Benozzo Gozzoli im Camposanto in Pisa
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Die Errichtung und Ausschmückung des Camposanto auf dem Dombezirk in Pisa war eines der großen Prestigeprojekte der Stadt. Für den Camposanto und die anderen Bauten auf dem Aushängeschild der Stadt, der Piazza del Duomo oder Piazza dei Miracoli, wurden die renommiertesten Künstler beauftragt.1 Nicht wenige von ihnen haben sich in verschiedener Form auf ihren Werken verewigt: Der Baumeister Rainaldus ließ eine Signaturtafel und eine Inschrift an der Fassade des Domes anbringen, der Architekt Busketus sein Grabmonument am linken Seitenportal. Man vermutet in der Bordüre des Kuppelmosaiks das Selbstporträt eines unbekannten Meisters, und am Chorgestühl des Doms ist wiederum ein Selbstbildnis des Intarsienmeisters Guido da Seravallino zu sehen. Auch dem Maler und Mosaik-Künstler Alesso Baldovinetti wird ein Selbstporträt in den Mosaiken des rechten Seitenportals zugewiesen. Anhand der zahlreichen Beispiele geht Horký von einem Wohlwollen der Dombauhütte gegenüber Selbstdarstellungen aus und sieht darin eine lokale Tradition begründet.2
Der Camposanto wurde in zwei Phasen von 1277 bis 1350 in Gestalt eines längsrechteckigen Kreuzganges von den Architekten Giovanni di Simone und Burgundio di Tado in unmittelbarer Nähe des Domes errichtet. Die Überlieferung, dass Erde aus dem Heiligen Land während des zweiten Kreuzzugs nach Pisa gebracht und für den Friedhof verwendet wurde, bezieht sich höchstwahrscheinlich auf den Vorgängerfriedhof.3 Dennoch erklärt sich der Aufwand für den Bau unter anderem mit dessen Funktion als Reliquienschrein für die geheiligte Erde, die laut Inschrift den darin Bestatteten das Ewige Leben garantierte.4
Ab 1360 wurden die Wände in zwei Jahrhunderten mit einem gewaltigen Freskenzyklus geschmückt. Sie zeigen Szenen aus dem Alten und Neuen Testament sowie aus den Viten verschiedener Heiliger. Ihre grundlegende Idee enthält die Ermahnung an ein gottgefälliges Leben.5 Zu den Künstlern, die im 14. Jahrhundert an der Ausschmückung beteiligt waren, zählen Francesco Traini, Buonamico Buffalmacco, Andrea Bunaiuti, Antonio Veneziano, Spinello Aretino, Taddeo Gaddi oder Piero di Puccio. Ab der Mitte des 15. Jahrhunderts wurde eine Wiederaufnahme der Arbeiten angedacht. Nach einem längeren Auswahlverfahren, bei welchem auch Andrea Mantegna, Vincenzo Foppa und Sandro Botticelli im Gespräch waren, wurde schließlich 1469 Benozzo Gozzoli mit dem prestigereichen Projekt beauftragt, nachdem er bereits 1468 ein Probestück mit der Trunkenheit des Noah geliefert hatte.6 Durch die Rechnungsbücher der Dombauhütte, der Opera del Duomo, sind wir genaustens über den Fortgang der Arbeiten unterrichtet, die bis 1484 dauerten.7 Die Pisaner Bürgerschaft war mit den Arbeiten derart zufrieden, dass dem Künstler 1477 eine Grablege im Camposanto gewährt wurde, die mit einer beschrifteten Platte gekennzeichnet wurde.8
Die Malereien des Camposanto waren schon früh in einem bemerkenswert schlechten Zustand, was mit der Nähe zum Meer und der feuchten, salzhaltigen Luft erklärt wird. Schon von Beginn an versuchten die Künstler, dieser klimatischen Unbill entgegenzuwirken, indem sie die erste Verputzschicht auf Strohmatten auftrugen, welche die Feuchtigkeit absorbieren sollten. Diese Technik schien aber den Verfall nur zu beschleunigen.9 Anfang des 19. Jahrhunderts war der Zustand des Camposanto und seiner Malereien schon derart desaströs, dass der damalige Kurator Carlo Lasinio damit beauftragt wurde, alle Szenen abzuzeichnen und in einem Druckwerk zu veröffentlichen. Im Zweiten Weltkrieg wurden durch einen Beschuss und den nachfolgenden Brand des Daches die verbliebenen Malereien noch weiter zerstört. Durch die gewaltigen Anstrengungen der Restauratoren wurden sowohl die Fresken als auch die Vorzeichnungen abgenommen und auf Trägermaterialien fixiert. Die Malereien können jetzt wieder in situ, die Vorzeichnungen im Museo delle Sinopie betrachtet werden. Das ursprüngliche Erscheinungsbild ging jedoch unwiderruflich verloren und einige Malereien können nur mit den Stichen Lasinios und mit Vorkriegsaufnahmen rekonstruiert werden.10
Ähnlich wie bei den Kunstwerken des Doms finden sich auch in den Wandmalereien des Camposanto zahlreiche Figuren, die als Selbstdarstellungen der entsprechenden Künstler gedeutet werden und mit der lokalen Tradition in Pisa begründet werden können. Von den Malern des Trecento sind Selbstbildnisse von Buffalmacco, Veneziano und di Puccio thematisiert worden, die im Folgenden kurz behandelt werden sollen.
