentielle Selbstporträts der Künstler.6 Zwar treten die als (Künstler)porträts thematisierten Figuren als Zeugen der istoria auf, doch handelt es sich meist um Bildfiguren, die ihre Aufmerksamkeit mehr auf die BetrachterIn und damit aus dem Bild heraus richten, als an der Bildhandlung teilzuhaben. Gerade durch diese formale Herausstellung wird ihre Rolle als Mittler wirksam.7
In der gesichteten Literatur zu Bastianis Übertragung der Kreuzesreliquie konnten keine Hinweise auf ein integriertes Selbstporträt des Künstlers gefunden werden. Allerdings sind die kompositionellen und formalen Parallelen zu den Historienbildern von Bastianis venezianischen Künstlerkollegen frappierend. Bastianis Werk lässt sowohl Einflüsse von Carpaccio als auch von Gentile Bellini erkennen.8 Es liegt daher nahe anzunehmen, dass die Systeme der auktorialen Einfügung der Künstler, wie sie bei Bellini, Carpaccio oder Mansueti zu sehen sind, auch für Bastianis istoria vermutet werden dürfen.
Die Möglichkeit, dass sich Lazzaro Bastiani selbst unter das Bildpersonal seiner Offerta della reliquia gemischt hat, soll im Folgenden anhand dreier Figuren thematisiert werden, in denen sich der Künstler dargestellt haben könnte. Bei diesen Thesen handelt es sich lediglich um Vorschläge, die zur weiteren Diskussion anregen mögen.
Die betreffenden Figuren befinden sich alle in unmittelbarer Nähe zu einem Podest, das als Schwelle ins Bild fungiert und in der Mitte aufgebrochen ist, um den Bildraum „zugänglich“ zu machen:
Im rechten unteren Bildbereich sitzt hinter diesem Podest eine hell gekleidete Figur. Sie stützt ihren Kopf in die linke Hand und scheint mit der rechten in einem Buch zu blättern. Die Haltung evoziert eine Interpretation als Melancholiegestus.9 Die Platzierung hinter der Schwelle lässt die Figur zwar physisch als der Szene zugehörig erscheinen, doch durch die helle Kleidung, die Abkehr von der Bildhandlung und die frontale Ausrichtung zur BetrachterIn wirkt die Figur vom Bildgeschehen isoliert. All diese Alleinstellungsmerkmale stützen eine Interpretation der Figur als mögliches Künstlerporträt.
Die anderen beiden Figuren befinden sich vor dem Podest und sind auf diese Weise von der eigentlichen Bildhandlung separiert. Direkt unter dem Mann im Melancholiegestus fällt ein rot gekleideter Mann auf. Er ist im Brustausschnitt dargestellt, die rechte Hand hat er auf die Brust gelegt, die linke weist auf das Bildgeschehen, bzw. in das Bild hinein. Der Kopf ist in Dreiviertelansicht wiedergegeben, der Blick über die linke Schulter nach hinten gewandt. Er wendet sich damit den sechs hinter ihm aufgereihten Figuren zu, deren Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet ist. Damit hat die Figur auktorialen Charakter und scheint in das Bild hineinzuführen. Der zugleich auf sich selbst und auf das Bild weisende Gestus erinnert an Ghirlandaios Anbetung der Hirten in der Sassetti-Kapelle.10 Der Vergleich mit der vermuteten Selbstdarstellung des Florentiner Künstlers sei an dieser Stelle trotz der verschiedenen Kunstlandschaften angesprochen – treten ähnliche Muster doch auch in der venezianischen Malerei auf –, ohne daraus weitere Schlussfolgerungen bezüglich einer konkreten Selbstporträt-These ziehen zu wollen. Schließlich könnte es sich auch um ein Porträt des Stifters bzw. eines Mitglieds der Scuola handeln, der das von ihm in Auftrag gegebene Werk präsentiert.11
Die zweite vor dem Podest platzierte Figur hebt sich durch ihre frontale Ausrichtung zur BetrachterIn und ihre hellrote Kleidung (mit schwarzer Haube) von der Menge ab. Sie findet sich auf der linken Seite inmitten einer Gruppe von sieben Männern. Die Gruppe fungiert damit als symmetrisches Pendant zur zuvor beschriebenen Figurengruppe auf der rechten Seite. Sie befinden sich gleichsam am Fuße der Bildbühne, im unmittelbaren Vordergrund. Beide Figurengruppen scheinen beim späteren Publikum ein solches Missfallen ausgelöst zu haben, dass sie zwischenzeitlich übermalt wurden und erst heute wieder freigelegt sind.12
Alle drei hier als Selbstporträts vorgeschlagenen Figuren nehmen eine auffällige Position innerhalb des Bildverbandes ein. Sie zeigen damit Reminiszenzen an als Selbstporträts thematisierte Figuren in den Werken von Gentile Bellini, Giovanni Mansueti oder Vittore Carapaccio. Jedoch fehlen eindeutige Hinweise wie etwa die Einfügung der Signatur in Form eines cartellino oder physiognomische Übereinstimmungen mit gesicherten Porträts des Künstlers, wie sie bei Bastianis venezianischen Künstlerkollegen zu finden sind. Von einem eigenen Katalogeintrag im Rahmen der Datenbank wird daher abgesehen.
