Genter Altar, Gebrüder van Eyck
Bildrechte
Der Genter Altar1 von Jan und Hubert van Eyck gilt als Schlüsselwerk der Kunstgeschichte. Eine zentrale Quelle hierzu bildet die Widmungsinschrift, die auf den unteren Rahmenleisten des Altars in geschlossenem Zustand sichtbar ist. Diese verweist auf die Maler, den Auftraggeber und die Entstehungszeit: P[IC]TOR HUBERTUS EEYCK. MAIOR QUE NEMO REPERTUS. INCEPIT. PONDUS. Q[UE] JOHANNES ARTE SECUNDUS. [FRATER] PERFECIT. JUDOCI VIJD PRECE FRETUS. VERSU SEXTA MAI. VOS COLLOCAT ACTA TUERI (Maler Hubert van Eyck, einen größeren gab es nicht, hat dies Werk begonnen und sein Bruder Johannes, der zweite in dieser Kunst, hat im Auftrag von Jodocus Vijd die schwere Aufgabe vollendet. Durch diese Verse vertraut er Eurer Obhut das an, was am 6. Mai 1432 entstand).2 Die Inschrift, die Diskussionen um ihre Authentizität auslöste, wird mittlerweile als autograf anerkannt.3 Die erstmalige Präsentation des Altars wird mit der Taufe von Josse, Graf von Charolais, dem Sohn Herzog Philipps des Guten und Isabels von Portugal, in Verbindung gebracht. Die Zeremonie fand am 6. Mai 1432 in Gent statt und wurde von Kardinal Henry Beaufort, Erzbischof von Winchester, durchgeführt. Die Jahreszahl 1432 ist als Chronogramm in der Inschrift verborgen. Durch diese Jahresangabe gilt der Genter Altar als das frühesten datierte Werk der niederländischen Malerei des 15. Jahrhunderts.4
Im Zusammenhang mit dem Altar wurden verschiedene mögliche Künstlerbilder bzw. Selbstdarstellungen thematisiert. Die wesentlichsten dieser mutmaßlichen Porträts befanden sich auf der Tafel der Gerechten Ritter, die 1934 infolge eines Diebstahls verloren ging und lediglich in Form einer Kopie überliefert ist.5 Über den Verbleib des originalen Gemäldes liegen keine Informationen vor. Auch Analysen zur Unterscheidung der künstlerischen Handschriften, die durch die erwähnte Inschrift angeregt wurden, konnten nach dem Verlust der Tafel nicht mehr durchgeführt werden.6
Der früheste überlieferte Hinweis auf ein Selbstporträt Jan van Eycks unter den Reitern auf dieser Tafel findet sich in der Ode Lof en prijs der vvercs (1565), einem Lobesgedicht des Genter Malers und Poeten Lucas de Heere auf den Genter Altar. Im Abschnitt zum Flügelbild mit den Reitern ist angeführt, dass sich Jan van Eyck – erkennbar an einem roten Paternoster, den er über seinem schwarzen Gewand trägt – in der Gruppe der Könige, Prinzen und Alten befindet. Neben Jan, dem Maler des Altars, reite sein Bruder Hubert: „Ten rechten siet men onder de zulcke verkeeren, / Den princelicken Schilder die dit werck voldé‘ / Met den rooden Pater noster op zwarte cleeren / Sijn broeder Hubert rijdt by hem in d'hooghste sté.“7
Im Anschluss an Lucas de Heere veröffentlichte Dominicus Lampsonius die beiden Bildnisse in seiner Sammlung Pictorum aliquot insignium Germaniae inferioris effigies (1572). Der flämische Humanist stellte Hubert und Jan van Eyck an den Beginn seiner druckgrafischen Sammlung berühmter Künstler.8 Auch bei Karel van Mander (1617) wird in der Vita der Gebrüder van Eyck die Ode von de Heere vollständig zitiert.9 Die Bildnisse sind in der Ausgabe von 1618 abgedruckt.10
Wie Martens detailliert ausführt und anhand zahlreicher Bildbeispiele bis in die Romantik belegt, haben diese Bildnisse die Ikonografie der Malerbrüder geprägt. Eine Ausnahme hierzu bildet Joachim von Sandrart mit den Medaillonbildnissen der Gebrüder, die er in seiner Teutschen Academia (1675) publizierte.11 Der Historiker wählte dazu ein Porträt von Marinus van Reymerswaele als Vorlage. Dabei handelt es sich um ein Doppelporträt von Steuereintreibern,12 das in verschiedenen Ausführungen erhalten ist. Martens gibt an, dass die van Reymerswaele'schen Bildfiguren möglicherweise zur Zeit von Sandrart als Porträts der Gebrüder van Eyck angesehen wurden – Sandrart stellte eine „Pseudoidentifikation“ an, mit der er die Ikonografie der Gebrüder van Eyck „ungewollt um eine zumindest unerwartete Variante bereicherte.“13
