Meisterhafte Kooperation: der Melbourne-Altar der Brüsseler Werkstatt

Bildrechte

Der Melbourne-Altar (1491–95),1 ein Triptychon zu den Wundertätigkeiten Christi, ist ein herausragendes Beispiel der Zusammenarbeit von Meistern der Brüsseler Schule am Ende des 15. Jahrhunderts.2 Die Mitteltafel mit dem Sujet der wundersamen Brotvermehrung ist dem Meister der Katharinenlegende (Pieter van der Weyden) zugeschrieben,3 der linke Innenflügel zur Hochzeit von Kana dem Meister der Fürstenbildnisse,4 der rechte mit dem Thema Auferweckung des Lazarus dem Meister der Legende der hl. Barbara (Aert van den Bossche).5 Insgesamt wurden im Altar die Hände von bis zu fünf Meistern unterschieden.6

Eine Vielzahl in religiöse Szenen integrierter Bildnisse spiegelt die Vorliebe der Werkstatt wider, verschiedene Porträtarten (Porträtbüsten, Porträts von Ganzfiguren, Selbstbildnisse; in verschiedenen Ausrichtungen; aus dem Leben gegriffen und posthum) zu präsentieren. Ein erweiterter Blick auf die Selbstdarstellungen im Melbourne-Triptychon ist Martens fundierten Überlegungen zu den Bildnisfiguren im Oeuvre des Meisters der Katharinenlegende, insbesondere zu deren Systemen, Einsatzmöglichkeiten, Motivation oder Erkennbarkeit,7 zu verdanken. Der Autor hinterlegt seine Selbstporträtthesen mehrfach. Nach sorgfältiger Abwägung möglicher Identifizierungsvorschläge diverser Porträts in der Gesamtaltarausführung8 konzentriert er sich auf drei auf den ersten Blick nicht identifizierbare Männerbildnisse. Diese sollen in ihrer übereinstimmenden Ausführung mit schwarzen Kopfbedeckungen, die als Charakteristika von Malerpersönlichkeiten lesbar und in der Form im Altar ansonsten nicht anzutreffen sind, die Hauptmeister des Altars darstellen. Martens betont, dass ein System bedient wurde, das der BetrachterIn geläufig gewesen sein muss und das ermöglichte, die Bildnisse von denen der Stifter und anderen Porträts zu unterscheiden. Die Malerbilder stehen in der Funktion von Signaturen.9 Bedeutend im Kontext der Selbstporträtforschung ist, dass im Altar – wie in einem Musterkatalog – drei der zur damaligen Zeit gebräuchlichsten Formen der Selbstdarstellung ausgelotet wurden: Treffen die Thesen zu, zeigen die Maler ein im Vordergrund integriertes, bezeugendes Assistenzporträt am Rande des narrativen Kontextes (Mitteltafel); ein Rollenporträt im Hintergrund, das dem Humilitasgestus entspricht (linker Seitenflügel); sowie eine weitere, ebenfalls zurückgenommene Form der Selbstdarstellung am äußersten Bildrand (rechter Seitenflügel).

Die kooperative Zusammenarbeit in der Brüsseler Schule gepaart mit Selbstdarstellungen ist auch in einem früheren Werkensemble zu Szenen aus dem Leben des hl. Augustinus thematisiert. Ein weiteres Mal könnten verschiedene Systeme von Selbstdarstellungen bedient worden sein.

Verweise

  1. Zum Melbourne-Triptychon vgl. u. a. Conway/Ricci 1922; Friedländer 1926, 101–109; Gombert 2005, 22–25; Hoff 1995, 108–115; Hoff/Davies 1971b; Hudson 2013; Manion 1973/74; Martens 1998; Périer-D'Ieteren 1994; Steyaert 2013. Zur Hochzeit von Kana vgl. u. a. Périer-D'Ieteren 1990.↩︎

  2. Die Meister arbeiteten bis 1522 zusammen, vgl. Conway/Ricci 1922.↩︎

  3. Friedländer 1926, 101–109.↩︎

  4. Périer-D'Ieteren 1990.↩︎

  5. Patigny 2006, 218; Périer-D'Ieteren 1994.↩︎

  6. Der linke Außenflügel zeigt das Motiv Rast auf der Flucht nach Ägypten, der rechte den Hl. Petrus. Die Anzahl der vorgeschlagenen beteiligten Maler variiert. Périer-D’Ieteren gibt etwa neben den drei Hauptmeistern noch den Meister der Legende der hl. Magdalena (linker Außenflügel) sowie den Meister mit dem gestickten Laub samt Assistenten (rechter Außenflügel) an. Auch sei der Meister der Legende der hl. Barbara an letzterem Flügel beteiligt gewesen. Vgl. Périer-D'Ieteren 1994, o. S.; Carlier geht nach Martens davon aus, dass ausschließlich die drei Hauptmeister den Altar malten, vgl. Carlier 2007, 89; Martens 1998. Zu einer Zusammenschau der Thesen zu den beteiligten Malern vgl. Steyaert 2013. Zu den Meistern der Brüsseler Schule in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts vgl. Einleitungstext zu Pieter van der Weyden.↩︎

