Slavia Tirolensis
Digitales Portal für slawische Ortsnamen in Osttirol
🔬Über das Projekt
Die Plattform Slavia Tirolensis ist das Ergebnis des gleichnamigen Projekts, das vom FWF gefördert und von Emanuel Klotz am Institut für Slawistik zwischen 01.04.2022 und 31.03.2025 durchgeführt wurde. Ziel des Projekts war es, die Ortsnamen slawischer Herkunft im Bezirk Lienz, der Region Osttirol, zu sammeln, nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu deuten und die gesammelten Daten auf einer interaktiven Webseite zur Verfügung zu stellen.
📊 Methode
Zunächst wurde der Datenbestand des Projektes Flurnamenerhebung Tirol (siehe hier; freundlicherweise zur Verfügung gestellt durch Gerhard Rampl) auf mögliche Slawismen durchsucht. Da ein Slawismus nur bedingt als solcher über seine heutige lautliche Form erkennbar ist, waren zusätzliche Kontrollmechanismen notwendig, die etwaige falsche Treffer oder falsche Ausschlüsse offenbarten. Die Wahl der Kontrollmechanismen ergab sich aus den Anforderungen des vom Autor vorgeschlagenen Vier-Säulen-Modells (siehe hier).
Der zweite Schritt bestand darin, die bisher vorgeschlagenen Etymologien zu sammeln und auswerten. Viele dieser Etymologien stammen aus dem vorvorigen Jahrhundert und waren im entsprechenden Ausmaß überholt oder unpräzise. Zur Auswertung wurde das erwähnte Vier-Säulen-Modell herangezogen, das folgende Prüfungen vorsieht:
- Lässt sich die Entwicklung vom angesetzten Etymon bis zur heutigen Lautung vollständig durch das Wirken von Lautwandeln oder plausibler Analogien erklären?
- Handelt es sich bei dem Etymon um ein Gebilde, das den morphotaktischen Regeln des Slawischen entspricht, und trägt dieses Gebilde einen plausiblen Sinn?
- Passt die Bedeutung, die dem Namen zugrunde gelegt wird, zur Umgebung des Untersuchungsobjekts?
- Untermauern die schriftlichen Belege die vermutete Etymologie?
Hielten die untersuchten Etymologien diesen Kriterien nicht stand, so wurden Alternativen vorgeschlagen, die sich nach Maßgabe der genannten Kriterien als plausibler erwiesen.
Zum Großteil der Namen waren allerdings bis dahin noch überhaupt keine Etymologien veröffentlicht worden. Somit war es Gegenstand des nächsten Schrittes, diese Lücke zu schließen. Dabei war vor allem das Namenmaterial außerhalb Osttirols, etwa in Polen, Tschechien und Slowenien, besonders hilfreich.
Ein grundlegender methodischer Bestandteil der Namendeutung ist das Heranziehen von urkundlichen Belegen. Insgesamt wurden für das Projekt unter Mitarbeit von Christian Chapman fast 12.000 Belege zusammengetragen. Die meisten von ihnen stammen aus Dokumenten des Tiroler Landesarchivs, andere aus jenen dem Haus-Hof- und Staatsarchiv in Wien oder aus Gemeindearchiven. Ein kleinerer Bestandteil wurde aus Regesten oder Editionen zusammengetragen.
Die im Portal zugänglichen Daten erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. So sind etwa einige slawische Namen nicht enthalten, weil bislang keine plausible Deutung zu ihnen vorliegt. Zu vielen Objekten wurde außerdem noch keine Mundartaussprache erhoben. Da der Datenbestand jedoch laufend aktualisiert wird, kann sich der Vollständigkeits- und Genauigkeitsgrad noch erhöhen.
🏔️ Die Slawen in Osttirol
Die Slawen – das sind die sprachlichen Vorfahren der heutigen Russen, Polen, Slowenen und vieler anderer Völker in Mittel- und Osteuropa. Ähnlich wie Deutsch und Englisch dem Urgermanischen entstammen, so gehen auch die slawischen Sprachen auf eine gemeinsame Ursprache zurück, die sich mit der Zeit in verschiedene Einzelsprachen aufgespalten hat. Diese Ursprache, das Urslawische, ist leider nicht schriftlich bezeugt, kann aber auf der Grundlage ihrer Fortsetzersprachen rekonstruiert werden.
Wie eben Deutsch und Englisch, so sind auch Polnisch und Slowenisch heute nicht mehr gegenseitig verständlich; ihre Verwandtschaft lässt sich aber am Grundwortschatz noch eindeutig ablesen: Fisch, Arm und Haus heißen auf Deutsch quasi gleich wie auf Englisch, und ähnlich verhält es sich mit slowenischem riba, roka und dom gegenüber polnischem ryba, ręka und dom – auch sie bedeuten jeweils 'Fisch', 'Arm' und 'Haus'.
Im 6. Jahrhundert breiteten sich die Slawen von ihrer Urheimat, dem heutigen ukrainisch-polnischen Grenzgebiet, in Richtung Mitteleuropa aus und besiedelten jene Landstriche, in denen bis heute noch Slawisch gesprochen wird – aber eben auch jene, in denen das Slawische mittlerweile längst verklungen ist. Zu den ehemals slawischen Gebieten gehören neben einem Großteil Österreichs unter anderem weite Teile Deutschlands oder Ungarns, ja sogar Griechenlands. Im Verlauf ihrer Westwanderung siedelten sich die Slawen auch in Osttirol an und hinterließen dort sichtbare Spuren in der Ortsnamenlandschaft. Beispiele sind Siedlungsnamen wie Tristach ('bei den Leuten im Schilf'), Stronach ('bei den Leuten an der Bergseite'), Debant ('Jungfrauenort', wohl ein heidnischer Kultplatz) oder Prappernitze ('Ort mit Farnkraut'). Doch auch in einem kleineren, privateren Bereich begegnen sie uns, nämlich in den Flur- und Hausnamen.
Dass das Slawische in Osttirol nicht mehr lebendig ist, liegt an der Übermacht des Bairischen, von dem unsere heutigen Dialekte abstammen. Von den anrückenden Slawen aufgescheucht, fielen die Baiern um 600 mehrfach in Osttirol ein, doch schafften sie es erst 150 Jahre später, die Slawen unter ihre Hoheit zu bringen. Damit begann schließlich der Sprachkontakt und der Wechsel von Wörtern von der einen Sprache in die andere: Die Baiern übernahmen beispielsweise die bereits vorhandenen Ortsnamen – sie mussten sie nur gegebenenfalls Mundgerecht machen: Das für damalige Baiern unaussprechliche b verwandelten sie in ihr heimisches v, das sich später zu f entwickkelte. So wurde etwa aus «bystrica» 'schneller Bach' letztlich Feistritz (im Defereggen).
Literatur:
- Hubert Bergmann (2005): Slawisches im Namengut der Osttiroler Gemeinden Ainet und Schlaiten. Wien, Edition Präsens, S. 17‒30.
- Georg Holzer (2020): Untersuchungen zum Urslawischen. Einleitende Kapitel, Lautlehre und Morphematik. Berlin u. a., Peter Lang, S. 21‒41.
- Emanuel Klotz (2024): Slawische Flurnamen in der Gemeinde Tristach. In: Kofl-Kurier 57, S. 8f.
📚Publikationen
Publikationen über die slawischen Namen Osttirols sind hier abrufbar.