Verweise
Fortini Brown 1988, bes. 125–132.↩︎
Die exakte Anzahl der Gemälde ist nicht überliefert. Man geht von neun oder zehn Werken aus.↩︎
Dazu gehören: Lazzaro Bastiani, Donation der Reliquie; Gentile Bellini, Wunder an der Brücke von San Lorenzo; Pietro Perugino, Aussendung der Schiffe Andrea Vendramins (verloren); Vittore Carpaccio, Der Patriarch von Grado heilt einen Besessenen; Giovanni Mansueti, Wunder an der Brücke von San Lio; Giovanni Mansueti, Heilung der Tochter des Nicoló Benvegnudo von San Polo; Gentile Bellini, Prozession am Markusplatz; Gentile Bellini, Heilung des Pietro de‘Ludovici; Benedetto Diana, Die Reliquie des heiligen Kreuzes rettet ein Kind.↩︎
Zur Geschichte des Gemäldezyklus vgl. Fortini Brown 1988, 60-66, 136. Zur medialen Bedeutung von Historienbildern vgl. Fortini Brown 1988, 1–5.↩︎
Lazzaro Bastiani, Offerta della reliquia della Croce ai confratelli della Scuola di San Giovanni Evangelista, Öl auf Leinwand, 323 x 441 cm, Gallerie dell’Accademica, Saal 20, Inv.-Nr. 561. Die Datierung schwankt zwischen den 1480ern und 1500. Weitestgehend anerkannt wird das im Pamphlet überlieferte Datum von 1494. Zur Datierung Bernasconi 1981; Zum Gemälde vgl. auch Moschini Marconi 1955, 56–58 (Kat. 56).↩︎
Fortini Brown 1988, 136–139; So könnte sich etwa Gentile Bellini in der Prozession auf dem Markusplatz und in der Bergung der Kreuzreliquie beim Ponte di San Lorenzo jeweils in einem Selbstporträt dargestellt haben. Zu Porträts in Gemälden für die Scuole, bes. im Zyklus zu den Wundern der Kreuzesreliquie für die Scuola San Giovanni Evangelista vgl. Wolters 1983, 153–159; Zu den venezianischen Historienbildern im Kontext des Porträts und Selbstporträts vgl. u. a. Horký 2003, 74–77.↩︎
Fortini Brown 1988, 223f↩︎
Moschini Marconi 1955, 57.↩︎
Zum Melancholiegestus im Kontext der Selbstdarstellung von Künstlern vgl. Krabichler 2024, 137f, mit weiterführender Literatur.↩︎
Zu zahlreichen Beispielen ähnlicher kommunikativer Weisegesten vgl. u. a. ebd., 124–128.↩︎
Da es sich bei der Auftraggeberschaft allerdings um die Scuola di San Giovanni Evangelista handelt, stellt sich die Frage, ob ein einzelnes Mitglied derart hervorgehoben worden wäre.↩︎
Fortini Brown 1988, 219; zur Darstellung von zeitgenössischen Personen in Historienbildern vgl. Fortini Brown 1988, 219–234.↩︎
Literatur
Zitiervorschlag:
Fankhauser, Kari: Lazzaro, Bastiani (Künstler), in: Metapictor, http://explore-research.uibk.ac.at/arts/metapictor/kuenstler/lazzaro-bastiani/ (05.12.2025).