Blicke auf Anbetungen der Könige bei Hans Memling
Bildrechte
Memling greift in mehreren Darstellungen auf ein ähnliches System der Positionierung von Figuren im Bildaufbau zurück: In einer Fensternische der Architektur, die den Raum des sakralen Mythos der Anbetung der Könige definiert, erkennt man das Kopfbild eines Mannes. Teils ragt das Bildnis in die Laibung der Maueröffnung hinein, die rechte Hand der ansonsten nicht sichtbaren Figur liegt auf der Brüstung der unverglasten Öffnung auf. Der Protagonist steht verinnerlicht beobachtend rechts von Gottesmutter und Kind, ist aber außerhalb der heiligen Geschehnisse im Landschaftsraum positioniert. Seine Gestik und Mimik bewirken eine ästhetische Kommunikation zwischen Vorder- und Hintergrund, in weiterer Hinsicht zwischen Bild- und BetrachterInnenraum. Hierin entsprechen sich die Anbetungsszenen auf der Mitteltafel des Anbetungstriptychons in Madrid, im Floreins-Altar in Brügge und auf der Tafel zu den Sieben Freuden Mariä in München.
McFarlanes Erstthematisierung dieser Nischenfiguren als mögliche Selbstporträts kommt einer gleichzeitigen Ablehnung der These gleich. Auch die ältere und von der Forschung soweit ersichtlich durchwegs kritisch abgelehnte These Descamps1 zur Figur im Floreins-Altar ist wenig erhellend. Dennoch scheint eine Analyse im vorliegenden Rahmen gerechtfertigt: Unabhängig von einer möglichen Zuschreibung kommt dem Porträt trotz seiner kleinen und unscheinbaren Ausführung die Rolle einer blickleitenden Figur zu. Thiemann, die Memlings Oeuvre nach Methoden der BetrachterInnenansprache, nach der BetrachterInnenfunktion im Werk analysierte, fokussiert u. a. auf kompositionelle und bildstrukturelle Verankerung von Figuren, auf ihre gestischen und mimischen Äußerungen, besonders auf ihre Blickführung, die ihr Indizien der Betonung ästhetischer Grenzen (überschreitend als auch respektierend) sind.2 Unbestreitbar erscheinen der Autorin Tendenzen der Inszenierung unterschiedlicher Realitätsebenen, die Memling etwa mittels räumlicher Verhältnisse von Architektur und Bildfiguren erreicht.3
Die Figur des potenziellen Selbstporträts des Malers4 erfüllt diese Kriterien gerade in den genannten Anbetungsszenen: Als Porträtfigur gehört sie der „realen Sphäre“ an, als Dreiviertelporträt ausgeführt wendet sie sich indirekt an die BetrachterIn, sie befindet sich hinter einer durchbrochenen Architekturschranke in räumlicher Distanz. Das System von BetrachterInnenansprache und innerbildlichen Bezugnahmen erweiternd liegen Finger der rechten Hand zudem deutlich auf einer Schwelle zwischen Innen- und Außenraum, nämlich der Brüstung des Fensters, die sowohl dem Sakralraum als auch dem Hintergrund anteilig erscheint. Respektvoll, verhalten aber doch eindeutig, tritt (bzw. greift) die Figur in die heilige Sphäre ein.
Die Gemälde in Madrid und Brügge verbindet ein weiteres Element: Zur jeweils Linken der beschriebenen Figur befindet sich ein zweites, stark beschnittenes Bildnis in derselben Hintergrundebene – ein junger, sich direkt aus dem Gemälde wendender Mann. Aus der Kombination der Blickachsen ist ein vielschichtiges System von Bewegung aus dem Bild in den bildexternen Raum, von diesem zurück ins Gemälde und weiter direkt in die zentrale Handlung ableitbar. Auch in der Münchner Tafel ist der Figur im Fenster eine weitere beigestellt, diese blickt nicht aus dem Bild, ist aber über ihre Gestik mit dem vermeintlichen Selbstbildnis verbunden.
Verweise
Descamps 1753, 13.↩︎
Thiemann 1994, bes. 28.↩︎
Thiemanns Analyse der Mitteltafel von Memlings Johannesaltärchen ergibt etwa eine Überschreitung von durch Architekturelemente definierte Raumgrenzen des Engels, der als Bindeglied zur innerbildlichen sakralen Historie gilt (er reicht dem Jesuskind einen Apfel) und auch des Stifters, der per se außerbildlichen Sphären angehört, was auch durch eine angedeutete Blickführung und Körperhaltung Richtung BetrachterInnenraum, durch kompositionell räumliche Entfernung von dem durch Architektur begrenzten Sakralraum suggeriert wird. Vgl. ebd., 140.↩︎
Die Möglichkeit integrierter Selbstbildnisse bei Memling wird von Thiemann nicht in Betracht gezogen.↩︎
Zugehörige Objekte
Literatur
Zitiervorschlag:
Krabichler, Elisabeth: Blicke auf Anbetungen der Könige bei Hans Memling, in: Metapictor, http://explore-research.uibk.ac.at/arts/metapictor/ue-objekt/blicke-auf-anbetungen-der-konige-bei-hans-memling/ (05.12.2025).