  7. Martens 1998.↩︎

  8. Ebd., 27–31. Zu Details zu den Identifizierungen und zu Überlegungen zu den möglichen Stiftern vgl. u. a. Conway/Ricci 1922, 164–171; Friedländer 1926, 107; Hoff 1995, 110–112; Hoff/Davies 1971a, 4, 6f, 17–19; Hudson 2013, bes. 2–6; Périer-D'Ieteren 1994; Steyaert 2013, 197–200. Zu den Identifizierungen der Porträts in der Tafel der Hochzeit zu Kana vgl. Périer-D'Ieteren 1990. Eine Vielzahl der Dargestellten zeigen Personen aus herzoglichen burgundischen Familien der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts.↩︎

  9. Martens 1998, 37.↩︎

Zugehörige Objekte

Literatur

Carlier, Aurore: Œuvres de jeunesse du Maître de la Légende de sainte Madeleine: nouvelles attributions, in: Gombert, Florence/Martens, Didier (Hg.): Le Maître au feuillage brodé. Démarches d’artistes et méthodes d’attribution d’oeuvres à un peintre anonyme des anciens Pays-Bas du XVe siècle (Tagungsband, Lille, 23.–24.06.2005), Lille 2007, 87–98.
Conway, Martin/Ricci, Seymour de: A Flemish Triptych for Melbourne, in: The Burlington Magazine for Connoisseurs, 40. Jg. 1922, H. 229, 162–171.
Friedländer, Max J.: Hugo van der Goes (Die altniederländische Malerei, 4), Berlin u. a. 1926.
Gombert, Florence: Un peintre paysagiste? in: Rudolf, Geneviève (Hg.): Le Maître au Feuillage brodé. Primitifs flamands. Secrets d'ateliers (Ausstellungskatalog, Lille, 13.5.–24.7.2005), Paris 2005, 21–28.
Hoff, Ursula (Hg.): European Paintings Before 1800 in the National Gallery of Victoria, Melbourne (4. Aufl.) 1995.
Hoff, Ursula/Davies, Martin (Hg.): The National Gallery of Victoria. Melbourne (Les primitifs Flamands. I. Corpus de la peinture des anciens Pays-Bas méridionaux au quinzième siècle, 12), Brüssel 1971.
Hoff, Ursula/Davies, Martin: No. 131: Anonymous (13). The Triptych with the Miracles of Christ, in: Hoff, Ursula/Davies, Martin (Hg.): The National Gallery of Victoria. Melbourne (Les primitifs Flamands. I. Corpus de la peinture des anciens Pays-Bas méridionaux au quinzième siècle, 12), Brüssel 1971, 1–28.
Hudson, Hugh: Paradise for Ever. More on the Patronage and Iconography of the „Triptych with the Miracles of Christ“ in the National Gallery of Victoria, in: Oud-Holland, 126. Jg. 2013, H. 1, 1–16.
Manion, M.: „Things Both New and Old“ in a Flemish Triptych, in: Art Bulletin of Victoria 1973/74, 2–13.
Martens, D.: Portrait explicite et portrait implicite à la fin du Moyen Age. L'exemple du Maître de la Légende de sainte Catherine (Alias Piérot de le Pasture?), in: Jaarboek Koninklijk Museum voor Schone Kunsten Antwerpen 1998, 9–67.
Patigny, Géraldine: Introduction of the Master of the Saint Barbara Legend, in: Syfer-d'Olne, Pascale/Slachmuylders, Roel/Dubois, Anne/Fransen, Bart/Peters, Famke (Hg.): The Flemish Primitives. Masters with Provisional Names (The Flemish Primitives. Catalogue of Early Netherlandish Painting in the Royal Museums of Fine Arts of Belgium, 4), Brüssel 2006, 216–219.
Périer-D'Ieteren, Catheline: Contributions to the Study of the Melbourne Triptych. II. The Miracle of the Loaves and Fishes, The Raising of Lazarus, The Rest on the Flight to Egypt and St Peter, in: Art Journal (34), 1994, https://www.ngv.vic.gov.au/essay/contributions-to-the-study-of-the-melbourne-triptych-ii-the-miracle-of-the-loaves-and-fishes-the-raising-of-lazarus-the-rest-on-the-flight-to-egypt-and-st-peter/ (19.05.2021).
Périer-D'Ieteren, Catheline: Contributions to the Study of the „Triptych with the Miracles of Christ“. „The Marriage at Cana“, in: Art Journal (31), 1990, https://www.ngv.vic.gov.au/essay/contributions-to-the-study-of-the-triptych-with-the-miracles-of-christ-the-marriage-of-cana/ (26.04.2021).
Steyaert, Griet: Triptyque de Melbourne, in: Bücken, Véronique/Steyaert, Griet (Hg.): L'héritage de Rogier van der Weyden. La peinture à Bruxelles 1450–1520, Brüssel u. a. 2013, 197–204.

Zitiervorschlag:

Krabichler, Elisabeth: Meisterhafte Kooperation: der Melbourne-Altar der Brüsseler Werkstatt, in: Metapictor, http://explore-research.uibk.ac.at/arts/metapictor/ue-objekt/meisterhafte-kooperation-der-melbourne-altar-der-brusseler-werkstatt/ (05.12.2025).