Bei Vasari finden wir einen Hinweis zu einem Selbstbildnis des Antonio Veneziano im Camposanto: „Il ritratto d’Antonio Viniziano è di sua mano in Camp Santo in Pisa.“11 Die Malereien Venezianos sind inzwischen zerstört, was eine Überprüfung dieser Zuweisung ausschließt.12 Auch die Stiche Lasinios von den Gemälden geben keine weiteren Aufschlüsse.13
In den Vorzeichnungen zum Jüngsten Gericht, das inzwischen Buonamico Buffalmacco zugeschrieben wird, erscheint ein rätselhaftes Porträt eines Mannes mit breitkrempigem Hut,14 der die BetrachterIn frontal anblickt, während er dem Griff eines Dämons zu entkommen versucht.15 Auf dem ausgeführten Fresko findet sich dann keine Spur dieser Figur. Aufgrund des frischen Pinselstrichs und der fast modernen Ausführung der Zeichnung wurde gemutmaßt, dass es sich um ein Selbstbildnis des Malers handeln könnte, der sich selbst mit bitterem Humor auf der Seite der Verdammten darstellt. Er könnte aber auch eine ihm unliebsame Person scherzhaft in der Vorzeichnung porträtiert haben.16
Vasari erwähnt bei seinem Eintrag zu Buffalmacco ebenfalls ein Selbstporträt im Camposanto, welches er im Dekor der Szene Bau der Arche Noah in einem der quadratischen Medaillons des rahmenden Frieses lokalisiert. Er nimmt es dann als Vorlage für seine Porträtvignette in den Viten.17 Seit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Rechnungsbücher der Pisaner Dombauhütte werden diese Malereien Piero di Puccio zugeschrieben.18 Anhand einer Vorkriegsaufnahme kann das Bildnis überprüft und mit dem Vasari-Bild verglichen werden. Es befindet sich links neben dem Bildfeld im untersten Medaillon und zeigt einen Mann im Profil mit einer kapuzenartigen Kopfbedeckung, dem Mazzocchio.19 Dieses Bildnis entspricht bis in die Details der Darstellung bei Vasari: Man erkennt das halbverdeckte Ohr, die aus dem Hut hervorquellende Haarsträhne oder das im Nacken gefaltete Tuch.20 Inzwischen gilt diese Identifizierung als wissenschaftlich anerkannt.21 Außer bei Vasari findet sich auch in einer Schrift aus dem 16. Jahrhundert ein Hinweis auf ein Selbstporträt im Fries „unter der Arche Noah“.22
Von den Selbstbildnissen Gozzolis, die in den Szenen des Zyklus vermutet werden, sind diejenigen in einem Katalogbeitrag behandelt, die noch einen Erhaltungszustand aufweisen, der eine Lokalisierung der Figur möglich macht. Es sind dies diejenigen in der Anbetung, im Turmbau zu Babel und in Josef und seine Brüder in Ägypten. Alle anderen Vorschläge werden nur kurz hier im Vortext angerissen.
Gozzoli führt den Zyklus mit Szenen aus dem Alten Testament von Piero di Puccio fort und fügt dabei direkt unterhalb Pieros Bau der Arche Noah seinen Turmbau zu Babel an. Er versucht, möglichst nahtlos an den Zyklus di Puccios anzuschließen, indem er malerische Elemente übernimmt, wie etwa den gemalten architektonischen Rahmen, der mit Porträtmedaillons geschmückt ist. Auch werden die Strukturen der Balken und Bretter der Arche beim Gerüst der Turmbaustelle wieder aufgegriffen.23 Gozzoli erkannte offenbar auch die „bildliche Signatur seines Vorgängers“ und wiederholt diese dann, indem er sich selbst ebenso in einem Medaillon des Rahmenfrieses darstellt.24 So malt er seinen kahlgeschorenen Kopf in einem architektonischen Rahmen, der sehr an ein frühes Selbstporträt in Orvieto erinnert.25 Unterschiede zeigen sich in der Form des Rahmens: ein Tondo in Pisa, ein Sechseck in Orvieto. Zudem ist die Porträtbüste in Orvieto mit zeitgenössischem Kragen dargestellt, während in Pisa eine entblößte Schulterpartie zu sehen ist, was an eine antike Büste erinnert.