Insbesondere in der älteren Forschung wurden die Bildnisse im Genter Altar auf Grundlage der Ode von de Heere als Künstlerdarstellungen bewertet. Allerdings wurde die Passage, die ein mögliches Porträt von Hubert betrifft, unterschiedlich ausgelegt, was zu uneinheitlichen Einschätzungen führte. Einige Forschende vermuten, dass der Reiter an der vorderen Bildkante gemeint sei,14 während andere annehmen, der Reiter mit der roten Sendelbinde, der sich links vom mutmaßlichen Selbstporträt von Jan befindet, sei als Hubert zu identifizieren.15
Trotz der in der aktuellen Forschung geäußerten Zweifel bleibt das mögliche Selbstbildnis von Jan van Eyck von Bedeutung, sowohl für die frühe Selbstporträtforschung als auch für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Werk und der Person Jan van Eycks.
Vereinzelt wurde die Meinung geäußert, dass sich das Brüderpaar ein weiteres Mal im Genter Altar einfinde, und zwar im zentralen Bild Die Anbetung des Lammes und der Quell des Lebens. So gibt Hotho (1858) an, Hubert van Eyck sei in einer jüngeren Darstellung als auf der Tafel der Gerechten Ritter und mit weniger ernsten Zügen im Gefolge des Klerus auf dieser Haupttafel zu sehen.16 Ebenso unklar ist ein Beitrag von Dhanens (1985), die das Bildnis mit blauer Kappe im Monforte-Altar mit einer Darstellung an nahezu derselben Stelle in der Anbetungstafel des Genter Altars vergleicht und dieses als wahrscheinliches Porträt von Hubert van Eyck identifiziert.17 Auch Châtelet (1999) trägt nicht zur Klärung bei, da er ohne weiterführende Quellen oder präzise Differenzierung feststellt, dass sich die Gebrüder van Eyck vermutlich in versteckter Weise in der Tafel des Mystischen Lammes im Genter Altar dargestellt haben könnten.18 Da die möglichen Künstlerbilder auf Grundlage dieser wenig differenzierten Zuschreibungen nicht eindeutig zugeordnet werden können, werden auch diese Thesen im vorliegenden Rahmen nicht weiterverfolgt.
Zu den Vorschlägen zu möglichen Selbstdarstellungen im Genter Altar kommt noch eine gewagte These von Liess (1993) hinzu. Der Autor analysiert den Quatrain des Genter Altars und kommt nach einer vergleichenden Untersuchung von Inschriften und Gemälden aus dem Oeuvre Jan van Eycks zu dem Schluss, dass das zentrale Gottesbild des Altars, das sowohl inhaltlich als auch kompositorisch bestimmend ist, Jan zur Identifikation diente – ähnlich wie Albrecht Dürer später in seinem Münchener Selbstbildnis Christuszüge in sein eigenes Antlitz integrierte. Liess schreibt: „Im Begriff dieser [in Christus zentrierten] Ganzheit [...] ist der Quatrain als Künstlerinschrift und zugleich als ein in das Christusbild hineingeformtes, an diesem proportioniertes Selbstbildnis Jan van Eycks wiederzuentdecken. Kaum ein Jahrhundert später wird Albrecht Dürer auf einem analogen Wege weitergehen und dem Antlitz seines Münchener Selbstbildnisses Christuszüge verleihen.“19
Da es sich beim zentralen Gottesbild um ein autonomes Porträt handelt, wird es in der Datenbank, die sich ausschließlich mit integrierten Bildnissen beschäftigt, nicht berücksichtigt. Allerdings wird der Überlegung nachgegangen, dass sich Jan van Eyck möglicherweise als Spiegelung in der Krone von Gottvater eingebracht haben könnte.