Vasari erwähnt in seinen Viten ein weiteres Selbstbildnis Gozzolis in der Szene Begegnung der Königin von Saba mit König Salomon, „ed egli stesso sopra un cavallo nella figura d’un vecchiotto raso, con una beretta nera, che ha nella piega una carta bianca, forse un segno, o perché ebbe volontà di scrivervi dentro il nome suo.“26 Eventuell diente es als Vorlage für das Künstlerporträt Gozzolis in der zweiten Auflage seiner Viten.27 Eine Selbstdarstellung des Künstlers mit einem Zettel am Hut wird auch für Baldovinetti auf seinem Mosaik am Dom von Pisa vermutet. Ein weiterer Bezugspunkt ist die lobende Inschrift in der Nähe dieser Szene, welche Gozzoli nahezu hymnisch preist als einen, der in der Malerei erschafft, was die Alten erfunden haben. Die Malereien sind inzwischen zerstört, die Inschrift ist noch lesbar.28 Diese Kombination von lobender Inschrift und Selbstbildnis findet sich häufiger im Werk Gozzolis: im Camposanto noch in der Szene Josef und seine Brüder und in der Augustinerkirche in S. Gimignano in der Szene Abschied des hl. Augustinus aus Rom. Leider ist das Fresko im Camposanto jedoch völlig zerstört und Vasaris Zuweisung kann nicht überprüft werden.29 Dennoch ist es gerechtfertigt, die Pisaner Tradition des cartellinos sowie den Konnex zu einer Inschrift mit dem Namen des Künstlers als plausible Hinweise für ein Selbstporträt anzusehen.
Mengin vermutet neben anderen auch ein Selbstbildnis Gozzolis in einer Figur in dem Bildfeld mit dem Turmbau zu Babel. Allerdings war für ihn der Zustand des Gemäldes damals nicht so gut, dass eine Zuweisung möglich gewesen wäre. Der Autor erkennt den Künstler noch in zwei weiteren Szenen des Zyklus: In der Szene Abschied der Hagar von Abraham vermutete er ihn in einer der Figuren am linken Bildrand. Sie solle Ähnlichkeiten zum Selbstbildnis der Medici-Kapelle aufweisen, gleichwohl hier die Kieferknochen kräftiger und die Wangen fleischiger erscheinen. Diese Veränderung erklärt sich der Autor mit einer Gewichtszunahme in fünfzehn Jahren.30 Auch eine Figur der Szene Treffen Esaus mit Jakob soll Ähnlichkeiten zum Selbstbildnis der Medici-Kapelle aufweisen. Sie befindet sich am rechten Rand der Gruppe im Bildvordergrund.31 Beide Gemälde sind inzwischen zerstört und die Thesen Mengins können nicht überprüft werden.
Verweise
Zur Bedeutung der Piazza dei Miracoli im öffentlichen Leben der Stadt siehe Ahl 1996, 157.↩︎
Horký 2003, 31f.↩︎
Bucci/Bertolini 1960a, 13.↩︎
Ahl 1996, 158.↩︎
Bucci/Bertolini 1960a, 13.↩︎
Zur Entstehungsgeschichte siehe Ahl 1996, 160f.↩︎
Ebd., 161.↩︎
Ahl 2021, o.S. Gozzoli wurde in Pistoia in einem unbezeichneten Grab bestattet.↩︎
Ahl 1996, 162.↩︎
Ebd.↩︎
Zitiert bei Prinz 1966, 63.↩︎
Gigante 2010, 91f.↩︎
Prinz 1966, 63.↩︎
Horký 2003, o. S. (Abb. 73). Bildnis eines Mannes mit Hut unter den Verdammten des Jüngsten Gerichts, Detail aus: Buonamico Buffalmacco, Das Jüngste Gericht, Sinopien, 1330–40, Pisa, Camposanto (Vorkriegsaufnahme).↩︎
Gigante 2010, 95.↩︎
Bucci/Bertolini 1960b, 56.↩︎
Prinz 1966, 57.↩︎
Gigante 2010, 52.↩︎
Horký 2003, Abb. 16. Piero di Puccio, Bau der Arche Noah, Detail der Rahmung mit dem Selbstbildnis, Pisa, Camposanto (Vorkriegsaufnahme).↩︎
Ebd., 26f.↩︎
Gigante 2010, 93.↩︎
Horký 2003, 26 (Anm. 109).↩︎
Ahl 1996, 168.↩︎
Horký 2003, 27.↩︎
Zitiert bei Prinz 1966, 89.↩︎
Gigante 2010, 108f.↩︎
Ebd., 37.↩︎
Mengin 1909, 121 (Anm. 1).↩︎
Ebd., 132 (Anm. 3).↩︎
Zugehörige Objekte
Literatur
Zitiervorschlag:
Rupfle, Harald: Benozzo Gozzoli im Camposanto in Pisa, in: Metapictor, http://explore-research.uibk.ac.at/arts/metapictor/ue-objekt/benozzo-gozzoli-szenen-aus-dem-neuen-und-dem-alten-testament-camposanto-pisa/ (05.12.2025).