Verweise
Aus der umfangreichen Literatur zum Genter Altar vgl. u. a. Büttner 2004; De Vos 2002, 35–52; Dhanens 1965; Dhanens 1975; Dhanens 1980, 72–121; Herzner 1995; Kemperdick 2014a; Kruse 1994, 144–148; Pächt (hg. von Schmidt-Dengler 1989), 119–170; Pietrogiovanna 2002; Puyvelde 1946; Snyder/Silver 2005, 89–94; Uspenskij 2001; Wilhelmy 1993, 59–75.↩︎
Vgl. Kruse 1994, 144.↩︎
Zu Zweifeln an der Echtheit der Inschrift vgl. u. a. Friedländer, 22–39; Herzner 1995, 10–12, 152–180 bzw. an der Person Huberts prinzipiell Renders 1933.↩︎
Vgl. u. a. Kemperdick 2014b, bes. 20, 27, zur Diskussion um die beteiligten Maler, die Echtheit der Inschrift, die Identität Huberts, der Händescheidung und der frühen Chronologie vgl. bes. 20–28; zu einer philologischen Betrachtung der Inschrift vgl. Meckelnborg 2014, zum Chronogramm und dem Zusammenhang mit der Taufe bes. 119.↩︎
Zu Verlust und Kopie der Tafel vgl. u. a. De Vos 2002, 36f; Kemperdick 2014b, 53, 64; Pächt (hg. von Schmidt-Dengler 1989), 126; Schlie 2002, 17–48.↩︎
Vgl. Kemperdick 2014b, 21, der betont, dass nicht festgestellt werden kann, wer die Tafel mit den Gerechten Rittern gemalt hat.↩︎
Lucas de Heere (hg. von Waterschoot 1969), 39-32, bes. 30.↩︎
Lampsonius 1572.↩︎
Mander (Floerke 2000), 30–33.↩︎
Mander (hg. von Esveldt 1764), o. S.↩︎
Joachim von Sandrart, Porträts der Gebrüder van Eyck (neben anderen), 1675, in: Academia der edlen Bau-, Bild- und Malerkünste (München, Bayerische Staatsbibliothek, Codex 366).↩︎
Marinus van Remerswaele, Steuereintreiber, 1600–49, Warschau, MNW.↩︎
Martens 2001, bes. 152.↩︎
Vgl. Cavalcaselle/Crowe 1875, 55; Conway 1887, 131; Hotho 1858, 112; Ring 1913, 102.↩︎
Vgl. Kemperdick 2014b, 51–55, bes. 55.↩︎
Hotho 1858, 112, 117. Zu einer Kritik an Hotho vgl. u. a. Cavalcaselle/Crowe 1875, 55 (Anm. 1).↩︎
Dhanens 1985, 12. Dhanens gibt an, dass sie diese These zu Hubert schon früher entwickelt hat. In der gesichteten Literatur konnte die Erstthese nicht gefunden werden.↩︎
Châtelet 1999, 17. Zu einer weiteren unpräzisen Erwähnung einer Selbstdarstellung von Hubert van Eyck in der Tafel der Anbetung des Lammes vgl. u. a. Ainsworth 1998, 81.↩︎
Liess 1993, bes. 58.↩︎
Zugehörige Objekte
Literatur
Zitiervorschlag:
Krabichler, Elisabeth: Genter Altar, Gebrüder van Eyck, in: Metapictor, http://explore-research.uibk.ac.at/arts/metapictor/ue-objekt/genter-altar-jan-van-eyck-hubert-van-eyck/ (05.12.2025).